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Neunzehntes Kapitel

Die Ceremonie

Jenneval theilte Herrn Guerreville mit, was er gethan hatte, so wie auch den Erfolg seiner Nachforschungen nach den beiden jungen Leuten, und endigte seine Erzählung, indem er sagte: »Soll man nach Moulins reisen, um den Sohn der Madame Gallet zurückzubringen? Soll man Kundschafter, Couriere nach allen Richtungen ausschicken, um es zu versuchen, Agathens und ihres Liebhabers habhaft zu werden? was denken Sie davon, mein Freund?«

Guerreville stieß einen tiefen Seufzer aus und stotterte: »Ich weiß nicht ... ich sehe nicht, wie man könnte ... sie wollten ihre Eltern verlassen: dieser Julius träumt nur vom Theater, und diese junge Agathe hat mit ihrem vollen Willen und ohne eine Thräne zu vergießen, ihre Mutter verlassen. Ach! solchen Menschen kann man nicht nachlaufen.«

»Und Sie,« sagte der Doktor, indem er sich neben seinen Freund niedersetzte, »haben Sie auch noch nichts erfahren? sind Sie diesem Daubray noch nicht begegnet?«

»Nichts, immer nichts! ich weiß nicht, welcher Dämon diesen Menschen beschützt und ihn meiner Rache entzieht. Ich gehe, ich laufe, ich erkundige mich; ich durchlaufe täglich alle Promenaden, bisweilen sogar einen Theil der Umgegend von Paris; doch stets vergeblich! Dieser Daubray ist unsichtbar, unauffindbar für mich.«

»Das ist ganz unbegreiflich!«

Herr Guerreville und sein Freund waren in ihre Betrachtungen vertieft. Beide saßen vor dem Kamin, ohne mehr mit einander zu sprechen; aber derselbe Gedanke beschäftigte sie.

Es war schon neun Uhr vorüber, und der Doktor wollte eben seinen Freund verlassen, der, von der Anstrengung des Tages ermüdet, der Ruhe bedürftig zu sein schien, als man klingelte.

»Wer kann mich noch so spät besuchen wollen?« sagte Herr Guerreville, »mich, der ich Niemand erwarte, zu dem fast kein anderer Mensch kommt als Sie?«

»Vielleicht diese Frau Armand,« sagte Jenneval, »die irgend etwas Neues erfahren haben mag.«

»Ach! wenn es möglich wäre!«

Und Guerreville wartete ängstlich auf das Oeffnen der Thüre. Endlich erschien Georg.

»Mein Herr, es ist ein Mann da, ein Auvergnate, welcher sagt, der Herr kenne ihn, und welcher Sie zu sprechen wünscht.«

»Ein Auvergnate? Ah! Jerome, ohne Zweifel.«

»Ja, Jerome, das ist gerade der Name, den er mir sagte.«

»Laß ihn eintreten. Armer Jerome!« sprach Guerreville, »ich hatte ihn und seine Tochter gänzlich vergessen. Ach! es freut mich sehr, ihn wieder zu sehen!«

Der Wasserträger erschien an der Thüre des Salons und wagte dem Anschein nach nicht, weiter zu gehen; er hielt den Hut in der Hand und verbeugte sich fast bis zur Erde, indem er stotterte: »Verzeihung, Entschuldigung, mein Herr, wenn ich mir erlaube ... ich bitte Sie sehr um Verzeihung, daß ich mir die Freiheit genommen, Sie zu besuchen.«

»Treten Sie näher, treten Sie näher, mein lieber Jerome, Ihr Besuch macht mir Vergnügen und ich danke Ihnen, daß Sie mich nicht vergessen haben. Nun, kommen Sie, treten Sie doch herein. Setzen Sie sich zu uns; dieser Herr ist mein Freund, mein zweites Ich; seine Gegenwart darf Sie in nichts geniren.«

Jerome verbeugte sich bald vor Herrn Guerreville, bald vor dem Doktor, und als er in die Mitte des Zimmers gekommen war, wollte er sich durchaus nicht niedersetzen. Erst auf Guerreville's dringende Aufforderung entschloß er sich endlich, sich auf den Rand eines Stuhles niederzulassen.

»Was führt Sie zu mir, Jerome?« fragte Guerreville, indem er mit seinem Stuhle dem Auvergnaten näher rückte, der darauf beharrte, in der Mitte des Saales zu bleiben. »Kommen Sie nur, um mich zu besuchen, so schlage ich das sehr hoch an und danke Ihnen dafür; kommen Sie aber, um etwas von mir zu verlangen, so sprechen Sie, es wird mich freuen, Ihnen nützlich sein zu können.«

»O! mein Gott! mein Herr, Sie haben zu viel Güte!« erwiderte Jerome, indem er seinen Hut auf seinen Knieen herumdrehte. »Wahrhaftig, weil Sie immer so freundlich gegen mich waren, habe ich Sie auch heute aufgesucht. Schon seit einigen Tagen wollte ich Sie immer um Rath fragen, bin aber nicht dazu gekommen. Heute Abend aber, als mein Geschäft beendigt war, hat es mich nicht mehr ruhen lassen. Sie hatten mir Ihre Adresse gegeben und ich habe Sie nicht vergessen.«

»Nun gut, mein Freund, erzählen Sie mir, was Sie herführt?«

»Es geschieht um meiner Kleinen willen, meiner Zizinette. Erinnern sich der Herr noch meiner kleinen Zizine?«

»Ja, Ihrer Tochter! ... Ein Kind, das auch Ihnen auf der Stelle Interesse eingeflößt hätte, Doktor; ein kleines, so sanftes und doch schon so vernünftiges Gesichtchen. Ich erinnere mich, Jerome, daß sie reiche Beschützerinnen gefunden hatte ... und ich selbst hätte Erkundigungen einziehen sollen. Ach! ich bin so zerstreut, ich vergesse Alles, was ich versprochen habe.«

»O! mein Herr, Sie haben an ganz andere Dinge zu denken; aber ich, der ich nur mit dem Glücke meiner Zizinette beschäftigt bin, ich komme, Ihnen zu sagen, was mich beunruhigt. Es sind etliche Wochen her, da, zur Abendzeit, als ich ruhig meines Weges in einer Straße hinging, hörte ich mich rufen ... die Stimme kam aus einem Kabriolet und ich hatte sie gleich erkannt, es war die meiner Zizine ... Ich laufe hinzu, erreiche das Pferd und halte es auf. Meine Kleine war in dem Wagen, mit einem schönen, reich bordirten Bedienten. Man hatte bei ihren Beschützerinnen erzählt, ich sei krank, und das Kind hatte mich durchaus besuchen wollen. Ich beruhigte sie und brachte sie selbst zu Madame Dolbert zurück. Indeß kam es mir sonderbar vor, daß man meine Kleine so allein fortgelassen hatte, mit jenem Bordirten. Ich sagte mir: sonst verließ sie Fräulein Stephanie keinen Augenblick, wie kommt es, daß sie sie an jenem Abende nicht begleitet hat, als Zizine glaubte, ich sei sehr krank? Das Alles ging mir im Kopfe herum. Ich dachte: vielleicht sind die Damen schon überdrüssig, meine arme Kleine bei sich zu haben. Darauf ging ich vor einigen Tagen zu Madame Dolbert und fragte nach meiner Zizinette. Das Kind lief herbei; o! sie umarmte mich noch immer mit gleicher Herzlichkeit, obwohl sie schöne Kleider hat; aber es kam mir vor, als ob sie nicht mehr die zufriedene, heitere Miene wie gewöhnlich habe. Sie versicherte mich jedoch, daß ihre Beschützerinnen sie noch immer liebten; aber im Gespräche theilte sie mir mit, daß Fräulein Stephanie, die Enkelin der Madame Dolbert, im Begriffe stehe, sich zu verheirathen, und während sie mir das erzählte, ging der Zukünftige gerade an uns vorbei. O! es ist ein schöner Herr, von einem feinen Wesen; er sieht aber durchaus nicht liebenswürdig aus, und während er an uns vorüberging, warf er auf meine Zizine einen Blick, man hätte glauben sollen, er wäre in Wuth. Das Kind sagte zu ihm: »›;Guten Tag, mein Herr!‹« Er antwortete ihm aber mit keinem Worte. Dies Alles hat mich zum Nachdenken gebracht. Ich fürchte für die Zukunft, ich fürchte, meine Kleine werde bei dem Herrn, der das Fräulein Stephanie heirathen soll, nicht wohl aufgehoben sein ... und beim Kuckuk! wäre es da nicht besser, wenn das Kind wieder zu mir käme? Das ist's, was mich seit einigen Tagen beunruhigt, und darum bin ich heute Abend hergekommen, mein Herr, um Ihren Rath einzuholen.«

»Guter Jerome, Sie denken nur an Ihre Tochter ... Ihre Gedanken sind nur auf sie gerichtet ... Ach! ich begreife das!«

»Und kennen Sie den Namen des Herrn, der Fräulein Dolbert heirathen soll?« sagte Jenneval, indem er sich an den Wasserträger wandte.

»Ja, mein Herr, meine Kleine hat mir ihn genannt; er heißt ... nun ... habe ich ihn denn wieder vergessen? ... Ah! er heißt Herr Emil de la ... Delaberge ... Ja, so ist's.«

»Delaberge!« murmelte der Doktor, »der Name ist mir nicht unbekannt ... Wer sprach mir doch neulich von ihm? ... Ah! Vadevant, da er mir von seinen Cousinen erzählte ... Aber, wenn er mir die Wahrheit gesagt hat, so ist dieser Delaberge ein sehr schlechter Mensch.«

»Sehen Sie! er hat auch, meiner Treu, kein gutmüthiges Aussehen; ich habe gedacht, daß wenn Herr Guerreville die Güte haben wollte, diese Damen zu besuchen, er das Nähere erfahren könnte. Denn was mich betrifft, sehen Sie, so wüßte ich nicht, wie ich mich dabei benehmen sollte, den Damen zu sagen: »›;Wenn mein Kind Ihnen überlästig ist, so geben Sie es mir zurück.‹«

»Ich verstehe Sie, Jerome. Nun gut, ich unterziehe mich dieser Commission. Ich werde zu Madame Dolbert gehen ... und mich dort vorstellen, als käme ich in Ihrem Namen; ich werde erfahren, ob Ihre Tochter dort nicht mehr so geliebt wird, als sie geliebt zu werden verdient, und in diesem Falle Ihnen Ihr Kind wieder zuführen, für dessen Zukunft wir dann gemeinschaftlich sorgen werden.«

»O! mein Herr! wie vielen Dank schulde ich Ihnen ... Ah! ich war wohl überzeugt, daß ich Sie bereit finden würde. Wenn es sich darum handelt, Jemand einen Dienst zu erweisen, sind Sie immer da!«

»Wie lange ist es, daß Sie bei diesen Damen waren?«

»Das ist schon lange ... zehn Tage.«

»Die junge Beschützerin Ihrer Tochter ist vielleicht schon verheirathet. Doch das wäre ein Grund weiter, daß ich Ihnen Ihre Zizine zurückbrächte, wenn die Neuvermählten sie nur mit Kälte behandelten.«

»Und wann werden der Herr die Güte haben, zu Madame Dolbert zu gehen?«

»Morgen, Jerome, im Laufe des morgigen Tages verspreche ich Ihnen Ihren Auftrag auszuführen.«

»Ach, mein Herr, welche Güte! ... Dann, wenn Sie es erlauben, werde ich morgen Abend wieder hierher kommen, um zu erfahren, was man Ihnen gesagt hat.«

»Ja, Jerome, kommen Sie morgen wieder und ich werde Ihnen Nachricht von Ihrer Tochter geben können.«

Der Wasserträger stand auf, grüßte Herrn Guerreville und den Doktor mehrmals und entfernte sich dann, indem er sich in Danksagungen erschöpfte.

»Das ist ein guter Vater,« sagte Herr Guerreville, als der Auvergnate hinausgegangen war. »In der Hoffnung, seine Tochter würde glücklicher sein, hat er sich ihrer Gegenwart, ihrer Umarmungen beraubt; er dachte nicht: wenn sie im Reichthum leben, wenn sie andere Manieren annehmen wird, könnte sie mich vielleicht vergessen; er hatte keinen andern Wunsch als den, sein Kind glücklich zu sehen ... O! morgen werde ich zu den Leuten gehen, welche die Kleine zu sich genommen haben, und mich dort leicht überzeugen, ob sie nur noch aus Mitleid Jerome's Kind bei sich behalten. In diesem Falle werde ich es natürlich nicht bei ihnen lassen.«

»Ja, ja, daran werden Sie sehr wohl thun,« sagte Jenneval. »Ich denke an Delaberge, von dem mir Vadevant so viel Schlimmes gesagt hat; aber Vadevant ist ein großer Lügner, und ich verlasse mich nicht auf ihn.«

»Wenn sich Fräulein Dolbert verheirathet, wenn ihr zukünftiger Gemahl die Kinder nicht liebt ... ja, dann, glaube ich, hat Jerome Recht, dann darf man seine kleine Zizine nicht bei Madame Delaberge lassen ... so nennt sich doch der Bräutigam?«

»Ja, mein Freund.«

»Kurz, ich werde nachforschen und herauszubringen suchen, ob das, was man Ihnen von diesem Manne gesagt hat, gegründet ist. Morgen werde ich versuchen, Daubray und meine Tochter zu vergessen, um mich nur mit dem Kinde Jeromes zu beschäftigen ... Armer Jerome! Ach! er weiß nicht, welchen Beweis von Freundschaft ich ihm gebe. Aber seine kleine Zizine war so artig ... ich kann Ihnen nicht sagen, wie sehr sie mich gleich beim ersten Anblick für sich eingenommen hat.«

»Sie wissen die Adresse von Madame Dolbert?«

»Ja, Jerome hat sie mir gegeben.«

»Morgen, nach Tische werde ich Sie besuchen. Ich bin neugierig, den Erfolg Ihres Besuches bei diesen Damen zu erfahren. Auf morgen also, mein Freund.«

»Auf morgen, Doktor.«

Herr Guerreville blieb allein. Bald bemächtigte sich die Erinnerung an seine Tochter und an ihren Entführer von Neuem seines Geistes; er legte sich zu Bette und versuchte es, ein wenig Ruhe zu genießen; aber Daubray's Bild verfolgte ihn noch in seinen Träumen, die ganze Nacht wähnte er sich in der Nähe des Verführers seiner Pauline, und fragte denselben, was er mit seinem Kinde gemacht habe.

Am folgenden Morgen, als er erwachte, fühlte sich Herr Guerreville ermattet, krank; er setzte sich in seinen Lehnstuhl und stützte den Kopf in eine seiner Hände. Die Träume der Nacht verfolgten ihn noch; er glaubte Daubray und seine Tochter zu sehen; seine Pauline war unglücklich, sie weinte, und schien das Mitleid ihres Vaters anzuflehen.

Die Erinnerung an Jerome war verwischt; Guerreville hatte den Wasserträger und das demselben gegebene Versprechen vergessen.

Der Mittag kam heran; Guerreville verließ jetzt seinen Lehnstuhl; er stand auf und ging ans Fenster, er wollte sehen, ob ihm die freie Luft gut thun werde. Der erste Gegenstand, den er wahrnahm, als er seine Blicke nach der Straße richtete, war ein Auvergnate, der zwei Eimer trug und dabei mit durchdringender Stimme schrie: Wasser!

Der Anblick dieses Mannes rief Herrn Guerreville augenblicklich Jerome und Alles, was er ihm versprochen hatte, ins Gedächtniß zurück. Er schlug sich vor die Stirn, indem er ausrief: »Mein Gott! ich hatte ganz vergessen! ... Mittag ... es ist noch Zeit ... Georg! Georg! gib mir Alles, was ich zum Ankleiden nöthig habe.«

Indem er sein Gedächtniß wiederfand und sich erinnerte, was ihm zu thun oblag, schien Herr Guerreville auch wieder seine ganze Energie gefunden zu haben; er fühlte keine Schwäche, keine Niedergeschlagenheit mehr; in einer Minute hatte er seine Toilette beendet. Solche Veränderungen sind bei nervösen Leuten, welche Seelenpein darniederdrückt, aber die leichteste Hoffnung wieder zu beleben vermag, nicht selten.

Herr Guerreville gelangte bald an die ihm bezeichnete Wohnung. Mehrere Wagen hielten vor der Thüre, er achtete wenig darauf und fragte den Portier nach Madame Dolbert.

»Madame Dolbert wohnt hier, mein Herr.«

»Ist sie zu Hause?«

»O, gewiß! mein Herr.«

»Und kann ich hinaufgehen?«

»Ohne Zweifel, mein Herr, wie Jedermann. Sie wohnt im zweiten Stock.«

»Wie Jedermann!« fragte sich Herr Guerreville, indem er die Treppe hinaufstieg, »was wollte der Portier damit sagen? ... Nun gleichgültig ... sehen wir dennoch.«

Im zweiten Stocke angekommen, trat Herr Guerreville in ein weites Vorzimmer, dessen Thüre offen stand; ein Bedienter befand sich darin.

»Madame Dolbert?« fragte Guerreville.

Der Diener öffnete ihm die Thüre des Salons und sagte zu ihm: »Treten Sie gefälligst ein, mein Herr.«

Guerreville trat nun in einen sehr schönen Salon und war ganz erstaunt darüber, daselbst gegen dreißig Personen versammelt zu sehen. Die Damen waren geschmückt, die Herren, obgleich meistens in Stiefeln, hatten auch ein gewisses festliches Ansehen; verschiedene Gruppen hatten sich gebildet, man plauderte, man ging auf und ab, beim Eintreten Guerreville's begnügte man sich, ihn zu grüßen, dann setzte Jeder seine Unterhaltung wieder fort.

»Was soll das Alles heißen?« dachte Herr Guerreville, indem er seine Blicke umherschweifen ließ. »Hier geht etwas vor ... sollte das die Hochzeit sein? ... Man hat mich hereingehen lassen, wahrscheinlich weil man mich für Einen der Gäste hielt. Ich glaube, ich habe meine Zeit sehr schlecht gewählt, um von der kleinen Zizine zu sprechen, und es wird das Beste sein, wenn ich mich wieder entferne.«

Guerreville näherte sich schon der Thüre, als er in einem Winkel des Salons ein kleines, mit geschmackvoller Einfachheit gekleidetes Mädchen bemerkte, auf welches Niemand zu achten schien. An seinem niedlichen, bescheidenen und ernsten Wesen, an der Blässe seines Gesichtes, dessen Ausdruck noch wehmüthiger war als gewöhnlich, hatte Guerreville auf der Stelle Jerome's Tochter erkannt, und indem er sich alsbald an sie wandte, ergriff er ihre Hand und sagte zu ihr: »Du bist die kleine Zizine, nicht wahr?«

Das Kind betrachtete ihn; bald färbte eine lebhafte Röthe ihr Gesicht, ihre Augen belebten sich und wurden feucht, während sie stotterte: »Ah, mein Herr! ... Sie sind der gute Mann, der mir Geld für meinen Vater gegeben hat, als er krank war ;...«

»Du erkennst mich wieder, liebes Kind!«

»O ja, mein Herr, ich erkenne Sie gut! ich weiß jetzt sogar Ihren Namen, denn mein Vater hat mir erzählt, daß er Ihnen begegnet sei, und Sie ihm erlaubt hätten, Sie zu besuchen.«

»Um Deinetwillen bin ich hiehergekommen, liebe Kleine.«

»Um meinetwillen?«

»Ja, ich habe gestern Deinen Vater gesehen und er hat mir den Auftrag gegeben, mit Madame Dolbert zu sprechen ... aber ich glaube, daß ich meine Zeit schlecht gewählt habe. Was geht denn hier vor, mein Kind?«

»Mein Herr, meine gute Freundin Stephanie steht im Begriff, sich zu verheirathen; man geht gleich nach der Mairie, deßhalb sind so viele Leute hier versammelt. Stephanie ist noch bei ihrer Mutter, und wird wohl jetzt mit ihrer Toilette fertig sein.«

»Ich will mich entfernen, ehe diese Damen kommen, denn, in der That, ich wüßte nicht, was ich ihnen sagen sollte.«

»Oh! bleiben Sie doch noch ein wenig, um meine gute Stephanie zu sehen ... Sie ist so schön im Brautstaate.«

»Ich bezweifle es nicht, mein Kind, aber ich muß fortgehen, denn meine Gegenwart bei diesen Damen, die mich noch niemals gesehen haben, würde zu sonderbar erscheinen ... Ich werde in einigen Tagen wieder kommen. Adieu.«

Guerreville drückte dem kleinen Mädchen die Hand, welches ihn noch zurückzuhalten versuchte, und wollte sich gerade nach der Thüre schleichen, als eine große Bewegung in dem Salon entstand.

»Ah! da ist der Bräutigam! da ist der Bräutigam!« wiederholte man von allen Seiten, und in demselben Augenblicke trat Emil Delaberge in den Salon.

Herr Guerreville, der seine Blicke nach der Thüre gerichtet hatte, war einer der ersten, die ihn bemerkten. Da ging eine plötzliche Verwandlung in allen seinen Zügen vor; seine Augen wurden starr, seine Füße konnten nicht von der Stelle, seine Fäuste ballten sich krampfhaft zusammen und er brachte mit erstickter Stimme die einzelnen Laute hervor: »Das ist er! ... das ist Daubray!«

Aber Emil hatte Herrn Guerreville nicht sehen können, der durch viele Personen verdeckt war. Er schritt mit freundlicher Miene durch den Salon, indem er den Damen zulächelte, den Männern die Hand drückte und auf die Glückwünsche, die an ihn gerichtet wurden, antwortete.

Fast in demselben Augenblicke trat Stephanie mit ihrer Großmutter durch eine Thüre im Hintergrunde ein. Emil beeilte sich, diesen Damen entgegenzugehen.

Stephanie, deren Toilette auf das Geschmackvollste angeordnet war, schien noch schöner zu sein; eine ungewöhnliche Blässe, die sich über ihr Gesicht verbreitet hatte, gab ihre, Physiognomie einen unbeschreiblichen Ausdruck und Reiz; sie lächelte, indem sie ihre Blicke zu Emil erhob, der eine ihrer Hände ergriff und sie an seine Lippen preßte.

»Wir haben uns verspätet,« sagte Madame Dolbert, »aber ich wünschte, meine Stephanie sollte hübsch aussehen, und am Hochzeittage ist es wohl erlaubt, ein wenig Eitelkeit zu besitzen. Wenn Sie meiner Ansicht sind, meine Herren und Damen, so wollen wir uns aber jetzt auf den Weg machen.«

Alles stimmte in diesen Vorschlag ein; eine allgemeine Bewegung entstand in dem Salon. Emil hatte Stephanien seinen Arm geboten; er war eben im Begriff, sie fortzuführen, und alle Uebrigen ihnen zu folgen. Aber ein Mann hatte sich vor die Thüre des Salons gestellt und anstatt wie die Andern auf die Seite zu gehen und den Brautleuten Platz zu machen, blieb dieser Mann unbeweglich und versperrte ihnen den Ausgang; dann seinen Arm Emil entgegenstreckend, auf dem seine niederschmetternden Blicke hafteten, schrie er ihm mit donnernder Stimme zu: »Wohin wollen Sie, mein Herr?«

Diese Frage und der Ton, in welchem sie gemacht wurde, brachten eine lebhafte Bewegung in der ganzen Gesellschaft hervor; Alle hielten ihre Schritte zurück und richteten ihre Blicke wechselsweise auf Herrn Guerreville und den Bräutigam; dieser Letztere, der Anfangs nur überrascht schien, war plötzlich blaß geworden und zitterte, als er die Züge des Mannes, der ihm den Ausgang versperrte, genauer betrachtete.

Stephanie, bewegt und unruhig, sah den, der im Begriffe stand, ihr Gatte zu werden, an und schien sich zu wundern, daß er den Mann, der ihnen den Ausgang versperrte, noch nicht zurückgestoßen hatte. Bald aber hatte Emil seine Geisteskräfte wieder gesammelt, und indem er zu lächeln versuchte, rief er aus: »Das ist ein Scherz, den ich nicht begreife; zurück, mein Herr, halten Sie uns nicht länger auf.«

»Elender!« rief Guerreville, Emil am Arm ergreifend; »Du stellst Dich, als erkenntest Du die Stimme eines Vaters nicht, der hierher kommt, um sein Kind von Dir zurückzufordern! Madame, dieser Mensch kann nicht der Gatte Ihrer Tochter werden. Ohne Zweifel wollen Sie das Glück Ihrer Stephanie sichern ... Der, an den Sie dieselbe eben verheirathen wollten, ist ein Ungeheuer, ein feiger Verführer. Unter dem Namen Daubray hat er sich bei mir eingeführt und mir meine Tochter geraubt ... mein einziges Kind ... indem er sie glauben machte, ich hätte ihm ihre Hand verweigert ... Was hast Du aus meiner Tochter gemacht, Niederträchtiger? Antworte! – antworte!«

Diese Worte verursachten eine plötzliche Erschütterung in der Versammlung. Stephanie fühlte einen eisigen Schauer durch ihren ganzen Körper rieseln, dann schlossen sich ihre Augen und sie fiel bewußtlos in die Arme einiger Damen, die sie umringten. Man trug sie auf einen Divan. Zizine, Madame Dolbert liefen zu ihr; Jeder wollte ihr beistehen, zu gleicher Zeit aber betrachtete man auch den Fremden, dessen Züge und ganze Person Achtung einflößten, und ängstlich harrte man auf die Antwort des Bräutigams.

Nachdem er es vergeblich versucht hatte, seinen Arm loszumachen, rief Emil, indem er sich gegen die Gesellschaft wandte: »In der That, ich bin ganz trostlos über diesen Vorfall ... aber ich kann dabei nichts thun ... Dieser Herr ist sicher wahnsinnig; denn ich sehe ihn hier zum erstenmale, und ich weiß nicht, was er mit seiner Tochter sagen will.«

»Elender! ... es fehlte Dir weiter nichts, als die Beleidigung zur Beschimpfung hinzuzufügen,« rief Guerreville, den Emils Kälte nur noch mehr außer sich brachte. »Ah! Du willst mich nicht wieder erkennen ... Nun gut! vielleicht werde ich ein Mittel finden, Dich dazu zu zwingen.«

In demselben Augenblicke traf Guerrevilles Hand Emils Wange.

Ein allgemeiner Schrei ertönte durch den Saal; einige junge Leute wollten sich auf Guerreville stürzen und ihn hinauswerfen, doch sein Achtung gebietender Blick hielt sie zurück. Während Emil, blaß, bewegungslos, nach der Ohrfeige, die er empfangen hatte, Augen auf Guerreville rollen ließ, die einen tigerartigen Ausdruck hatten, murmelte er dabei: »Ah! Sie wollen also, daß ich Sie tödte!«

»Ja, nachdem Du mir mein Kind geraubt hast, nimm mir das Leben ... oder gib mir das Deine ... all Dein Blut wird noch nicht hinreichen, um Dein Verbrechen abzuwaschen.«

»Wohlan! mein Herr, morgen früh ;...«

»Nein, nein, heute, in einer Stunde ... vor dem Saint-Mandéthore.«

»Heute, es sei.«

»Ich gehe, mir einen Sekundanten zu holen, und erwarte Dich; ... aber versuche nicht, mir zu entschlüpfen; ich weiß nun Deinen Namen, ich weiß, daß Du Dich Delaberge nennst, und ich würde Dich wieder zu finden wissen.«

»In einer Stunde ... ich werde mich einfinden.«

Guerreville hatte von den letzten Worten nichts mehr gehört; er entfernte sich, ohne daß ihn Jemand zurückzuhalten suchte; er verließ dieses Haus, in das er eben Unruhe und Bestürzung gebracht hatte; er eilte in seine Wohnung, brennend vor Begierde, sich zu rächen, aber noch betäubt von allen den Empfindungen, die ihn durchdrungen hatten, als er den Verführer seiner Tochter wiederfand.

Jenneval war bei seinem Freunde, wo er dessen Rückkunft erwartete. Als er Guerreville erblickte, errieth er gleich, daß ihm ein bedeutendes Ereigniß zugestoßen sein mußte; er ging ihm rasch entgegen.

»Was gibt es ... was ist vorgefallen?«

»Ach! mein Freund ... ich habe ihn wiedergefunden! ich habe ihn endlich wiedergesehen ... dieses Ungeheuer ... diesen Daubray ... es ist Emil Delaberge ... derselbe, der Fräulein Dolbert heirathen sollte.«

»Wäre es möglich!«

»Heute sollte die Hochzeit sein; ... er wollte eben das junge Mädchen zum Altare führen. Beim Anblick dieses Menschen ... war ich nicht mehr Herr meiner selbst ... ich habe ihn festgehalten ... ich habe ihn gefragt, was er mit meiner Tochter gemacht habe ... der Elende! ... er stellte sich, als ob er mich nicht kenne ... da, in meiner Wuth ;...«

»Haben Sie ihn geschlagen?«

»Ja ... Ah! das war der erste glückliche Augenblick, den ich seit langer Zeit erlebt habe.«

»Aber, mein Freund, war das aber auch das rechte Mittel, ihn zum Geständniß zu bringen?«

»Oh! ich habe vielleicht Unrecht gehandelt. Aber konnte ich Herr meiner selbst bleiben ... meine Wuth bemeistern vor diesem Niederträchtigen, welcher behauptete, ich sei wahnsinnig? ... Der Schändliche! ... Oh! aber wir werden uns schlagen ... auf der Stelle ... in Saint-Mandé... Doktor, Sie müssen mein Sekundant sein?«

»Ja, ja, ohne Zweifel. Aber dieser Kampf ... Wenn Sie diesen Menschen tödten, wer wird Ihnen sagen, was aus Ihrer Pauline geworden ist?«

»Glauben Sie nicht, daß im Augenblicke des Todes ein Gefühl der Reue in seiner Seele erwachen wird? Kurz, Doktor, der Kampf ist unvermeidlich. Vielleicht hätte ich mich anders dabei benehmen ... List anwenden sollen, um ihn zum Sprechen zu zwingen; aber als ich ihn in den Salon treten sah ... als ich sah, wie seine Hand die des Mädchens ergriff, das er zum Altare führen wollte ... da ... sehen Sie ... da wußte ich selbst nicht mehr, was mit mir vorging ... dieser Emil ist ein Elender ... und vor aller Welt hätte ich ihm sein Verbrechen vorwerfen mögen. Mein Freund, an meiner Stelle, das bin ich überzeugt, hätten Sie wie ich gehandelt.«

»Das ist möglich. Jetzt wollen wir nur an Ihr Duell denken. Welche Waffen nehmen Sie?«

»Degen und Pistolen, er mag wählen. Georg, Georg, laß einen Wagen vorfahren, wir haben keine Zeit zu verlieren.«

»Er soll hinten hinaufsteigen, seine Gegenwart könnte uns nöthig werden.«

Jenneval traf alle Vorkehrungen. Guerreville war nicht im Stande, sich mit irgend etwas zu beschäftigen, er konnte nur mit großen Schritten im Zimmer auf- und abgehen, indem er abwechselnd bald auf seine Taschenuhr, bald auf die Standuhr sah und immer wiederholte: »Eilen wir, eilen wir! die Zeit drängt.«

Endlich waren die Vorbereitungen beendet. Guerreville lief eilig die Treppe hinunter. Ein Wagen erwartete ihn auf der Straße; er setzte sich mit dem Doktor, welcher die Waffen hatte, hinein. Georg stieg hinten hinauf und der Kutscher fuhr nach Saint-Mandé.

Jenneval schien besorgt und saß schweigend neben seinem Freunde. Dieser ergriff ihn bei der Hand und sagte zu ihm: »Mein Freund, theilen Sie denn mein Glück nicht? Ich habe den Elenden wieder gefunden, der mir meine Tochter geraubt hat ... Ich werde mich mit ihm schlagen ... ihn züchtigen ... mich rächen ... Oh! begreifen Sie meine Freude nicht!«

»Ich begreife vollkommen, daß es Ihnen Befriedigung gewährt, sich mit dem zu schlagen, der sie gekränkt hat ... aber ich fürchte, das Resultat, welches Sie wünschen, möchte dadurch nicht herbeigeführt werden. Wenn Sie diesen Menschen tödten, werden Sie nicht erfahren, was aus Ihrer Tochter geworden ist ... wenn er triumphirt ;...«

»Dann, mein Freund, komme ich wieder zu meiner Pauline, denn meine Tochter lebt nicht mehr, ich kann nicht mehr daran zweifeln ... sonst wäre sie schon längst zurückgekehrt, um ihre Schande am Busen ihres Vaters zu verbergen. Wenn es übrigens eine Gerechtigkeit im Himmel gibt, glauben Sie dann, daß ich in diesem Duelle unterliegen könne?«

»Nein; aber die himmlische Gerechtigkeit gleicht zuweilen der menschlichen Gerechtigkeit; man begreift ihre Beschlüsse nicht immer.«

Guerreville begnügte sich, seinem Freunde die Hand zu drücken, und sie fuhren dem Ziele immer näher.

Der Wagen gelangte zum Thore von Saint-Mandé; man ließ anhalten. Die beiden Freunde stiegen aus und gingen in das Gehölz. Georg hatte den Befehl, ihnen nur von ferne zu folgen.

Guerreville's Blicke drangen nach allen Seiten unter die Bäume und suchten seinen Gegner. Emil Delaberge war noch nicht angekommen.

»Der Feigling! ... läßt auf sich warten! er will mich bis auf den letzten Augenblick beschimpfen,« sagte Guerreville, indem er ungeduldig unter den Bäumen umherging.

»Ruhe, mein Freund, suchen Sie sich zu mäßigen, man schlägt sich weniger gut, wenn man so sehr aufgeregt ist.«

»Ach! Jenneval, schon seit so langer Zeit sehne ich mich nach diesem Moment! ... Die Augenblicke kommen mir wie Jahrhunderte vor!«

Endlich, nach Verlauf von fünf Minuten kam Emil Delaberge mit zwei jungen Leuten an, die einen Theil der Gesellschaft bildeten, welche diesen Morgen bei Madame Dolbert versammelt gewesen war.

»Da ist er! da ist er!« rief Guerreville. »Ah! ich athme wieder ... ich fürchtete, er würde nicht kommen.«

Die drei jungen Leute näherten sich. Emil mit einer kalten, leidenschaftslosen Miene; man begab sich nach einem einsamen Orte des Gehölzes. Bald blieb Herr Guerreville stehen, indem er sagte: »Dieser Platz ist recht.«

»Ich habe Pistolen mitgebracht,« sagte Emil. »Wenn Sie übrigens den Degen vorziehen, ist es mir ganz gleich.«

»Nun gut! ja, den Degen, man steht sich besser ins Gesicht.«

Jenneval reichte den Duellanten die beiden Degen, welche er unter seinem Oberrocke verborgen hatte; Jeder von ihnen, nachdem er sich seines Rockes und seiner Weste entledigt, ergriff einen davon, ohne nur vorher den andern zu prüfen.

»Mein Herr,« sagte Guerreville, indem er sich auslegte ... »ich schlage mich für meine Tochter, welche Sie mir geraubt haben ... Einer von uns kann in dem Kampfe den Tod finden ... Bevor wir unsere Waffen kreuzen, verlange ich von Ihnen, daß Sie mir sagen, was Sie mit meinem Kinde angefangen haben?«

»Mein Herr,« erwiderte Delaberge mit einer unverschämten Miene, »ich habe Ihnen schon gesagt, daß ich weder Sie, noch Ihre Tochter jemals gekannt habe ... Ich habe mir den Auftritt, den Sie mir bei Madame Dolbert bereiteten, durchaus nicht erklären können, und diese Herren sind Zeugen, daß ich mich nur der Ohrfeige wegen schlage, die Sie mir gegeben haben.«

»Elender!« sagte Guerreville. »Sehen wir denn, ob Du immer läugnen wirst.«

In demselben Augenblicke kreuzten sich die Degen, die Kämpfenden griffen sich mit Heftigkeit an; aber auf Guerreville's Seite war mehr Wuth, mehr Ungestüm als Bedachtsamkeit, während Emil, sehr gewandt in Führung des Degens, Anfangs sich nur darauf einließ, die Stöße seines Gegners zu pariren und ihn zu ermüden.

Der Kampf währte eine Zeitlang mit gleichem Vortheil auf beiden Seiten, als Guerreville, während er sich auf seinen Feind stürzen wollte, selbst einen Stich erhielt, der einen Theil seines Körpers durchdrang.

Er wurde bleich, schwankte, wollte sich noch weiter schlagen, aber der Degen entfiel seinen Händen.

»Pistolen!« murmelte Guerreville, indem er auf den Rasen hinfiel, »man gebe uns Pistolen! ;...«

»Sie würden nicht mehr im Stande sein, zu schießen, mein Herr,« sagte Delaberge, indem er seinen Degen auf den Boden warf. »Ich, ich habe meinen Schimpf abgewaschen ... und habe hier nichts mehr zu thun ... ich will Ihnen den Wagen und den Diener schicken, der da unten wartet; gehen wir, meine Herren; jetzt kann ich meine Hochzeit feiern.«

Als er diese Worte vollendet hatte, nahm Delaberge einen seiner Kampfzeugen unter dem Arm, und die drei jungen Leute entfernten sich mit großen Schritten.

Jenneval lag neben seinem Freunde auf den Knieen, er hielt ihn aufrecht und leistete ihm die erste Hülfe. Guerreville verlor das Bewußtsein, indem er noch murmelte: »Pistolen ... gebt uns Pistolen!«

Georg kam bald herzu; als er seinen Herrn verwundet auf dem Rasen liegen sah, stieß der treue Diener einen Schrei der Verzweiflung aus und fragte den Doktor, ob sein Herr daran sterben müsse.

»Leider,« sagte Jenneval, »scheint mir die Wunde sehr tief, sehr gefährlich zu sein ... ich kann noch nichts Bestimmtes sagen. Armer Guerreville! ... verwundet, besiegt ... während er sich für seine Tochter schlug ... um ihre Ehre zu rächen ... und der Elende, der ihn beschimpft hat, geht als Sieger aus dem Kampfe! ... Ah! ich hatte wohl Recht, ihm zu sagen ... die himmlische Gerechtigkeit gleicht zuweilen der Gerechtigkeit der Menschen ;...«

Der Doktor und Georg nahmen Guerreville auf ihre Arme und trugen ihn in den Wagen. Jenneval setzte sich neben seinen Freund und der Kutscher fuhr so behutsam als möglich nach Paris zurück.

Jenneval setzte sich an Guerreville's Bett, entschlossen, ihn keinen Augenblick zu verlassen, so lange er in Gefahr sein würde, und wenn er ihn nicht retten konnte, wenigstens gegenwärtig zu sein, um seine letzten Worte zu vernehmen und um ihm die Augen zuzudrücken.

Um acht Uhr Abends stellte sich ein Mann bei dem Verwundeten ein: es war Jerome, welcher kam, um den Erfolg des Besuches zu erfahren, den Herr Guerreville bei Madame Dolbert machen sollte.

Der Doktor zeigte dem Wasserträger Herrn Guerreville, der noch ohne Bewußtsein auf seinem Bette lag, und sagte zu ihm: »Das ist die Folge seines Besuchs bei Madame Dolbert ... In jenem Emil Delaberge, der die junge Stephanie heirathen sollte, hat mein Freund einen Menschen erkannt, der ihn aufs Unwürdigste beschimpft hatte ... einen Niederträchtigen, den er seit langer Zeit suchte; er hat ihn gefordert ... sie haben sich geschlagen ... und der, welcher Unrecht hatte, triumphirte ... wie das oft vorkommt.«

»O, mein Gott!« murmelte der Auvergnate; »verwundet ... vielleicht tödtlich verwundet ... und ich war die Ursache davon ;...«

»Sie! ... o! machen Sie sich keine Vorwürfe, Jerome; mein armer Freund hat Sie im Gegentheil gesegnet, weil Sie ihm dazu verholfen haben, jenen Mann wieder zu finden, den er schon so lange suchte.«

»Und diese Wunde ... o! mein Herr, wäre es möglich, daß er daran sterben könnte?«

»Ich fürchte noch sehr für ihn ... aber, wenn ich auch im Stande sein sollte, ihn zu retten, so wird sich seine Wiederherstellung sehr in die Länge ziehen.«

»Ein so braver Mann! ... und der Wicht, der ihm diese Wunde beigebracht, ist leer ausgegangen, der ... o! Teufel! das ist nicht gerecht, das ... Herr Guerreville, mein Wohlthäter ... ein so guter, so edler Mann! ... Adieu, Herr Doktor, adieu, ich werde alle Tage herkommen, um mich nach seinem Befinden zu erkundigen.«

Und Jerome entfernte sich, indem er zwischen den Zähnen murmelte: »O! ... dem sei wie ihm wolle ... ich bin Schuld, daß er sich geschlagen hat, der brave Mann! ... und ... das lasse ich nicht so hingehen.«


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