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Zehntes Kapitel

Ein Professor der Deklamation

Der Doktor hatte den Vorschlag, den ihm Herr Guerreville gemacht, ihn zu einem Professor der Deklamation zu führen, nicht vergessen. An dem von Julius angegebenen Tage holte er gegen Mittag seinen Freund ab, und Beide schlugen den Weg nach der kleinen Heulerstraße ein.

»Ich möchte dem Professor nicht rathen, in diesem Quartier ein Theater zu errichten,« sagte Jenneval, während sie über die Straße Bourg l'Abbé gingen, »ich glaube nicht, daß die Anziehungskraft des Schauspiels die Leute bewegen könnte, dem Kothe Trotz zu bieten, den man hier das ganze Jahr hindurch findet, es gehört schon viel Muth oder Beruf dazu, in der kleinen Heulerstraße dramatischen Unterricht zu nehmen.«

»Und was werden Sie erst von Denjenigen sagen, welche hingehen, um die Zöglinge anzuhören?«

»Ich werde sagen, daß das, was man nur einmal so zufällig thut, immer einigen Reiz hat, wäre es auch nur der der Neugierde.«

In der kleinen Heulerstraße angekommen, blieb Herr Guerreville mit seinem Gefährten bei der Hausnummer, welche auf der Adresse stand, stehen: Es war ein altes und schlechtes Haus, in das man durch einen langen finstern Gang gelangte, in welchem alle möglichen Dinge verrichtet wurden, wodurch die Eintretenden sich veranlaßt sahen, ihre Schritte zu beschleunigen. Im Hintergrunde fand man, tappend, rechts eine Treppe, und nach und nach, wenn sich die Augen an diese Dunkelheit gewöhnt hatten, fing man auch an, etwas von den Stufen zu bemerken, halb aus Holz und halb aus Stein, und ein Geländer, bei welchem Einen der Muth verließ, sich mit der Hand daran zu halten.

»Dieses Haus ist fürchterlich schmutzig,« sagte Herr Guerreville, indem er seinen Begleiter ansah.

»Das ist das alte Paris,« erwiderte der Doktor lachend; »es gibt Leute, welche dieses Haus bewunderungswürdig finden würden, weil es aus dem Mittelalter stammt. ... und welche Diejenigen Vandalen nennen, die solche pestilenzialische Kloake über den Haufen werfen und an ihre Stelle luftige, helle, saubere Häuser bauen, in die man ohne Furcht, den Hals zu brechen, hineingehen kann; glücklicherweise verschönert sich Paris zum Verdruß dieser Alterthumsfreunde täglich mehr, und nach einem unvermeidlichen Besuche in der Mange- oder großen und kleinen Heulerstraße kann man in der Friedens- oder Rivolistraße wieder frei aufathmen. Aber ich meine, daß auch wir gut thäten, uns in diesem Gange nicht aufzuhalten.«

»Aber ich sehe ja keinen Portier.«

»Einen Portier! ein solches Möbel war zur Zeit, als man dies Haus erbaute, noch überflüssig! Damals kamen die Bürger selbst herunter, ihre Thüren zu öffnen und zu schließen ... Gehen wir hinauf ... wir werden am Ende schon finden, was wir suchen; aber im ersten Stocke brauchen wir uns nicht aufzuhalten; das wäre überflüssig, denn der Herr Professor Krätzer wohnt sicher höher.«

Die Herren gelangten in den zweiten Stock, wo auf einer Art von Treppenabsatz, welcher sich vor dem Corridor befand, vier Thüren waren.

»Wollen wir an eine dieser Thüren klopfen?« fragte Herr Guerreville.

»Nach Belieben; aber ich vermuthe, daß der Professor noch höher wohnt.«

Herr Guerreville klopfte an eine Thüre, keine Antwort; an eine zweite, keine Antwort; an die beiden andern, dasselbe Stillschweigen.

»Was soll denn das bedeuten, Doktor? Ist denn dieses Haus unbewohnt?«

»Ich glaube im Gegentheil, daß es stark bewohnt ist; wahrscheinlich aber von Arbeitern, die jetzt bei ihrem Geschäfte sind. Wir wollen noch höher hinauf.«

Im dritten Stocke war eine Thüre offen und gewährte den Anblick in ein kleines Zimmer, in welchem als einziges Möbel ein Kehrbesen stand, an dem aber von Borsten fast keine Spur mehr vorhanden war. Herr Guerreville ging in dieses Zimmer, indem er an die Thüre klopfte; man antwortete nicht, aber bald ließ sich aus dem Gemache, das sich im Hintergrunde befand, Kindergeschrei vernehmen. Der Doktor, welcher Herrn Guerreville gefolgt war, entschloß sich, eine Thüre zu öffnen, und ein Gemälde, welches des Pinsels eines Biard würdig gewesen wäre, bot sich ihren Blicken dar.

In einem schlecht möblirten Zimmer, ohne Fenstervorhänge und der Tapeten an den Wänden fast gänzlich beraubt, befand sich auf der einen Seite ein abscheuliches Bett, auf der andern eine Art Wiege; in der Mitte des Zimmers stand ein runder Tisch, darauf einige Tassen, Brod und ein Teller mit einem großen Stück Käse; auf dem Bette lag ein Kind von drei bis vier Jahren, ungewaschen und ungekämmt, aber stark und kräftig. In der Wiege lag ein anderes, jüngeres Kind, das aber auch kräftig und gesund aussah; in dem Kamine endlich war Feuer unter einem Roste, auf welchem ein Pfännchen mit Milch stand.

In dem Augenblicke, wo der Doktor die Thüre öffnete, schrieen die beiden Kinder ganz jämmerlich; demjenigen, das auf dem Bette lag, traten die Augen fast aus dem Kopfe heraus, so sehr strengte es sich in seinem Schmerze an. Das kleinere schnitt unter fortwährendem Plärren gräßliche Gesichter, und während es die Arme nach dem Kamine ausstreckte, beugte es sich so sehr aus der Wiege heraus, daß es in Gefahr zu schweben schien, auf den Boden zu stürzen.

Ah! mein Gott! was ist diesen Kindern begegnet?« sprach Herr Guerreville, der hinter dem Doktor ins Zimmer trat, »sie sind wahrscheinlich krank ... und ihre Eltern lassen sie so allein ... Sehen Sie doch, Doktor, was man thun kann, um sie zu besänftigen.«

Aber schon lachte der Doktor laut auf, indem er Herrn Guerreville auf der einen Seite eine Katze zeigte, die mit dem Stück Käse davon rannte, und auf der andern die Milch, welche am Feuer aufgekocht war, und nun von allen Seiten über den Topf lief. Das war die wahrhafte Ursache, welche die Kinder zu dem Jammergeschrei veranlaßte; jedes von ihnen sah sein Frühstück dahinfliehen und war in Verzweiflung, es nicht retten zu können.

Jenneval nahm den Topf vom Roste herunter und entriß der Katze das Stück Käse, legte es wieder auf den Teller, und alsbald hörte das Geschrei auf; die beiden Kleinen begnügten sich in verschiedenen Tonarten zu rufen: »Ich habe Hunger, ich will essen ... ich habe Hunger! ;...«

In diesem Augenblicke trat eine Frau, die ein Foulard um den Kopf gebunden hatte, in das erste Zimmer, und da sie von dort aus die beiden Fremden bemerkte, von denen der Eine eine Pfanne in der Hand hielt, so fing sie fast eben so arg als ihre Kinder zu schreien an: »Diebe! ... zu Hülfe! ... Es sind Diebe bei mir! ;...«

Und als die Kinder ihre Mutter schreien hörten, fingen sie auch wieder an zu heulen, ohne zu wissen warum, aber ohne aufzuhören.

Dies unerwartete Zetergeschrei betäubte Jenneval dermaßen, daß ihm das Pfännchen aus den Händen und auf die Katze fiel, der die siedende Milch, welche noch darin geblieben war, auf den Kopf floß. Die gebrühte Katze raste, sprang auf den Tisch, zerbrach die Tassen und eine Flasche; die Kinder und die Mutter schrien noch stärker, Jenneval lachte laut auf, Herr Guerreville allein blieb ruhig und kalt mitten in dieser Verwirrung.

Zwei alte Frauen kamen aus zwei Thüren des Vorsaals heraus; die Eine in der Nachtjacke und in einem gestrickten Unterrocke, der sich an ihre Hüften anlegte, mit einem alten Foulard um den Kopf und einem Romane in der Hand, die Andere in einem schwarzen Kleide, welches aussah, als ob man Federn darauf getrocknet hätte, und einem Hute, der alle Farbe verloren hatte, dessen Schirm aber seiner Breite halber ebenso wohl als Lichtschirm, wie als Wetterdach und als Regenschirm dienen konnte.

Während diese Damen sich erkundigten, was geschehen sei, näherte sich Herr Guerreville der Frau mit dem Tuche um den Kopf, und gab ihr endlich zu verstehen, daß er zu ihr gekommen sei, um sich nach der Wohnung des Herrn Krächzer zu erkundigen, und daß sein Freund, in dem Augenblicke, wo sie eintraten, das Frühstück ihrer Kinder habt retten wollen.

Jenneval, der sich indessen wieder gefaßt hatte, hob den Topf auf und reichte ihn der in Thränen zerfließenden Mutter hin, indem er sagte: »Ich hätte noch eine Tasse Milch gerettet ... Ihr Jammergeschrei aber war Schuld daran, daß ich den Rest verschüttet habe, und daß Ihre Katze auf so schreckliche Weise für ihre Naschhaftigkeit bestraft worden ist! Indeß, da ich mir die Schuld an dem Schaden, welchen dieses arme Thier angerichtet hat, zuschreiben muß, so bitte ich Sie, mir zu erlauben, daß ich ihn bezahle.«

Mit diesen Worten legte der Doktor ein Hundertsousstück auf den Tisch, und da Alles, was die Katze zerbrochen hatte, kaum dreißig Sous werth war, so fing die Mutter der beiden Affengesichter an, sich in Höflichkeitsbezeigungen zu erschöpfen und wurde übertrieben artig; und die beiden Alten, welche im Vorzimmer auf der Warte standen, sprachen zu einander: »Diese Madame Limousse ist glücklich! ... Ihre Katze bringt ihr Geld ein ... Es gibt Leute, welche in Allem Glück haben! ... Meine Katze hat mir noch nichts eingebracht als Unreinlichkeit und Aerger!«

»Und ich habe in meinem Leben schon zehn prächtige Hunde gefunden! aber die hat man weder in Zeitungen gesucht, noch wurde eine anständige Belohnung für ihre Rückgabe geboten; ich fütterte sie wochenlang und Niemand forderte sie zurück ... Ich bekam nichts als Flöhe davon, das war Alles! ... Da vergeht es Einem, Gutes zu thun.«

Bevor sich Herr Guerreville entfernte, wandte er sich noch an die Mutter der beiden Kinder mit den Worten: »Sagen Sie mir, Madame, als wir hereintraten, schrien Ihre Kinder sehr heftig und verlangten zu essen; haben sie denn noch nicht gefrühstückt?«

»Nein, mein Herr.«

»Wie ... so spät! es ist schon halb ein Uhr.«

»Ach Gott, mein Herr, was kann ich machen? Ich bediene Leute und muß frühe ausgehen ... Ich habe im gegenwärtigen Augenblicke drei Partien und kann nicht eher nach Hause kommen, als bis meine Geschäfte besorgt sind.«

»Und wenn Sie nun fünf, sechs Partien hätten?«

»Dann müßten eben meine Kinder noch später frühstücken! Aber das schadet ihnen nichts, sie sind daran gewöhnt.«

»Könnten Sie denn ihr Frühstück nicht auf ihr Bett hinstellen?«

»O nein, dann verschlängen sie Alles zu schnell! sie würden ersticken, die kleinen Engel!«

»Eine sonderbare Art und Weise, seine Kinder zu lieben und zu erziehen,« sagte Jenneval, indem er aus dem Zimmer ging. »Aber apropos, wie steht's mit Herrn Krächzer?«

»Der wohnt oben, meine Herren, das heißt noch einen und einen halben Stock höher. Uebrigens werden Sie an seiner Thüre seinen Namen und Stand angeschlagen finden.«

Die Herren stiegen noch weiter hinauf, an den beiden alten Frauen vorbei, welche ihnen tiefe Reverenzen machten. In dem obersten Stockwerke bemerkten sie in einem engen Gange ein anderes Bruchstück von einer Treppe, die nur acht Stufen hatte, und zu einer Thüre führte, auf welcher mit Kreide angeschrieben stand: Deklamationsschule. Täglicher Unterricht. Man bittet, an der Schnur zu ziehen.

In der Mitte der Thüre war ein Loch, aus welchem ein Strick heraushing, an dem ein Stück von einem Reif befestigt war, um bequemer daran ziehen zu können.

»Man kann dem Professor Krächzer den Vorwurf nicht machen, daß er seine Zöglinge zum Luxus in Dekorationen und Costümen verführe,« sagte Jenneval, indem er den Strick mit dem Stücke Holz ergriff, »hier beurkundet Alles eine große Einfachheit ... ich bin neugierig, was wir noch zu sehen bekommen werden.«

Er zog an dem Stricke, die Thüre ging auf; sie traten in einen schmalen Gang, an dessen Ende sich eine zweite Thüre befand; als sie sich dieser näherten, hörten sie mit lauter Stimme und mit Feuer sprechen, und schlossen daraus, daß der Cursus bereits begonnen habe.

Der Doktor drehte einen Schlüssel um, der in dieser Thüre steckte, öffnete sie und forderte Herrn Guerreville auf, ihn in dieses dramatische Heiligthum einzuführen.

Es war ein großes Zimmer, in welches das Licht von oben hereinfiel, und das man für die Werksstätte eines Malers hätte halten können, wenn Gemälde darin zusehen gewesen wären; in der ganzen Breite des Hintergrundes war ein mit Brettern bedecktes Gerüst angebracht, das sich anderthalb Schuh über den Fußboden erhob; das war die Bühne; auf jeder Seite dieses Gerüstes hing ein Fetzen Tapete mit Bindfaden und Nägeln an der Decke befestigt, herab, das waren die Culissen! endlich lag auf einem alten Sopha von abgeschossenem Sammt, welcher an einer Seite des Saales stand und aussah, als hätte er früher dazu gedient, um Salat darauf anzumachen, in buntem Durcheinander ein Helm, ein Turban, eine Toga, ein Schwert, ein Mantel von Sarsche, eine Tunika und ein Gürtel. Das war die Garderobe.

Als die beiden Herren die Thüre öffneten, befand sich Niemand auf der Bühne; ein junges Mädchen saß in einem Winkel des Zimmers und schien in einer Broschüre eine Rolle zu studiren. Ein junger, ziemlich armselig gekleideter Mann, der aber mit einem Walde von Haaren begabt war, die er nach Art einer Löwenmähne hinaufgestrichen hatte, ging mit großen Schritten im Zimmer auf und ab, indem er mit so vielem Feuer gestikulirte und deklamirte, daß ihm dicke Schweißtropfen von den Wangen herabflossen. In einem Lehnstuhle mit Rollen endlich, der gegenüber dem Bühnengerüste stand, saß der Professor Krächzer.

Es war ein Mann nahe den Sechzigen, der aber mit großer Sorgfalt darauf bedacht war, die Wirkungen der Zeit zu verbergen, die er nur den Anstrengungen in seiner Kunst zuschrieb. Sein schafmäßiges, jedoch nicht unangenehmes Gesicht, seine etwas zu hellblauen Augen, sein ziemlich guter Wuchs und wohlgeformtes Bein hatten ihm einst in Liebhaberrollen einigen Erfolg verschafft; mit den Jahren aber hatte er an Bauch zugelegt, seine Augen waren aufgeschwollen und sein Gesicht ziemlich runzelig geworden. Um jedoch das Jugendliche eines ersten Liebhabers beizubehalten, trug Herr Krächzer ein Corsett, das ihm den Leib zusammenschnürte, eine schöngelockte, blonde Perrücke und eine steife, fest angeschnallte Halsbinde, hinter welcher er, bevor er die Schnalle zumachte, alle Falten seines Gesichtes zu schieben suchte, so daß es schien, als wäre seine Haut hinten an dem Kopfe mit Nadeln festgesteckt.

Das war der Professor, der damals in einen weiten, weißlichen Schlafrock gehüllt war, unter welchem er fast immer kurze Beinkleider trug, um sein Bein bemerklich zu machen. Als er die beiden Fremden gewahrte, deren Aeußeres Leute von Stand anzeigte, sprang er rasch von seinem Rollstuhle auf, um ihnen entgegenzugehen.

Meine Herren, haben Sie die Güte, näher zu treten, ich bitte Sie darum.«

»Haben wir die Ehre, Herrn Krächzer, Professor der Deklamation, zu sprechen?«

»Der bin ich ... Es ist mir die größte Verlegenheit, Sie so im Négligé empfangen zu müssen; aber ich machte eben mit einem Zöglinge eine Repetition ... Wollen Sie sich vielleicht in mein Schlafzimmer bemühen?«

All diese Worte waren von einer Masse Complimente begleitet, wie man sie in den Rollen, wo man den Galanteriedegen und den gestickten Rock trägt, zu machen pflegt; aber Herr Krächzer hatte so oft die Rolle eines Marquis gespielt, daß er dadurch, vielleicht absichtlich, alle Manieren eines solchen beibehalten hatte; und sehr häufig steckte er auch, während er sprach, sein Taschentuch bald unter den einen, bald unter den andern Arm, als ob es ein Chapeaubashut gewesen wäre.

Herr Guerreville hielt den Professor zurück, der eben im Begriffe stand, die Thüre eines andern Zimmers zu öffnen: »Mein Herr, wir befinden uns ganz gut hier ... und, weit entfernt, Sie in Ihren Lehrstunden stören zu wollen, wären wir im Gegentheil sehr erfreut, denselben beiwohnen zu dürfen.«

»Ah! meine Herren, das wird mir und meinen Zöglingen zur höchsten Ehre gereichen ... Sie haben vielleicht die Absicht, in einer Gesellschaft eine Komödie oder ein Sprüchwort aufzuführen, und wünschen, so zu sagen, sich an die Bretter zu gewöhnen? ... Daran thun Sie sehr wohl, das ist sehr vernünftig von Ihnen ... es ist sogar sehr nothwendig, besonders in Beziehung auf das Auf- und Abtreten. In der Regel verstehen die Leute, die gerade keine Künstler vom Fache sind, fast nie zu, gehörigen Zeit auf- und abzutreten, und das, meine Herren, ist gerade die große Klippe! O, täuschen Sie sich darüber nicht! das ist schwer; man kommt wohl herein, aber wie geht man hinaus, ohne dem Publikum den Hintern zu bieten ... o, das will studirt sein ... Diese Partie muß längere Zeit behandelt werden! ... und ich schmeichle mir, in dieser Beziehung treffliche Vorschriften zu ertheilen.«

Während er sprach, ließ der Professor mehrere Male sein Taschentuch von einem Arm unter den andern, mit der Gewandtheit eines Taschenspielers voltigiren, und Herr Guerreville, der über sein Geschwätz ungeduldig wurde, schien schon große Lust zu haben, Herrn Krächzer zu zeigen, daß er kunstgerecht abzugehen wisse; endlich benutzte der Doktor den Augenblick, wo der Professor eine Pause machte, um nach Luft zu schnappen, sich zu verbeugen und das Schnupftuch zu seiner eigentlichsten Bestimmung anzuwenden, und sagte ihm: »Wir haben durchaus nicht die Absicht, Komödie zu spielen, sondern wir sind hierhergekommen, um einen Ihrer Zöglinge zu hören, an dem wir großen Antheil nehmen.«

»Einen meiner Zöglinge ... welchen?«

»Einen jungen Mann Namens Julius.«

»Herrn Julius ... o! ein charmanter Junge, ein vortrefflicher Schüler, von ausgezeichneten Anlagen für die Gavaudans und Fleurys ;... Zwar etwas genirt mit dem Organ, mit der Respiration, aber das wird sich schon geben ... ich werde ihn bilden ... ich habe schon ganz Andere gebildet: Talma war einer meiner Zuhörer, meine Herren, Talma befragte mich um meine Ansichten, folgte meinen Nachschlagen ... haben Sie doch die Güte, sich zu setzen, meine Herren ... und er befand sich nicht schlecht dabei ... ich brachte ihm die Tonbiegung seines: Was sagst Du dazu? in der Rolle des Manlius bei. Talma sprach diese Worte vortrefflich, denn ich glaube, es wäre ihm sehr schwer geworden, etwas schlecht zu sprechen; aber die Tonbiegung kam aus der Nase und die Wirkung war verfehlt; da sagte ich zu ihm: Mein Freund ... denn Talma verlangte durchaus, daß ich ihn meinen Freund nennen sollte; also sagte ich zu ihm: mein Freund, willst Du einen ungeheuren Effekt mit diesem: Was sagst Du dazu? hervorbringen? Nun gut! so nimm mir ja das »Was sagst« mit der Kehle und das »Du dazu« stoße mit dem Gaumen heraus. Den folgenden Abend machte er es so, und das Haus brach unter dem Beifallsgeschrei fast zusammen. Setzen Sie sich hierher ... gegenüber von meiner Bühne, von da können Sie die Wirkung am besten beurtheilen. Meine Zöglinge werden nicht mehr lange auf sich warten lassen ... wir haben heute große Stunde ... das heißt man spielt Bruchstücke, Jeder in seinem Fache: Daß ist eine sehr gute Manier, die Talente auszubilden. Herr Julius kann nicht mehr lange ausbleiben ... Wollen Sie mir indeß erlauben, die große Scene aus dem Oedip mit dem Herrn zu beenden ;...«

»Thun Sie, mein Herr, was Ihnen beliebt, und nehmen Sie gar keine Rücksicht auf uns.«

»Ich wäre sehr glücklich, meine Herren, wenn ich immer ein Publikum hätte, das meine Bemühungen so gut zu würdigen verstände! ... Guten Morgen, Brülard, guten Morgen, mein lieber Junge.«

Diese Worte waren an einen eben eintretenden jungen Mann gerichtet, dessen Kleidung auf den Gehülfen einer Spezereihandlung deutete; er trug eine Mütze und die kleine grüne Schürze war auf der Seite hinaufgebunden. Der andere junge Mann, der beim Hereintreten Guerreville's und des Doktors deklamirt hatte, fuhr ununterbrochen fort, vor sich hin zu sprechen und zu gestikuliren, während er mit Riesenschritten den Saal durchmaß, wahrscheinlich, um seine Hitze nicht erkalten zu lassen; er war dabei sehr besorgt, mit der Hand in seine Haare zu fahren, um sie in ihrer aufrechten Stellung zu erhalten; der Spezereigehülfe begrüßte ihn mit »guten Tag,« Jener drückte ihm die Hand, aber ohne ihm zu antworten, noch sich in seinem Pathos unterbrechen zu lassen.

»Nun, Herr Alfred, wir wollen Ihre Scene des Oedipus zu Ende bringen,« sagte Herr Krächzer, indem er sich an den Zögling wandte, der in fortwährender Bewegung war. »Mademoiselle Josephine studiren Sie Ihre Rolle der Zaire gut ein, wir werden sogleich einen ganzen Akt daraus auf dem Theater spielen.«

Das junge Frauenzimmer, welches da saß, entgegnete, ohne die Augen aufzuschlagen: »Ja, mein Herr.« Hierauf wandte sich der Professor an den eben Angekommenen: »Brülard, wollen Sie den Icarus im Oedip übernehmen?«

»Alles, was Sie wollen, Herr Krächzer.«

»Wir wollen die dritte Scene des fünften Aktes vornehmen; ich werde den Phorbas sprechen, und dadurch wird die Vorstellung eine gewisse Färbung bekommen ... Sie können doch die Rolle des Ikarus?«

»O sehr gut ... nur erinnere ich mich derselben nicht mehr; wenn Sie das Stück haben ;...«

»Wenn ich das Stück habe! ... Er frägt mich, ob ich Voltaire habe! ... Es ist zwar wahr, ich könnte ihn entbehren, weil ich ihn auswendig weiß. Nehmen Sie, Brülard, hier ist der Theil, in welchem der Oedip steht ;... Guten Tag, Madame Grignoux ... Sie haben Ihre Tochter mitgebracht, das ist sehr gut ... Wir werden sogleich anfangen ;...«

Madame Grignoux war eine Frau von etlichen vierzig Jahren, mit den Manieren einer Logenschließerin, einem Hut, welcher es mit dem der Nachbarin von Madame Limousse hätte aufnehmen können, einem großen grünen Sack und einer enormen Tasche, aus welcher ein halbes Dutzend Pfennig-Bretzeln hervorschaute; mit einer gewissen Prätention in ihrer Art zu sprechen und zu lächeln, und mit einem kleinen Mädchen von dreizehn bis vierzehn Jahren an der Hand, deren Schuhe mit Bandabschnitzeln festgebunden waren; der Rest des Kostüms in voller Übereinstimmung.

»Das verspricht sehr amüsant zu werden,« flüsterte der Doktor Herrn Guerreville ins Ohr, der sich eines Lächelns nicht enthalten konnte, als er sah, wie der Professor einen Zipfel seines großen Schlafrocks über die Schulter warf, als ob es ein Mantel wäre.

»Wollen wir anfangen?« fragte Alfred, indem er sich nochmals mit den Fingern, die ihm als Richtkamm dienten, durch die Haare fuhr.

»Ja ... ich bin bereit ... Oedip und Icarus sind beisammen, wenn ich eintrete ... Ich trete also herein.«

Und um seinem Eintreten mehr Wirkung zu geben, öffnet Herr Krächzer die Thüre, die auf den engen Gang geht, und stellt sich im Hintergrund auf, von wo er mit abgemessenen Schritten vorzugehen beginnt, indem er bei jedem Schritte stehen bleibt, das Bein an sich zieht und einen Seufzer ausstößt. So kommt er nach zwei Minuten vor, bleibt vor Alfred stehen, richtet die Blicke auf den Boden und stemmt eine Hand in seine Hüfte.

»Herrlich aufgetreten!« murmelte Madame Grignoux ... »Es erinnert mich an Herrn Friedrich, im dritten Akte des Spielers. Gott! wie hat dieses Stück auf meine Nerven gewirkt!«

»Bst! Stille, Madame Grignoux. An Ihnen ist es, Alfred.«

Der junge Alfred fährt sich mit der Hand in die Haare und schreit:

Ah! Phorbas, tritt heran!

Der kleine Brülard recitirt hierauf in einem Athem:

Mein Staunen wächst!
Je mehr ich ihn betrachte ... O! Herr, er ist's, ist's selbst ...

»So ist es nicht, Brülard,« rief der Professor, mit dem Fuße stampfend; »Sie laufen ... Sie laufen ... Sie sagen uns das vor, als ob Sie ausschrien: Wer will einen frischen Trunk, wer will trinken! Teufel, mein Freund, man hält an, man nimmt sich Zeit. Je mehr ich ihn betrachte ;... Hier halten Sie an, als ob Sie eine Schlange erblickt hätten: O! Herr, er ist's ;... Hier öffnen Sie die Arme und den Mund ... Großes Staunen muß sich im Munde ausdrücken; ich antworte Ihnen ;...

Verzeiht, wenn Eure unbekannten Züge ...

Brülard.

Doch wie! vom Berg Citron erinnerst Du Dich nicht?

»Was soll das für ein Berg Citron sein! ;...« sagte der Professor, indem er den Zipfel seines Schlafrocks losließ; »der Berg heißt Citheron. Geben Sie doch Acht, mein Freund, auf das, was sie lesen.«

»Ah! Ich dachte doch gleich,« rief Madame Grignoux, »ich erinnere mich nicht, daß man im Oedieb je Citronen verbraucht hat. Hier, Cäsarine, hast du noch eine kleine Butterbretzel ... Das wird Dir den Magen zu Deiner Rede stärken.«

Der kleine Brülard, dem es einige Mühe zu machen schien, rasch fortzulesen, fuhr fort:

Wie! jenes Kind, das Ihr mir einstens übergabt
Das Kind, das Ihr zur ew'gen Ruhr ...

»Zur ewigen Ruh!« schrie Krächzer.

Ah! was spracht Ihr da? ...

»Verdammt, ich habe schlecht gelesen,« erwiderte Brülard.

»Schweigen Sie doch, mein Freund, ich Phorbas spreche das:

Ah! was spracht Ihr da,
Welch' Angedenken ruft Ihr mir zurück?«

Brülard (lesend.)

»Hm ... Wo bin ich denn? ... Hm ;...

... O zweifelt nicht, mein Fürst,
Wa... was auch der Mann da spricht,
In meine Armee hat ...«

Herr Krächzer riß dem Spezereigehülfen das Buch aus der Hand und sagte zu ihm:

»Mein Freund, Sie sind durchaus nicht im Stande, vom Blatte zu lesen: wenn Sie eine Rolle auswendig wissen, so geht es sehr gut; aber Sie müssen dieselbe vorher mehrere Male gelesen haben ... Sie sagen: in meine Armee, statt in meine Arme. Alfred, beenden Sie Ihre große Scene ganz allein ... es ist ein Monolog.«

Alfred begann von Neuem den Saal zu durchschreiten, sich die Haare in die Höhe zu reißen, und mit der größten Anstrengung seiner Lungen den letzten Monolog des Oedip herauszudonnern, den Madame Grignoux durch häufige Ausrufe von Bravo ... O! – Gut! ... O! sehr gut! O! O! O! ... unterbrach, so daß Herr Krächzer öfters genöthigt war, ihr Stillschweigen zu gebieten. Der Professor hatte sich neben den Doktor gesetzt, um seinen Zögling deklamiren zu hören, und von Zeit zu Zeit gab er durch ein beifälliges Lächeln, oder ein Nicken des Kopfes zu verstehen, daß er zufrieden sei.

Nachdem der Monolog beendigt war, klopfte Herr Krächzer dem Oedip auf die Schulter, der so in Schweiß gebadet war, als ob er aus dem Wasser käme: »Sehr gut, Alfred ... sehr gut, mein Freund ... Das läßt eine Zukunft erwarten ... in dieser Ausdrucksweise steckt ein Eßlair, doch bleibt Ihnen noch viel zu thun übrig ... Passen Sie auf, mein Freund, ich werde Ihnen jetzt den Monolog vorsprechen ... und jeden einzelnen Gedanken hervorheben, geben Sie wohl Acht.«

Herr Krächzer nahm ein Stück rothes Band, welches er um seine blonde Perrücke schlang, um einen griechischen Kopfputz zu haben. Alsdann warf er aufs Neue seinen alten Schlafrock malerisch um den Leib, setzte sich in Positur und begann:

So ist das schreckliche Orakel denn erfüllt,
Deß unvermeidlich End' die Furcht mir längst enthüllt ...

»Das Alles ohne Hebung der Stimme ... ich spare meine Kraft für die Effekte ;...

Ich bin vom seltsamsten Geschick der Welt errafft,
Trotz Vatermords und Blutesschand, doch tugendhaft ...

»Hier fang ich an warm zu werden.

Elende Tugend! ha welch' traurig leerer Klang;

»Hier schlage ich mit der Ferse mächtig hintenaus.

Nach der gehandelt ich mein fluchwerth Leben lang! ...

»Sehr bitteres Lächeln ...

Ach meinem schwarzen Stern konnt'st du nicht widerstehn!

»Hier öffne ich die Arme.

Ich fing mich in der Schling! da ich ihr wollt entgeh'n.

»Hier zapple ich, als stäke mein Fuß in einem Fuchseisen ;...

Ein stärk'rer Gott als ich, riß mich zum Frevel hin.

»Hier blecke ich die Zähne.

Und meinen flücht'gen Fuß ergriff ...

An dieser Stelle wurde der Professor durch die Ankunft zweier jungen Mädchen unterbrochen, welche kleine Häubchen und seidene Schürzen trugen, und mit sehr leichtfertiger Miene in das Lehrzimmer traten, indem sie ausriefen: »Ist es hier, wo man Komödie spielen lernt? ... Wir wollen Lectionen nehmen; wir spielen übermorgen bei Herrn Génart, in der Lancristraße, mit Künstlern vom Fache, und wir möchten uns nicht schlecht finden lassen. Was mich betrifft, ich habe ein sehr gutes Gedächtniß, behalte Alles, was ich will ;...«

»Und bei mir, findet man, daß ich Couplets allerliebst singe ... Ich kann alle Stückchen aus der Mamsell Jenny Colon. Was verlangen Sie für die Lection, mein Herr? Sie dürfen uns nicht zu theuer halten; wir sind Fransenmacherinnen ... Wir wälzen uns nicht im Golde ... Aber das kann noch kommen ;...«

»Wir werden schon einig werden, meine Damen ... ich werde Sie als Kolleginnen behandeln ... Setzen Sie sich doch.«

»Dürfen wir hier bleiben, um Ihre Zöglinge spielen zu sehen?«

»Gewiß, ich habe heute große Stunde ... Das kann Ihnen nur nützlich sein ... Alfred, ich werde Ihnen ein andermal den Oedip vollständig vortragen ... Ich bin diesen Morgen zu sehr in Anspruch genommen ... So viele Schüler auf einmal ;...«

»Mein Herr,« sprach eine der Grisetten, indem sie sich hinsetzte, »wir wollen in der Agnes von Belleville spielen, können Sie uns dieses Stück einstudiren?«

»O! meine Damen, studire ich nicht Alles ein, was man will! ... Ah! Da ist Herr Julius ... Kommen Sie doch näher, mein lieber Freund ... Man wartete nur auf Sie, um anzufangen.«

Julius triefte von Schweiß, er trug ein Kistchen mit Eau de Cologne-Flaschen unter dem Arm, das er in eine Ecke stellte; als er Herr Guerreville bemerkte, lief er rasch auf ihn zu, um ihn und den Doktor zu begrüßen. Herr Guerreville reichte ihm die Hand und sagte zu ihm: »Sie sehen, junger Mann, daß ich Wort halte.«

»O! mein Herr, ich danke Ihnen tausendmal ... Ich bin ganz trostlos, daß ich Sie habe warten lassen ... Aber mein Vater hatte mir mehrere Aufträge gegeben, und ich konnte mich derer nicht schneller entledigen. Ach! wann werde ich endlich von der Pommade und von den Handschuhen loskommen! ... Nun werden Sie mich spielen sehen, meine Herren, und ich bitte Sie, mir ohne Umstände zu sagen, was Sie von meinen Anlagen halten.«

»Wir haben keinen Grund, Sie zu täuschen, daher können Sie auf unsere Offenherzigkeit zählen.«

Julius bereitete sich, zu spielen, und zu gleicher Zeit mit ihm Alfred, der Schubladier, Mademoiselle Josephine und die junge Cäsarine Grignoux. Während seine Zöglinge sich anschickten, auf das Gerüste zu steigen, entschlüpfte der Professor; er ging mit seiner griechischen Kopfbekleidung fort, kam jedoch bald wieder zurück, mit den beiden alten Weibern aus dem dritten Stocke und einem sehr bejahrten Herrn, der sehr dick war und kaum gehen konnte, obgleich er sich auf einen Stock stützte; dieser Herr, welcher Pantoffeln trug, und den Kopf mit einem schwarzseidenen Käppchen bedeckt hatte, hielt in der linken Hand auch noch ein blechernes Hörnchen, dergleichen sich Leute bedienen, welche mit der Taubheit behaftet sind.

Herr Krächzer hatte vollauf zu thun, sein Publikum unterzubringen; dem dicken Herrn wies er seinen Platz in dem Rollstuhle an, dann ging er zu Herrn Guerreville und flüsterte ihm ins Ohr: »Ich bitte Sie um Verzeihung, daß ich einige Nachbarn hergebracht habe, die ohne Toilette gemacht zu haben, heraufkommen ;... Aber das beachten Künstler wenig, und ich halte viel darauf, meinen alten Nachbar hier zu haben; er ist ein trefflicher Kenner von Gesangspartieen; er war vierzig Jahre lang Violinist in verschiedenen Orchestern von Paris und ist ein ausgezeichneter Musiker, unglücklicherweise ist er ein wenig taub geworden, was ihn nöthigte, sich zurückzuziehen.«

»Aber,« sagte Jenneval, »wenn er taub ist, wie kann er da die Gesangsanlage Ihrer Zöglinge beurtheilen?«

»O! mit seinem Hörnchen ganz vorzüglich ... nur konnte er dasselbe, wie Sie leicht begreifen werden, in einem Orchester nicht ans Ohr halten und zu gleicher Zeit Violin spielen.«

»O! das begreife ich ganz gut.«

»Meine Damen, nehmen Sie doch Platz.«

Diese Einladung galt den beiden alten Nachbarinnen, von denen die Eine, die mit dem schwarzen Kleide, ihren ungeheuren Hut aufbehalten, die Andere einen alten, rehfarbenen Shawl über ihre Nachtjacke und ihren anliegenden Unterrock geworfen und ihr um den Kopf gewundenes Foulard noch durch einen weiteren Aufsatz à la Fanchon erhöht hatte. Diese beiden Damen blieben ehrfurchtsvoll hinter den Stühlen stehen, und die beiden Grisetten hatten schon mehrere Male laute Ausbrüche des Lachens unterdrückt, wenn sie die alten Weiber betrachteten. Auf wiederholte Einladung des Herrn Professors setzten sich die Letztern endlich auf den Sopha, zur Seite der Madame Grignoux, welche eben daran war, eine vierte Bretzel, die sie aus ihrem Korbe genommen hatte, zu verzehren. »Wir werden Ihnen zwei Akte aus der Zaire recitiren,« sagte der Professor, indem er sein Taschentuch nunmehr als Gürtel um seinen Schlafrock wand, und einen Helm auf seinen Kopf setzte, der vollkommen einer umgekehrten Kaffeemühle glich. Julius hatte bereits einen Turban aufgesetzt und sich in ein großes Stück grüner Sarsche eingewickelt. Der junge Alfred hatte sein Haupt mit einem Ritterhelm bedeckt. Die beiden jungen Mädchen zogen bloß ihre Kämme heraus und ließen die Haare über die Schultern herabfliegen. Der Spezereigehülfe hatte über sein Kamisol eine Tunica gezogen und einen Gürtel umgeschnallt, an welchem ein Kindersäbel hing.

Der Professor ging von einem seiner Zöglinge zum andern, betrachtete Jeden genau und rief: »Nicht übel, meine Kinder! Alfred, der Helm sitzt Ihnen zu tief in der Stirne, lassen Sie Ihre Augenbrauen sehen ... mehr zurück, so ist es recht. Julius, den Turban tief eingedrückt; werfen Sie den Mantel über den linken Arm, stark in Falten ... Brülard, mein Freund, machen Sie, daß Ihnen Ihr Säbel nicht stets zwischen den Beinen bummelt, es würde sie sonst bei Ihren Abgängen geniren. Sie, meine Damen, Sie stellen Zaire und Fatime vor; Mademoiselle Josephine, bedenken Sie, daß Zaire in ihrem Herzen Christin ist, und Muselmännin in der Tiefe ihrer Seele; seien Sie davon ganz durchdrungen; es ist eine der schönsten Rollen des Stückes. Sie beten Orosman als Menschen an, und hassen ihn als Muhamedaner; machen Sie alle diese Nüancen recht bemerklich. Sie, kleine Cäsarine, legen Sie mir ja Würde in die Fatime

»Wenn Sie noch einer stummen Vertrauten bedürfen, so wissen Sie, daß ich da bin, Herr Krächzer,« sagte Madame Grignoux.

»Danke, Madame Grignoux, in diesem Stücke nicht. Aber ich bemerke so eben, daß wir keinen Souffleur haben, wollen Sie wohl so gütig sein, diese Stelle zu übernehmen?«

»Sehr gerne, Herr Krächzer, um so mehr, als ich mit einer großen Arschilität soufflire; es genirt mich nicht im geringsten! Sie sollen hören, wie ich das da einpauken werde. Aber wo ist denn das Heft? Ah! gut, es ist ein ganzer Band. Ich will mich dem Theater gegenübersetzen. Ich bin übrigens gar nicht böse, den Souffleur machen zu müssen, weil Cäsarine keine Unterhosen trägt, und Sie wohl begreifen, daß man als Souffleur sehr versucht ist, sein Augenmerk auch auf etwas Anderes als auf die Gesichter der Schauspielerinnen zu richten. Ich will damit nichts Böses gesagt haben.«

»Hinauf, hinauf aufs Theater, meine Kinder, ich mache den Lusignan. Wir wollen mit dem zweiten Akte anfangen.«

Mittelst einer kleinen Bank stiegen der Professor und seine Zöglinge auf das Gerüst, dann verbargen sie sich hinter den Tapetenfetzen, welche Coulissen vorstellten. Nun stampfte Herr Krächzer dreimal heftig mit dem Fuß, wodurch eine solche Staubwolke aufgewirbelt wurde, daß Madame Grignoux, welche so saß, daß ihr Kopf mit den Brettern gerade in einer Höhe war, einen heftigen Hustenanfall bekam, wobei Sie ausrief: »Danke! für diese Zugabe zu meinem Frühstück. Wie es scheint, wird Ihr Theater nicht alle Tage gekehrt.«

Aber das Auftreten von Nerestan und Chatillon zwang den Souffleur, seine Betrachtungen einzustellen. Der junge Schreiber machte den Nerestan, und Brülard den Chatillon. Die erste Scene ging ohne Unterbrechung vorüber; die beiden Zöglinge wußten ihre Rollen auswendig und bedurften des Souffleurs durchaus nicht, der ihnen nur von Zeit zu Zeit zurief: »Nicht so schnell! Pest! wie Sie eilen! Ich kann Ihnen ja nicht nachkommen, ich.«

Zaire erschien mit fliegenden Haaren. Das junge Frauenzimmer, welches diese Rolle spielte, hatte eine Kopfstimme, welche die Ohren der Hörer zerriß, so daß der alte, taube Herr, der bis dahin gar keinen Antheil an dem Stücke zu nehmen schien, ein Zeichen von Zufriedenheit von sich gab, indem er leise vor sich hinflüsterte: »Allen Respekt, das heiße ich ein Organ.«

Zaire war im Zuge, Ihre Rolle herzusagen, als Madame Grignoux sich halb erhob, ihren Kopf über die Bretter wegstreckte und rief: »Ei! warum trittst Du nicht auch auf, Du, Cäsarine, was bleibst Du da so hinter der Leinwand stecken? Bist Du nicht die Vertraute Fatime?«

»Sie tritt in dieser Scene nicht auf,« schrie der Professor, »schweigen Sie doch, Souffleur!«

»Was? das wäre mir eine schöne Geschichte, bezahle ich deßhalb Marken zu fünfzehn Sous, daß meine Tochter hinter den Coulissen bleiben soll, während die Andern spielen? Da sie die Vertraute macht, muß sie da nicht immer hinter ihrer Herrin her sein?«

»Man sagt Ihnen, daß sie nicht in diese Scene gehört.«

»Und ich, ich sage Ihnen, der Verfasser hat das wahrscheinlich nur vergessen. Komm nur heraus, Fatime, hörst Du Kleine! Dadurch gewöhnt man sich ans Publikum.«

Um Madame Grignoux zufriedenzustellen, stieß der Professor Fatimen auf's Theater hinaus. Die Vertraute erschien, indem sie an einer Bretzel kaute. Bald darauf erschien Herr Krächzer als Lusignan. Bei seinem Auftreten fingen die beiden Alten aus dem dritten Stocke aus Leibeskräften an zu applaudiren, während die eine der Grisetten zu ihrer Freundin sagte: »O! meine Liebe, ist aber der häßlich! Er gleicht einem Leibstuhle!«

Herr Krächzer sprach seine Scene so gedehnt, daß er eine halbe Stunde damit zubrachte. Er unterbrach sich, machte Pausen, nahm Stellungen an und handthierte mit Arm und Bein, während er von Zeit zu Zeit seinen Zöglingen zurief: »Gesicht gegen das Publikum, Zaire ... Geben Sie doch Acht, Sie zeigen ja dem Parterre den Rücken ... Aufgemerkt, meine Damen, Sie bieten immer noch den vermaledeiten Hintern.

Unmöglich Kinder ist's, für mich, von Euch zu gehen,
Nachdem Geliebte ich, so lang Euch nicht gesehn,
Mein Sohn ... und würd'ger Erb! ...

Alfred, mein Freund, Ihr Helm fällt Ihnen auf die Nase, man sieht Ihr Gesicht nicht mehr; wie soll das Publikum über Ihr Geberdenspiel urtheilen können?«

»Das ist nicht meine Schuld, er ist zu groß.«

»Dann stopft man ein Sacktuch hinein.

Du, ach, Du, o Tochter,
Zerstreue den Verdacht,
Nimm weg von mir den Trug ...«

»Den Fluch!« schrie Madame Grignoux.

»Wie, Souffleur?«

»Ich sage Ihnen, es heißt Fluch

»Bah! wirklich?«

»Sehen Sie selbst.«

Herr Krächzer sah im Buche nach und gab es ihr mit den Worten zurück: »Sehr sonderbar, ich habe immer Trug gesagt und man hat mich nie getadelt. Wahrhaftig, ich maße mir nicht an, Voltaire zu verbessern; aber ich glaube, daß sich das Wort Trug an dieser Stelle nicht übel machen würde. Ich berufe mich deßhalb auf diese Herren.«

Diese Herren aber antworteten nichts; da hielten es die beiden alten Frauen aus dem dritten Stocke für passend, zu applaudiren. Herr Krächzer dankte und setzte die Scene fort. Der Akt ging ohne irgend einen besonderen Zufall zu Ende, ausgenommen, daß Chatillon, dessen kleiner Säbel ihm zwischen die Beine kam, in dem Augenblicke, wo er mit Nerestan abgehen wollte, zu dessen Füßen hinstürzte.

Der zweite Akt begann; aber Lusignan, der seine Rolle beendigt hatte, mischte sich unter die Zuschauer, um seine Zöglinge spielen zu sehen.

Julius erschien. Er machte den Orosman. Der junge Mann ließ die grüne Sarsche, die ihm als Mantel diente, um sich herfliegen; er deklamirte mit Feuer, aber eben so falsch als monoton, was jedoch seinen Lehrer nicht hinderte, auszurufen: »Sehr gut! Julius, sehr gut! Sie machen sich, mein Freund, Sie werden sehr weit kommen!«

»Ich weiß nicht, wohin dieser junge Mann kommen will sagte der Doktor ganz leise zu Guerreville; »wenn er aber so fortfährt, so weiß ich, daß er auf den Kirchhof kommen wird.«

In der That hatte auch, als der zweite Akt der Zaire zu Ende ging, Julius solche Anstrengungen gemacht, um Effekt hervorzubringen, daß er nicht mehr sprechen konnte, sondern ganz heiser und erschöpft war. Herr Krächzer hüllte ihn in eine Leinwanddecke, ließ ihn auf dem Sopha niedersitzen, indem er ihn mit Lobeserhebungen überhäufte, und ihm die großartigsten Erfolge voraus verkündete. Dann wandte sich der Professor an die Versammlung und sagte: »Meine Herren und Damen, wir werden die Schule der Alten nicht aufführen, da mein Zögling Julius, in Folge der bewunderungswürdigen Glut, die er als Orosman entwickelt hat, zu angegriffen ist, um fortzuspielen; aber wir wollen Ihnen einige Scenen aus einem von mir gedichteten Lustspiel zum Besten geben. Es ist ein kleines, niedliches Stückchen, in Versen, und heißt: Der verführerische Marquis. Dasselbe wurde mit vielem Erfolge bereits auf tausend Liebhaber-Theatern aufgeführt. Josephine, Sie machen die Gräfin. Stecken Sie Ihre Haare wieder hinauf, meine liebe Freundin. Sie stellen eine große Kokette vor. Alfred wird den Lafleur spielen, einen vornehmen Livréebedienten. Nehmen Sie Ihren Helm ab. Und Brülard den Marquis, den kann er sehr gut. Cäsarine wird die Lisette machen.«

»Ah! das denke ich doch auch,« murmelte Madame Grignoux, »daß meine Tochter auch einmal etwas machen soll, ich habe sie hergebracht, damit sie arbeite, und das sogleich.«

»Sagen Sie uns doch, mein Herr,« rief eine der Grisetten, »wird man bei Ihnen nicht auch im Vaudeville unterrichtet? Wir wollen singen, meine Freundin und ich.«

»Sogleich, meine Damen, werden wir zur Oper übergehen. Ich werde Sie singen lassen, es wird mir sogar sehr lieb sein, Ihre Mittel kennen zu lernen.«

»Er will unsere Mittel kennen lernen,« sagte eine der Grisetten zu ihrer Freundin. »Was geht das ihn an? Was bekümmert er sich darum? da wir ihm ja unsere Stunden baar bezahlen.«

»Du hast ihn falsch verstanden; er meint damit unsere Stimmen.«

»Sage mir doch, Phrasie, amüsirt Dich das, ihre Tragödie? Sie spielen nicht so gut, wie bei Fresnoi im Lazary.«

»St! sei doch still, sie wollen uns etwas Niedliches aufspielen.«

»Allons! angefangen, meine Kinder!« rief der Professor; »ich weiß mein Stück auswendig, und werde es Ihnen souffliren, wenn es nöthig ist. Lafleur und Lisette eröffnen die Scene. Meine kleine Cäsarine, suchen Sie doch mit Ihrer Kruste fertig zu werden, und essen Sie nicht immer beim Spielen. Ich klopfe.«

Herr Krächzer bestieg das Gerüst, von wo aus er sich beeilte, seinem Publikum drei Staubwolken zuzusenden; dann sprang er ziemlich leicht wieder hinunter und setzte sich in einen Winkel neben dem Theater.

Der junge Alfred, der einen Hut hatte, welcher alle beliebigen Formen annehmen konnte, machte eine Art von Claque daraus, schob ihn, wie sein Professor, unter den Arm und trat hüpfend in die Scene. Das Stück begann:

Alfred.

Wohlan! die Liebe soll und mein Lisettchen leben! ...
Sie ist ein schelmisch Kind, bildschön und gleich ergeben ...
Mein Herr macht seinem Schatz den Hof an diesem Ort, ...
Ich, sein getreuer Knecht, setz' mit der Magd es fort ...

»Betonen Sie es gut, mein Freund,« sagte Herr Krächzer, »das Alles will zart empfunden sein,

Mein Herr macht seinem Schatz den Hof an diesem Ort.

Machen Sie bei diesem Ort einen Hops, um zu zeigen, daß Sie just an dem Orte sind. Und beim Hof geben Sie sich einen leichten Schlag auf Ihren linken Schenkel! ... Halt ... sehen Sie, wie ich ;...«

Und Herr Krächzer, der sich einen Schlag auf den linken Schenkel geben wollte, trifft den ungeheuren Hut einer der alten Nachbarinnen, die hinter ihm den Kopf vorstreckte, und dieser fliegt bis ans andere Ende des Saales; jetzt sieht man einen halb grauen, halb blonden Kopf, auf welchem ein alter Strumpf als Baumwollenmütze sitzt. Der Professor stottert tausend Entschuldigungen, läuft dem Hut nach und bringt ihn eiligst seiner Eigenthümerin zurück, welche den beiden Grisetten, die dieser Zufall wieder in große Luftigkeit versetzt hat, wüthende Blicke zuschleudert.

»Stille, Silentium! fahren wir fort,« sagte der Professor. »An Ihnen ist es, Lisettchen!«

Fräulein Cäsarine.

Ah! schaut der Herr Lafleur ... möcht mich noch einmal ... kirren.
Sagt, ich sei hübsch, und er ... müß' wieder um mich girren.
Doch, mir scheint er ein Wüst...ling, der 'gar oft betrügt;
Drum trau' ich nicht dem Spitz...bub, der mich stets belügt.«

»So ist es nicht! so ist es nicht!« schrie der Professor, ungeduldig mit dem Fuße stampfend. »Ach, mein Gott! Mademoiselle, wo haben Sie denn gelernt, die Verse so jämmerlich zu zerhacken?

Drum trau' ich nicht dem Spitz...bub, der mich stets belügt.

Hier ist nicht die Rede davon, daß Sie keinem Spitz trauen wollen.«

»Alle Wetter! mein Herr, bei den zwölfsilbigen Versen glaubte ich, falle der Ruhepunkt immer in die Mitte.«

»Sie glauben falsch, Mademoiselle, Pausen und Cäsuren! ... das war gut genug für die alten Dichter; aber die jüngern binden sich an alles das nicht. Fragen Sie nur diese Herren da ... man ruht jetzt aus, wo man will, oder besser, wo man kann. Ich habe ein neues Stück geschrieben, und darf mich derselben Freiheiten bedienen, wie meine Collegen. Fahren Sie fort, Lisette.« Mademoiselle Grignoux recitirte ihre Rolle in einem Athemzuge und ohne einen Augenblick auszuruhen. Der Professor äußerte, daß er jetzt zufriedener sei; die beiden Damen aus dem dritten Stocke fingen wieder an zu applaudiren. Der kleine Brülard trat in die Scene; um den Marquis vorzustellen, hatte er sich ein Rappier nach Art eines Degens an die Seite gesteckt, und sich Manschetten und einen Jabot aus Papier gemacht.

Brülard.

Ah! da bist Du, Lafleur! Ah! da bist Du, Lisette!
O! Kinderchen Ihr seid's ... ach lange gern schon hätte
Ich den Moment erlauscht, von meines Herzens Brennen,
Der schönen Gräfin ein Geständniß thun zu können;
Lisette, nimm das Geld und zudem als Geschenke
Den Ring hier, groß von Werth, nur steh' mir bei, bedenke.

»Sehr gut! sehr gut! Brülard,« sagte Herr Krächzer. Dann sich gegen den Doktor wendend, flüsterte er ihm zu: »Wie finden Sie meinen Styl? Er ist fließend, nicht wahr?«

»Sehr fließend ... aber verzeihen Sie mir die Bemerkung, es scheint mir, als folgen sehr viele weibliche Reime aufeinander?«

»O! das hat nichts zu sagen, im Gegentheile, das ist weicher. Wenn Sie sich die Mühe geben wollten, auf die Verse in der großen Oper, oder in der komischen Oper zu achten, so würden Sie bemerken, daß man sich in dieser Beziehung auch nicht im mindesten Zwang anthut.«

»Ich lasse mir das für den Gesang gefallen, aber in einem Lustspiel?«

»Man wird auch in diesem dazu gelangen; und ich liebe es, stets voranzugehen.

Kann ich doch sagen dann mit Stolz: Ich hab's gewagt.

»Es ist an Ihnen, Lisette.«

Fräulein Cäsarine, indem sie an einem Pfefferkuchen nagt:

Ihr Gold, Ihr Ring, was sonst Sie mir geboten an,
Bestechen mich zu nichts ... Sie sind ein schlimmer Mann.

»Sie legen ja gar keinen Ausdruck mehr hinein, Mademoiselle,« schrie der Professor; »Sie verstehen wohl gar nicht, was Sie sprechen; Sie sind eine anständige Kammerjungfer, die sich nicht verführen lassen will ... aber Sie sprechen das Alles so, als ob Sie Ihre Grammatik hersagten ... Pfui! ... es erfordert Wärme, Entrüstung! In Ihrem Innern müssen Sie denken: Ihr Gold ... ich verachte es! Ihre Edelsteine, da schere ich mich den Teufel darum! Ihre Geschenke, mit denen können Sie mich ... Ah! verzeihen Sie, meine Herren und Damen, wenn ich mich ein wenig vergesse, aber ich kann nicht kalt demonstriren. Kommen Sie, Brülard, bringen Sie Feuer in diese Scene.«

Brülard.

Sagt, was Ihr immer wollt, ich weiche meiner Flamme,
Nicht hör' ich mehr auf Rath: Ich dringe in die Dame.

Hier vernimmt man bei der Zuhörerschaft ein dumpfes Gemurmel, und die beiden Fransenmacherinnen halten sich die Hüften vor Lachen. Der Spezereigehülfe scheint ganz erstaunt über den eigenthümlichen Effekt, den er hervorgebracht; er will fortfahren, aber sein Professor fällt ihm in die Rede.

»Sie haben gefehlt, Brülard.« – Glauben Sie? Und wo denn? – »Sie deklamirten: Ich dringe in die Dame, und es heißt doch: Ich dring' ein bei der Dame.« – Ist denn das nicht beinahe dasselbe, ob ich sage: Ich dringe in eine, oder ich dringe ein bei einer? ;... – »Nein, mein Freund; für den Vers wohl macht es nichts, aber es gäbe einen zweideutigen Sinn. Jetzt, Brülard, fahren Sie fort und geben Sie Achtung.«

Der kleine Brülard beendete seine Scene, unterstützt von Mademoiselle Josephine, unter den lauten Beifallsbezeigungen des dritten Stockes. Schon mehr als einmal hatte Herr Guerreville das Verlangen bezeigt, den Ort zu verlassen, aber der Doktor wollte Alles sehen und hatte ihn zurückgehalten. Endlich, als das Lustspiel des Professors zu Ende war, ging man zum Anhören des Gesangs über, und die beiden Mädchen, welche sich im Vaudeville hören lassen wollten, machten Rouladen, um ihre Stimme in Schwung zu bringen.

»Josephine,« sagte Herr Krächzer, »ich weiß, daß Sie Anlagen für die große Oper haben. Singen Sie uns Ihre Arie aus den Bajaderen: »›;Kein Auge lass' ich ab.‹« Sie wissen ;...«

»Ja, mein Herr ;...«

»O, das ist schön, das ist prächtige Musik ... Auf meiner Guitarre fehlen zwei Saiten, sonst würde ich Sie begleiten; aber ich werde den Takt schlagen. Steigen Sie auf die Bühne und singen Sie mit den nöthigen Gesten, ich werde die Ritornelle trillern.«

Josephine kletterte wieder auf die Bretter und sang ihre Arie aus den Bajaderen, indem sie alle erdenklichen Gesten dazu machte. Der Gesang wurde von dem Professor und seinen Zöglingen beklatscht; Mademoiselle Josephine stieg mit strahlendem Antlitz wieder in das Zimmer herab.

»Wie finden Sie diese Stimme, Herr Berruchon?« fragte der Professor, indem er sich an den dicken, tauben Mann wandte, und dieser antwortete, daß er nichts gehört habe.

»Ah, es ist richtig! Ich dachte nicht mehr daran,« sagte Herr Krächzer; »Josephine, liebe Freundin, wollen Sie wohl die Güte haben, Ihre Arie noch einmal zu beginnen und sie diesmal in das Horn des Herrn Berruchon hineinzustoßen, damit er über Ihr Talent urtheilen kann?«

Josephine, als folgsame Schülerin, näherte sich dem Lehnstuhle des Herrn Berruchon, der vormalige Violinist legte das Hörn an sein Ohr und das Mädchen fing nochmals an, ihre Arie zu singen, indem sie ihren Mund an den Becher des Hörrohrs legte; da aber der alte Musiker noch nicht genug hörte, so neigte er sich und brachte das Rohr an das Gesicht der Sängerin, welche dasselbe jetzt fast ganz darin stecken hatte, was sie in ihren Rouladen ein wenig hindern mochte.

Die Arie wurde inzwischen glücklich zu Ende gebracht. Herr Berruchon warf sich wieder an den Rücken seines Lehnstuhls, indem er sagte: »Eine sehr schöne Stimme! Eine sehr tiefe Altstimme!«

»Ah, Sie finden, daß sie einen Alt hat,« sagte der Professor, in das Hörrohr sprechend; »mir schien es, als ob sie eine sehr hohe ... eine Sopranstimme habe.«

»Durchaus nicht, mein Freund; das ist eine tiefe Alt-, eine Baßstimme! Was sagen diese Herren dazu?«

»Ich,« sagte der Doktor, »ich finde auch, daß das Fräulein eine sehr hohe Stimme hat; aber wenn diese erst durch ein Hörrohr durchpassirt, so wundert es mich nicht, daß sie sich in einen tiefen Alt verwandelt.«

»Wohlan, meine Damen, nun ist die Reihe an Ihnen,« sagte Herr Krächzer, sich an die beiden Fransenmacherinnen wendend; »Sie wissen ohne Zweifel einige Stücke auswendig?«

»Ah! ich will wohl glauben, daß wir auswendig wissen! ... Das ganze Repertoir der Mamsell Jenny Colon ... die Arien des Herrn Achard! ... Ah, wie liebe ich die Stimme des Herrn Achard! ... Nun, Phrasie, singe die Arie aus dem Commis und der Grisette

»Du wirst mir einblasen, wenn ich fehle.«

Als sich das junge Mädchen zu singen anschickte, nahm sie der Professor der Deklamation bei der Hand und führte sie zu Herrn Berruchon, der sein Horn fest an's Ohr gedrückt hielt, und sagte zu ihr: »Haben Sie die Güte, sich ein wenig, gegen das Höhrrohr dieses Herrn zu bücken, damit er Sie hören kann.«

»Das wäre schön!« sagte die Grisette, indem sie zurückwich; »wollen Sie sich über mich lustig machen? Das ginge mir an, gebückt hinzustehen! ... Glauben Sie, ich sei hieher gekommen, um in Hörner hineinsingen zu lernen?«

»Aber, mein Fräulein, meine Schülerin hat ja eben die Arie aus den Bajaderen: »Kein Auge lass' ich ab,« gut hineingesungen.«

»Ich weiß nicht, was sie abgelassen hat, aber ich weiß, daß ich nicht in das Horn singe, ich! ;...«

»O, mein Gott! komm, Phrasie, wir wollen gehen. Die Klasse dieses Herrn kommt mir wie ein alter Zwieback vor.«

»Ein alter Zwieback, meine Klasse!« rief der Professor, indem er sein Taschentuch über sein Bein warf; »meine Damen, mäßigen Sie Ihre Ausdrücke, ich bitte Sie darum!«

»Ja, komm! O, wir werden noch immer so gut spielen, als diese Alle hier! ... Ueberdies gibt es keinen Mangel an Professoren ... Aber in die kleine Heulerstraße in den vierten Stock zu gehen, um in ein Horn singen zu lernen, das geht über meinen Horizont?«

»Meine Damen, respektiren Sie meine Klasse; mein Talent ist bekannt, und ich ;...«

»O, ich glaube wohl, daß Sie bekannt geworden sein müssen, seit der Zeit, daß Sie auf die Welt gekommen sind! Komm, Phrasie, wir wollen gehen, wir wollen die Zaire nicht spielen, das türkische Costüm macht sich zu häßlich; ich grüße Sie, meine Herren und Damen.«

Die beiden Frauenzimmer begaben sich hinweg, indem sie laut auflachten, während Herr Krächzer, roth vor Zorn, am Rande seiner Bühne auf- und abging und die Zöglinge über das, was ihr Professor so eben hätte anhören müssen, wie versteinert dastanden.

»Es gibt keine Sitten mehr ... es gibt keinen Respekt mehr ... es gibt kein Dickohrum mehr ;...« murmelten die beiden alten Nachbarinnen, während Herr Berruchon, der von Allem, was vorgegangen, kein Wort verstanden hatte, sich fortwährend das Horn ans Ohr hielt, indem er schrie: »Wird mir Niemand etwas vorsingen?«

»Die kleinen Unverschämten!« sagte Madame Grignoux, »sie hätten eine Züchtigung verdient ... Ich hätte ihnen gar zu gern die Ruthe gegeben.«

»Und ich auch,« sagte der Spezereibeflissene; »um so mehr, als sie fortwährend gelacht haben, während ich den Chatillon spielte.«

»Ich wollte wetten,« sagte Herr Krächzer, »daß einer meiner Collegen, der über den Erfolg meines Unterrichts eifersüchtig ist, mir aus Haß diese Frauenzimmer auf den Hals geschickt hat, um mich zu chikaniren.«

Während dieser Unterredung hatten sich Herr Guerreville und der Doktor von ihren Sitzen erhoben; Julius hatte seine Leinwandhülle abgelegt, sich den Rock wieder angezogen und den Hut genommen; er nahm Abschied von dem Professor, der ihm die Hand drückte, indem er ihm noch sagte: »Mein lieber Freund, ich bin entzückt von Ihnen, Sie werden es weit bringen, ich stehe Ihnen dafür; mit Hülfe meines Unterrichts werden Sie noch auf unsern ersten Theatern glänzen.«

Dann wandte sich Herr Krächzer zu Herrn Guerreville und sagte ihm: »Kann ich wohl so glücklich sein, zu glauben, daß Sie und Ihr Freund an meinen Vorstellungen einiges Vergnügen gefunden haben?«

»Sehr viel, mein Herr, sehr viel Vergnügen!« entgegnete der Doktor, »und ich versichere Sie, daß ich diesen Morgen nie vergessen werde.«

»Wenn mir die Herren die Ehre erzeigen wollten, wieder zu kommen, so würde ich mich durch die Gegenwart so ausgezeichneter Kunstliebhaber sehr geschmeichelt fühlen.«

Diese Worte waren von unzähligen theatralischen Complimenten begleitet, wobei das Taschentuch stets von einem Arm unter den andern fuhr, und bis zur Treppe erschöpfte sich Herr Krächzer in Katzenbuckeln.

Endlich gelangten Herr Guerreville und sein Freund aus dem Hause des Professors der Deklamation; der junge Julius begleitete sie auf die Straße und ging einige Schritte neben dem Freunde seiner Mutter her; man sah es ihm an, daß er vor Begierde brannte, Herrn Guerreville zu fragen, was er von seinen Anlagen für die Bühne halte; aber er wußte nicht, wie er das Gespräch anknüpfen sollte, obgleich die Schmeicheleien seines Lehrers ihm viel Vertrauen zu seinem Talente eingeflößt hatten.

Herr Jenneval bemerkte die Verlegenheit des jungen Mannes und sagte während des Gehens mit halblauter Stimme zu Herrn Guerreville: »Nun ... Sie sagen nichts zu dem Zöglinge des Herrn Krächzer?«

»Was wollen Sie, daß ich ihm sagen soll?«

»Nun, der junge Mann möchte doch gerne wissen, was Sie von seinem Talente halten.«

»Von seinem Talent! ... Armer Junge! ... O! seine Mutter hatte wohl Recht!«

Man kam auf den Boulevards an; nun hemmte Herr Guerreville seine Schritte. Julius ging immer in einiger Entfernung von ihm, aber sein Gesicht hatte sich verfinstert, weil man nicht mit ihm sprach; endlich wandte sich Guerreville nach seiner Seite und richtete das Wort an ihn: »Herr Julius, haben Sie noch immer Lust, Schauspieler zu werden?«

»Ohne Zweifel, mein Herr.«

»Nun wohl ... Sie haben Unrecht, großes Unrecht.«

»Wie, mein Herr, Sie finden keine Anlagen in mir?«

»Gar keine.«

»Indeß, mein Professor ;...«

»Ihr Professor ist ein Narr, den ich für unfähig halte, Sie in etwas zu unterrichten, was er selbst nie gekonnt hat.«

Der arme Julius war wie versteinert; er hatte sich auf Complimente gefaßt gemacht, und man sagte ihm ohne Rückhalt, daß er nicht die mindeste Anlage für das Theater gezeigt habe. Die Röthe stieg ihm ins Gesicht, er schwieg jedoch, schlug die Augen nieder und ging weiter.

Der Doktor näherte sich dem jungen Manne, dessen Illusionen alle eben vernichtet worden waren, und sprach zu ihm, indem er seinen Arm sanft in den des Jünglings legte: »Sehen Sie, mein lieber Julius, Sie sind noch sehr jung: gestatten Sie, daß ich Ihnen einen Rath gebe?«

»Ich werde Sie anhören, mein Herr.«

»Ich will mir nicht erlauben, über Ihren Beruf zum Theater ein Urtheil zu fällen, mein Ausspruch in dieser Beziehung dürfte nicht einmal competent sein; aber ich bin Arzt, und als solcher will ich zu Ihnen sprechen: Sie haben von Natur eine sehr zarte Brust, glauben Sie mir und gehen Sie nicht auf das Theater, Ihre Gesundheit würde dadurch sehr leiden, und würde vielleicht die Anstrengung gar nicht aushalten können, die Sie machen müßten, um ein großer Künstler zu werden ... Ueberlegen Sie das wohl. In Ihrem Alter eröffnet sich Einem ein so langes, so schönes Leben ... Statt es durch immer von Neuem sich wiederholende Anstrengungen abzukürzen, ist es da nicht besser, es durch passende Vergnügungen zu erheitern?«

»O, mein Herr, mein Leben würde sehr traurig sein, wenn ich Parfümeur bliebe.«

»Können Sie denn gar nichts Anderes werden, als Parfümeriehändler oder Schauspieler? Gibt es nicht in den Künsten selbst noch tausend andere Wege, die Sie verfolgen können? ... Herr Guerreville interessirt sich für Sie ... er wird Sie leiten; Sie müssen seine Rathschläge befolgen.«

»Sie glauben, daß Herr Guerreville Antheil an mir nimmt? ... O, wie glücklich würde ich sein, wenn dem so wäre! ... Meine Mutter hat mir so dringend empfohlen, alle meine Kräfte aufzubieten, um seine Freundschaft zu verdienen. Aber Herr Gurreville hat manchmal eine so strenge Miene, daß mich das einschüchtert.«

»Herr Julius, wenn Sie erst mehr Weltkenntniß haben, so wird es Ihnen klar werden, daß es besser ist, strengen Mienen zu begegnen, die Ihnen die Wahrheit sagen, als lächelnden, die Sie belügen.«

»O! ohne Zweifel, mein Herr; aber ... trotzdem, wage ich es nicht, zu glauben ... Sie sehen ja, daß Herr Guerreville jetzt kein Wort mehr zu mir spricht. Ich will Sie verlassen, denn ich befürchte, ihn zu belästigen.«

»O, er ist oft zerstreut, träumerisch ... Er hat Kummer, den man berücksichtigen muß.«

»Kummer! O, Sie glauben, er habe Kummer?«

»Ich weiß es gewiß.«

»Ah! dann bin ich ihm viel Dank dafür schuldig, daß er so gütig war, heute zu meinem Deklamationsunterricht zu kommen.«

»Ja, er hat Ihnen dadurch ein großes Opfer gebracht, und das beweist, daß er Theil an Ihnen nimmt; um dies anzuerkennen, sollten Sie darauf verzichten, auf die Bühne zu gehen.«

»Auf die Bühne verzichten ... Ach! mein Herr, welches Opfer! Aber ich werde sehen ... ich werde mir es überlegen ... Adieu, mein Herr!«

Julius grüßte den Doktor, dann sagte er mehrere Male Herrn Guerreville Adieu! und da er keine Antwort erhielt, grüßte er ihn ehrerbietig und entfernte sich.

»Armer Junge!« sagte Jenneval zu sich: »ich habe ihn versichert, Herr Guerreville interessire sich für ihn; aber ich glaube, ich bin zu weit gegangen.«

Und sich Herrn Guerreville nähernd, sagte der Doktor zu ihm: »Nun, er hat uns verlassen ... Er ist ganz trostlos weggegangen über das, was Sie ihm gesagt haben.«

»Wer das?« fragte Herr Guerreville mit erstaunter Miene, ans seinen Träumereien erwachend.

»Wer sonst, als Herr Julius, der junge Mann, den seine Mutter Ihnen empfohlen hat.«

»Ach! Verzeihung ... Verzeihung, Doktor! ... Ach ja, Julius! ... Ich hatte ihn vergessen!«

»Ich war es Überzeugt,« sagte Jenneval zu sich selbst; »in der Tiefe seines Herzens ist ein Gefühl, welches kein anderes neben sich aufkommen läßt.«


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