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VIII.

Es war wenige Tage nach Münzers Zurückkunft von Weimar, als Melchior Grüber vor dessen Kammer stand. Er zögerte einzutreten, weil er drinnen sprechen hörte; endlich aber öffnete er die Thür und verwunderte sich sehr, als er Münzer allein fand. Grüber reichte dem Prediger die Hand und gab ihm durch den eigenthümlichen Druck derselben das Zeichen, daß er ein Verbündeter sei. Münzer sah ihn darauf mit einem langen Blick an, und sein Gesicht erheiterte sich. »Willkommen, Melchior!« rief er. Ihr kommt wie vom Himmel gefallen und zu rechter Zeit, um mich noch in Thüringen zu finden. Wir haben uns seit Zwickau nicht mehr gesehen, und ich hatte Euch für verschollen halten müssen, waren mir nicht rühmliche Nachrichten von Eurer Thätigkeit zu Ohren gekommen.«

»Ein Schelm macht's besser als er kann!« antwortete Grüber. »Mein Handel führte mich durch alle Länder, ich wurde rechts und links verschlagen, aber überall fand ich Brüder, und das war mein Trost. Freilich geh' ich oft viele Meilen und finde keinen fruchtbaren Boden, um unsern Saamen auszustreuen; aber darum verdrießt mich die Mühe nicht. Jetzt komm' ich von Nürnberg und bringe Euch Grüße von den dortigen Brüdern und diesen Brief. Sie sehnen sich nach Eurem Wort.«

»Es könnte wohl Rath werden,« antwortete er, »das ich Zuflucht bei ihnen suchte, wenn meine hiesigen Freunde zu furchtsam sind, mich vor den Gottlosen zu schützen. Wißt Ihr Näheres von dem Aufruhr, der sich in jüngster Zeit zu Nürnberg begeben hat?«

»Näheres, doch wenig Freudiges;« entgegnete Grüber. »Es hatten sich im verflossenen Mai die Bauern zu Gründlach, Reichelsdorf und an anderen Orten zusammengethan und sprachen freimüthig von dem Joch der weltlichen Herren, das man abwerfen müsse, nachdem die geistliche Bürde erleichtert worden sei, und man sei fortan nicht mehr schuldig, weder Beet und Rent, noch Gült und Zins zu zahlen. Das gefiel dem gemeinen Mann wohl, und eine große Versammlung wurde beredet zu Poppenreut. Nun waren die Brüder bemüht, auch in Nürnberg das Feuer zu schüren, und es gelang sichtbarlich. Zwei kühne, herzhafte Männer sprachen frei vor dem Volke: man müsse sich nicht in Schranken halten lassen von den Geschlechtern, denen es freilich Vortheil wäre, wenn der gemeine Mann unterliege, und es thue nicht gut, es hielten denn Bürger und Bauern zusammen. Darob entsetzte sich der Rath, ließ die zwei Männer niederwerfen und den Stab über sie brechen. Sie wurden mit dem Schwert vom Leben zum Tode gebracht. Aber das war ihm noch nicht genug; seine Späher hatten Kunde von der Versammlung der Bauern; listig ließ er die vornehmsten Sprecher und Anstifter greifen und nahm ihnen einen harten Schwur ab, nichts zu unternehmen gegen Gesetz und Ordnung. Und so ist denn äußerlich Ruhe geworden in Nürnberg.«

»Die Rache schlummert eine kleine Zeit,« sagte Münzer, »aber sie wird erwachen und die Uebelthäter verschlingen.«

»Sagt mir doch!« fragte Grüber. »Als ich vorhin vor Eurer Kammer stand, hörte ich Zwei mit einander reden, und fand doch Euch allein. Wie gehet dies Wunder zu?«

Ich habe meinen Gott gefragt, was ich morgen thun soll;« antwortete Münzer.

»Und er gab Euch alsbald Bescheid?« versetzte Grüber.

»Wohl!« entgegnete jener. »Er hieß mich muthig und furchtlos sein, wenn sie ausziehen mit Spießen und Stangen, mich zu fahen.« Mit ehrfürchtiger Bewunderung betrachtete Grüber den Propheten, aus dessen Ton die festeste Ueberzeugung von der Wahrheit der ihm gewordenen Offenbarung sprach. –

Münzer sah wirklich seine Person in Allstett gefährdet. Der heftige Herzog Georg von Sachsen, der erbitterte Gegner des Lutherthums, forderte in ernster Weise Münzer's Auslieferung, weil dieser einen Bundesbrief an die Unterthanen desselben zu Sangerhausen hatte abgehen lassen, worin er sie zur bewaffneten Gegenwehr gegen die Verfolger des Evangeliums aufgefordert. Dem Hofe zu Weimar drohte Georg mit Gewalt, wenn er nicht einschreite. So ward dieser von Außen zu dem gezwungen, was er selbst im Geheimen wünschte. Der Rath zu Allstett erhielt den ernstlichen Befehl, ihrem Prediger nicht länger Aufenthalt zu gönnen.

Der Rath sah sich bewogen, mit der größten Vorsicht zu Werke zu gehen, denn er fürchtete mit Recht, das Volk werde seinen geliebten Prediger gegen alle Gewaltmaßregeln in Schutz nehmen. Nichte desto weniger verbreitete sich das Gerücht, man wolle Münzer greifen und »ihn den höchsten Feinden des Evangeliums überantworten.« Die Aufregung, welche dies Gerücht hervorbrachte, war groß. Man äußerte sich in lauten Demonstrationen, daß man solche gottlose Verrätherei nicht dulden wolle.

Münzer's Gattin erschrak heftig, als sie erfuhr, welche Gefahr über ihm schwebe. All' ihre düstern Ahnungen schienen ihr nun verwirklicht, sie sah das Unglück mit Gewalt über sich hereinbrechen und besaß nicht die Kraft, es mit Muth zu erwarten. Sie ergoß ihren Schmerz in bittern Thränen. Wie grausam war ihre Jugend gebrochen! War sie sich nicht der vollsten Ansprüche an das Leben bewußt gewesen? Und wie verkehrte sich nun das geträumte Glück in Gram und Herzeleid! Den Mangel hatte sie willig ertragen, aber nun sollte ihr auch das Letzte geraubt werden, woran sie sich klammerte in ihrem Elend. »O hättest du meinen Bitten Gehör gegeben!« schluchzte sie. »Winkte uns nicht das Glück und heitre Zufriedenheit? Warum mußtest du es mit Füßen treten?«

»Was du Glück nennst, wäre mir Elend gewesen« antwortete Münzer sanft. »Das Weib fordert vom Leben, daß es ein ewig sonniger Lenz sei; der Mann aber steuert sein Fahrzeug durch Nacht und Sturm, über Klippen und Untiefen, bis er in den Hafen seines Strebens gelangt. Ihm ist es wohl, umrollt ihn der Donner, umzuckt ihn der Blitz; im Schlachtgebraus erhebt sich seine Brust, denn er weiß, daß die Bahn zu seinem Sterne rauh und dornenvoll ist, und daß er mit jedem Ungemach, das über ihn hereinbricht, seinem Ziele einen Schritt näher kommt. Ich sah Alles im Geiste kommen, wie es gekommen ist, und doch mußte ich dem Rufe meines Gottes folgen.«

»Und Weib und sind reißest du mit in's Verderben!« sagte Marie.

»Dieser Vorwurf durchbohrt mein Herz!« entgegnete Münzer schmerzlich. »Er kränkt mich so bitter, weil er mich an meine Schuld erinnert; ich vergaß, daß ich über die Schranken der Menschheit hinausgetreten, daß ich auf alle die Freuden verzichtet hatte, die das Leben mit Blumen kränzen, als ich mich meinem erhabenen Berufe weihte. Ich wollte noch fühlen als Mensch, ich waffnete mich nicht gegen die Schwäche, ich wollte mein Herz theilen zwischen der Liebe und Freiheit, und bin schwer bestraft. Ich kettete deinen Lebensnachen, der nur auf klaren Wiesenbächen zu schaukeln gewohnt, an das Schiff des meinigen, das Sturm und Brandung preisgegeben ist. Vergieb mir, Marie, trennt dein Schicksal von dem meinigen. Du kannst noch glückliche Tage haben. Der Bund unsrer Ehe ist zu lösen –«

»Niemals, niemals!« rief Marie heftig. »Ich bereue, daß ich dich gekränkt; die Schwäche ist vorüber – ich klage nicht mehr!«

»Mein geliebtes Weib!« sagte Münzer sie umschlingend. O daß ich dir nach Verdienst vergelten könnte! Aber nicht ewig ist der Himmel von Wolken umhüllt; die Sonne bricht sich endlich Bahn, und dann sollst du in ihrem Scheine wandeln!«

Münzer hatte vom Rath die Anweisung empfangen, die Stadt zu verlassen; Münzer hatte dagegen Schutz gegen die Feinde des Evangeliums gefordert. Als nun die Kunde ging, daß man ihn verstricken und dem Herzog Georg ausliefern wolle, waffnete er sich mit Harnisch, Eisenhaube, Krebs und Hellebarte. »Befiehlt mein Gott,« sprach er, »daß ich statt des Wortes das Schwert schwinge, so will ich's mit Freuden thun. Gewalt gegen Gewalt! Die gerechte Sache wird meinen Arm stählen!«

Als der Abend dunkelte, versammelte er seine Freunde um sich; es waren auch angesehene Männer darunter, die es redlich mit der Sache meinten, die er verfocht. Münzer ermuthigte die Zaghafteren. »Der Herr ist auch in den Schwachen mächtig!« sprach er. »Ist unser Häuflein auch klein, so wird es doch groß und stark durch den Geist, der uns beseelt. Er wird unsre Feinde mit Blindheit schlagen, und wir werden den Fuß auf ihren Nacken setzen!«

Mehrere Stunden der Nacht vergingen so, ohne daß von Seiten des Raths etwas für oder gegen Münzer geschah. Marie wachte in banger Sorge; die Tröstungen des Gatten verhallten. Da sie zu seinem Ideenflug sich nicht aufschwingen konnte, so konnte sie auch kein Vertrauen zu seinen Verheißungen fassen, und sein Versuch, sich gegen die Gewalt aufzulehnen, erschien ihr als thörigte Tollkühnheit.

Als solche wollte es auch Bartel Krump erkennen, und gleich anfangs hegte er Bedenklichkeiten, die er nur nicht auszusprechen wagte, um seinen Muth nicht in Zweifel ziehen zu lassen. Seine Hoffnungen auf das Reich der christlichen Freiheit waren ohnedies gewaltig gesunken, und je länger er's bedachte, um so mehr leuchtete ihm ein, daß es Unverstand sei, mit so geringen Mitteln einer bewaffneten Macht trotzen zu wollen. Endlich sprach er denn seine Meinung offenherzig aus.

»Nicht daß ich an der Kraft des Geistes zweifeln wollte,« sagte er, »der auch in den Schwachen mächtig ist, und die fromme Judith ausrüstete, das sie dem starken Holofernes den Kopf abschlug, so kann ich mich doch des Gedankens nicht erwehren, daß es für jetzt besser sei, Ihr gebet dem Feinde nach, und entrinnet den Schlingen, die er Euch gelegt hat. Unser sind wenige und ihrer sind viel, und die gerechte Sache verliert in uns so viel kräftige Streiter.«

»Ich muß diesem Manne beistimmen,« nahm Haferitz das Wort. »Verkenne mich nicht. Jeder unsrer Blutstropfen schlägt für dich, mein Bruder; aber was wäre gewonnen, wenn wir auch den ersten Angriff abwehrten? Sie würden nicht müde werden, und wir würden endlich doch unterliegen, und mit dir wäre unsrer Aller Hoffnung gesunken! Erhalte dich deinem Werke, suche dir eine andere Stätte, wo du wirken kannst. Wir werden indeß fortbauen, was du begonnen!«

Münzer überlegte. Da warf sich auch Marie an seine Brust und flehte ihn an, sein Haupt durch die Flucht zu retten. »Wohlan,« sprach er endlich; »es sei, wie ihr gesagt! Da die Herren des Raths als Unterthanen ihren Eid und Pflicht mehr achten, als Gottes Wort, so schüttl' ich den Staub von meinen Füßen. Geht in Frieden, meine Brüder, ich dank' Euch für den guten Willen, den Ihr mir bewiesen. Haltet fest an dem, was ich gelehrt. Wenn ich auch nicht mehr unter Euch bin, so werd' ich doch nicht ablassen zu wirken. Lebt wohl und vergeßt mich nicht! Er reichte Allen die Hand, und sie gingen, bis auf Haferitz und Grüber, die er zu bleiben bat.«

»Ich habe noch ein Vermächtniß für dich, mein Bruder!« wandte er sich zu Haferitz. »Nimm mein Weib in deinen Schutz, bis ich eine Stätte finde, wo ich ruhig weilen kann!«

»Ich ziehe mit dir!« rief Marie.

»Nicht doch!« entgegnete Münzer »Ich bin jetzt ein armer Pilger, der keinen Raum hat, wo er sein Haupt hinlege; du kannst den Pfad nicht gehen, den ich wandle. Ich lasse dich in Freundesschutz; bald wird die Zeit kommen, die uns unter schönern Sternen wieder vereinigt. Wirst du meine Bitte erfüllen, Haferitz?«

»Mit Freuden!« antwortete dieser. »Es soll meine Sorge sein, ihr den Schmerz der Trennung zu lindern.«

»Ich danke dir!« sagte Münzer »Doch will ich dir die Last nicht für lange Zeit aufbürden. Ich habe vertraute Freunde in Mühlhausen; unter deren Schutze kann sie weilen. Ihr, Grüber, werdet sie in meinem Namen darum bitten.« Er schrieb einen kurzen Brief und gab ihn dem Arzeneienhändler, der den Auftrag auf das Pünctlichste auszurichten versprach.

Münzer war bald zur Flucht gerüstet; das kriegerische Gewand hatte er wieder mit dem schlichten Rocke vertauscht. Reichthümer besaß er nicht; sein Wanderstab und ein kleines Bündel war seine ganze Habe. Scheidend umschlang er sein Weib. »Leb' wohl!« sprach er weich.

Marie weinte an seiner Brust. Er machte sich sanft los, drückte noch einen Kuß auf ihre Lippen, reichte den Männern die Hand und entfernte sich rasch.

Die arme verlassene Frau breitete ihm die Arme nach, als volle sie ihn noch einmal umfangen; dann ließ sie dieselben sinken, verhüllte sich die Augen und schluchzte aus tiefer Brust: »O Gott, was soll noch aus uns werden!«

»Muth, Muth!« tröstete Haferitz. »Gott wird ihn geleiten, und Ihr seid im besten Schutz!«

»Womit hab' ich all' das Leid verdient, das über mich hereinbricht!«

»Dulden ist des Weibes Loos!« sprach Haferitz freundlich zu. »Duldet und hoffet, und das Leid wird sich in Freude kehren!«

Wilder Schmerz tobte in Münzer's Brust. Sein Sinn war noch nicht so ganz der irdischen Freude entfremdet, daß er die Trennung von dem geliebten Weibe mit gelassener Ruhe ertragen konnte. Die Liebe trug in diesem Augenblicke den Sieg davon über die Idee, welcher er lebte, und erst allmälig begrub er in dumpfer Resignation jene in seiner Brust.

Heftig klopfte er an das Thor, welches der Schösser Mathias bewachte. Dieser polterte die baufällige Treppe herab und steckte den Kopf durch die vorsichtig geöffnete Thür, zog ihn aber erschrocken zurück, als er in das geisterhaft starrende Auge Münzer's blickte. »Oeffnet mir das Thor, Mathias!« sagte dieser ruhig in befehlendem Tone.

»Ihr seid es?« fragte der Schösser wieder zum Vorschein kommend. »Was wollet Ihr draußen?«

»Der gehetzte Hirsch sucht ein ander Asyl. Oeffnet!«

»Zu so später Stunde!« zögerte Mathias »Bedenkt doch meine Pflicht –«

»Wenn es Gott zu dienen gilt, werden da Euch Menschenworte kümmern, die es anders wollen?« entgegnete Münzer, »Ihr seid abtrünnig geworden der reinen Lehre aus Menschenfurcht. Ich habe Euch nicht gescholten. Der Fluch Gottes treffe Euch aber, so Ihr zum Verräther werdet. Oeffnet, im Namen des Herrn!«

Eingeschüchtert griff Mathias zitternd nach den Schlüsseln, die er am Gürtel trug, und knarrend öffnete sich das Thor. »Gott geleit' Euch!« sagte er, als Münzer hinausschritt, und wie ein Centnergewicht fiel es ihm vom Herzen, als er das Thor wieder schloß. »Der Versucher ist fort!« sagte er vor sich hin. »Wenn ich aber ein Verbrechen begangen hätte, indem ich ihn entfliehen ließ? Meine Gutherzigkeit wird mich noch in's Verderben stürzen!« Dieser Gedanke peinigte ihn so, daß er sich bis zum Morgen schlaflos auf seinem dürftigen Lager wälzte.

Auch Münzer athmete hoch auf, als das Thor sich hinter ihm schloß. Sein Herz schwellte wieder von der Begeisterung seiner Prophetensendung. »Die jetzt über mich hohnlachen,« sprach er, »die werden einst erzittern, und die mich aus ihren Thoren weisen, werden mich anflehen, daß ich ihnen eine Stätte zur Ruhe gönne, denn es stehet geschrieben: Die Gewaltigen wird er demüthigen, und die Armen und Verstoßenen auf den Stuhl der Macht setzen! Sie triumphiren noch kurze Frist, und dann ist Ihr Reich zu Ende!«

Rasch schritt er durch die milde Augustnacht dahin, die mit seinen fliegenden Locken spielte. Die Sterne gossen ihr bleiches Licht über Thal und Hügel. –


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