Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

III.

Es war Sonntag; die Glocken läuteten und riefen die Gemeinde in das Haus der Herrn. Von allen Enden der Stadt strömten die Andächtigen herbei, um den hochgelehrten Prediger Thomas Münzer zu hören, der heute, wie die Sage ging, gar bedeutungsvoll zum Volke sprechen sollte. Mit einem freudigen Lächeln sah Münzer die strömende Menge, während seine junge Gattin beschäftigt war, ihm den priesterlichen Rock anzulegen und die weißen Päffchen am Halse festzubinden. Die junge Frau war bleich, und man bemerkte kaum mehr eine Spur von ihrer vorigen Lebenslust. Ihre Augen trugen zwar noch die Farbe des Vergißmeinnichts, aber die schalkhafte Fröhlichkeit, die einst aus ihnen leuchtete, war einem tiefen Ernst gewichen.

»Sieh' die Durstigen all' nach der frischen Quelle der Wahrheit!« sagte Münzer. »In solchen Momenten fühl' ich recht die hohe Bedeutung meines Berufs. Wenn sie an meinem Munde hängen und jedem Worte lauschen, das wie ein Balsamtropfen in ihre Seele fällt, da wünsch' ich mir die Beredtsamkeit eines Propheten, mit Engelzungen möcht' ich zu ihnen sprechen, ihnen das Heil zu verkünden, welches das irdische Elend von ihren Schultern nimmt. Marie, willst du mich heute nicht predigen hören?«

»Wenn du es befiehlst.« – antwortete die junge Frau.

»O nicht doch! Wie könnt' ich befehlen, wonach dein Herz nicht Verlangen trägt?« entgegnete Münzer »Aber es betrübt mich, daß du so gleichgültig bist bei meinem Worte, das Tausenden ein lebendiger Bronnen ist.«

»Vergieb!« sagte Marie. »Ich bin eine thörigte Frau, und nicht werth, daß du mich so hoch geehrt. Wenn du betest oder liesest aus der heiligen Schrift, da hör' ich dir gerne zu, da erhebt sich mein Herz zu Gott, und ich verehre dich wie einen Heiligen! Dann aber, wenn du zum Volke sprichst, wenn deine Stimme wie der Donner lautet, deine Augen leuchten wie Blitze – dann – dann fürcht' ich mich vor dir, ich zittre und wage nicht, dich anzuschauen. So war es auch, als ich dich in der Hütte meines Vaters sah.«

»Nicht dir gelten jene Blitze;« entgegnete Münzer. »Nicht dir, sondern den Feinden der Wahrheit und Freiheit. Sie möcht' ich zerschmettern mit dem Donner meines Mundes, die mein Volk in Fesseln schlugen!«

»Schon wieder leuchtet dein Auge so furchtbar!« seufzte Marie.

»Warum erschrickst du davor? Bin ich doch in deiner Nähe sanft und mild, denn du bist ein Engel, der Frieden in mein stürmendes Herz haucht. Als ich dich bei deinem Vater sah, die liebliche Rose neben dem starren, verwitterten Eichbaume, da war es, als ob der Frühling in meiner Brust erblühe, und als ob ich der ganzen Welt die Hand zur Versöhnung reichen müsse.«

Da wußt' ich auch, daß ich dich liebte. Ich wollte dein süßes Bild aus meinem Herzen reißen. Dein Leben, sprach ich zu mir selbst, ist ein reisender Strom, warum willst du die liebliche Blume mit in deinen Strudel hineinziehen? Mein Wille war stärker, als meine Kraft. Wonnig tauchte mir die Zukunft auf, von dir durchleuchtet. An ihrer treuen Brust wirst du Ruhe und Frieden finden nach den Stürmen des Tags. Und ich konnte nicht mehr widerstehen und nahm dich zum Weibe. Bist du aber auch glücklich als mein Weib?«

»Ich bin es;« flüsterte sie, die Augen zu Boden schlagend.

»Ich sah eine Rose, und nun bist du zur Lilie geworden!« fuhr er fort. »Wenn ich dich belauschte und hörte, wie ein Seufzer halb vernehmlich deiner Brust sich entrang: da mochte ich mir Vorwürfe, daß ich dich vielleicht aus deinem stillen Glück gerissen. Sprich wahr und offen zu mir: bist du glücklich als meine Hausfrau? «

Marie zögerte mit der Antwort. Sollte sie den Gatten betrüben, indem sie ihm gestand, daß oft schmerzliche Seufzer ihr Herz bewegten, wenn sie an die verlorene Heiterkeit ihrer Jugend dachte? Und doch erschien es ihr als Sünde, wenn sie die Wahrheit verbarg. Ein flüchtiges Roth flog über ihre Wangen; verlegen zupfte sie an ihrem Mieder.

»Bist du glücklich?« wiederholte Münzer und zwar mit so weichem, flehendem Ausdruck, daß sie es um der Welt willen nicht vermocht hätte, ihm mit Nein zu antworten.

»Ich bin glücklich,« sprach sie, zu ihm aufblickend, »wenn deine böse Stunde dich nicht beschleicht, wenn du sanft und mild bist, wie jetzt!« Marie fühlte ihr Herz leichter werden nach dieser Antwort; es war ihr, als sei der Bann gelöst, der wie ein Grabstein auf ihren Lebensfreuden lag, ja ein Strahl der lang entbehrten Heiterkeit glänzte in ihrem Auge. Münzer drückte sie an die Brust und küßte sie auf die Stirne. »Lebe wohl, « sprach er, »ich halt es selbst für gut, daß du heute mich nicht predigen hörst.«

Er ging und Marie sah ihm mit gefalteten Händen nach. »Er ist so gut!« sprach sie vor sich hin. »O daß ich ihn doch lieben könnte, wie er's verdient! Alle Menschen ehren ihn hoch. Da strömen sie hin, ihn predigen zu hören, und ich? – mir wird so bange, wenn ich höre, wie er den heiligen Glauben verwirft und von Blut und Krieg spricht. Mir ist, als müßt' ich ihn dann hassen, als stieß' er mir ein glühendes Messer in das Herz.«

Sie begoß die Blumen, die in bunten Scherben auf dem Fenstersims standen und ihren Duft in das einfach, aber sauber ausgestattete Gemach strömten. Da entrollten sich alle die Erinnerungen ihrer Kindheit vor ihrer Seele. Die Mutter erschien ihr mit dem verklärten Dulderblick und flehte den Segen der heiligen Jungfrau auf ihr Haupt; dann lehnte sie sich an die Brust des Vaters und glättete mit der kleinen Hand sein tiefgefurchte Stirne, und der rauhe Mann lächelte bei diesem kindischen Treiben; nun drehte sie sich mit der Jugend des Dorfes im fröhlichen Tanze! Wie die Bänder flatterten, wie die Wangen glühten vor Lust, wie aus den Augen die Freude lachte! Der arme Claus drängte sich zu ihr; schüchtern bat er sie um einen Tanz; sie gewährte; wie war er glücklich, wie ruhten seine Blicke so schmerzlichselig auf ihr! »Er hat dich wohl geliebt!« flüsterte es. Jetzt tummelte sie sich mit dem Bruder durch Wiesen und Felder. Neckend schüttelte er die Bäume, daß ein duftender Blüthenregen sie überströmte; dort kletterte er aus die höchsten Buchen, ihr einen Vogel zu holen, den sie dann wieder lachend entflattern ließ. Und diese Erinnerung war die freundlichste von allen. Die ganze Gegenwart ging ihr darin auf.

Münzer sprach unterdeß in feuriger Begeisterung, wie nur jemals zu seiner Gemeinde, die hingerissen an den Lauten seines Mundes hing. War er auch kein Redner, wie Luther, dem für jeden Gedanken im Moment das rechte Kernwort zu Gebote stand, rang er auch noch mit der Sprache, die man mit schroffem Gestein vergleichen konnte, aus dessen Spalten die Blumen des Gedankens hell und frisch hervorblühten, so ersetzte diesen Mangel das Prophetenfeuer, das aus jeder seiner Mienen, aus seinen Augen, aus seinen Geberden, aus dem Ausdruck seiner Worte loderte. Seine Gestalt schien größer, erhabener zu werden, seine Wangen waren geröthet, die Gluth seiner Augen umstrahlte ihn wie ein Heiligenschein, über alles Menschliche fühlte er sich emporgezogen, er war ganz der Erlöser, der Befreier seines Volks vom geistigen und leiblichen Joche, der Gottgesendete, der den Armen, den Geknechteten die Freiheit und den Unterdrückern das Gericht predigte; wie der Sturm brauste es von seinem Munde, und wie sich die Aehren des Feldes beugen vor dem Winde, wie die Stürme des Herbstes die Blätter des Baumes mit sich führen, so nahm der neue Prophet Sinn und Gedanken seiner Zuhörer gefangen. Die Sprüche und Bilder der heiligen Schrift focht er in seine Rede und schmiedete Blitze gegen das Bestehende in Kirche und Staat daraus. Eine dämonische Gewalt lag in diesem Manne, die ein frommes, taubenähnliches Gemüth, wie das Mariens, wohl erbangen machen konnte.

Er predigte gegen die Abgötterei des Bilderdienstes. »So lange die Menschen hölzerne Bilder wie Gott verehrten,« sagte er unter Anderem, »seien sie für die Freiheit noch gang unreif. Die priesterlichen Blendwerke seien die stärksten Fesseln der bürgerlichen Knechtschaft. Die Schriftgelehrten hätten den wahren gekreuzigten Christus zum fantastischen Götzen gemacht, die reine Kunst Gottes verworfen und an seine Statt einen hübschen, feinen, goldenen Herrgott gesetzt, davon die armen Bauern schwatzen.« Er sprach seine Entrüstung aus gegen die abgöttischen hölzernen Pfaffen, das grobe tölpische Volk, das nicht den geringsten klaren und würdigen Begriff von Gott habe.

Diese Worte zündeten, und Krump und seine Anhänger thaten das Ihrige, um die Flamme zu schüren. Nicht weit von Allstett, bei dem Dorfe Mellerbach, stand eine Kapelle, die ein besuchter Wallfahrtsort war. Auf sie wandte sich zunächst die Zerstörungswuth der aufgeregten Menge. »Laßt uns den Teufel zu Mellerbach in Stücken schmeißen!« rief Bartel Krump in seinen Versammlungen. »Wir wollen ein Fegefeuer brauen, drüber die Päpstlichen Maul und Nase aufreißen sollen.«

Jubelnd stimmten ihm die Genossen bei und zogen mit Lärm und Toben durch die Stadt. Ihr Haufen ward immer größer und ergoß sich in immer lebhafteren Demonstrationen.

Aufgeregt kehrte Münzer in sein Haus zurück; erst allmälig verglühte die Flamme, die sich seines ganzen Wesens bemächtigt hatte, und er ward seiner Aufregung Herr. Da trat die alte Magd seines Hauses zu ihm ein und berichtete mit geläufiger Zunge, welche Bewegung die ganze Stadt ergriffen habe, und wie man damit umgehe, die Capelle zu Mellerbach zu zerstören, und daß man sich dabei auf seine Predigt berufe. Marie erschrak und sah den Gatten fragend an. Er schien zu überlegen.

»Willst du diesen Greuel dulden?« fragte Marie endlich muthig. »Wirst du zugeben, daß man das Haus des Herrn beschimpfe? Bedenke doch, welche Verantwortung fällt auf dein Haupt! Ich bitte dich, sprich zum Volke, halte sie zurück von ihrem sündlichen Vorhaben!«

»Der Strom läßt sich nicht in seine Quelle zurückführen;« antwortete Münzer. »Auch wär' es unklug, wollt' ich es versuchen. Was ich thun kann, ist, den greisen Clausner zu retten, der des Gottesdienstes dort wartet. Sein Haar ist weiß, und ich mochte nicht, daß es durch Hohn und Mißhandlung besudelt würde.« –

»Martha« wandte er sich zu der Magd, »gehe gen Mellerbach, so schnell dich deine Füße tragen mögen, meld' ihm, was du weißt, und sag' ihm in meinem Namen: er möge der Warnung folgen, eh' es zu spät sei.«

Die Magd ging, noch von Mariens Ermahnungen zur Eile begleitet. Die junge Frau legte die Hand auf den Arm ihres Gatten und sprach: »Wenn nur nicht böse Frucht aus deinem Thun erwächst!«

»Sei getrost, liebes Weib!« entgegnete er. »Laß uns hoffnungsvoll in die Zukunft schauen. Ich wandle auf einem Wege, den meine Ueberzeugung für den rechten erkannt hat, und was mir auch geschehen mag, so ist mein Trost und Wahlspruch: Ich that, was ich gemußt, Gott helfe mir!« – »Doch laß die trüben Sorgen fahren!« fuhr er fort. »Meine Seele ist heiter, denn ich habe ja gesehen, wie mein Wort in den Herzen zündete, und ich fühle mich stolzer, als ein Sieger auf dem Schlachtfeld. Das Schwert kann zerbrechen, das lebendige Wort aber dauert ewig!« –

Der Clausner hatte noch zu rechter Zeit Münzer's Warnung befolgt. Kaum hatte er seine kleine Wohnung neben der Capelle verlassen, als ein Haufe Allstetter hinauszog und mit wildem Geschrei über die Capelle herfiel. Krump wußte durch Zuruf und gutes Beispiel ihren Eifer und ihre Zerstörungswuth noch mehr anzufachen.

Man verhöhnte und zerschlug die Heiligenbilder und brannte endlich die Capelle aus. Als die Flamme gen Himmel schlug, wie eine furchtbare Anklage, da sagte wohl Mancher im Herzen ob der bösen Folgen, die diese That mit sich führen könne, und schlich scheu und still nach Hause. Der Haufe aber zog singend und lärmend gen Allstett zurück, und es hätte zu neuen Excessen nur leichter Veranlassung bedurft.

Herzog Johann ergrimmte, als er die amtliche Kunde von dem geschehenen Frevel empfing. Münzer's Namen war in dem Bericht nicht genannt. Bald kam die Schreckensnachricht nach Allstett, der Herzog wolle mit gewaffneter Hand in das Städtlein fallen und die Thäter zur Rechenschaft und Strafe ziehen. Dies Gerücht verbreitete ein namenloses Entsetzen unter den guten Bürgern. Selbst Krump, der bei jeder Gelegenheit das große Wort führte, schwieg jetzt bedenklich und schlich ernst und scheu einher. Er wandte sich an Münzer, um sich Rath und Trost zu holen, dessen sein geängstigtes Herz bedurfte. Er war jetzt kleinlaut und hatte seiner Besorgnis sein Hehl. Ihn werde zuerst der Zorn des Herzogs treffen, meinte er, denn sein Eifer habe, im Glauben der guten Sache zu dienen, Allen vorangeleuchtet.

Münzer beschlich ein bittres Gefühl, als er diese Zaghaftigkeit seines sonst so muthigen Bundesgenossen sah. Er äußerte laut sein Befremden darüber.

»Haltet mich nicht für eine Memme!« vertheidigte sich der ehrbare Gerbermeister. »Ging's an ein allgemeines Dreinschlagen, so solltet Ihr Euren Mann in mir kennen lernen; aber da Ihr immer sagtet, es sei noch nicht Zeit, so ist noch nichts vorbereitet, und. wir müssen uns geduldig wie Lämmer zur Schlachtdank führen lassen, wenn's dem Herzog beliebt. Ich habe auch das Register verbrannt, wovon Ihr ohnedies nicht viel hielten Der böse Feind könnte sein Spiel treiben und es dem Herzog in die Hände führen!«

Münzer versprach, sich zu gütlichen Beilegung der Sache an den Herzog zu wenden, und Krump ging einigermaßen getröstet von dannen. Es gab sogar Augenblicke, wo sein voriger Heldenmuth in ihm erwachte, und er drohend die Faust erhob gegen die nahende Gefahr. Diese Augenblicke gingen aber immer nur zu schnell vorüber.

Krump war indes noch lange der Zaghafteste nicht. Der Schrecken hatte sich des ganzen Städtchens bemächtigt, und Tag und Nacht saßen die Einwohner in Furcht und Zittern. Peterlein, der Schneider, vermaß sich hoch und theuer, gegen seine rechtmäßige Obrigkeit keine sündlichen Gedanken mehr zu fassen und überhaupt den lieben Gott einen guten Mann sein zu lassen. Er wolle sein Bischen Armuth tragen, sprach er; Gott habe ja gesagt: Im Schweiße deiner Angesichts sollst du dein Brot essen. Krump kündigte er auf immer alle Gemeinschaft auf, und dieser war eben nicht in der Stimmung, lange Einreden dagegen zu machen.

Mathias, der Schösser, war ebenfalls in namenloser Angst. Er hatte zwar nicht Theil genommen an der Zerstörung der Wallfahrtskapelle, theils aus natürlicher Scheu, theils weil er den herzoglichen Dienst nicht zu vernachlässigen wagte; aber er fürchtete, es möchten bei einer etwaigen Untersuchung noch andere Dinge zur Sprache kommen, bei denen er nicht fleckenlos dastand. »Und dann bin ich brotlos!« seufzte er. »Wenn nur nicht noch etwas Aergeres über mich kommt! Verblendete mich auch der Teufel, daß ich den Rathschlägen Krump's folgte. Die großen Pläne gehen in Rauch auf. Es wäre ja auch ganz unerhört, wenn unsereiner plötzlich zu Reichthum und Ansehen käme. Ach Gott, wer als Bettler sterben soll, dem hilft kein Königreich! Wer zum Heller geschlagen ist, wird kein Pfennig. Ich werde wohl mein Hauskreuz tragen müssen, und will noch Gott danken, wenn ich's ruhig tragen kann!« Er warf einen Seitenblick auf die alte Sibylle, die hinter dem Ofen nickte, und faßte den Entschluß, sich allmälig von allen Staatsangelegenheiten zurückzuziehen.

Münzer schrieb an den Herzog einen Schutzbrief für die Stadt, in weichem er ihn bat, sein eigen Volk nicht scheu machen zu wollen wegen eines Marienbildes. Der Herzog forderte nun den Geleitsmann, den Rottmeister und mehrere Bürger, unter ihnen auch Krump, zur Rechenschaft nach Weimar. Krump erschrak gewaltig, lief von Einem zu dem Andern seiner Schicksalsgenossen und beredete sie endlich, einmüthiglich der Forderung nicht Folge zu leisten. »Wie?« rief er, »sollen wir thörigter Weise dem Löwen den Kopf in den Rachen stecken, daß er nur zuzubeißen braucht, wenn's ihm nach unserm Blute gelüstet? Besser ist's noch, es liegen so und so viel Meilen zwischen uns und ihm. Und hört er nicht auf unsere unterthänigsten Vorstellungen und zieht mit Heeresmacht heran, so können wir wenigstens als Männer sterben und brauchen uns nicht selbst der Schlachtbank zu überliefern.«

Man kam endlich dahin überein, daß man sich nicht stellen wolle, sondern sich schriftlich durch Münzer's Feder vertheidigen. In dieser Vertheidigung erboten sich die Vorgeladenen, was wider den Teufel zu Mellerbach geschehen sei, an Leib und Gut zu leiden, was man ihnen auflege, doch den Teufel zu Mellerbach wollten sie nicht anbeten, noch die überantworten, welche ihn zerstört. Wie sie sich schon bei der Verbrennung der Capelle auf einen Ausspruch Mose's berufen: »Ihre Altäre sollt ihr zerreißen, ihre Säulen zerbrechen und ihre Götzen mit Feuer verbrennen: denn du bist ein heilig Volk;« so beriefen sie sich wieder auf den alten Propheten.

In banger Sorge harrte man des Erfolgs dieser Vertheidigung. Jeden Morgen erwachte man in der Erwartung, die fliegenden Fähnlein heranziehender Reisigen zu sehen, und legte sich mit der Furcht schlafen, durch Kriegstrompeten erweckt zu werden.

Der verhängnisvolle Tag schien endlich gekommen. Alle Herzen schlugen hoch, als ein Bote im Städtlein anlangte, welcher verkündete, die sächsischen Fürsten, Friedrich und Johann, würden selbst nach Allstett kommen, um den Handel beizulegen. Das Schloß wurde alsbald für die hohen Gäste stattlich hergerichtet, und die guten Bürger sannen darauf, sie auf's Beste zu empfangen.

Die Wälder wurden geplündert, und Mädchen und Frauen waren Tag und Nacht beschäftigt, Laubgewinde und Kränze zu flechten, mit denen die Häuser bis auf's Dach hinauf geschmückt wurden. Der Schösser Mathias that sich hierin besonders hervor. Die alte taube Sibylle saß wie ein dürrer Dornstrauch mitten unter grünem Laub, und der Schösser selbst half ihr treulich bei dem ungewohnten Geschäft. »Es gilt Amt und Brot!« sprach er vor sich hin. »Ist's auch nicht viel, so ist's doch besser, als gar nichts. Ein Sperling in der Hand ist mir lieber, als ein Dutzend Tauben aus dem Dach. Was der Fuchs hat, giebt er für den Balg.« Der ganze Thurm hatte sich bald in ein grünes Gewand verhüllt und der alte räucherige Geselle dadurch ein schmuckes Ansehen erhalten. Unmittelbar über dem Thore war der verschlungene Namenszug der beiden Fürsten angebracht, gar künstlich vom Schneider Peterlein aus rothem Scharlach geschnitten. Der Schösser stand davor und betrachtete vergnügt das Werk seines Scharfsinns. »Sie müßten ja kein Herz im Leibe haben,« sprach er zu sich selbst, »wenn sie nicht gerührt sein und Gnade für Recht ergehen lassen sollten!« Dann dachte er an die Großsprechereien Krump's und stellte sich vor, wie schön es sein müsse, selbst so empfangen zu werden. Aber er schlug sich die hochmüthigen Gedanken bald aus dem Sinne. »Bartel Krump war von je ein Windbeutel!« dachte er. »Ein großes, schönes Vermögen hat er eingebrockt, und weil ihm nun die Frau auf's Leder kniet, so sucht er einen Strick, um sich aus dem Brunnen zu ziehen. Ich bedanke mich; ich will nicht der Strick sein, und ich war überhaupt ein Narr, das ich mich einließ mit ihm. Der Münzer hat gut schreiben und reden! Wenn ich die alte Sibylle ansehe, da vergehen mir alle hochmüthigen Gedanken!«

Das Städtchen lag in den lieblichsten Festtagsschmuck gekleidet, als die Fürsten mit stattlichem Gefolge vor dem Thore ankamen. Der Rath und die angesehensten Bürger waren ihnen entgegengezogen und hatten sie förmlich empfangen. Man suchte das Schicksal der Stadt im Voraus auf ihren Zügen zu lesen. Diese erheiterten sich bei den lauten Beweisen der Zuneigung, die ihnen von allen Seiten entgegenschollen; und nun kehrte auch Heiterkeit in die Brust der Bürger zurück. Der Schösser schrie wie rasend sein Hoch und schwenkte die schmutzige Mütze; selbst die taube Sibylle ließ ihre kreischende Stimme zum Preise der Landesväter erschallen.

Um Münzer's Lippen spielte ein leises Lächeln, als er sah, wie alles Volk sich in Huldigungen überbot. Seiner Pflicht gemäß war er in der Reihe derer, welche die Fürsten empfingen, aber er verfügte sich alsbald nach seiner Wohnung, als die Herrschaften das Schloß bezogen hatten. Seine Stimmung war trüb, und vergebens suchte ihn Marie zu erheitern. Was sollt' er auch Großes von dem Volk erwarten, das sich bei dem geringsten Luftzuge beugte, wie ein Rohr? Sein Werk verlangte Männer, stark und fest wie Eichen, die zwar der Sturm zerbrechen kann, aber nicht beugen. Was die zu beginnende Untersuchung ergeben werde, ließ ihn ziemlich gleichgültig; hochauf richtete er sich jedoch, als die Fürsten den Befehl an ihn ergehen liefen, vor ihnen auf dem Schlosse zu predigen. Seine Augen leuchteten begeistert, ein neues Leben schien seine Adern zu durchströmen.

»Ich werde kommen,« sprach er, »und reden wie ein Mann, nicht unter Furcht und Zagen, gleich dem Hündlein, dem der Stock droht. Sie sollen sehen, daß wenigstens ein Herz in diesen Mauern schlägt, das Menschenfurcht nicht kennt.« Und er hielt sein Wort. So kühn als nur jemals sprach er vor den Fürsten. Er forderte sie nochmals auf, die Abgötterei auszurotten und das Evangelium mit Gewalt einzuführen. Die gottlosen Regenten, sonderlich Pfaffen und Mönche, solle man tödten, die das heilige Evangelium Ketzerei schelten. Wo die Fürsten die Gottlosen nicht vertilgen, so werde ihnen Gott ihr Schwert nehmen. Die ganze Gemeinde habe die Gewalt des Schwerts, und der wolle das Regiment selbst haben, dem alle Gewalt im Himmel und auf Erden gegeben sei. Die Grundsuppe des Wuchers, der Dieberei und Räuberei seien die Fürsten und Herren, alle Creaturen nenneten sie ihr Eigenthum, die Fische im Wasser, die Vögel in der Luft, das Gewächs auf Erden, Alles müsse ihr sein. Darüber lassen sie Gottes Gebot ausgehen unter die Armen und sprechen: Gott hat geboten, du sollst nicht stehlen! für sich selbst aber halten sie dieses Gebot nicht dienlich; darum schinden und schaden sie den armen Ackersmann, den Handwerksmann und Alles, was da lebet. Wenn er sich dann, aus Noth gezwungen, an dem Allergeringsten vergreife, so müsse er hängen. Dazu sage dann der Doctor Lügner Amen.

»Die Herren,« schloß er, »machen das selber, daß ihnen der arme Mann feind wird. Die Ursache des Aufruhrs wollen sie nicht wegthun; wie kann es in die Länge gut werden? Ach, liebe Herren, wie hübsch wird der Herr unter die alten Töpfe schmeißen mit einer eisernen Stange! So ich das sage, werde ich aufrührisch sein. Wohl hin!« .

Die Fürsten erstaunten selbst vor dieser Kühnheit des jungen Propheten, der mit einer gewissen innern Genugthuung in seine Wohnung zurückging. Er hatte gesprochen, wie der Geist ihn trieb, was Keiner zu nennen wagte, dem hatte er den rechten Namen gegeben, und es gewährte ihm süße Befriedigung, sich so ganz frei von Menschenfurcht zu fühlen.

Der Handel wegen der zerstörten Capelle zu Mellerbach wurde gütlich beigelegt. Die beruhigten Bürger nahmen dankbar die Mahnung hin, hinfort Ruhe und Frieden zu halten, wie es treuen Unterthanen gezieme, und waren sehr geneigt, dies glückliche Ende der Beredtsamkeit ihres Predigers zuzuschreiben, den sie mit siegstrahlendem Gesicht aus dem Schlosse hatten kommen sehen.

Krump war, als die Gefahr vorüber, wieder ganz der Alte. Es war ergötzlich, einen Blick in sein häusliches Leben zu thun. Einst wohlhabend, war er doch, meist durch eigene Schuld, so sehr in Dürftigkeit gesunken, daß sein Geschäft, das immer einen bescheidenen Schritt fortging, oft ganz in's Stocken gerieth. Es war ein offenbares Geheimniß, daß die Ziegel auf dem Dache nicht mehr ihm gehörten. Zwar wußte er noch immer nach Außen seine vormalige Würde zu behaupten, und sich einen Anstrich zu geben, der den Unbefangenen zu täuschen vermochte, aber die Klügeren lachten ihm doch heimlich nach.

Ein ähnliches Verhältniß bestand zwischen ihm und seiner theuern Ehehälfte. Frau Magdalene war das Kind wohlhabender Eltern und an ihnen vergnügliches, sorgenfreies Leben gewöhnt. Als nun die Habe des Ehepaares von dem unersättlichen Strom der Zeit verschlungen war, hatte der arme Mann ganz allein zu entgelten, was doch wenigstens zum großen Theil von der ganzen Einwohnerschaft auf Rechnung der Frau geschrieben wurde. Frau Magdalene hatte eine scharfe Zunge und natürliche Anlagen zur Herrscherin; sie führte das Regiment mit unerbittlicher Strenge, und wenn Krump auch dem äußern Anschein nach Herr im Hause war, so verhielt es sich in der That doch ganz anders. Der Himmel hatte die Ehe mit keinem Sprößling der Liebe gesegnet, was Krump um so mehr bedauerte, als mit ihm sein glorreiches Geschlecht ausstarb.

»Weißt du die Neuigkeit schon?« sagte der ehrsame Gerbermeister, vor seine gestrenge Hausfrau tretend. »Die ganze Untersuchung ist vorbei. Man fürchtet, uns noch mehr aufzureizen.«

»Dem Himmel sei's gedankt, daß man Gnade vor Recht hat ergehen lassen!« erwiederte Frau Magdalene. »Dieser Streich hätt' uns den letzten Rest von unsrem Bischen Habe kosten können. Viel ist's nicht – Dank deiner Verschwendung! – aber wenn man uns auch das genommen hätte?«

»Oho, so schnell ist nicht vom Nehmen die Rede!« rief Krump. »Da waren wir auch noch Manne genug, ein Wort darein zu sprechen. Im Uebrigen thust du, mir Unrecht, wenn du mich einen Verschwender nennst; bedenke nur, was du selbst – «

»Herr, himmlischer Vater!« schrie Frau Magdalene erzürnt; »so willst du mir also die Schuld unsres Unglücks in den Busen schieben? Hab' ich dich nicht fußfällig gebeten, ein ordentliches Leben zu führen? Mein Eingebrachtes ist dahin und – ich habe noch dazu die Schuld!« Sie weinte. Krump hatte bei allem Heldenmuthe die Schwachheit, keine Thränen sehen zu können; er stand verlegen und rieb sich die Hände.

»Nun, nun, weine nur nicht!« sagte er begütigend. »Ich bin allerdings manchmal leichtsinnig gewesen; indeß sind wir allzumal Sünder und mangeln des Ruhms; wir müssen Leid und Freud' miteinander tragen, wie's christlichen Eheleuten geziemt.«

Frau Magdalenens Thränenfluth war vertrocknet. »Also gestehst du zu, daß du leichtsinnig gehandelt hast?« keifte sie. »Aber du warst noch mehr, als leichtsinnig, ein Verschwender warst du, ein Taugenichts, ein Müßiggänger, der immer das große Pferd ritt und seiner Frau nichts zu beißen und zu brechen verschaffte. Warst du das?«

»Nun ja;« gestand der Gequälte. »Indeß –«

»Wenn du gestehst, daß du dies Alles warst,« fuhr die Frau in ihrem Redeflusse fort, »so mußt du auch gestehen, daß du gewissenlos, daß du schlecht an mir gehandelt hast!«

»Aber so beruhige dich nur!« begütigte Krump. »Es wird Alles noch gut werden. Wenn wir das neue christliche Reich verkündigen, wo Freiheit und Gleichheit herrscht! Es wird nicht lange mehr dauern. Die Fürsten haben unsern Ernst gesehen.«

»Daß ihr Hasen seid, haben sie gesehen!« schalt Frau Magdalene.

»Hoho, das sollte mir kein Andrer bieten!« prahlte der Meister. »Daß wir jetzt nachgaben, war eitel Verstellung, um sie desto sichrer zu machen. Wenn aber der Tag kommen wird, dann wirst du Löwen sehen, die sich blind aus den Feind stürzen, weil sie für Weib und Kind kämpfen.«

»Du mußt dich recht stattlich als Löwe ausnehmen!« spottete die Frau.

»Du wirst dich verwundern!« fuhr Krump fort. »Ich werde mich selbst kaum mehr kennen. Dann wollen wir gute Tage haben. Ich kleide dich in Sammt und Seide; wie eine Fürstin sollst du einhergehen, und ich selbst –«

»Wirst wie ein König ausschauen, wenn man dich nicht unterdessen in den Schuldthurm sperrt!« schalt die Frau. »Schöne Tage werd' ich haben! In Schand' und Spott werd' ich dastehen vor den Leuten! Daß ich so verblendet sein mußte, dich zum Manne zu nehmen!« –

»Der böse Feind treibt manchmal sein Spiel;« seufzte der Meister kleinmüthig – Dergleichen häusliche Scenen verdarben aber seine Laune selten lange.

Er schwärmte immer in Hoffnungen und großen Entwürfen, und diese Hoffnungen machten ihn glücklich.

Münzer ließ die Predigt, die er vor den Fürsten gehalten, sogleich drucken. Dies aber war die Ursache zu einem empfindlichen Schlag für ihn. Eines Tags traten mehrere Rathspersonen nebst dem Schösser Mathias in sein Haus und legten einen fürstlichen Befehl vor, nach welchem Münzer's Drucker alsbald das Land verlassen solle, indem sie zugleich ihren Auftrag aussprachen, die noch vorhandenen Exemplare jener Predigt mit Beschlag zu belegen.

Marie zitterte in weiblicher Furcht, als sie von diesen gewaltsamen Maßregeln hörte. Münzer tröstete sie. »Zittre nicht,« sagte er; »das Recht bleibt mir, und das Recht geht am Ende doch geradaus durch's Land, wenn's auch die Bösen zu verdrehen suchen.« – »Nehmt hin,« fuhr er zu den Männern gewendet fort, »was ich noch übrig habe, will ich Euch gern geben. Ihr mögt es vernichten, so es Euer Auftrag ist; es fliegt doch durch die Welt und singt den Völkern Wahrheit in's Ohr. So lange aber mir noch ein Wort zu reden bleibt, so lange will ich protestiren gegen das Unrecht, das mir heut geschieht.«

Der Schösser nahm die gedruckten Bogen, die ihm Münzer anwies. Er schlug die Augen nieder und wagte nicht, den Mann anzusehen, dessen Partei er aus Zaghaftigkeit verlassen hatte. Es war ihm, als müsse Münzer in seinem Herzen lesen, daß er einen Abtrünnigen vor sich habe.

Die Schrift wurde vernichtet, und der Drucker mußte noch vor Sonnenuntergang die Stadt verlassen. »Ich denke, Ihr sollet bald wiederkehren,« sagte Münzer beim Abschied, »so Gerechtigkeit noch auf Erden zu finden ist.«

»Hoffet nicht darauf!« antwortete der Drucker.

»Die Mächtigen haben Gewalt, und kleiden jedes Ding, wie sie wollen. Meine Kunst läßt mich nicht sinken und fallen; sie bleibt schön und herrlich, wenn sie den Pfaffen und Herren auch ein Dorn im Auge ist.«

Münzer schrieb an die Fürsten, freimüthig und furchtlos, wie er gewohnt war. Er begehre, daß man ihn nichts hindern möge, dasjenige vor aller Welt frei zu verkündigen, was er aus göttlichem, unfehlbarem Zeugnis erlernt; die Fürsten seien gehalten, in Acht zu nehmen, was er ihnen aus göttlicher Offenbarung anzeige.

Alle seine Protestationen jedoch blieben ohne Erfolg, ja es ward ihm nicht einmal Antwort zu Theil. Münzer ward dadurch nicht muthlos, ja die Ueberzeugung gestaltete sich immer fester in ihm, die er so oft schon ausgesprochen, daß die Fürsten und Herren die größten und beharrlichsten Feinde des Evangeliums seien; und diesen Feinden das Schwert der Gewalt zu entreißen, ward forthin der vornehmste Zweck seines Strebens.


 << zurück weiter >>