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Einundzwanzigstes Kapitel

Was Jerome Alles that

Nach Paris zurückgekehrt, war es Jerome's erste Sorge, sich zu Herrn Guerreville zu begeben, um sich nach dessen Befinden zu erkundigen.

Der Doktor empfing den Auvergnaten, drückte ihm freundlich die Hand und sagte zu ihm: »Die Besserung hält an ... ich werde meinen Freund retten, nun kann ich dafür stehen.«

»Ach! Herr Doktor, was für ein braver Mann sind Sie!«

»Aber die Wiedergenesung wird sich sehr in die Länge ziehen, und um so mehr, als mein armer Freund im Innern seines Herzens einen tiefen Kummer darüber empfindet, sich an diesem elenden Delaberge nicht haben rächen zu können. Durch den, der uns beschimpft hat, besiegt zu werden, heißt es doppelt sein! ... Kaum hatte mein Freund die Sprache wieder erhalten, so waren seine ersten Worte ein Schwur, den Kampf zu erneuern, sobald er die Kraft dazu haben würde. Aber bis dahin ... wird es mir vielleicht gelingen, ihn zu beruhigen.«

»Oh! ja ... ja ... ich begreife es sehr wohl, daß Herr Guerreville nicht befriedigt ist ... Aber Geduld ... das wird sich Alles ändern, ich hoffe es. Dieser Emil Delaberge hat also Herrn Guerreville recht viel Böses zugefügt?«

»Er hat ihn in dem beschimpft, was ihm das Theuerste war; er hat ihm das Glück geraubt, ihn zu ewigen Thränen verdammt. Mein lieber Jerome, mein Freund wird Ihnen, wie ich nicht zweifle, alle seine Leiden erzählen ... er wird für Sie keine Geheimnisse haben.«

»Oh! ich habe nicht nöthig, noch mehr zu erfahren, um überzeugt zu sein, daß dieser Herr Delaberge ein Schuft ist.«

»Aber Sie können Herrn Guerreville sehen, er schläft in diesem Augenblicke nicht, und Ihre Gegenwart kann ihm nur angenehm sein«

»Nein, nein, Herr Doktor ich danke Ihnen; ich will Herrn Guerreville nicht sehen, ehe ... ehe ich ... doch, genug! ich habe so meinen Plan, sehen Sie ... es ist ein Eid, den ich mir selbst abgelegt habe ... und den ich halten will.«

»Ich verstehe Sie nicht, Jerome.«

»Das ist möglich, Herr Doktor, aber ich verstehe mich ganz gut und Sie werden mich später auch schon verstehen. Indeß Pflegen Sie fortwährend meinen achtbaren Wohlthäter ... und für das Uebrige lassen Sie mich sorgen. Auf Wiedersehen, mein Herr.«

Und Jerome entfernte sich, indem er Jenneval zurückließ, welcher den Sinn der geheimnißvollen Worte des Auvergnaten zu errathen suchte.

»Jetzt,« sagte der Wasserträger, als er sich auf der Straße befand, zu sich, »handelt es sich nur darum, die Wohnung dieses Emil Delaberge zu erfahren; ich habe den guten Doktor nicht darnach fragen wollen, aus Furcht, er könnte eine Ahnung von meinem Vorhaben bekommen. Ueberdies weiß er sie vielleicht auch nicht; ich habe eben so wenig gewagt, Madame Dolbert darnach zu fragen. O! aber ich werde sie schon finden, ein reicher Mann wohnt in keinem Mausloche. Oh! ich werde diesen Herrn schon zu finden wissen ... Paris ist groß, aber ich habe gute Beine, ich, und fürchte keine Ermüdung!«

Jerome machte sich auf den Weg, er durchlief die Stadt, rannte hin und her, erkundigte sich und bat einige Commissionäre von seiner Bekanntschaft, ihm in seinen Nachforschungen behülflich zu sein. Während der ersten drei Tage blieben seine Bemühungen erfolglos; aber am vierten fand der Wasserträger endlich, was er wünschte; man zeigte ihm das von Herrn Emil Delaberge bewohnte Hôtel in der Clichystraße.

Sogleich ging Jerome auf dieses Haus zu. Er klopfte an das Einfahrtsthor, trat hinein und fragte den Portier: »Bin ich wohl hier recht in der Wohnung des Herrn Emil Delaberge?«

»Ja,« erwiderte der Portier, indem er einen verächtlichen Blick auf den Auvergnaten warf.

»Ist er zu Hause?«

»Was geht das Sie an?«

»Wie? was das mich angeht ... wahrscheinlich geht es mich etwas an, da ich Sie darnach frage.«

»Der Herr ist nicht zu Hause.«

»Ah! das ist etwas Anderes ... das ist doch eine Antwort ... nun gut, dann ... werde ich wieder kommen.«

Und Jerome ging, zufrieden, endlich wenigstens zu wissen, wo derjenige wohnte, den er sprechen wollte, und nicht daran zweifelnd, daß es ihm bald gelingen werde, mit ihm zusammen zu kommen.

Am folgenden Tage, gegen neun Uhr Morgens, ging der Auvergnate wieder zu Herrn Delaberge.

»Der Herr ist nicht zu Hause,« sagte ihm der theilnahmlose Portier, sobald er ihn erblickte.

»Wie, schon ausgegangen?«

»Ja.«

»Wann wird er zurückkommen?«

»Ich weiß es nicht; der Herr hat keine bestimmten Stunden, in denen er nach Hause kommt; das hängt von seiner Laune ab.«

Jerome entfernte sich in übler Stimmung. Er kam auf den Abend, er kam am andern Morgen wieder, aber der Portier hatte immer nur die eine Antwort: »Der Herr ist ausgegangen.«

Acht Tage verflossen auf diese Weise, ohne daß Jerome glücklicher war; endlich riß ihm die Geduld; er trat eines Morgens in die Loge des Schweizers, faßte ihn scharf in die Augen und sagte in einem erzürnten Tone zu ihm: »Herr Portier, ich glaube, Sie haben mich zum Narren, machen Sie ein Ende! ;...« Jerome war ein großer und starker Mann; der Portier bekam Furcht und antwortete viel artiger als sonst: »Mein Herr, ich bitte Sie um Verzeihung, aber ich muß wohl die mir gegebenen Befehle befolgen.«

»Und was sind das für Befehle?«

»Daß der Herr fast immer sagen läßt, er sei ausgegangen, oder nicht zu sprechen, wenn es nicht Personen sind, die er erwartet.«

»Ich verstehe! und sicherlich erwartet er mich nicht. Aber ich, ich muß ihn sehen, ich muß ihn sprechen, verstehen Sie mich, Portier, ich muß ... ich werde nicht mehr aus diesem Hause gehen, ohne Ihren Herrn gesprochen zu haben; ich bin fest dazu entschlossen ... Wählen Sie, ob ich hier Alles zerbreche ... oder ob Sie mir sagen, wo ich den Herrn Delaberge finden kann.«

»Mein Herr, ich versichere Sie, daß er nicht hier ist.«

»Sie lügen noch einmal!«

»Nein, mein Herr. Oh! diesmal ist es die reine Wahrheit; der Herr ist gestern Abend mit seinem Diener Düpré auf das Land gereist.«

»Auf das Land?«

»Ja, ich glaube ihn Beaumont nennen gehört zu haben.«

»Genug, dann werde ich ihn aufsuchen. Aber wenn Sie mich belogen haben, dann komme ich wieder her und schlage Sie todt.«

»Ich habe Ihnen die strengste Wahrheit gesagt, mein Herr.«

Jerome verließ das Hôtel, ging nach Hause, nahm Alles, was er nöthig zu haben glaubte, zu sich, dann machte er sich, seinen Stock in der Hand, zu Fuß auf den Weg. Der Auvergnate ging aber mit so festem, so raschem Schritte, daß er vor Anbruch der Nacht bei dem Landhause der Madame Dolbert angelangt war.

Jerome hielt an, er war ungewiß, was er thun sollte; doch endlich bemerkte er einen Gärtner an der Thüre des Hauses, dem er sich näherte.

»Sie sind im Dienste von Madame Dolbert?«

»Ja, mein Herr,« erwiderte der Landmann, ihn grüßend.

»Wissen Sie, ob seit gestern ein Herr aus Paris zu diesen Damen gekommen ist?«

»O nein, mein Herr, seit gestern, sogar seit mehreren Tagen haben diese Damen keinen Besuch erhalten. O, ich kann Ihnen das bestimmt sagen, denn ich arbeite gerade dem Hausthore gegenüber.«

»Danke, mein Freund.«

Jerome entfernte sich, indem er sagte: »Der Herr hat diese Damen nicht besucht ... indeß wird er nicht ohne Grund in diese Gegend gekommen sein. Teufel auch! wenn ich ihn diesmal nicht erwische, bin ich sehr ungeschickt.«

Jerome ging ins Dorf; er erkundigte sich nach dem besten Gasthofe: es sind deren auf dem Lande nicht viele. Während er mit einer Bäuerin plauderte, ging ein Herr an ihm vorüber; seine Kleidung, seine Haltung, sein ganzes Wesen fiel dem Auvergnaten auf, der bei sich dachte: »O, das muß mein Mann sein!«

Es war in der That Emil Delaberge, welcher, nachdem er mehrere Tage in Paris unentschlossen hingebracht, indem er bald Stephanien vergessen wollte, bald schwur, sie müsse die Seinige werden, endlich mit Schrecken vernommen hatte, Guerreville's Wunde sei nicht tödtlich und der, von dem er nichts mehr befürchten zu dürfen glaubte, werde bald wieder hergestellt sein.

Emil sah voraus, daß seine Heirath sich für immer zerschlagen würde, wenn Herr Guerreville Madame Dolbert wiedersähe; wie aber sollte er das verhindern, da Stephaniens Großmutter ihm ihren Wunsch, mit Jenem zusammenzukommen, gar nicht verheimlicht hatte.

»Sie werden mir Stephanien verweigern,« sagte Emil zu sich, indem er vor Wuth bebte. »Nun wohl! wenn sie nicht wollen, daß sie meine Frau werde, so will ich andere Mittel anwenden, denn sie muß mein werden. Auf, nach Beaumont! ... Es wird nicht so schwer sein, in das Haus einzudringen, das diese Damen bewohnen ... O, das wird mir gelingen ... es ist mir bis jetzt Alles gelungen, was ich ernstlich gewollt habe.«

Hiernach war Delaberge mit seinem Kammerdiener Düpré abgereist. Er hatte sich in einem abgelegenen Gasthof am Ende des Dorfes einquartirt, und hatte eben die Wohnung der Madame Dolbert von fern in Augenschein genommen, als ihn Jerome bemerkte.

Emil ging in seine Wohnung zurück; er rief seinem Diener und sagte zu ihm: »Nichts ist leichter, als bei diesen Damen einzudringen! Es ist ein wahres Kinderspiel! Du hast mir doch gesagt, Stephaniens Zimmer sei ein Eckzimmer, welches auf die Straße hinausgehe?«

»Ja, mein Herr, ich habe mich davon überzeugt.«

»Es wird genügen, wenn ich auf die Gartenmauer klettere, und von da werde ich leicht das Fenster erreichen; Deine Schultern werden mir zum Hinaufsteigen dienen ... das Uebrige gibt sich von selbst ... Es ist recht drollig, zum Sturmlaufen bei einem Frauenzimmer genöthigt zu sein, das man heirathen wollte ... doch, meiner Treu, man zwingt mich dazu; und in der Folge werden jene ohne Zweifel mich noch bitten, sie zu heirathen; aber ich weiß nicht, ob ich dann noch Lust haben werde. Diesen Abend also ... um zehn Uhr. Ich werde lange vor Dir fortgehen, damit die Sache nicht als verabredet erscheint. Punkt zehn Uhr wirst Du an der Stelle sein, die ich Dir bezeichnet habe.«

»Ganz recht, mein Herr. Aber ist es denn nicht um zehn Uhr noch zu früh?«

»O nein! weißt Du denn nicht, daß die Großmutter Dolbert, wenn sie auf dem Lande ist, um neun Uhr zu Bette geht? O, um zehn Uhr schlafen alle Leute im Hause schon längst.«

Als diese Anordnungen getroffen waren, ließ sich Emil Delaberge ein so gutes Mittagsbrod auftragen, als man es sich nur in einer Dorfherberge verschaffen konnte, und nachdem er seine Mahlzeit beendet hatte, ging er auf das Feld spazieren.

Aber ein Mann hatte gewartet, bis der Fremde endlich aus dem Wirthshause herauskam; dieser Mann war Jerome, der sich auf eine Art in den Hinterhalt gelegt hatte, daß Emil Delaberge nicht fortgehen konnte, ohne von ihm bemerkt zu werden; er folgte ihm von Weitem aufs Feld. Er harrte, um ihn anzureden, darauf, bis es dunkler geworden wäre, denn er wünschte nicht, daß sie Jemand sehen oder stören möchte. Endlich betrat Emil einen einsamen Fußsteig, welcher von jeder Wohnung sehr entfernt war. Der Auvergnate verdoppelte seine Schritte, und einen Querweg einschlagend, befand er sich bald vor Emil, dem er plötzlich entgegentrat, indem er eine Hecke, welche ihn von ihm trennte, auseinanderriß.

»Ein Wort, mein Herr,« sagte Jerome, sich vor Emil hinstellend und ihm den engen Fußweg versperrend.

»Was wollen Sie von mir?« antwortete der junge Mann, dem die plötzliche Erscheinung eines Mannes bei Nacht und an einem abgelegenen Wege ein geheimes Mißtrauen einflößte.

»O, das sollen Sie bald erfahren ... Beruhigen Sie sich, ich bin kein Dieb und will Ihnen durchaus nicht an die Börse.«

»Was wollen Sie denn von mir?«

»Sie sind doch Herr Emil Delaberge, nicht wahr?«

»Ohne Zweifel.«

»Dann will ich mich mit Ihnen schlagen.«

»Sie sich mit mir schlagen!« erwiderte Emil mit einem verächtlichen Lächeln. »Erstens schlage ich mich nicht mit Jedermann.«

»Das kann sein, aber mit mir werden Sie sich schlagen.«

»Aus welchem Grunde? Zu welchem Zwecke? Ich kenne Sie nicht ... ich habe Sie nie gesehen.«

»Nun gut! ich heiße Jerome und bin ein Wasserträger meines Standes ... und ein ehrlicher Mann, wie ich mir schmeichle. Ich, ich kenne Sie, ich weiß, daß Sie sich vor einiger Zeit mit Herrn Guerreville geschlagen haben ... Ich weiß nicht, welchen Schimpf Sie ihm angethan, aber er sagt, Sie seien ein Schurke, und wenn das ein ehrbarer Mann sagt, so muß es wahr sein. Kurz, Sie haben ihm eine tiefe Wunde beigebracht, an der er fast gestorben wäre. Dieser Herr Guerreville ist mein Wohlthäter und ich bin hergekommen, um ihn zu rächen. Begreifen Sie mich jetzt?«

»Ah! ... Herr Guerreville hat Sie zu seinem Verteidiger gewählt!«

»Herr Guerreville hat mich nicht gewählt, er ahnt nichts von dem, was ich heute thue; denn er würde es mir vielleicht verboten haben, weil er hofft, sich wieder mit Ihnen zu schlagen, sobald er die Kraft dazu hat. Aber ich habe mir selbst das Versprechen gegeben. Sie aufzusuchen und die Partie zu gewinnen, welche ein braver Mann verloren hat. Nun voran! ich hoffe, das seien Gründe genug; wir wollen uns jetzt schlagen.«

»Nein, ich werde mich nicht mit Ihnen schlagen ... da ich Sie nicht kenne. Noch einmal, lassen Sie mich vorübergehen, mein Herr.«

»Ah! machen Sie keine Dummheiten ... Sie kommen hier nicht vorbei.«

»So hören Sie denn, daß ein Mann meines Standes sich nicht mit dem ersten besten Menschen schlagt.«

»Erster bester Mensch! ... erster bester Mensch!« rief Jerome, indem er noch näher auf Emil zutrat und ihm scharf ins Auge sah. »Ah, es ist wahr, ich bin ein erster bester Mensch, weil ich eine Jacke trage ... in einer Dachkammer wohne und mein Brod im Schweiße meines Angesichtes verdiene. Aber Sie ... o! Sie sind freilich kein erster bester Mensch! ... Sie haben Geld ... Sie thun dick! ... aber dabei sind Sie ein Nichtswürdiger ... ein Schuft ... und auch noch ein Feigling, wie ich sehe!«

»Unverschämter!« schrie Emil wüthend. »O! Du wirst mir diese Kränkung theuer bezahlen!«

»Ah! jetzt ist's recht! ... erhitzen Sie sich nur einmal ... das ist mir sehr lieb. Nun rasch ans Geschäft! ;...«

Und zwei tüchtige Stöcke herbeiholend, die er hinter der Hecke gelassen hatte, reichte er sie Emil mit den Worten hin: »Wählen Sie.«

»Ich schlage mich nicht mit einem Stocke,« antwortete Emil, die Achseln zuckend.

»Und warum nicht, mein schöner Herr?«

»Weil ich mich niemals solcher Waffen bedient habe!«

»Nun! so werden Sie heute den Anfang damit machen ... O! sie sind solid, sie biegen sich nicht, ich stehe Ihnen dafür.«

»Sie sehen wohl, daß Sie mit Ihrem Vortheile Mißbrauch treiben wollen, da Sie mir diesen Kampf vorschlagen. Sie sind gewohnt, sich eines Stockes zu bedienen, ich habe niemals einen angerührt ... wäre das eine gleiche Partie? ;...«

»Und was hindert Sie, Herr Stutzer, einen Stock zu handhaben, wie ich? ... Ich zähle fünfzig Jahre, Sie erst dreißig, dadurch scheint sich mir, was ich in Betreff der Gewohnheit voraus habe, vollkommen auszugleichen ... Nun, beim Kuckuk, nehmen Sie!«

»Hier sind die Waffen, deren ich mich gewöhnlich bediene,« sagte Emil, indem er aus seiner Tasche ein Paar Pistolen hervorzog; »diese stellen das Gleichgewicht der Kräfte vollkommen her ... denn man braucht keine Herkulesstärke zu haben, um eine Pistole abzudrücken ... Nicht wahr, Kamerad, das bringt Sie ein wenig aus der Fassung ... das lächelt Sie nicht so an, wie Ihre Stöcke!«

»Ah! Sie sollen sehen, daß ich vor keiner Waffe zurückweiche!« rief Jerome; »wenn ich Sie behandelte, wie Sie es verdienen, so würde ich damit beginnen. Ihnen diese Pistolen zu entreißen und Sie mit meinem Knüttel niederzuschlagen ... aber ich bin kein Feigling und nehme diese Waffen an ... wenn ich Sie nur tödte und Herrn Guerreville räche, so liegt mir nichts daran, auf welche Weise es geschieht! Nun gut, geben Sie mir eines von Ihren kleinen Taschenspielzeugen!«

Jerome warf die beiden Stöcke bei Seite und wartete nicht erst, bis ihm Emil die Pistolen reichte, sondern riß ihm eine aus der Hand, trat drei Schritte von ihm zurück, spannte den Hahn und zielte mit den Worten: »Sind Sie parat?«

»Man schlägt sich gewöhnlich nicht so nah,« erwiderte Delaberge, dessen Muth vor dem entschlossenen Betragen des Auvergnaten zu sinken schien.

»Oh! wir dürfen uns nicht fehlen ... es wird schon sehr dunkel, und ich habe nicht Lust, auf's Gerathewohl loszuschießen. Kommen Sie jetzt, beim Teufel! ... machen wir schnell. Ich werde mit dem Fuße stampfen ... beim zweitenmal schießen wir zugleich los.«

Jerome nahm seine Waffe und gab das erste Zeichen; Emil beeilte sich, seine Pistole zu spannen; der Auvergnate erhob kaum den Fuß, um das zweite und letzte Zeichen zu geben, als Emil schon abdrückte ... das Zündhütchen blitzte allein auf.

»Ah! die meine wird nicht versagen, wie ich hoffe,« rief Jerome, und in demselben Augenblicke ging sein Schuß los; Emil empfing die Kugel in die volle Brust, und fiel fast auf seinen Gegner.

»Ich denke, er hat seine Bezahlung!« sagte Jerome, indem er seine Pistole auf den Boden warf, »aber, Teufel! wenn sie ihm nicht versagt hätte, so würde ich ihm wohl haben vortanzen müssen, denn er hatte sich mit dem Losdrücken ein wenig beeilt ... Mein Herr, ich werde Ihnen Ihren Diener schicken, er wird Sie in Ihre Herberge zurückbringen.«

»Ich bitte, Jerome,« sagte Emil mit schwacher Stimme, und indem er sich zu erheben versuchte, »ich bitte, bringen Sie mich selbst fort ... mein Diener ist nicht in dem Wirthshause ... ich fühle, daß ich tödtlich verwundet bin; ... ich möchte gerne noch Zeit gewinnen, einige Zeilen an Herrn Guerreville zu schreiben, ... den ich auf so unwürdige Art gekränkt habe ... Sie können in dem Gasthofe vorgeben, Sie hätten mich auf diesem Fußsteige gefunden ... und ich verspreche Ihnen, Niemand zu sagen, daß ich mich mit Ihnen geschlagen habe.«

»Es sei! ... ich will es gerne thun. Uebrigens fürchte ich mich gar nicht, mich als Ihren Gegner zu bekennen; daß Sie Reue empfinden, ist die Hauptsache, und ich verweigere Ihnen meinen Beistand nicht.«

Hierauf beugte sich Jerome nieder, und indem er den Verwundeten in seine Arme nahm, gelang es ihm, ihn auf seine Schulter zu heben; dann schlug er, mit dieser schweren Last beladen, den Weg nach dem Dorfs ein, während sich Emil bemühte, mit dem Schnupftuche das Blut zurückzuhalten, welches stromweise aus seiner Wunde floß.

Der Auvergnate gelangte endlich in das Gasthaus. Bei dem Anblick des in seinem Blute schwimmenden Reisenden bestürmte Jedermann Jerome mit Fragen. Emil war noch im Stande zu antworten: »Ich habe mich geschlagen ... mein Gegner ist entflohen ... dieser brave Mann fand mich ... und hatte die Kraft, mich bis hieher zu tragen.«

Man trug den Verwundeten auf sein Bett und lief nach einem Arzte; aber Emil verlangte vor Allem Tinte und Papier. Er wollte die wenigen Kräfte, die ihm noch übrig waren, benützen, um einige Zeilen zu schreiben; er brachte dies mit großer Ueberwindung seiner Leiden zu Stande, dann gab er Jerome sein Billet, indem er ganz leise zu ihm sagte: »Bringen Sie das Herrn Guerreville ... Sie haben ihn gerächt ... und Sie haben auch Stephanie Dolbert vom Verderben gerettet; denn ich wollte diese Nacht in ihr Zimmer steigen ... in der Hoffnung, sie ihrer Unschuld zu berauben ... Indeß, bevor ich sterbe, hätte ich sie gerne noch einmal sehen ... ihr ein letztes Lebewohl sagen mögen ;...«

»Ich will zu diesen Damen hingehen,« sagte Jerome, »sie sollen erfahren, was Ihnen begegnet ... was Ihr Wunsch ist ... Oh! ich zweifle gar nicht, daß Sie kommen werden, Sie zu pflegen. Adieu, mein Herr, suchen Sie wieder zu genesen, wenn es möglich ist ... Ich kehre nach Paris zurück, wo ich Herrn Guerreville seine Gesundheit vollkommen wiederzugeben hoffe.«

Nachdem Jerome diese Worte gesprochen, nahm er das Billet, das ihm Emil darbot und ging gerade in dem Augenblicke aus dem Gasthofe, als ein Arzt dort ankam. Der Wasserträger verfügte sich seinem Versprechen gemäß zu Madame Dolbert; aber im Augenblick, als er dort eintreten wollte, bemerkte er den Diener von Delaberge, welcher, dem Befehl seines Herrn gemäß, diesen unter Stephaniens Fenster erwartete.

»Sie warten vergebens auf Ihren Herrn,« sagte Jerome zu Düpré. »Er hat sich eben auf Pistolen geschlagen und nur noch wenige Augenblicke zu leben. Bringen Sie diese Nachricht den Damen Dolbert; Herr Emil Delaberge möchte sie noch vor seinem Tode sehen.«

Der Bediente blieb über diese Nachricht wie versteinert stehen; aber ehe er sich noch von seinem Staunen erholt hatte, war Jerome schon auf dem Wege nach Paris; denn der Auvergnate hatte solche Eile, zu Herrn Guerreville zu gelangen, daß er seine Schritte verdreifachte und den größten Theil der Wagen, die nach Paris fuhren, weit hinter sich ließ.

Trotz der angewandten Eile aber war es schon ein Uhr Nachts, als Jerome nach Paris kam. Der Auvergnate bedachte nun, was zu thun wäre. Sollte er sich so spät in der Nacht noch zu Herrn Guerreville begeben? Er hätte vielleicht, um sich Eingang zu verschaffen, das ganze Haus aufwecken und die Ruhe des kaum Genesenden, dem der Arzt die größte Schonung anempfohlen hatte, stören müssen. Jerome sah ein, daß er, trotz seines lebhaften Wunsches, Herrn Guerreville zu sprechen, seinen Besuch auf den folgenden Tag verschieben müsse. Der Wasserträger kehrte in seine bescheidene Wohnung zurück, aber schloß die ganze Nacht kein Auge. Er hatte den Brief, welchen Emil Delaberge ihm für Guerreville übergeben; aber obgleich dieser Brief nicht versiegelt war, so erlaubte sich Jerome doch nicht, einen Blick hineinzuwerfen; er hätte damit etwas Unrechtes zu thun geglaubt.

Endlich brach der Tag an. Jerome zählte die Minuten, die Sekunden. Um sechs Uhr ging er aus und richtete seine Schritte nach Herrn Guerreville's Wohnung, indem er zu sich sagte: »Wenn er noch schläft, nun gut! so warte ich eben sein Erwachen ab.«

Georg, der dem Auvergnaten die Thüre öffnete, konnte sich nicht enthalten, zu ihm zu sagen: »Sie kommen ja sehr früh, Herr Jerome.«

»Allerdings, Herr Georg, aber sehen Sie, wenn man gute Nachrichten mitzutheilen hat, kann man, glaube ich, niemals zu früh kommen. Vor allen Dingen: wie befindet sich Herr Guerreville?«

»Sehr wohl ... Oh! mit ihm hat's keine Gefahr mehr ... er ist gestern ein wenig aufgestanden, und in diesem Augenblicke schläft er noch tief.«

»Er schläft ... dann will ich seinen Schlaf nicht stören. Ich werde warten, bis er erwacht; aber sobald er die Augen öffnet, benachrichtigen Sie mich davon, Herr Georg.«

»Oh! ich verspreche es Ihnen.«

Jerome setzte sich in einen Winkel des Speisesaals; mehr als eine Stunde verlief und Herr Guerreville genoß noch immer eines sanften und friedlichen Schlummers.

»Ich bin froh,« sagte Jerome, »daß 'er so gut schläft! und doch würde ich mich nicht ärgern, wenn er aufwachte; aber ich werde warten, denn die Ruhe wird seine Genesung beschleunigen.« Eine halbe Stunde stoß wieder hin; es kam Jemand; es war der Doktor Jenneval, welcher sich erkundigen wollte, wie sein Freund die Nacht zugebracht. Als er Jerome bemerkte, ging er auf ihn zu, reichte ihm die Hand und sagte: »Was thun Sie hier?«

»Ich warte auf das Erwachen des Herrn Guerreville.«

»Sie wollen ihn heut« wahrscheinlich sprechen?«

»Ja; denn ich habe gethan ... was ich mir gelobt hatte ... und ich bringe ihm eine Nachricht, die ihm Freude machen wird ... das kann ihm doch nicht schaden, nicht wahr, Herr Doktor?«

»Nein, gewiß nicht!«

In diesem Augenblicke ertönte die Glocke in Herrn Guerreville's Zimmer, bald erschien auch Georg und verkündigte, daß sein Herr erwacht sei.

»Wir wollen eintreten,« sagte Jenneval und begab sich in das Schlafzimmer seines Freundes, gefolgt von dem Auvergnaten, welcher ganz aufgeregt war und zitterte, wie ein Kind, in dem Augenblicke, wo es eine große Freude empfindet.

»Guten Tag, mein lieber Jenneval,« sagte Guerreville, dem Doktor die Hand bietend; dann bemerkte er erst Jerome, der sich ihm auf den Zehen näherte.

»Ah! Sie sind es, mein theurer Jerome, kommen Sie doch näher, mein Freund, ich bin sehr erfreut, Sie zu sehen; ich weiß, daß Sie oft da waren, sich nach meinem Befinden zu erkundigen ... Aber ich habe nicht begreifen können, warum Sie nie hereinkommen wollten. Glaubten Sie vielleicht, mir lästig zu fallen? Beurtheilen Sie mich so falsch, daß Sie glauben könnten, Ihr Besuch sei mir gleichgültig?«

»O nein! mein theurer Herr, nein, das ist es durchaus nicht, aber sehen Sie ... ich hatte mir geschworen ... und ich wollte meinen Schwur halten.«

»Einen Schwur, Jerome?«

»Ja, mein Herr, denn als Sie sich geschlagen hatten ... als Sie verwundet wurden und fast gestorben wären, habe ich mir gesagt: Du, Du bist Schuld daran; denn Alles das wäre nicht vorgekommen, wenn ich Sie nicht gebeten hätte, zu Madame Dolbert zu gehen.«

»Jerome, machen Sie sich deßhalb keine Vorwürfe! Sie haben mir im Gegentheile einen Dienst damit geleistet, denn Sie haben mir dazu verholfen, Jemanden wieder zu finden, den ich seit langer Zeit suchte; das Schicksal der Waffen ist mir diesmal nicht günstig gewesen ... aber ich hoffe, daß ein anderes Mal ;...«

»Das ist unnöthig, Herr Guerreville, Sie brauchen sich nicht mehr mit Herrn Emil Delaberge zu schlagen ... ich habe es übernommen, Sie zu rächen ... und dem Himmel sei Dank, es ist mir vollkommen gelungen.«

»Was wollen Sie damit sagen, Jerome?« rief Herr Guerreville, sich halb in seinem Bette aufrichtend.

»Ich will damit sagen, daß ich mir geschworen hatte, Sie nicht früher wiederzusehen, ehe ich Sie an dem, der, wie man sagt. Ihr Unglück herbeigeführt hat, gerächt hätte. O! seit vierzehn Tagen lief ich ihm nach, und nicht ohne Mühe konnte ich die Gelegenheit finden, die ich suchte! Endlich aber, gestern Abend, stellte sie sich ein. Ich begegnete Herrn Emil auf dem Felde, in der Nähe jener Damen ... auf einem einsamen Fußpfade. Ich begann ein Gespräch mit ihm. Er wollte sich Anfangs nicht mit mir schlagen, aber ich habe ihn schon dazu gezwungen ... Ich habe ihm einen Stock angeboten, den wies er zurück; er reichte mir Pistolen hin, ich nahm eine: wir schossen uns sehr nahe, und er hat seinen Theil bekommen ... eine Kugel in die Brust. O! es würde mich sehr wundern, wenn er diesen Morgen noch lebte.«

»Jerome ... Jerome! wäre es möglich? ... Sie haben mich gerächt!«

»Ja, mein Herr; verzeihen Sie mir. daß ich also ohne Ihre Erlaubniß gehandelt habe ... aber ich konnte nicht anders! ... es ließ mich nicht ruhen!«

»Ah! Sie sind ein braver Mann!« sagte Jenneval, die Hand des Auvergnaten ergreifend.

»Ach, mein Gott, Herr Doktor, es bot sich mir eine Gelegenheit, mich für die mir längst erwiesenen Wohlthaten dankbar zu bezeigen ... war es nicht ganz natürlich, sie zu benutzen?«

»Guter Jerome,« sagte Herr Guerreville, »dieser Emil Delaberge war in der That sehr schuldig ... doch, ehe er starb, hätte ich gewünscht ... O, wenn er mir sein Unrecht hätte eingestehen können!«

»Er hat es eingestanden! ... seine ersten Worte waren, sich als sehr schuldig gegen Sie zu bekennen ... dann hat er einige Zeilen an Sie geschrieben und mir dringend empfohlen, sie Ihnen zu übergeben. Hier ist sein Schreiben ... o! ich habe es bei mir.«

»Wäre es möglich! ... Emil hätte endlich gestanden ... O! geben Sie her, Jerome, geben Sie rasch her!«

»Mein Freund,« sagte der Doktor, sich dem Bette nähernd, »ich fürchte, eine zu starke Aufregung möchte ;...«

»Nein, Jenneval, nein, fürchten Sie nichts; ich werde Kraft haben; seit langer Zeit bin ich auf Alles vorbereitet; aber Ungewißheit ist die schrecklichste aller Qualen.«

Jerome hatte in die Tasche gegriffen und das Papier herausgezogen, welches er sorgfältig umwickelt hatte; er gab es Guerreville, der es zitternd ergriff und hastig durchlas. Dann fielen große Thränen aus seinen Augen und er vermochte nur auszurufen: »O der Elende! ich hatte sein schändliches Betragen wohl errathen.«

»Was schreibt er Ihnen denn?« fragte Jenneval.

»Ich will Ihnen vorlesen, was er mit zitternder Hand hingeschrieben hat; zuvor aber, mein Freund, soll Jerome erfahren, wie groß die Schuld dieses Emils war, und er soll sein ganzes Benehmen gegen mich kennen lernen. So hören Sie denn, Jerome, und urtheilen Sie, ob mein Haß gegründet war. Ich hatte eine Tochter, die ich anbetete, sie war die Hoffnung meiner alten Tage, sie war meine Zukunft, mein Glück, ... auf meiner Tochter beruhte mein ganzes Dasein. Sie war jung, schön, gefühlvoll. Dieser Emil kam unter einem angenommenen Namen in mein Haus; es gelang ihm, meine Tochter zu verführen, ihre Vernunft zu verwirren, indem er sie glauben machte, ich würde niemals meine Einwilligung zu ihrem Glücke geben. Der Schändliche! er wollte sie nicht heirathen, er wollte sie nur entehren! ... Endlich entführte er sie mir, und alle meine Nachforschungen waren vergeblich. Ich konnte nicht erfahren, was er mit meinem Kinde angefangen hatte. In der ersten Zeit schrieb mir meine Tochter noch, sie versprach mir, wiederzukommen ... mit ihrem Gatten ... Ach! sie schmeichelte sich noch mit der Hoffnung, ihr Entführer werde sie heirathen; bald aber blieben die Briefe aus, und seit neun Jahren habe ich keine Nachricht mehr von meiner Tochter erhalten.«

»Neun Jahre!« rief Jerome aus, der mit jedem Augenblicke größeren Antheil an Guerreville's Erzählung zu nehmen schien; »neun Jahre! ... das ist sonderbar!«

Ohne Jerome's Ausruf zu beachten, fuhr Guerreville in seiner Erzählung fort.

»Sie können sich nun meinen Schmerz, meine Verzweiflung denken. Vergeblich reiste ich überall umher ... nichts, keine Nachricht, weder von meiner Tochter noch von ihrem Entführer. Aber stellen Sie sich mein Erstaunen, meinen Unwillen vor, als ich in diesem Emil Delaberge denjenigen erkannte, welcher sich unter dem Namen Daubray bei mir eingeschlichen hatte. Der Elende! er stand im Begriff, sich zu verheirathen ... Ah, meine erste Bewegung war, meine Tochter von ihm zurückzufordern. Der Niederträchtige that, als ob er mich nicht kenne. Ich zwang ihn, sich mit mir zu schlagen; Sie kennen den Ausgang dieses Kampfes. Heute, in seiner Sterbestunde, ist endlich sein Gewissen erwacht ... aber er gibt mir meine Tochter nicht wieder. Sehen Sie, was er mir schreibt ... Hören Sie, hören Sie wohl!«

Guerreville nahm das Papier und las mit einer von Thränen erstickten Stimme: »Ich bin sehr schuldig, mein Herr, aber im Augenblicke, da ich sterben soll, erkenne ich meine Fehler. Ja, ich habe Ihnen Ihre geliebte Tochter entführt und sie insgeheim nach Paris gebracht; aber ich hatte nie die Absicht, sie zu heirathen. Nach Verfluß von sechs Monaten verließ ich sie, müde ihrer Klagen. Aber das Schändlichste dabei war, daß sie gerade damals Mutter werden sollte ;...«

»Mutter!« rief Jerome und schlug sich an die Stirne.

»Und dieser heilige Titel rührte mein Herz nicht. Ach, ich bin ein Ungeheuer! Was nach dieser Zeit aus Ihrer Tochter geworden ist, weiß ich nicht, ich sah sie niemals wieder. Heute ist sie gerächt worden ... ich werde sterben und ich fühle, daß ich keine Verzeihung verdiene!«

»Meine arme Tochter! ... mein liebes Kind!« rief Guerreville, als er den Brief zu Ende gelesen hatte. »O! ohne Zweifel ist sie aus Verzweiflung gestorben! Aber sie sollte Mutter werden ... O, mein Gott! ich hätte noch nicht Alles verloren, wenn du mir wenigstens ihr Kind gelassen hättest.«

»Mein Freund, mein Freund, ich bitte Sie um Alles, beruhigen Sie sich!« sagte der Doktor, indem er Guerreville's Hände ergriff. »Ja, das Benehmen dieses Delaberge war abscheulich, aber Jerome hat Sie doch wenigstens gerächt und ... Aber sehen Sie doch, wie dieser brave Mann aufgeregt ist ... Ihre Erzählung hat einen tiefen Eindruck auf ihn gemacht.«

In der That konnte Jerome nicht mehr auf einer Stelle bleiben; er ging, kam wieder, sprach abgebrochene Worte aus, indem er Guerreville mit gerührten Blicken betrachtete; endlich trocknete er die Schweißtropfen ab, die von seiner Stirne herabfielen, und er bemühte sich vergeblich, die Thränen zurückzuhalten, welche seine Augen verdunkelten.

»Jerome, mein Freund, was haben Sie denn?« fragte Guerreville, den Auvergnaten mit Unruhe ansehend; »Sie weinen, wie ich glaube.«

»Ach, mein guter Herr ... beklagen Sie mich nicht ... sie sind so süß, diese Thränen der Freude, des Glückes ... Ach! mein Gott, wäre es möglich! ... O! aber ich würde zu glücklich sein ... ich wage noch nicht, daran zu glauben.«

»Erklären Sie sich doch, mein Freund.«

»Ach! das kann ich nicht ... ich ersticke; aber ehe ich spreche, muß ich nach Hause laufen ... die Papiere, die Briefe hervorsuchen, welche als Beweise dienen sollen. O! Gott sei Dank, ich habe immer Alles sorgfältig aufbewahrt ... Warten Sie auf mich ... warten Sie auf mich; o! ich werde nicht lange ausbleiben.«

Und Jerome lief wie toll hinaus. Guerreville und der Doktor sahen einander an, sie begriffen das Benehmen des Wasserträgers durchaus nicht, aber erwarteten deßhalb nur um so ungeduldiger seine Zurückkunft.

Noch waren nicht zehn Minuten verflossen, als Jerome keuchend, mit Schweiß und Staub bedeckt, zurückkehrte; ersetzte sich rasch an Guerreville's Bett, indem er sagte: »Jetzt, mein Herr, hören Sie mich an ... ich werde mich deutlicher erklären. Es mögen nun ungefähr neun Jahre sein ... ja, es war im Monat Oktober, meine arme Frau lebte noch; wir hatten eben ein kleines Dachstübchen in einem Hause der Sanct-Martinsstraße gemiethet. Da sagte mir eines Tages, als wir nach Hause kamen, meine Frau: »›;Wir haben unter uns eine junge Frau zur Nachbarin, die sehr artig ist, die aber sehr traurig und unglücklich zu sein scheint; sie ist nahe daran, Mutter zu werden, und ihre Augen zeigen, daß sie beständig weint. Ich bilde mir ein, daß es ein junges Mädchen ist, das irgend ein schlechter Mensch verführt hat und dann sitzen ließ.‹«

»O! mein Gott!« rief Guerreville, Jerome unterbrechend, »diese arme Frau war vielleicht ;...«

»Warten Sie, warten Sie ... und Muth, mein Herr. Ich sagte zu meiner Frau: besuche diese arme Dame und nimm keinen Anstand, ihr Deine Dienste anzubieten, wenn sie deren bedarf; Nachbarn müssen sich einander helfen. Darauf hatte meine Frau nur gewartet. Sie ging hin und bot der jungen Nachbarin ihre Hülfleistung und ihre Dienste an; diese war über das freundliche Entgegenkommen meiner Frau sehr gerührt, und wenn sie mit ihr sprach, sagte sie immer:, »›;Sobald mein Kind auf die Welt gekommen sein wird und ich wieder genug Kräfte werde erlangt haben, will ich zu meinem Vater zurückkehren ... zu meinem Vater, den ich verlassen habe ... aber der mir verzeihen wird, denn er ist so gut! O! ja, bei ihm werde ich nicht mehr unglücklich sein.‹«

»Ach, Jerome, sie war's ... meine Pauline, meine Tochter ... O ja! sie mußte so sprechen.«

»Mein Freund, Muth!« sagte der Doktor; »so viele Aufregungen ... ich fürchte ;...«

»O, Doktor, lassen Sie ihn sprechen! Vollenden Sie, Jerome.«

»Kurz, meine Frau tröstete diese junge Dame, so viel sie es vermochte. Sie sah wohl ein, daß diese auch einen Undankbaren beweinte, der sie verlassen hatte, dessen Namen sie aber niemals aussprach. So vergingen einige Tage. Da vermehrten sich in einer Nacht die Leiden der jungen Dame, sie war ihrer Niederkunft nahe ... ich lief zu einer Hebamme ... Endlich, nach großen Schmerzen, gebar die junge Nachbarin ein Mädchen, das sehr zart, sehr schwach aussah und schon zu leiden schien, wie seine Mutter; meine Frau wich nicht von der armen jungen Dame. Am Morgen nach ihrer Entbindung fühlte sie sich gar nicht wohl, wollte jedoch an ihren Vater schreiben. Da sie fürchtete, lange Zeit schwach zu bleiben, so wünschte sie, ihm ihre Tochter anzuvertrauen und ihm ihr Kind zu empfehlen. Sie fing einen Brief an ... aber sie weinte, während sie schrieb ... kurz, sie hatte nicht die Kraft, ihn zu beenden; ihre Leiden vermehrten sich, bald ergriff sie ein Delirium, das sie nicht mehr verließ ... und am folgenden Tag ;...«

»O mein Gott, mein armes Kind! ... Aber diesen Brief ... diesen Brief, Jerome!«

»O, ich habe ihn ... den habe ich gerade zu Hause geholt. Unglücklicherweise hatte die junge Dame nicht mehr die Kraft, die Adresse darauf zu setzen, sonst, das können Sie sich wohl denken, würde ich ihn ihrem Vater gebracht haben. Sehen Sie ... sehen Sie, hier ist er.«

Jerome reichte Guerreville einen angefangenen Brief hin; dieser hatte nicht sobald einen Blick hineingeworfen, als er einen Schrei ausstieß, den Brief an seine Lippen drückte und ausrief: »Meine Tochter! meine Tochter! ... O, freilich, sie war es. Ihre geliebte Hand hat diese Zeilen geschrieben!«

Alsdann las Guerreville mit von Schluchzen unterbrochener Stimme:

»Verzeihen Sie mir, mein guter Vater! Ihre Pauline war sehr schuldig, aber der Himmel hat sie auch sehr dafür bestraft. Ich bin Mutter ... ich habe eine Tochter geboren. Lieben Sie sie, wie Sie mich einst liebten, und wenn ich Sie nicht mehr sehen sollte ;...«

»Armes Kind! ... ihre Hand konnte nicht weiter schreiben ... Sie ist todt! ... todt ... ohne daß ich sie noch einmal ans Herz drücken konnte.«

Herr Guerreville wollte sich von Neuem der Verzweiflung hingeben, als ihn Jerome beim Arme ergriff und sagte: »Mein Herr, mein Herr, vergessen Sie denn, daß Pauline nicht ganz todt für Sie ist, daß sie eine Tochter hinterlassen hat ... ihr zweites Ich?«

»In der That, Jerome ... aber dieses Kind ;...«

»Dieses Kind? Ei, alle Welt, ich habe für dasselbe gesorgt, ich ... ich habe es behandelt wie meine eigene Tochter, da seine Mutter gestorben war, ohne über ihre Familie den mindesten Fingerzeig zu hinterlassen. Das arme Kind! ... was wäre aus ihm geworden! aber Jerome war da ... Und ahnen Sie denn nicht, daß jene kleine Zizinette ;...«

»Wäre es möglich?«

»Ja, mein Herr! ja ... das ist die Tochter Ihrer armen Pauline ... Ich habe noch Niemand gesagt, daß ich nicht ihr Vater bin; wozu sollte man auch von dem wenigen Guten, das man gethan hat, sprechen ... Auch habe ich nur deßhalb darein gewilligt, mich von ihr zu trennen ... weil ich dachte, es sei zu ihrem Glücke und ich hätte nicht das Recht, mich dem zu widersetzen.«

»Jerome ... mein theurer Jerome! ... O! Sie sind ein Gott für mich!«

Guerreville öffnete dem Auvergnaten seine Arme, welcher hineinstürzte, und so hielten sie sich längere Zeit umschlungen.

Als endlich der Augenblick der ersten Aufregung vorüber war, suchte man sich zu beruhigen, sich zu verständigen. Herr Guerreville wollte aufstehen, um auf der Stelle Zizinen zu holen, aber der Doktor widersetzte sich dem; der Kranke gab jedoch erst dann nach, sich ruhig zu verhalten, als Jerome ihm versprochen hatte, sich sogleich in einem Kabriolet nach Beaumont zu begeben, um Zizinen zurückzubringen.

»Aber,« sagte Guerreville, »sollte dieser Emil noch leben, so hüten Sie sich wohl, ihm zu sagen, daß dieses Kind seine Tochter ist. Der Niederträchtige! er hat die Mutter verlassen und ist daher nicht werth, seine Tochter jemals in seine Arme zu schließen.«

»O! seien Sie ruhig,« sagte Jerome, »nimmer werde ich ihm meine theure Kleine anvertrauen! Nicht für ihn habe ich sie erzogen und neun Jahre hindurch Sorge für sie getragen.«

Der brave Auvergnate konnte nicht mehr ruhen; Georg hatte einen Wagen herbeigeholt und setzte sich auf Befehl seines Herrn mit Jerome ein. Dem Kutscher wurde gesagt, daß er bekommen sollte, was er nur fordern würde, wenn er rasch fahre; man flog über das Pflaster, daß die Funken stoben; um elf Uhr Vormittags waren sie in Beaumont.

Jerome ließ vor dem Hause der Madame Dolbert halten. Er wollte eintreten, da hielt ihn der Portier mit den Worten zurück: »Die Damen sind in dem Gasthause des Dorfes; Herr Emil Delaberge ist dort, der ein Duell gehabt hat. Es steht sehr schlimm mit ihm ... so schlimm, daß man ihn nicht mehr hierher hat bringen können ... Die Damen verpflegen ihn.«

»Und Zizine?«

»Ist bei den Damen.«

Jerome schlug sogleich den Weg nach dem Gasthause ein; er trat ein; an den traurigen Mienen Aller erkannte er, daß es mit dem Verwundeten nicht besser gehe; ein Dienstmädchen führte ihn in das niedrige Zimmer, in welchem Emil lag, indem sie zu ihm sagte: »Wenn Sie ihn noch einmal sprechen wollen, so beeilen sie sich, denn der Arzt versichert, er werde den Tag nicht überleben.«

Jerome trat leise in das Zimmer. An einem Fenster stand Madame Dolbert und versuchte es, Stephanien zu trösten, welche bitterlich weinte; denn Emil hatte, indem er seiner Braut alle seine früheren Fehler und selbst das Attentat, welches er noch eben gegen sie im Sinne gehabt hatte, gestand, durch seine Reue ihre Liebe für sich wieder zu erwecken gewußt; am meisten aber rührte es den Auvergnaten, daß er die kleine Zizine an dem Bette des Verwundeten knieen sah.

»Tritt näher, arme Kleine,« sagte Emil mit schwacher Stimme; »ich liebte Dich nicht, ich habe Dir nie ein freundliches Wörtchen gesagt ... doch heute, ich weiß nicht, warum ... heute macht es mir Vergnügen, Dich zu sehen ... Zizine, verzeihe mir auch ... und bitte den Himmel, daß er mir vergebe.«

Das Kind weinte und betete. In diesem Augenblicke näherte sich Jerome; er gab Madame Dolbert ein Zeichen, Stephanien zu entfernen, aber nur mit vieler Mühe gelang es der Mutter, ihre Tochter aus dem Gasthause fortzubringen und sie dem traurigen Anblicke von dem Tode desjenigen zu entziehen, der ihr Gemahl hatte werden sollen.

Als Madame Dolbert und ihre Tochter das Zimmer verlassen hatten, näherte sich Jerome Emil, und indem er auf Zizinen, die noch immer auf den Knieen lag, zeigte, sagte er ganz leise zu ihm: »Möge der Himmel Ihnen gnädig alles das Böse verzeihen, das Sie ihrer Mutter zugefügt haben.«

»Ihrer Mutter?« murmelte Emil; »o mein Gott! wäre es möglich! ... dieses Kind! ;...«

Er hatte nicht mehr die Kraft, weiter zu sprechen, er ergriff Zizinens Hand und wollte sie an seine Lippen bringen, aber im gleichen Augenblicke schlossen sich seine Augen, um sich nicht wieder zu öffnen.

Jerome nahm hierauf die Kleine in seine Arme und beeilte sich, das Gasthaus zu verlassen. Er begab sich zu Madame Dolbert und brachte ihr die Nachricht, daß Emil aufgehört habe zu leben.

»Nun,« sagte Jerome mit triumphirender Miene, »kann ich diese Kleine zu ihrem Vater bringen.«

»Zu ihrem Vater?« riefen gleichzeitig Madame Dolbert und Stephanie aus, während das Kind seine Arme um den Auvergnaten schlang und zu ihm sagte: »Aber Du bist ja mein Vater ... willst Du mich nicht mehr zur Tochter haben?«

»O, liebe Kleine, ich liebe Dich so sehr, als ob Du mein Kind wärest; jetzt aber mußt Du die Wahrheit erfahren. Ich bin nicht Dein Vater, ich habe nur Sorge für Deine Kindheit getragen ... Du hast mir dafür reichlich durch Deine Zärtlichkeit und Deine Liebe vergolten. Arme Zizine! ... Ich habe Deine Mutter sterben sehen, und hatte gar keinen Anhaltspunkt, um nach Deinen Verwandten zu forschen. Es war daher ganz in der Ordnung, daß Du mich Deinen Vater nanntest. Aber heute hat der Himmel gewollt, daß ich Deinen rechten Vater entdeckte; Deine Mutter, theure Kleine, Deine Mutter war die Tochter des guten Herrn Guerreville, der unser Wohlthäter geworden ist; er suchte und beweinte sie seit neun Jahren ... aber er hat nicht Alles verloren, da er Dich wiederfand. Du wirft ihm seine theure Pauline ersehen ... denn Du bist ja auch seine Tochter, Du! ... und Du wirst ihn recht sehr lieben, nicht wahr? ... Du wirst durch die Macht der Zärtlichkeit suchen, ihm endlich das Glück wiederzugeben, dessen er schon so lange beraubt war.«

»O ja, ich liebe Herrn Guerreville sehr,« sagte Zizine weinend, »aber ich will auch, daß Du noch immer mein Vater bleibest!«

Stephanie, die Alles mit angehört hatte, drückte die Kleine an ihr Herz und sagte: »So verliere ich nun Alles auf einmal ... die Liebe und die Freundschaft ... Alles, was meinem Leben einen Reiz geben sollte ... meine Hoffnungen für die Zukunft!«

»O, tröste Dich, meine liebe Freundin,« sagte Zizine, »Herr Guerreville ist sehr gut ... Er weiß Alles, was Du für mich gethan hast, und wird mir erlauben, Dich oft zu besuchen. Nicht wahr, Jerome?«

»Ja! ohne Zweifel! ich stehe dafür, wir werden jetzt Alle recht glücklich sein ... Aber Dein Großvater erwartet Dich, liebe Zizinette. Seit neun Jahren weint dieser brave Mann, und es ist wohl Zeit, ihn zu trösten.«

Jerome hörte weiter auf nichts, er trug die Kleine fort und stieg mit ihr in das Kabriolet, wo er sie auf seinen Schooß setzte; denn der gute Auvergnate wollte sich noch die letzten Augenblicke zu Nutze machen, in denen er Zizinen als seine Tochter behandeln konnte; aber während des ganzen Weges hörte er nicht auf, dem Kinde zu wiederholen: »Du mußt Herrn Guerreville sogleich Deinen Vater nennen ... immer Deinen Vater ... O! das wird ihm wohl thun, sich so nennen zu hören; dieser liebe Herr! ... das wird seine Genesung sehr rasch bewirken.«

Endlich war man in Paris und hielt vor Herrn Guerreville's Wohnung. Dieser war aufgestanden und hatte sich ins Fenster gelegt; der Doktor hatte ihm das nicht verbieten können. Als er Zizinen aus dem Wagen steigen sah, verdunkelten sich seine Blicke, Thränen befeuchteten seine Augen und er sank fast bewußtlos auf seinen Lehnstuhl. Aber er kam wieder zu sich, als ihm eine sanfte Stimme sagte: »Lieber Vater, willst Du nicht Deine Tochter küssen?«

Wer könnte nun das Glück, das Entzücken dieses Mannes schildern, der sich seit neun Jahren nicht mehr bei diesem Namen hatte nennen hören! Er drückte Zizinen in seine Arme, überschüttete sie mit Liebkosungen und konnte nicht müde werden, sie zu betrachten, denn in diesem Kinde sah er ja auch seine Pauline wieder.

»Braver Jerome!« sagte Guerreville, als er die Kraft zu sprechen wiedergefunden hatte, »Ihnen verdanke ich mein ganzes Glück! O mein Freund, verlassen Sie mich nicht mehr. Ich wünsche, daß Sie Ihren Stand verlassen und den Rest Ihrer Tage in Ruhe und Wohlstand verleben möchten.«

»Ich mich zur Ruhe begeben?« sprach Jerome. »Ah, warum denn? ich bin nicht krank! ... Meinen Stand verlassen? ... O! nein, Herr Guerreville. Erlauben Sie mir, immer Wasserträger zu bleiben, und nur Wasserträger ... Sie werden mich deßhalb nicht weniger gern bei sich sehen, und ich dadurch nur um so lieber kommen ... Ja! wenn ich nicht mehr die Kraft haben sollte, Meine Eimer zu tragen, dann würde ich nicht nein sagen! dann würde ich sie um ein kleines Lager ... in irgend einem Winkel bitten ... Sie werden mir doch immer erlauben, meine Zizinette zu küssen ... das ist Alles, was ich bedarf, um glücklich zu sein.«

Statt aller Antwort drückte Herr Guerreville den Auvergnaten an seine Brust, und die Kleine sprang ihm an den Hals.

Man sagt, große Aufregungen seien gefährlich, aber diejenigen, welche die Freude erzeugt, thun selten weh. Acht Tage nach diesem Ereignisse war Herr Guerreville vollkommen hergestellt; seine Enkelin hatte ihn aber auch nicht einen Augenblick verlassen, und sie war so liebenswürdig, so sanft, so zärtlich, daß er nicht müde werden konnte, zu ihr zu sagen: »Mein theures Kind! Du hast mir meinen Verlust vollkommen ersetzt.«

Madame Dolbert kam mit ihrer Stephanie nach Paris zurück. Unter braven Leuten kommt ein Freundschaftsverhältniß bald zu Stande. Herr Guerreville fühlte sich glücklich, Madame Dolbert und Stephanien seine volle Dankbarkeit für dasjenige an den Tag legen zu können, was sie für Zizinen gethan hatten. Es bildete sich ein festes Band zwischen diesen guten Menschen, und auf diese Weise sah Zizine ihre junge Beschützerin sehr oft.

Jerome kam häufig, um diejenige, die er einst seine Tochter genannt, zu umarmen, und der Anblick von Zizinens Glück belohnte ihn für Alles, was er für sie gethan hatte.

Der Doktor Jenneval, dieser aufrichtige und ergebene Freund, dessen angestrengte Sorgfalt Guerreville's Leben erhalten hatte, schien auch zur Familie zu gehören, und nach Verlauf von einiger Zeit verlöschten sein liebenswürdiger Charakter und die Heiterkeit seines Geistes bei Stephanien die Erinnerung an ihre erste Liebe.

Vadevant verließ an einem schönen Morgen Paris und reiste nach Algier, um der Heirath seiner Cousinen Devaux beizuwohnen, denen es endlich gelungen war, zwei Beduinen zu fesseln.

Eines Tages besuchte Jenneval seinen Freund, nahm ihn bei Seite und sagte zu ihm: »Ihre entflohene Pathe ist ohne Herrn Adalgis zurückgekehrt, Madame Grillon aber versichert, daß ein gewisser Herr Lélan sehr geneigt sei, sie zu heirathen; endlich ist auch unser junger Künstler Julius, nachdem er ohne Erfolg in einigen Provinzialstädten gespielt, nach Paris zu seiner Mutter zurückgekehrt, deren Gatte ihm jedoch sein Durchgehen nicht verzeihen will.«

»Mein Freund,« sagte Guerreville, »greifen Sie in meine Kasse, thun Sie, was Sie für angemessen finden ... Ich werde Agathen ausstatten und Julius so viel geben, daß er sich etabliren kann ... Ich wünsche Beider Glück; aber daß ich sie liebe ... daß ich ihnen gut sei, wie meinen Kindern ... ach! das ist mir nicht möglich! ... Glauben Sie mir, Doktor, wir empfinden die Vatergefühle nur bei denjenigen, welche uns diesen so süßen Namen geben und die wir uns nicht scheuen, öffentlich unsere Kinder zu nennen.


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