Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

II.

»So gehe denn hin, du mein Friedensbote,« sprach Thomas Münzer vor sich bin, indem er die Feder niederlegte und sein Auge auf dem Pergament ruhen ließ, das er eben beschrieben, »gehe hin und sprich vernehmlich zu dem Ohre der hohen Herren, dringe ihnen an's Herz und erschließe ihre Augen, das sie sehen das Licht der Wahrheit!« – »Sie werden dich vielleicht verhöhnen,« fuhr er fort, »verlästern und verdammen! Nun dann sei ewige Fehde zwischen mir und ihnen, bis das Reich des wahren Evangeliums in seiner Herrlichkeit ersteht!« Ein begeistertes Feuer glänzte aus seinen Augen, und seine bleichen Wangen rötheten sich vom Kampfmuth seines Geistes.

In dem Augenblicke trat Simon Haferitz, ein Genosse seines Strebens und gleichfalls evangelischer Prediger zu Allstett in das Gemach des Gelehrten. Münzer hieß ihn willkommen. »Ich habe ein Friedenswerk vollendet;« sprach er zu ihm. »Ich habe an die edlen Fürsten Friedrich und Johann geschrieben und sie mit ernsten, eindringlichen Worten aufgefordert zum Schutze der Wahrheit. Möge es gute Früchte tragen!«

»Amen!« seufzte Haferitz bekümmert. »O mein Freund und Bruder! Mit wie guter Hoffnung wir auch das Werk begonnen haben, so seh' ich doch im Geiste trübe Zeiten hereinbrechen. Luther greift uns an mit Schrift und Wort und schilt uns vom bösen Geiste Besessene!«

»Laß ihn schelten!« antwortete Münzer. »Die Fackel der Wahrheit wird er doch nicht verlöschen können! Mit den guten Brüdern zu Zwickau ist er wohl fertig worden, und ich sehe darin kein Großes, den lebendigen Geist aber wird er nicht zu Boden ringen.«

»Aber er wird die weltliche Gewalt gegen uns aufrufen und Verfolgung und Verbannung wird unser Loos sein,« sagte der Andere.

»Wie so kleinmüthig, mein Freund!« entgegnete Münzer. »Wir bedürfen guten Muthes zu unserm Werke. Nur dann sind wir verloren, wenn wir uns selbst verlieren. Meintest du, die Wahrheit würde siegen ohne Kampf? Dazu ist die Herrschaft der alten Finsterniß zu mächtig. Schritt vor Schritt werden sie den Boden räumen, auf dem die Zinnen des neuen Jerusalems sich erheben werden. Ich habe mich vorbereitet auf Kampf und Verfolgung, ja ich achte mein Leben nicht zu hoch, um es nicht einzusetzen für die Freiheit meines Volks!«

»Die Fürsten grollen uns schon;« fuhr Haferitz fort. »Deine Friedensworte werden verklingen.«

»Auch dies wird mich nicht unvorbereitet treffen;« entgegnete Münzer ruhig. »Ich erfülle nur meine Pflicht, indem ich meine Sendung auch an sie ergehen lasse. Ich reiche die Hand zum Friedens wollen sie den Kampf: nun wohl, so wasch' ich meine Hände in Unschuld. Ich habe eindringlich genug zu ihnen geredet; wer Ohren hat zu hören, der höre. Du mögest urtheilen, ob ich recht gesprochen!«

Er nahm das Pergament und las unter Anderem Folgendes: »Ihr allertheuersten, liebsten Regenten! Laßt Euch durch Eure heuchlerischen Pfaffen nicht verführen und mit gedichteter Geduld und Güte aufhalten. Greifet die Sache des Evangeliums tapfer an. Wenn Ihr der Christenheit Schaden so wohl erkennetet und recht bedachtet, so würdet Ihr eben solchen Eifer gewinnen, wie Jehu der König. Denn der erbärmliche Schaden der Christenheit ist so groß worden, daß ihn noch zur Zeit keine Zunge mag ausreden. Darum muß ein neuer Daniel aufstehen, und Euch die Offenbarung auslegen, und derselbe muß voran, wie Moses lehrt, an der Spitze gehen. Er muß den Zorn der Fürsten und des ergrimmten Volkes versöhnen. Sie haben Euch genarret damit, daß Jeder zu den Heiligen schwur, die Fürsten sollen nichts Anderes denn bürgerliche Einigkeit erhalten; sagt er doch, ich bin nicht gekommen, Frieden zu bringen, sondern das Schwert. Was sollt Ihr aber mit demselben machen? Nichts Anderes, denn die Bösen, die das Evangelium verhindern, wegthun und absondern, wollt Ihr anders Diener Gottes sein. Christus hat mit großem Ernst befohlen: nehmt meine Feinde und würget mir sie vor meinen Augen. Warum? ei darum, daß sie Christo sein Regiment verdorben haben, und wollen noch dazu ihre Schalkheit unter der Gestalt des Christenglaubens vertheidigen. Gebt uns keine schaalen Fratzen vor, daß die Kraft Gottes es thun soll ohne Euer Zuthun des Schwerts, es möcht Euch sonst in der Scheide verrosten.

Die, welche Gottes Offenbarung zuwider sind, soll man wegthun, ohne alle Gnade, wie Hiskias, Josias, Cyrus, Daniel und Elias die Baalspfaffen verstöret haben; anders mag die christliche Kirche zu ihrem Ursprung nicht wieder kommen. Man muß das Unkraut ausraufen aus dem Weingarten Gottes in der Zeit der Ernte. Gott hat gesagt: Ihr sollt euch nicht erbarmen über die Abgöttischem zerbrecht ihre Altäre, zerschmeißt ihre Bilder und verbrennet sie, auf daß ich nicht mit euch zürne.«

Als Münzer zu Ende gelesen, schüttelte Haferitz bedenklich das Haupt. »Der Brief wird die Fürsten noch mehr gegen uns erzürnen!« sagte er.

»Bin ich denn gekommen, um zu schmeicheln und Honig zu streichen um den Mund?« antwortete Münzer heftig. Die Wahrheit ist wohl bitter dem Unverständigen, wer sie aber erkannt hat, dem ist sie süß! Ich bin nicht Luther, der dem faulen Fleisch ein Kissen unterlegt, ich bin ein zürnender Jesaias, und mein Wort soll sein ein Donner im Ohre der Gewaltigen. Die Gewaltigen aber, die geistlichen und weltlichen Herren, sind die Verderber der Welt, die Umkehrer der göttlichen Ordnung. Ist nicht das christliche Priesterthum nur eine Fortsetzung der alten Tyrannei, die schon den ersten Volks- und Menschenfreund Jesus den Christ geschlachtet und die ihr Opfer zu ihrem Gott erhoben und seitdem in seinem Namen die Welt unterjocht, wie sie es früher im Namen des alten Aberglaubens gethan? Sie sind die feindlichen Mächte, welche dem Gottesreich auf Erden, dem ewigen Evangelium, dem Heile entgegen sind, es hemmen, die Menschheit ihrem Eigennutz, ihren Wollüsten, ihren Launen opfern, sie auf jede Art mißbrauchen und in der Entwickelung ihrer Kräfte, im Genuß ihres menschlichen Daseins hindern.«

»O mein Bruder,« fuhr er nach einer Weile fort, »wie schmerzlich ist, bei denen Zweifel zu finden, welche die Wahrheit erkannt und ausgesprochen! Siehe dich um im Staat und in der Kirche, und frage dich, ob sie das sind, was sie sein sollten nach göttlichen Gesetzen! Man dienet dem Herrn mit Worten und Gepränge und glaubt genug gethan zu haben und ein rechtes Christenthum zu besitzen; das aber ist das rechte Christenthum, im Leben und in Werken sich der Gottheit zu nähern. Der Staat muß beseelt sein vom heiligen Geiste, alle Verhältnisse und Sitten müssen gestaltet sein nach der Lehre Christi, das Christenthum in der Welt verwirklicht, des göttlichen Reichs Gesetze müssen Staatsgesetze werden. Es ist nicht genug, daß alle Menschen vor Gott gleich seien, sondern auch vor den bürgerlichen Gesetzen sollen sie gleich sein!«

»Du weißt es, dein Glaube ist auch der meinige;« antwortete Haferitz. »Steht es uns aber zu, oder ist es in unserer Macht, diesen Glauben allem Volke einzuimpfen? Wird er nicht desto sicherer erblühen, wenn wir den Saamen ausstreuen und harren, bis er aufgehe und Früchte trage?«

»Die Macht ist uns gegeben!« rief Münzer feurig. »Alles Volk lauscht meinem Munde und ist bereit, das tausendjährige Joch abzuwerfen, das seinen Nacken drückt. Die Saat ist ausgestreut und sproßt kräftig empor. Warum sie unbehütet dem Feind überlassen, daß er Unkraut darunter säe? Der Landmann bewacht sein Feld und schützt es vor fremden Eindringlingen; er düngt den Boden, auf den er seinen Weizen säet; die unnützen Schößlinge schneidet er von den Bäumen, daß die edlen Zweige um so herrlicher wachsen. Warum sollen wir ihm nicht nachahmen und das Kindlein unsres Geistes nähren und pflegen? Wir wollen nicht Luther's Weise folgen, der den Fuß ausstreckte und ihn scheu zurückzog. Was wir beginnen, wollen wir auch vollbringen oder sterben als Märtyrer. Alles wollen wir an den großen Kampf setzen, und wir werden als Sieger daraus hervorgehn!«

Der bedächtige Haferitz fühlte sich von der Begeisterung des jungen Freundes hingerissen und wagte keinen Einwurf. »Hast du schon vernommen,« fragte er nach einer Weile, »daß Carlstadt Wittenberg verlassen hat und auf ein Dorf gezogen ist, wo er arbeitet wie ein Bauer, und läßt sich nicht mehr Dr. Andreas Carlstadt, sondern Nachbar Andreas nennen? Denn er behauptet, Jedermann müsse ein Laie sein und alle Gelehrsamkeit sei eitel Ding!«

»Er hat einen Theil des Geistes empfangen und feurigen Willen;« erwiederte Münzer. »Wohl bedarf es des Priesterthums nicht und des todten Wortes. Aber die Offenbarung wird nur durch Nachdenken gewonnen. Nicht von oben wird der Geist erleuchtet, sondern durch sich selbst; das ist die einzige Offenbarung, wie sie vor Jahrtausenden gewesen. Dieser Carlstadt wird ein tapfrer Streiter für das Reich Gottes sein!«

Haferitz schied endlich und nahm noch eine feurige Ermahnung Münzer's zu Muth, Vertrauen und Ausdauer mit sich. »Ja Muth und Ausdauer!« rief er sich selbst zu, als er allein war, das schwärmerische Auge hinauf zum blauen Frühlingshimmel gewendet, die Rechte auf die Schriften des Propheten Jesaias gelegt, die neben ihm lagen, »Muth und Ausdauer und beständigen Kampf« gegen die Feinde der Freiheit! Ich fühle deinen Geist in mir, Jesaias, der du in Flammen einhergehest, mit dir fühl' ich mich verwandt, Elias, der du die Baalspfaffen erschlugst, und mit dir, der du dem Herrn im feurigen Busche begegnetest und im heiligen Zorne die Tafeln des Gesetzes zerschmettertest, weil dein Volk vor goldenen Götzen betete! Ich fühle, daß mein Wort zur Flammengeißel werden und die Wechsler und Wucherer aus dem Tempel des Herrn vertreiben wird!« –

Diese Worte entsprangen aus Münzer's tiefster Seele; er war weder ein Betrüger, noch ein planloser Schwärmer. Er hatte das Elend seines Volkes schmerzlich erfaßt und fühlte sich dazu berufen, der Menschheit ein Befreier, ein Erretter zu werden. Durch die alttestamentlichen Schriften und die Mystiker der frühem Jahrhunderte fühlte und lebte sich der Jüngling in das Prophetenthum hinein, und sein Denken führte ihn auf Resultate, die einer spätern Zeit vorbehalten bleiben sollten; in politischen und religiösen Dingen ward sein Standpunkt ein rationalistischer, revolutionärer.

Der reformatorische Drang offenbarte sich schon früh in ihm. Nachdem er seine Studien gemacht und, nach seinem eignen Ausdrucke: »über alle seine Altersgenossen ernstlichen Fleiß. angewendet hatte, bis er eine billigere und seltene Wissenschaft des unüberwindlichen, heiligen christlichen Glaubens zu erlangen gewürdigt würde,« empfing er den Doctorgrad. Zuvor jedoch schon trat er als Lehrer an der Schule zu Aschersleben, dann zu Halle ein, und schon hier, in seinem fünfzehnten Jahre, stiftete er einen geheimen Bund, der zunächst gegen den Erzbischof Ernst zu Magdeburg gerichtet war, um die Christenheit zu reformiren. Als Caplan in einem Kloster zu Halle, wo er über ein Halbjahr den Nonnen die Frühmesse zu lesen hatte, »ließ er, unwillig über seine Aufgabe, die Worte der Wandlung aus, behielt eitel Brot und Wein und aß die Herrgötter – (die (Oblaten) – ungeweiht.« Während er sich mit seiner großen Idee beschäftigte, die immer mehr Flammen in ihm schlug, predigte er in verschiedenen Orten zum Wohlgefallen des gemeinen Mannes.

Von Zwickau, wo er als evangelischer Prediger angestellt war, wandte er sich mit einem Theil der dortigen Kreuzbrüderschaft nach Böhmen, wo die taboritische Lehre noch geheime Anhänger zählte, bei denen das neue Evangelium, das er predigte, wie er hoffte, am ersten Wurzel schlagen würde. In Prag schlug er in lateinischer und deutscher Sprache eine Ankündigung an, in welcher er sein Glaubensbekenntniß, wie es bis jetzt fertig in ihm lag, offen und in glühenden Worten aussprach.

»Ich will,« sagt er darin, »nebst dem vortrefflichen Streiter Christi, Johann Huß, die hellen Posaunen mit einem neuen Gesang erfüllen.« – »Die Geistlichen,« fährt er fort, »sind schädliche Leute, welche nie das Ganze des Christenthums erkannt haben, ohne das doch das Einzelne nicht erkannt werden kann! Gott selbst verflucht sie und ihren Diebstahl an seinem Wort, und wird an sie kommen, weil sie sein Volk betrügen; ja ganz nahe zu diesen Zeiten wird der Herr einen sehr dicken Zorn über sie schütten, darum, daß sie das Ziel des Glaubens verlästern, die doch als eine eherne Mauer vor das Volk Gottes sich stellen sollten. Um des Evangeliums willen wird er sie mit seinem Donner zerschmettern: denn es ist kein Volk in der Welt, das dem heiligen Geiste und dem lebendigen Worte mehr zuwider wäre, als die unnützen Priester der Christen. Eine lange Zeit haben die Menschen gehungert und gedürstet nach des Glaubens Gerechtigkeit, und die Weissagung des Jeremias ist an ihnen erfüllt worden: »Die Kinder haben Brot begehret, und Niemand war, der's ihnen brach.« – – Daß man immer nur aus den todten Buchstaben, daraus sich berufen hat: So hat Christus, so hat Paulus, so haben die Propheten gesagt! statt aus der Vernunft heraus zu überzeugen, das ist die Ursache, warum so viele Völker der Welt den christlichen Glauben eine unverschämte Thorheit genannt haben; mit Recht haben diese bei sich selbst geschlossen: Wie, wenn ihre Propheten, Christus und Paulus, gelogen hätten? Woher wissen wir, daß sie die Wahrheit gesagt haben? Den Unfug, den todten Buchstaben dem Suchenden und Fragenden hinzuwerfen, hat der Priester Faulheit eingeführt; diese sprechen: Ja, wer da glaubet und getauft wird, der wird selig. Dies und kein anderer Grund des Glaubens wird von ihnen gegeben; ein Glaubensgrund, werth, daß er mit dem Stücklein der Lunge ausgestoßen werde, wie bei Schwindsüchtigen; viel toller, als alle Fastnachtslarven. Diese Unsinnigkeit ist so groß, daß man sie nicht genug beweinen kann, und Niemand hat sich bis jetzt unterstanden, sie zu heilen, denn sie ist so überschwenglich, daß sie sich erhebt bis an die Wolken des Himmels. – – In den Geschichten der alten Väter habe ich oft und viel gelesen, ich finde die Kirche Christi unbefleckt und eine Jungfrau nach dem Tode der unmittelbaren Schüler der Apostel. Befleckt und geschändet ist sie worden unter dem Handel und Gewerbe der treulosen Opferpfaffen. Da, als das Volk die Wahl seiner Prediger aufgegeben, da hat der Betrug angefangen.«

»Aber freuet Euch,« schließt die denkwürdige Schrift, »es neigen sich Eure Länder, sie werden weiß zur Ernte. Ich bin vom Himmel herabgedinget um einen Groschen Tagelohn und mache meine Sichel scharf, die Ernte abzuschneiden. Mein Gaumen soll der allerhöchsten Wahrheit nachsinnen, und meine Lippen sollen verfluchen die Gottlosen, welche zu erkennen und auszurotten ich in Eure vortrefflichen Grenzen, o ihr geliebten böhmischen Brüder, gekommen bin. Ich strebe nach nichts, als daß Ihr das lebendige Wort aufnehmet, darin ich lebe und Odem hole, damit es nicht leer wieder zurückkomme. Lasset's zu und thut Hülfe, daß Eure Meßpfaffen erschrecket werden. Ich verheiße Euch große Ehre und Ruhm: hier wird den Anfang nehmen die erneute apostolische Kirche und ausgehen in alle Welt. So eilet nun entgegen, nicht mir (ich habe keinen Nutzen von Euch begehrt), sondern seinem Wort, dessen Lauf geschwinde sein wird. Die Kirche bete nicht einen stummen Gott an, sondern den lebenden und redenden. So ich lügen werde in dem lebendigen Worte Gottes, welches heute hervorgehet aus seinem Munde, so will ich des Jeremias Last tragen und steile mich selbst dar, mich zu übergeben den Schmerzen des gegenwärtigen und des ewigen Todes!«

Der kühne Jüngling, der in einer fremden, volkreichen Hauptstadt, mitten unter einer mächtigen Priesterpartei in solcher Sprache aufzutreten wagte, mußte gewiß von seinem Gegenstande ganz und bis in die innersten Nervenfasern durchdrungen, die Idee, für die er das Leben so muthig in die Schanze schlug, mußte zu Fleisch und Blut in ihm geworden sein. Und so war es auch! Der Prophetengeist der Alten war in ihm lebendig geworden, und der Märtyrerkranz erschien ihm eben so lockend, als der Kranz des Sieges. Er zeigte sich in jener Ankündigung schon ganz als Streiter der Vernunft, der allein er die unbedingte Herrschaft in religiösen und weltlichen Dingen zugestand. Er ging hierin weiter, als alle seine Vorgänger; seine Begeisterung, der Glaube an sich selbst und an seine Sendung und die Schärfe des Gedankens, der ihm, wenn auch oft in unbehülflicher Form, zu Gebote stand, waren die einzigen Waffen, mit denen er den großen Kampf begann.

Hatte er gehofft, in Böhmen Anhang zu finden, so täuschte er sich; der Vulkan der großen taboritischen Bewegung war ausgebrannt; einsam und zaghaft verglühten die Herzen, in denen die Blume der hussitischen Lehre im Verborgenen blühte; die Priesterherrschaft war wieder mächtig geworden. Münzer's Ankündigung wirkte wie eine niederfallende Bombe. Man betrachtet sie mit Verwunderung, mit einer Art Grausen, dem doch die Freude beigemischt ist, das prächtige Schauspiel ihres Zerspringens zu sehen; aber Niemand wagt sich heran, scheu weicht Jeder zurück, weil er für den eignen Leib fürchtet. Münzer fand den erwarteten Anklang nicht, vielmehr bittern Haß und Verfolgung. Tiefbetrübt, aber nicht muthlos verließ er Böhmen und wandte sich nach seiner Heimath, nach Thüringen. Gegen das Ende des Jahres 1522 erscheint er als evangelischer Prediger zu Allstett, und auf diesem Schauplatz haben wir ihn bereits kennen gelernt.

Münzer hatte eine eigene Druckerei in seinem Hause errichtet, von welcher aus er die Zornblitze seines Propheteneifers schleuderte. Er übergab jetzt den eben geschriebenen Brief an die sächsischen Fürsten seinem Drucker, daß er ihn vervielfältige; denn er wollte das gesammte Volk zum Zeugen berufen, daß er seine Sendung erfüllt und die Großen der Welt zur Theilnahme an dem neuen göttlichen Reich eingeladen habe.

»Es ist doch eine hohe, herrliche Kunst,« sprach er vor sich hin, das geheimnißvolle Wirken und Schaffen der Presse beobachtend, »würdig, vom menschlichen Geiste geboren zu sein. Ich streue das Saatkorn in die Erde, es keimt und wächst, und bald erscheint es tausendfach wiedergeboren. So ist es mit dem Gedanken!«

»Ja, es ist ein wunderlich Ding um die schwarzen Buchstaben!« versetzte der Drucker. »Sie wirken stärker, als Schwert und Feuer; sie sind wie die Pest, wenn der Vergleich Euch nicht unlieb ist, die in der Luft ihren Sitz hat, und gegen die weder Mauern noch Grenzen schützen. Wer sie athmet, den ergreift sie. So ist's mit dieser Kunst. Was Ihr da geschrieben habt, das ist gar kühn und gewaltig. Und doch, was würd' es sein, wenn's nicht durch die Kunst in Aller Hände bis in ferne Länder käme? Nun mögen sie immerhin ein Stück verbrennen oder das andre; sie können's doch nicht vertilgen, weil's gleichsam mit der Luft sich ausgebreitet hat.« – »Ihr habt gar derb den Herren an den Bärten gezupft,« fuhr er lächelnd auf eine eben vollendete Schrift deutend fort. »Die Pille wird sie im Magen grimmen, und doch nicht süß schmecken, wie das Buch der Offenbarung Johannis. Nun, wohlbekomm's den Dickbäuchen und Glatzköpfen und all' dem Geschmeiß! Nehmt Euch nur in Acht, daß sie Euch nicht am Kragen packen.«

»Ich spreche frei, wie mir's um das Herz ist, und frage nicht: wird dir's zum Schaden sein, sondern ich frage nur: wird's der gerechten Sache zum Nutzen und Vortheile gereichen?« antwortete Münzer. »Und thut es das, dann kühn an's Werk!«

»Wahrhaftig, Ihr seid ein Mann, wie man ihn nicht tagtäglich findet!« sagte der Drucker. »Und wenn Ihr so muthig zugreift, dann glaub' ich selbst, daß Euer Unternehmen gelingen wird; denn wer denkt heut zu Tage nicht zuerst an sich und sichert seinen eigenen Kopf, ehe er an den Anderer denkt!«

Ehe Münzer noch antworten konnte, trat ein Mann in die Officin, auf dessen vergnügt lächelndem Gesichte irgend eine günstige Nachricht zu lesen war. »Nun, Meister Krump?« wandte sich der junge Prediger fragend zu ihm. »Eure Heiterkeit verkündet angenehme Ereignisse.«

»So ist es auch!« entgegnete Krump, die Hände reibend. »Hier aber,« fuhr er leiser fort, »hier aber möcht' ich nicht grade herausrücken.«

»So folgt mir in mein Gemach!« sagte Münzer und sich zum Drucker wendend, fuhr er fort: »Sorgt, daß dies Vöglein bald ausfliegen kann. Es thut noth, denn ich möchte den Brief schon morgen an die Fürsten senden.«

»Nun?« wiederholte er, nachdem er den Besuch in sein Zimmer geführt.

»Zuvörderst erlaubt mir die Frage,« entgegnete Krump. »Ihr wollt wirklich an die Fürsten senden?«

»Wie ich es für gut finde;« antworten Münzer.

»Nun, Ihr mögt's thun!« sprach der Meister dagegen. »Was die Antwort sein wird, weiß ich schon, und ich wollte, sie wär' schon da! Wir haben's nicht noth, daß wir bei den großen Herren betteln gehen, und das ist's, was ich Euch zu melden habe. Schaut unser Register an;« fuhr er fort, ein ziemlich starkes Buch unter dem Wamms vorziehend und es vor Münzer aufschlagend. »Die Zahl hat sich weidlich vermehrt, und lauter tüchtige Männer, die nicht faul sind, wenn's an's Losschlagen geht. Haben wir's nicht gut gemacht? Eure neueste Schrift hat aber auch Wunder gewirkt. Ihr habt so recht zum Herzen gesprochen, und die Fäuste haben sich geballt, wenn ich's vorgelesen habe. Ist nicht die Nachricht goldeswerth? Was ich Euch noch sagen wollte: heut haben wir eine Zusammenkunft heim Schösser Mathias verabredet. Ihr werdet doch erscheinen? Ihr sprecht ein Paar Worte, und die Leute schwören Stein und Bein auf Euch.«

»Mein Amt ist, öffentlich zu allem Volk zu sprechen!« erwiederte Münzer. »Nicht im Geheimen will ich reden, wie Einer, der das Licht zu scheuen hat. Darum hab' ich's Euch überlassen, die Getreuen zu sammeln, die mein Wort auf den rechten Weg geführt hat. Ich streue den Saamen aus, und wenn die Ernte reif ist, erheb' ich die Sichel. Auch Eures Buchs bedarf's nicht; wer mit uns ist, wird sich erheben, wenn der Tag kommt, auch wenn er nicht durch Namensunterschrift sich verbunden. Es kann vielmehr der guten Sache Nachtheil bringen, wenn Euer Register – «

»O fürchtet nicht, das es in unrechte Hände komme!« rief Krump. »Ich halt' es an einem Orte versteckt, wo es alle Spürhunde bis zum jüngsten Tage nicht finden werden. Ihr wollt also nicht zu unsrer Versammlung kommen?«

»Meine Meinung ist Euch kund;« antwortete Münzer.

Krump schien mißvergnügt über diesen Entschluß. »So sprecht wenigstens,« sagte er, »in Eurer nächsten Predigt wieder ein kräftig Wort zum Volke! Und brennt ein Feuer noch so heil, und man schürt nicht frischen Brennstoff nach, so verlöscht's am Ende.«

»Ich bin noch nicht müde geworden, die Wahrheit zu verkünden;« versetzte Münzer »Ich werde reden, wie es der Geist mir eingiebt. Euch aber, Meister, dank' ich, für den Eifer, der Euch beseelt, im Namen der Freiheit, für die wir kämpfen. Wir bedürfen der kräftigen Streiter!«

»Ihr werdet zufrieden sein!« rief der Meister. »Und für die Männer, die ich geworben, steh' ich, wie für mich selbst. Wissen sie auch nicht die Worte zierlich zu sehen und so frei von der Brust zu sprechen, wie Ihr; so haben sie doch tüchtige Fäuste, mit denen sie einen Takt schlagen werden, von dem den gestrengen Herren Hören und Sehen vergehen soll!« –

Die Straßen waren menschenleer; nur hie und da verkündete ein helles Fenster, daß ein armer Handwerker noch bei seiner Arbeit sitze, um den Kindern für morgen Brot zu schaffen, oder aus einer Schenke tönte der Lärm verworrener Stimmen und deutete auf Gäste, die sich beim schäumenden Kruge verspätet. Dem aufmerksamen Beobachter wär' es aber nicht entgangen, daß durch verschiedene Straßen und Gassen dunkle Gestalten huschten, die alle ein Ziel zu haben schienen. Dies Ziel war die graue und unscheinbare Thurmwohnung des Schössers Mathias über dem Thore, durch welches die Straße nach Weimar führte. Auf ein dreimaliges Klopfen öffnete sich bei jedem neuen Gaste die Thür, und ein häßliches, aber freundlich grinsendes altes Weib empfing ihn und leuchtete ihm die schmale Stiege hinan.

Das räucherige, nicht eben sauber aufgeputzte Gemach des Schössers war bald angefüllt von ehrbaren Bürgern und Handwerkern der guten Stadt Allstett. Bartel Krump, der Gerbermeister, überzählte die Versammlung und schien von dem Resultat befriedigt. »Wir sind vollzählig,« sprach er, »und Eure Sibylle, Meister Schösser*, kann immerhin ihren Posten aufgeben. Sperrt sie, während wir berathen, wohin Ihr wollt!«

*"Schösser" bezeichnet im Spätmittelalter den Steuereintreiber, das ist der Einzieher des "Schosses"

»Habt keine Sorge darum, Meister Krump;« entgegnete der Schösser. »Die Alte wird sich ganz still hinter dem Ofen verhalten. Ihr wißt ja, sie ist taub und vernimmt keine Silbe von dem, was wir sprechen.«

»Aber sie ist nicht stumm und Weiber schwatzen, was sie auch nicht verstehen!« bemerkte Krump.

»Laßt Euch kein graues Haar wachsen!« beharrte Mathias. »Wenn's auch wäre, so würde sie doch keine Silbe verrathen. Sie ist treu, wie Gold! Was sollte auch die Alte anfangen ohne mich?«

»Mag's sein!« brummte Krump. »Werden's so nicht lang mehr geheim zu halten brauchen. Ja, ja, schaut mich nur an! S' ist so! Ich bin der Meinung, daß wir endlich Ernst machen und losbrechen. Wir haben lang genug geschwatzt und beredet, wollen's nun endlich beim rechten Stiel angreifen. Münzer ist zwar noch nicht dafür, ich mein' aber: schmiedet das Eisen, so lang es warm ist!«

»Wenn wir aber allein den Kopf in die Falle stecken – « bemerkte Einer bedenklich.

»Das thun wir nicht, Meister Elias!« antwortete Krump. »Das Volk fällt uns schon bei, wenn wir nur ein klein Bischen schüren. Draußen auf dem Lande sind sie auch der Schinderei müde und ziehen bei in hellen Haufen. Lassen die Herren vom Rath die Thore schließen, so schafft der Meister Schösser schon die Gesellen herein, und eh' man die Hand umwendet, ist Allstett unser!«

»Das klingt wohl Alles recht hübsch;« versetzte Meister Elias. »Wenn uns nur der Teufel kein Ei in 's Nest legt! Und haben wir's auch in Allstett so weit, so belagern sie uns und schießen uns in Grund und Boden.«

»Die Nürnberger hängen keinen, bis sie ihn haben!« antwortete Krump. »Da ist keine Stadt im Land, die's nicht eben so machen wird!«

»Es ist immer eine bedenkliche Sache!« wandte der Schösser ein.«

»Bedenklich hin, bedenklich her!« rief Krump. »Seid ja wie ein altes Weib! Laßt Eure Sibylle mal dreinreden! Meint Ihr, die gebratenen Aepfel sollen Euch in's Maul fliegen? Wenn es auch Schweiß kostet, die neue christliche Republik bringt Alles bei! Bedenkt mal, Schösser! Wie hoch steht Ihr Euch wohl täglich?«

»Einen Batzen, daß Gott sich erbarm'!« seufzte der Gefragte.

»Und habt dabei nicht Tag und Nacht Ruhe, müßt Bücklinge machen, wenn's dem Rath gefällig ist, Euch auszuschändiren. Das hört Alles auf! Wir werden die Herren sein! werden den reichen Wänsten die Kasten leeren und uns gütlich thun in dem Ueberfluß, den sie vom Schweiß des armen Mannes gesammelt. Sie werden dann nicht mehr sein als wir, und ihre Töchter dürfen dann nicht mehr die Nase hoch tragen und hochmüthig an uns vorübergehen.«

»Es wird also dann Alles gleich sein?« fragte Einer aus der Versammlung, der mit Schrecken an sein Erspartes denken mochte.

»Alles gleich, Meister Peterlein!« entgegnete Krump. »Die Reichen werden erfahren, wie Armuth schmeckt, und die Armen werden sich's wohl sein lassen für ihr langes Elend!«

»Dann hört aber alle Ordnung auf!« wandte Peterlein ein. »Dann wird seiner mehr dienen wollen! Ihr z. B. Meister Krump, werdet nicht mehr gerben, wenn Ihr reich seid, Meister Elias wird die Scheere liegen lassen, und Keiner wird Schösser sein wollen –«

»Oho! Halt!« rief Krump lachend. »Ich werde noch genug gerben, aber freilich andre Felle. Das Dienen kommt dann an die Reichen.«

»Da hört aber wieder die Gleichheit auf!« beharrte Peterlein.

»Laßt doch Eure dummen Einwürfe!« schalt der Gerber. »Ihr werdet's besser verstehen, als Herr Münzer, der ein hochgelahrter und studirter Mann ist!«

»Ist's denn wirklich wahr, daß er an keinen Gott glaubt und nicht, daß Christus Gottes Sohn ist?« fragte Peterlein wieder.

»Nun ja, er sagt, jeder Mensch trage seinen Gott im Herzens« erwiederte Kramp. »Was kümmert uns das? Die Hauptsache bleibt die: die Großen werden uns nicht mehr schinden und plagen, Frohnen und Steuern werben aufhören, und wir werden die Herren spielen. Daß er das Pfaffengezücht schimpfirt, d'ran thut er recht. Wir baden sie lang genug gefüttert, und sie haben sich vollgemästet von unserm Schweiß und Blut. Die Pfaffen werden ganz abkommen; die Obrigkeit wird zugleich für den Gottesdienst sorgen, und die Obrigkeit sind wir. Dann mag sich Jeder ein Amt aussuchen, das ihm wohlgefällt!«

»Wollte Gott, es wär' so weit!« seufzte der Schösser.

»Wir müssen's eben so weit bringen!« entgegnete Krump eifrig. »Darum frag' ich Euch, Ihr lieben Mitbürger, ist es Euer fester Wille und Eure ernstliche Meinung, daß wir losbrechen nächster Tage?«

Ein wirres Getümmel entstand. Jeder wollte seine Meinung vertheidigen und wurde von den Andern überschrieen. »Wir müssen warten! – Nein, nein! Nieder mit den Tyrannen! – Wir müssen gewärtig sein, was die andern Städte thun!« –« So brüllte es durch einander; und Meister Krump fuhr vergebens mit seiner Donnerstimme dazwischen, bis sich endlich die Gemüther besänftigt, und die Eifrigsten sich müde geschrieen hatten. Diesen Moment benutzte Krump, seine Ansicht durchzuführen, indem er alle Mittel der Beredtsamkeit anwandte; aber die Stimmen blieben getheilt; es gelang ihm nicht alle Besorgnisse zu beschwichtigen. Die Versammlung brach endlich auf. Die taube Alte war hinter dem Ofen selig entschlummert und erhob sich knurrend, als der Schösser sie wach rüttelte. Einzeln, wie sie gekommen, gingen die Verschworenen aus einander und huschten nach ihren Wohnungen. Es war zu keinem Resultat gekommen, wie es bei allen Versammlungen gewöhnlich ist, welche die Interessen ihrer Zwecke nicht ganz und richtig erfaßt. Münzer 's bei allem ihren Fanatismus große Idee, die sich mit seinem innersten Wesen verkörpert hatte, wurde im Munde dieser Leute zur lächerlichen Face. Den Geist seiner Lehre, seine tiefsinnige Philosophie warf man bei Seite und griff mit Hast nach einem rein äußerlichen Moment derselben, das man noch dazu mißverstand, das aber dem Pöbel reizte: ein sicheres Zeichen, um wie lange der Weltbeglücker zu früh kam, und wie sehr er sich täuschte, als er in der Zukunft auf die baute, die ihm zujauchzten! –


 << zurück weiter >>