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VII.

»Nur heran, meine edlen Herrschaften! Hier ist zu sehen und zu kaufen das achte Wunderwerk der Welt, das ächte Goldwasser des berühmten und gelehrten Doktor Isibimbamprelli zu Venetia! Zum ersten Male kommt dieser kostbare und unübertreffliche Lebensbalsam nach Deutschland, denn was man bisher mit diesem Namen benannt, ist nichts als die Pfuscherei irgend eines Betrügers. Er wird nirgends mehr gefunden, denn der vortreffliche Doktor Isibimbamprelli hat mir einzig und allein den Verkauf dieser unbezahlbaren Tinktur anvertraut. Hält man das Glas gegen die Sonne, so glänzt die Tinktur wie lauteres Gold, sonst hat sie die Farbe des reinsten Quellwassers. Wollen meine Herrschaften sie nur in günstigen Augenschein nehmen; sie fließt süß über die Zunge und hinterläßt nur einen kleinen bittern Nachgeschmack. Sie heilt alle Uebel des Leibes und der Seele, ist gut gegen Kolik, Fieber, mag es Namen haben wie es will, Schwermuth, Melancholie, Zahnschmerz und Kopfweh, gegen Uebelkeit und Herzbeschwerden, gegen Gicht und Leichtdörner, Augenschwäche und Gehirnentzündung, gegen Hieb- Stich- und Schnittwunden – sie heilt alles Gebreste, deren Aufzählung zu viel sein würde, und kostet nicht mehr, denn das Fläschlein einen Gülden! Kauft, kauft, meine Herrschaften! Das achte Wunderwerk der Welt kommt vielleicht nie mehr nach Deutschland!«

So perorirte mit geläufiger Zunge ein Arzeneienhändler, der seine Bude auf dem Markte zu Weimar aufgeschlagen. Durch die kühnsten Hyperbeln, mit denen er seine Waare pries, wußte er ein großes Publikum um sich zu versammeln, das allerdings größtentheils aus müßigen Gaffern bestand. Das unübertreffliche Goldwasser lockte indeß auch viele Käufer die ihrer verschiedenen Leibesbeschwerden mit einem Male und auf so wohlfeile Weise loszuwerden hofften. Der Leidende hofft ja immer und greift nach dem Strohhalm, der ihm Rettung verheißt. Erfüllte des berühmten Doktors Isidimbamprelli Medicament nur die Hälfte von dem, was der zungenfertige Redner versprach, so war der Mann wirklich als ein Heiland des Menschengeschlechts zu preisen, das um wenige Groschen zu seinem urgesunden Normalzustand zurückkehren mußte.«

»Auch wohlfeilere Arzeneien und Medicamente für besondere Uebel und Gebreste sind zu haben!« fuhr der Charlatan fort. »Hier ist z. B. der berühmte Wunderbalsam, der die Runzeln der Haut vertreibt, ihr eine schöne röthliche Farbe giebt und das Gesicht jugendlich macht. Er ist bis jetzt unübertroffen und allen Personen zu empfehlen, die die Natur Lügen strafen wollen. Das Geheimnis der ewigen Jugend ist erfunden und kostet nicht mehr als sechs Batzen. Heran, meine Herrschaften! Meine schöne Dame, ist es Euch gefällig?«

Die Angeredete, die sich herbeigedrängt und das wunderthätige Büchschen mit Sehnsuchtsblicken betrachtet hatte, zog sich beschämt und erzürnt zurück, während sie ein rohes Gelächter der Umstehenden verfolgte.

Der Quacksalber ließ sich nicht aus seinem Gleichmuth bringen, sondern fuhr in stoischer Ruhe fort: »Diese fettige wohlriechende Substanz dient dazu, ergrautem Haar wieder seine vorige Farbe zu geben, es befördert das schnelle Wachsthum der Haare in unglaublicher Schnelle. Ei gehört zum Schönheitsbalsam und wird nicht einzeln abgegeben. Beim Gebrauch hat man sich nur vorzusehen, daß man nicht andere Stellen des Körpers damit berührt. Ein unvorsichtiges Kind leckte daran und beschmierte sich die Hände, und siehe da, nach wenigen Stunden waren Hände, Zunge und Lippen von den schönsten, goldgelben Locken bedeckt. Hieraus ist zu sehen, von welcher wunderkräftigen Wirkung diese berühmte Salbe ist!«

Das Publicum staunte ob der Wunderkraft der Salbe, und der Quacksalber machte in diesen beiden Verjüngungsmitteln die besten Geschäfte, wenn man sich auch scheute, laut und öffentlich darum zu feilschen.

Zu derselben Zeit sprengte ein Reiter durch das Frauenthor dem Markte zu. Es war eine herrliche, jugendkräftige Gestalt, die mit dem edelsten Anstand zu Rosse saß. Vom Barrett wogte ein Wald von Federn und das goldblonde Haar floß in üppigen Locken auf Schultern und Nacken; der sprossende Bart um Kinn und Lippen gab dem jugendlichen Gesichte den Ausdruck der Männlichkeit; seine Kleidung war bestaubt und zwar nicht kostbar, doch geschmackvoll. An der Hüfte trug er ein Schwert und die rosafarbene Schärpe knüpfte sich hier zur Schleife. Dieser Reiter war niemand anders, als unser junger Freund Heinrich, der die schöne Bertha von Isenburg als Junker vom Busch nach Weimar begleitet und durch ihre Vermittelung am Hofe des Herzogs einen bleibenden Aufenthaltsort gefunden hatte.

Die Stentorstimme des Chartalans und die Volksmasse, die sich um ihn gedrängt, zogen Heinrichs Aufmerksamkeit auf sich; er hielt sein Roß an und die Hyperbeln des Wundermannes belustigten ihn. Plötzlich aber schien eine Erinnerung in ihm aufzudämmern; diesem Manne mit dem schalkhaft lustigen Gesicht, in dem blauen, linnenen Kittel, war er schon einmal im Leben begegnet; nur war es ihm noch nicht klar, unter welchen Verhältnissen. Das Interesse, das er ihm schenkte, bewog ihn indessen, sich mit seinem Roß einen Weg durch die Menge zu bahnen, um seinen Gegenstand in nähern Augenschein zu nehmen.

Kaum hatte der Quacksalber die Theilnahme des jungen Ritters an seiner Person ersehen, als er sich mit einer sehr hochtrabenden Anrede an ihn wendete und ihm alle seine Medicamente nach der Reihe mit all' ihren Eigenschaften vorführte. »Ihr findet hier Mittel gegen alle gegenwärtige und zukünftige Gebrechen!« sprach er. »Ihr seid zwar ein schöner, junger Herr, der so kerngesund ist, daß er fest meiner Tincturen und Salben nicht zu bedürfen scheint, am wenigsten meines Schönheitswassers und meiner Haarsalbe – oder gar dieses unvergleichlichen Liebestränkchens, sintemal Ihr dazu geschaffen seid, alte Herzen ohne künstliche Beihülfe zu berücken, und es könnte scheinen, daß ich unter diesen Umständen Euch ein sehr überflüssiger Mann; wollet indessen bedenken, edler Herr, daß das Alter ein gar mächtiger Feind von Gesundheit, Jugend und Schönheit ist, und daß ein Mann, wie ich, nicht mehr gefunden werden dürfte. Wollet dies gnädig erwägen und Eure Kundschaft mir nicht entziehen.«

Bei dem ersten Worte, das der Arzneienhändler sprach, war das Räthsel gelöst, welches Heinrich beschäftigte. Lächelnd hörte er den Geschwätzigen an, der endlich seine lange Periode schloß, indem er sich mit dem Aermel den Schweiß von der Stirn trocknete.

»Ich bin Euch unendlich verbunden,« lachte Heinrich; »Ihr habt sehr richtig bemerkt, daß ich mich einer kernhaften Gesundheit erfreue, und da die Zeit des Alters einem neunzehnjährigen Jüngling noch nicht in den Sinn kommt, so bedarf ich Eurer sehr berühmten und sehr vortrefflichen Tincturen nicht. Indessen möchte ich eine alte Bekanntschaft erneuern. Heißt Ihr nicht Melchior Grüber?«

Der Mann sah den Jüngling einen Augenblick forschend an, dann sah er sich um, ob wohl Niemand den Namen gehört, trat näher an ihn heran und flüsterte geheimnisvoll: »Es ist allerdings mein ehrlicher Name, den ich wohl ehemals führte. Da er aber nicht mehr ziehe wollte, so nannte ich mich auf Italienisch Bartolo Grubero. – Nur heran, meine Herrschaften! Hier ist das berühmte Goldwasser des Doktor Bartolo Grubero – ich wollte sagen Isibimbamprelli – Ihr müßt wissen, edler Herr, das Fremdländische erweckt immer mehr Respekt, als das Einheimische, und je mehr ich in fremden Zungen rede, um so stärker ist meine Kundschaft – Herano Signore, hiro est octissimo Wunderwerko mundi! Aqua schönheiti, tinctiura goldi, pomada haari, medcina pro alli Gebresti. Kaufete, Signori, allo carimbolino servo medicamenio doctoro!«

Die Gaffer staunten mit offenen Munde die Gelehrsamkeit des Mannes an, während Heinrich laut auflachte.

»Wir aber habe ich das unaussprechliche Vergnügen gehabt,« fuhr Bartolo gegen den Jüngling gewendet fort, »Euch kennen zu lernen, edler Herr? Mein Lebensweg führte mich so oft mit Fürsten und Herren zusammen, daß die Züge in meinem allmälig schwach werdenden Gedächtnis verschwimmen, obgleich die Eurer Edlen so ausdrucksvoll sind, daß ich mich selbst ohrfeigen möchte, sie vergessen zu haben.«

»Spart Euch die Complimente!« versetzte Heinrich. »Ich will Euch nicht mit Räthseln belästigen. Wir begegneten uns im Thüringerwald, zwei Jahre und darüber mögen es nun her sein. Ihr führtet damals noch andere Arzneien von einem berühmten Doctor mit Namen Hutten. Ich war damals ein armer Fußwanderer, den Ihr schwerlich in meiner jetzigen Gestalt wiedererkennen werdet.«

»Jesus Maria! Wie konnt' ich denn so blind sein!« rief der Arzneikrämer im Enthusiasmus der Freude. »Wer sollte Euch einmal gesehen haben und nicht wiedererkennen? – Meine Herrschaften, diese Tinctur ist gut für Zahnweh und Hühneraugen, fast um gar nichts zu haben; kostet nur einen Silberbatzen. – O jetzt steht Alles wieder deutlich vor mir! Dieselbe edelkräftige Gestalt, dasselbe lange blonde Haar! Ihr geruhtet damals, einige meiner Karsthänse an Euch zu nehmen, und ich war so glücklich, Euch Auskunft über den Weg geben zu können! – »Nur heran, mein schönes Kind! Hier ist ein Tränkchen, die Treue des Geliebten zu fesseln. Tinctura fidelia amori alla cataracti habendi pro funso batzi argenti! – Ich hatte schon damals auf den ersten Blick entdeckt, daß mehr hinter Euch steckte, als Ihr glauben machen wolltet. Ich habe seitdem oft an Euch gedacht. Wie es Euch ergangen sein mag? Beim Untergang des edlen Sickingen, an den ich Euch empfahl –«

»Ich war dabei!« entgegnete Heinrich. »Doch versparen wir dies auf ein andermal. Ihr werdet mich auf dem Schlosse finden, wenn Ihr nach dem Junker vom Busch fragt. Ich hab' Euch vielleicht einen Auftrag zu geben. Bis dahin lebt wohl und bedient Eure Kunden, die Ihr meinetwegen vernachlässigt.«

»Es ist mir eine große Ehre. Ich werde mich einfinden und ganz zu Euren Diensten sein. Vielleicht habt Ihr die hohe Gewogenheit, mich bei Hofe zu empfehlen. Meine Tincturen und Sachen würden gewiß gesucht und von gutem Erfolg sein. – Kaufete, Herrschafti mei! Aqua goldi de doctore Isibimbamprelli! Nirgendi gesehni, einzigo in Deutschlando! illustro favoro abracadabra in ecclesia mundo!«

Während ein Theil des neugierigen Publikums sich hier an den Tiraden des Charlatans ergötzte, hatte sich ein andrer vor dem Gasthofe zum schwarzen Adler versammelt, in welcher Herberge, dem Gerücht zufolge, Thomas Münzer von Allstett abgestiegen war, der nach Weimar gekommen, um sich vor den Fürsten wegen schwerer gegen ihn erhobener Anklagen zu vertheidigen. Münzer's Ruf war schon so sehr verbreitet, daß man sich drängte, den kühnen Mann zu sehen, und wenn sich auch die Katholischen das Ansehen gaben, als verspotteten sie ihn, so konnten sie sich doch einer ehrfürchtigen Scheu nicht erwehren.

Münzer sah das Aufsehen nicht ungern, das seine Erscheinung in Weimar machte. Er war ein Mann des Volkes, und so mußte es ihm vorzüglich daran gelegen sein, daß das Volk ihn kenne und ihm Theilnahme schenke. Er war in freudiger Siegeshoffnung und sprach sich gegen einen Bekannten, Doktor Strauß, den er in seiner Herberge traf, dahin aus, daß er sowohl Rom als Wittenberg zu überwinden hoffe. »Wenn die Lutherischen nichts Anderes ausrichten wollten,« sagte er, »denn daß sie Mönche und Pfaffen verrieten, hätten sie es gleich besser unterwegs gelassen.« – »Ich gehe freudig in den Kampf,« schloß er, als die Stunde nahte, wo er auf dem Schlosse erscheinen sollte, »denn ich streite ja für eine rechte Sache!«

Münzer's Herz begann unruhig zu klopfen, als er die breite Schloßtreppe hinanstieg; aber es war nicht Furcht, welche das Blut schneller durch seine Adern trieb, sondern Begeisterung, die ihn durchglühte. Dir höhnisch lächelnden Mönchsgestalten, die hie und da an seinem Wege standen, beachtete er gar nicht, und sie hatten den Verdruß, daß der verhaßte Feind an ihnen vorüberschritt, ohne sie eines Blickes zu würdigen. Es war eine glänzende Versammlung, vor welcher Münzer seine Ueberzeugung geltend machen, sich vertheidigen sollte. Auf purpurnen Sesseln saßen die beiden sächsischen Fürsten, Friedrich der Weise, ein Greis mit milden Zügen und glänzenden Silberlocken, und Johann, den die Nachwelt den Beständigen genannt hat, ein Mann in der kräftigsten Blüthe des Alters. In nächster Nähe saßen die weltlichen und geistlichen Würdenträger, und zwei Secretäre waren bereit, Fragen und Antworten der Parteien niederzuschreiben. Bei Münzer's Eintritt wandten sich Aller Blicke auf ihn. Friedrich betrachtete ihn nicht ohne Theilnahme. Johann zog finster die Stirn zusammen, eben kein erfreuliches Zeichen für den Angeklagtem Theilnahme, Neugierde, Spott und Schadenfreude war in den Zügen der Uebrigen zu lesen.

Münzer überflog mit den Augen die Versammlung, aber sein Blick fand keinen Freund unter all' den Männern; Alle mußten ihm schon ihrer Stellung nach Gegner sein. Um so mehr aber raffte er seine innere Kraft aus, um sich zu waffnen für die schwere Stunde.

Münzer ward aufrührerischer Umtriebe angeklagt und ihm mehrere Puncte als Zeugnis vorgehalten. Friedrich sprach ihm mild zu, er möge sich wohl bedenken und nicht übereilt Antwort geben. Münzer zögerte jedoch nicht lange. Er gab zu, daß ihn die Unterthanen Friedrich's von Witzleben um Rath gefragt, ob sie einen Bund gegen ihren Herrn machen dürften, der ihnen das Evangelium zu hören verbiete. Auch seien aus vielen anderen Gegenden Menschen mir gleichen Anfragen zu ihm gekommen. Er habe Allen geantwortet, daß es nach der Schrift wohl erlaubt sei, einen Bund gegen solch' ungerechten Herrn zu machen. Das sei seine Ueberzeugung, von welcher er nimmer abgehen könne, es sei denn, daß er wiederlegt werde durch die Schrift und die Vernunft Er sprach mit so entschiedenem Ton, mit so ruhiger Festigkeit, daß seine Art der Vertheidigung sichtlichen Eindruck auf den größern Theil der Versammlung machte.

Es wurden noch eine Menge Anklagen aus seinen Schriften und Predigten gegen ihn erhoben; aber er schlug sie alle zurück, indem er die Bibel als Schild gebrauchte, deren Sentenzen und Kraftsprüche ihm ja so geläufig waren, wie kaum einem Andern. Jede Anklage entkräftete er durch eine Menge Bibelstellen, die, aus ihrem Zusammenhange gerissen, wunderbar für jeden einzelnen Fall paßten. Er kämpfte mit denselben Waffen, welche seine Gegner anwendeten, indem er die Bibel, die er doch nur als Ganzes anerkennen wollte, als Grundlage seiner Lehre benutzte. Er sprach mit Begeisterung und jener Beredtsamkeit, welche das Volk entflammte. Aber hier gab es einen härteren Kampf zu bestehen. Alle Spitzfindigkeiten der Scholastik und des Dogmas wurden aufgeboten, um eine wunde Stelle an ihm zu finden, und es bedurfte des höchsten Grades von Geistesgegenwart und Scharfsinn, alle die zum Theil versteckten Hiebe geschickt zu pariren. Münzer bewies diese Geschicklichkeit, was seine Gegner selbst anerkannten. Allein war es ihm auch gelungen, Angriffe abzuwehren, so hatte er doch Niemanden überzeugt, seiner Lehre keine Spanne Raum gewonnen. Man konnte ihn nicht bestrafen, aber die Meinung von der Gefährlichkeit seiner Lehre blieb doch fest begründet. Nur der milde Kurfürst, der früher schon ausgesprochen, er wolle lieber den Stab nehmen und sein Land verlassen, ehe er sich entschließen könne, wider Gott zu handeln, beschloß auch jetzt, die Sache dem höchsten und weisesten Richter anheimzugeben. Anders aber Johann und die Räthe, welche ernstlich auf Mittel sannen, dem Unwesen ein Ende zu machen. Sie bedrohten deshalb Münzer mit Verweisung aus dem Lande. Münzer war todtenbleich, von seiner Stirne rann der Schweiß, den die Hitze des Kampfes ihm ausgepreßt, aber aus seinen Augen sprühte das Prophetenfeuer des Fanatikers. –

Die Schaar der Zofen und betreßten, vielgeschäftigen Müßiggänger im herzoglichen Schlosse sah den Mann im blauen Kittel verwunden an, der nach dem Junker vom Busch fragte. »Hat der Junker Liebesweh?« fragte ein schelmisches Kammerzöfchen; »oder sollt Ihr ihm ein Liebestränkchen brauen?« fuhr eine andere fort, und ein hochnäsiger Kammerdiener setzte hinzu: »O nein! er fürchtet, die Hofluft thue der Schönheit Eintrag und will sich ein Vorsichtsmittelchen dagegen bestellen.«

Melchior Grüber oder, wie er sich italienisch nannte, Bartolo Grubeto lächelte bei all' diesen Fragen geheimnisvoll und gab nur zu verstehen, daß er wichtige Aufträge vom Junker in Empfang zu nehmen habe, indem er einen frühern Bekannten wiedergefunden, welcher, nebenbei gesagt, viel von den glücklichen Euren zu erzählen wisse, die er, Bartolo, in fremden Ländern gemacht. Man wies dem Geschwätzigen endlich Heinrich's Zimmer und mit einer vertraulichen Freundlichkeit schlüpfte der Wundermann hinein.

Heinrich empfing ihn in der besten Laune. »Da seid Ihr ja, verehrter Doctor Bartolo!« rief er ihm entgegen. »Ihr habt doch Eurem Geschäft keinen Abbruch gethan, indem Ihr meinen Wunsch so früh erfüllt?«

»Wenn's auch wäre, was thät ' ich Euch nicht zu lieb?« entgegnete Grüber. »Aber ich denk' es im Gegentheil zu heben, denn Ihr werdet wohl die Gutheit haben, mich bei den jungen und alten Herrschaften zu empfehlen. Ihr könnt Geschichten erfinden, so viel Ihr wollt, von den entsetzlichen Wundercuren, die ich verrichtet; Ihr wißt ja, Klimpern gehört zum Handwerk. Euch kostet's nichts, und mir ist's von unberechenbarem Nutzen. Oeffentlich ist nicht viel mehr zu machen. Es wendete Mancher gerne die Paar Silberbatzen dran, aber er schämt sich, es öffentlich zu thun. Lieber Gott, wer will gern sein Alter und sonstige Gebreste eingestehen!«

»Der alten Bekanntschaft zu lieb will ich das Möglichste versuchen!« lächelte Heinrich. »Wie steht es denn mit Eurer übrigen Arznei, mit der papiernen, die ganze Völker curiren soll?«

»Ich führe den Artikel nicht mehr!« entgegnete Grüber. »Auch ist der Doctor gestorben, der das rechte Geheimnis dieser Tincturen wußte. Ihr habt's doch erfahren, daß der edle Ulrich von Hutten gestorben ist?«

»Leider! Gott schenk' ihm die ewige Ruhe!« sagte der Jüngling ernst.

»Seitdem hab' ich es aufgegeben;« fuhr Grüber fort. »Ich hatt' auch kein recht Vertrauen mehr dazu. Wirkten die Karsthänse nicht so recht von Innen heraus, was soll dann noch wirken? dacht' ich. Und es ist mein Grundsatz, nur ausgezeichnete, untrügliche Waaren zu führen. Im Schwabenland soll sich's zwar gewaltig regen, ja ich hab' von einer Arznei gehört, die sie die zwölf Artikel heißen, und die den Bauern gar scharf in's Blut gehen soll, aber der Weg dahin ist weit und ich werd' alt. Will schauen, vielleicht mach' ich noch Geschäfte in Thüringen in diesem Fach. Ist ein Pfarrer zu Allstett, der ein prächtig Rezept besitzen soll, Tränklein zu kochen gegen allerlei Böses. Ihr habt wohl von ihm gehört; er heißt Thomas Münzer –«

»Wohl, wohl!« bejahte Heinrich. »Doch dürftet Ihr zu spät kommen; denn ist er kein Schwarzkünstler und Teufelsbanner, so wird er wohl bald in den sächsischen Landen nicht mehr gefunden werden. Er wird Mühe haben, gegen den Stachel zu lecken, den man ihm zugespitzt.«

»Ihr werdet mir wohl auch die Freundschaft erweisen, bei Hofe nichts von diesem meinen Nebengeschäft verlauten zu lassen;« bat Grüber. »Ich könnte schlimm dabei fahren, denn die großen Herren haben es von Nöthen, daß sie dahinter her sind.«

»Fürchtet nichts; ich bin kein Spion;« beruhigte Heinrich. »Der Auftrag, mit dem ich Euch belasten will, ist friedlicher Natur, und Ihr habt weder etwas dabei zu befahren, noch zu verlieren, gesetzt nämlich, daß Ihr die Gegend meiner Heimath auf Eurer Reise berührt.« Nachdem er ihm diese auf das Genaueste beschrieben, und der Wundermann versichert hatte, daß er in kürzester Zeit dahin kommen werde, fuhr Heinrich also fort: »Erkundigt Euch dort nach dem Bauer Kolbach, verschafft Euch Eingang bei ihm und gebt wohl Acht auf seine Stimmung. Sucht das Gespräch auf seinen Sohn zu leiten, der ihn vor Jahren entlaufen, und erforscht, ob er mit Liebe oder Haß an ihn denkt. Ihr werdet auch eine Jungfrau finden, der mögt Ihr im Verborgenen zuflüstern, Bruder Heinz lasse sie grüßen; hütet Euch aber zu verrathen, wo Euch dies Alles aufgetragen worden.«

»Ich verstehe;« nickte Grüber schlau. »Diese Bruder Heinz seid Ihr.«

»Es mag vielleicht so sein!« entgegnete Heinrich. »Von dem Allen gebt mir Nachricht auf so schnelle und sichere Weise, als Ihr könnt. Als einstweilige Vergütung für Eure Mühe nehmt dies!«

»Gott soll mich bewahren, daß ich für so einen geringen Dienst Geld nehme!« rief der Arzneimann, das Dargebotene standhaft zurückweisend. »Nein, ich besorge Alles auf das Pünctlichste, aber aus purer Freundschaft. Eine Hand wäscht die andre, und ich bin Euch schon allzu verpflichtet, wenn Ihr die Gutheit habt, mich dem Hofe zu empfehlen.«

»Was die Zofen und Kammerjunker betrifft, so kann das sogleich geschehen!« rief Heinrich lachend. »Folgt mir, Doctor Bartolo Grubero!«

Hocherfreut folgte dieser seinem Gönner, der ihn über einen langen Corridor führte, nach einem großen Zimmer, wo sich die höhere Dienerschaft des Herzogs zu geselliger Unterhaltung einzufinden pflegte. »Ich müßte mich sehr irren,« fuhr Heinrich fort, »wenn dort nicht Mancher und Manche Eurer Wundermittel bedürftig wäre!«

Grüber verbeugte sich höflich vor der bunten Gesellschaft, welcher er von dem Junker vorgestellt wurde. »Ich habe die Ehre,« sagte dieser mit komischem Pathos, »Euch, meine edlen Herren und Damen, in diesem Manne das achte Wunderwerk der Welt, den sehr berühmten und gelehrten Doktor Bartolo Grubero vorzustellen. Seine Tincturen und Balsame sind einzig in ihrer Art, und ich konnte die merkwürdigsten Dinge von seinen seltenen Wundercuren erzählen, wenn meine einfache Empfehlung nicht genügen sollte. Nun sprecht, mein verehrter Herr Doctor, und entfaltet die unübertrefflichen Eigenschaften Eurer Medikamente. Ich wünsche Euch den besten Erfolg und bitte Euch, nochmals bei mir einzusprechen, wenn Ihr die Wünsche dieser edlen Herrschaften erfüllt haben werdet!«

Er überließ den Quacksalber seinem Schicksal und wollte sich nach seinem Gemach zurückbegeben, als ihn ein lautes Gelächter anzog, das vom Portale des Schlosses hertönte. Neugierig eilte er dahin und sah einen Mann in evangelischer Priesterkleidung mit todtenbleichem Gesicht die Treppe herabkommen. Das Gelächter stammte von müßigen Lakaien, die sich unten versammelt und zu denen sich einige Mönche und anderes Volk gesellt hatten. Der bleiche Priester war offenbar der Gegenstand ihres Spottes. Als er mit ruhiger Haltung hindurchschritt, lachten sie ihm in das Gesicht und fragten höhnisch: »Wo ist nun dein Geist und dein Gott?« Voll schweigender Verachtung ließ er das dunkle Auge auf ihnen ruhen; sie aber umringten und höhnten ihn, und die Domherren, die nun auch vom Schlosse kamen, lachten dazu.

Zürnend eilte Heinrich dem Verspotteten zu Hülfe; mit kräftiger Hand durchriß er die Kette feiler Lakaien und Stallbuben, die den Bedrängten umfangen hielt, indem er rief: »Achtung dem heiligen Gewande!« Die Spötter zogen sich bei dieser plötzlichen Dazwischenkunft zurück, Münzer aber – denn er war der verhöhnte Priester, warf ihm einen dankenden Blick zu, indem er sprach: »Ich danke Euch, edler Herr!« Unangetastet schritt er hierauf zum Thor hinaus. Als er in die Herberge zurückkam und er gefragt wurde, wie es gegangen? antwortete er: »Es gehet also, daß ich ein anderes Fürstenthum werde besuchen müssen.« Unverzüglich machte er sich nun auf den Weg nach Allstett zurück. –

Münzer's flüchtiger Blick hatte in Heinrich seltsame Sympathien erweckt, über die er sich nicht Rechenschaft zu geben vermochte. Doch hatte er sich durch diesen Vorfall eben keine Freunde unter dem Hofgesinde gemacht. »Ei, ei, Junker!« flüsterte ihm Einer der geistlichen Herren zu, »wie warm nahmt Ihr Euch doch dieses Teufelssohnes und Jüngers des Antichrists an. Erwäget wohl, wo Ihr Eure Freunde sucht, am Hofe des edlen Herzogs oder unter den Münzer'schen Schwärmern und Belialssöhnen.«

»Ich fragte nicht nach dem Namen des Mannes!« entgegnete Heinrich. »Ich schützte ihn vor roher Beleidigung, und hätte es gethan, auch wenn er noch ein Anderer gewesen wäre!« Verstimmt ging er auf sein Zimmer zurück und verabschiedete den Wunderdoctor, der sich wieder vorstellte, kurz. Gedankenvoll stand er am Fenster und ließ die Augen über den in der Blüthe des Spätsommers prangenden Schloßgarten schweifen. Es mochten ihm dabei so manche Gedanken und Erinnerungen beschleichen, von warmen Mondscheinnächten, Nachtigallengesang und geheimer Liebessehnsucht: ja jetzt nahm er eine verdorrte Rose aus einem Schrein und küßte sie, indem der Name »Bertha« wie Geistesflüstern über seine Lippen glitt.

Ein sporenklirrender Schritt, der sich seinem Zimmer näherte, verstörte ihn aus seinen Gedanken, rasch verbarg er die Rose, die ein Liebeszeichen sein mochte, und sprach ein lautes Herein! da es an seine Thür klopfte. Diese öffnete sich, und Heinrich stand einem jungen Manne gegenüber, dessen Züge ihm bekannt erschienen. Ein zierliches Ritterkleid umschloß die schlanke Gestalt, die nur um weniges kleiner und schmächtiger als Heinrich war.

»Ich hatte das Vergnügen noch nicht, Euch kennen zu lernen,« begann der Gast, Heinrich mit Forscherblicken betrachtend, »da Ihr heute erst wieder in Weimar eingetroffen, und ich mich seit kurzer Zeit hier befinde, während Ihr in traulicher Waldeinsamkeit in holdem Frauendienste standet. O man hat mir viel von Eurer Liebenswürdigkeit erzählt, Herr vom Busch!«

»Ihr seid sehr gütig, Herr!« entgegnete Heinrich befangen. »Wer schenkt mir die Ehre –«

»Beim Teufel, er ist es!« rief der Fremde, aus dem ceremoniellen Ton in ein lautes Lachen fallend. »Hätt' ich doch d'rauf schwören mögen, als ich dich vorhin deinen – nun den Erzketzer beschützen sah, daß du es wärest! Deine Träume sind also doch nicht Schaume gewesen! Nein! wenn die Geschichte ruchbar wird, es ist ein unerschöpflicher Stoff für Witz und Lachen!«

Heinrich stand verlegen und stumm. Röthe und Blässe wechselten auf seinen Wangen. Wie ein Hagelschlag fiel es auf die grüne Saat seiner Hoffnungen, seines geträumten Glückes. »Nun Junge, Heinz, du wirst doch deinen Gespielen noch kennen?« fuhr der Andere herzlicher fort.

»Ernst!« rief Heinrich ahnend mit einem Ausbruch der Freude.

»Ja eigner Person!« entgegnete jener. »Das Erstaunen liegt mir noch in allen Gliedern, dich so plötzlich und unter welchen Verhältnissen wiederzufinden! Wer hat dir denn dein Adelsdiplom ausgestellt? Hast's auf eigne Faust gethan? He, hab ' ich recht? Bist ein verwettert kühner Bursche!«

»Meine Rolle ist ausgespielt!« sagte Heinrich traurig. »Ich ahnete stets, daß es so kommen würde, und habe auch oft meine Unbesonnenheit bereut! Laßt mich nur erst fliehen, Herr, und dann mögt Ihr das Geheimnis enthüllen. O diese Bitte gewährt Ihr dem Gespielen Eurer Kindheit! Ich würde erliegen unter dem Spott!«

»Narr, ich werde dich nicht verrathen!« versetzte der Graf.

»Nicht?« rief Heinrich entzückt und faßte des Andern Hand.

»Nein! Ich will im Gegentheil das Lügengespinnst noch fester wehen. Ich kenne dich aus früheren Zeiten, ich mache einen Wundervogel aus dir; wir spielen David und Jonathan in Gegenwart dritter Personen – verstehst du? O ich verspreche mir köstliche Späße! Wir wollen den ganzen Hof zum Narren haben und uns dabei in's Fäustchen lachen! Prinzessinnen sollen sich in dich verlieben, Gräfinnen nach dir schmachten –«

Heinrich erröthete, trotz Ernst's Versprechungen vermochte er sich doch nicht so recht von Herzen zu freuen; eine düstere Ahnung breitete ihre Nebel über seine Seele.

»Aber nun erzähle mir,« fuhr der junge Graf fort, sich nachlässig auf ein Lotterbett werfend, »wie du es angefangen hast, dich zum Edelmann emporzuschwingen? Aufrichtig gestanden, ich hätte dir nie so viel Witz zugetraut!«

»Auch mich hat mehr mein Schicksal zu dem gemacht, was ich bin!« antwortete Heinrich und erzählte nun seine Lebensfahrten bis zu dem Momente, wo er die schöne Bertha von Isenburg aus den Händen der Räuber gerettet. Bis hieher war er der Wahrheit streng treu geblieben. Ernst hatte ihn manchmal mit Randbemerkungen unterbrochen, so wie er unter Anderem die Flucht Heinrich's aus den Armen der liebedürstenden Edelfrau tölpelhaft und schäferlich abgeschmackt finden wollte. Von jenem entscheidenden Augenblick an aber machte er sich einer kleinen historischen Untreue schuldig. Er erwähnte Bertha von Isenburg nur sehr flüchtig und oberflächlich und ließ sich auf Schilderungen ihrer Schönheit durchaus nicht ein, wie sehr ihn auch sein Herz dazu drängte. Herr von Hohenthal habe seinen Entschluß bestimmt, die Reisenden nach Weimar zu begleiten, und dem Einfluße dieses Mannes auch habe er es zu verdanken, daß er in die Reihe der Hofjunker aufgenommen worden sei. Er gelte als der letzte Sprößling eines verarmten, aber alten Geschlechts vom Oberrhein. »Und nun,« schloß er, »seid Ihr im Besitz meines ganzen Geheimnisses und habt die Macht in Händen, mich glücklich oder unglücklich zu machen!«

»Es bleibt bei unsrer Verabredung;« antwortete der Graf. »Deine Geschichte hat mich ergötzt und ich mochte wohl ein und das andremal an deiner Stelle gewesen sein. Deinen Namen kannst du für alle Folgezeit behalten. Da durch den Tod deines Vaters der Name Kolbach ausgestorben ist –«

Heinrich ward geisterbleich. »Was sagt Ihr, Herr?« rief er, krampfhaft den Arm des Grafen fassend. »Mein Vater todt?«

»Laß los mit deiner Bärentatze!« entgegnete jener. »Nun ja, er kam dabei um, als das Gehöft verbrannte. Man sprach viel davon; ja man wollte behaupten, der Teufel habe ihn geholt, nachdem er den Jäger Hubert erschlagen. Es war gut für ihn, daß er dadurch der weltlichen Strafe entging.«

»Mein Vater todt – das Gehöft verbrannt –« sagte Heinrich wie geistesabwesend vor sich hin.

»Es war wenige Tage, nachdem deine Schwester sich dem Teufel verkuppelte –«

»Meine Schwester? Was ist's mit ihr?« schrie der Jüngling.

»Geberde dich doch vernünftig!« antwortete der Graf. »Nicht viel besser kann ich es nennen! Dein Vater verheirathete sie dem Atheisten Thomas Münzer –«

»Sie ist Münzer's Weib?« rief Heinrich. »Hin zu ihm, er muß noch in diesen Mauern sein! – O mein Vater, mein armer unglückseliger Vater! Und du starbst vielleicht mit einem Fluch gegen mich – den ungerathenen Sohn! – Vergebt, Herr Graf! Ich muß eilen, um den Mann meiner Schwester noch zu finden!«

»Geh', geh'!« sagte der Graf. »Du bist mir ohnehin entsetzlich in deinem Wahnsinn!«

Heinrich stürzte fort nach der Herberge zum Adler; Münzer hatte die Stadt schon verlassen. Er eilte zurück, ließ sich ein Roß satteln und sprengte auf der Straße fort, die nach Allstett führt; aber er begegnete dem Gesuchten nicht und mußte zurück, ehe der Abend dunkelte, weil die Gegenwart des Kurfürsten doppelte Aufmerksamkeit im Dienst erforderte. »Mein Vater, mein Vater!« war der ewige Seufzer seiner schmerzbewegten Brust. –


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