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Vierzehntes Kapitel

Ein Festtag

Es war einige Zeit vorübergegangen, seitdem Herr Guerreville bei Grillon zu Mittag gespeist hatte, und seitdem hatte er nur seine Karte bei den Eltern seiner Pathe abgeben lassen, da er sich den Muth nicht mehr zutraute, wieder in eine Gesellschaft zu gehen, wo man sich das Aussehen geben mußte, als unterhalte man sich.

Guerreville hatte den von Vadevant ausgesprochenen Namen der Damen Dolbert vergessen, der ihn einen Augenblick an die kleine Zizine erinnert hatte; er hatte auch nicht mehr an den Wasserträger Jerome gedacht und sich von Neuem seinen Nachforschungen hingegeben, die stets ohne Erfolg blieben, und die er doch jeden folgenden Tag wieder anfing.

Der Winter ging zu Ende, der Frühling und die schönen Tage kamen wieder; aber gibt es schöne Tage für einen Mann, dessen Herz einem Kummer zur Beute geworden ist, den nichts zerstreuen kann? Herr Guerreville bemerkte kaum den Wechsel der Jahreszeiten; jeden Abend, wenn er nach Hause kam, sagte er zu sich: »Nichts! ... nie die mindeste Spur! ... niemals ... nie eine Nachricht! ;...« Und er warf sich traurig auf einen Sessel, ohne sich darum zu bekümmern, ob der Himmel heiter sei, ohne daran zu denken, die angenehmere Luft des Frühlings einzuathmen.

Eines Tages fühlte sich Herr Guerreville, ohne sich einen Grund angeben zu können, noch niedergeschlagener, noch bekümmerter als gewöhnlich; da er nicht den Muth hatte, mit seinem zusammengepreßten Herzen und seinen von Thränen angeschwollenen Augen auszugehen, war er zu Hause geblieben und saß an einem Tische; das Haupt auf eine seiner Hände gestützt, fragte er sich selbst und suchte zu ergründen, woher ihm diese Verdoppelung seines Unbehagens und seiner Traurigkeit kommen könnte.

Und doch war an diesem Tage der Himmel rein und die Sonne von keiner Wolke verhüllt.

In dieser Stimmung hatte Guerreville nur den einen Wunsch, daß Niemand kommen möchte, ihn in seiner Einsamkeit zu stören. Aber gegen die Mitte des Tages weckte ihn der Ton der Klingel, welche mit Heftigkeit gezogen wurde, aus seinen Betrachtungen.

Herr Guerreville wollte sich Anfangs verläugnen lassen, aber er hatte Jenneval seit mehreren Tagen nicht gesehen, und da er glaubte, es sei der Doktor, der ihn zu besuchen komme, so unterließ er seinem Diener zu sagen, daß man ihn nicht sprechen könne.

Der Diener erschien bald darauf an der Zimmerthüre seines Herrn.

»Wer hat geläutet?« fragte Herr Guerreville.

»Die junge Dame und der junge Herr, welche schon einmal den Herrn besucht haben: seine Pathe und Herr Julius.«

Ein Laut des Unwillens entschlüpfte Herrn Guerreville. Georg fuhr fort: »Sie haben mich gefragt, ob der Herr da sei ... und meiner Treu, ich habe gesagt ja ... Ich wußte nicht, ob ;...«

»Darf ich mich denn nie ungestört meinen Gedanken hingeben ... immer Unterbrechung! Und warum kommen sie mit einander?«

»Ah, ich glaube, daß sie sich nur auf der Treppe getroffen haben, denn sie scheinen sich nicht zu kennen ... Aber, wenn der Herr den jungen Mann und das Frauenzimmer nicht annehmen wollen, so will ich ihnen sagen, daß sie fortgehen sollen.«

»Dummkopf ... nachdem Du ihnen gesagt hast, ich sei zu Hause ... das wäre unartig ... Laß sie eintreten.«

»Alle beide, mein Herr?«

»Ja ... ich werde um so schneller erfahren, was sie von mir wollen. Geh, Georg.«

Der Diener entfernte sich und Herr Guerreville suchte zum Empfang der beiden jungen Leute eine freundlichere Miene anzunehmen.

Bald öffnete sich die Thüre von Neuem und Agathe trat zuerst herein; sie hielt einen schönen Blumentopf in der Hand, in welchem ein mit Knospen bedeckter Myrtenstrauch war; das junge Mädchen schien stolz darauf, diesen Strauch zu tragen, dessen Last ihren zarten Händen doch ein wenig beschwerlich sein mußte; sie näherte sich Herrn Guerreville mit halb ernster, halb lächelnder Miene, wie Kinder, die sich bei einer Feierlichkeit ein würdevolles Ansehen zu geben suchen und gezwungen sind, sich in die Lippen zu beißen, um nicht zu lachen.

Hinter dem jungen Mädchen trat Julius ein, der ebenfalls einen Blumentopf in seinen Armen hielt, welcher auch einen Myrtenstrauch einschloß. Derselbe Gedanke, dieselbe Erinnerung hatte diejenigen, welche sie schickten, geleitet, und so hatten sie natürlich dieselbe Blume gewählt. Aber der junge Mann näherte sich mit einer ernsteren, bewegteren Miene, und die Augen auf das Bouquet gerichtet, das er darreichen wollte.

Herr Guerreville hatte Anfangs nur eine leichte Ueberraschung gezeigt, als er sah, daß ihm Agathe eine Myrte brachte; als aber seine Augen auf das Bouquet fielen, welches Julius hielt, überzog plötzlich eine Blässe sein Gesicht; seine Erinnerung erwachte ... sein Gedächtniß rief ihm den Zeitabschnitt zurück, in welchem er sich befand, und statt sich zu erheben, um den jungen Leuten entgegen zu gehen, fiel er auf seinen Stuhl zurück, ohne ein Wort hervorbringen zu können.

Indeß kamen Agathe und Julius zu ihm heran; das Mädchen stellte sich zu seiner Linken, Julius auf die andere Seite; Beide reichten ihm ihre Bouquets hin und sagten fast gleichzeitig: »Lieber Pathe ... wollen Sie mir erlauben? ;...« – Mein Herr ... ich nehme mir die Freiheit ;... – »Ich komme, Ihnen zu Ihrem Namenstage Glück zu wünschen und diese Myrte, mit allen meinen Wünschen und denen der Mama für Ihr Glück, zu überbringen.«

»Mein Herr ... nehmen Sie auch mein Bouquet gütigst an ... Meine Mutter hat mir gesagt, daß heute Ihr Namenstag sei, und daß Sie mir erlauben würden, Ihnen dazu Glück zu wünschen.«

»Mein Namenstag! ... heute mein Namenstag! ;...« stotterte Guerreville mit unterbrochener Stimme; dann erhob er seinen Kopf ein wenig, indem er seine Augen im Zimmer umherirren ließ, wo sie Jemand zu suchen schienen; bald aber drückten sie nur eine düstere Verzweiflung aus und senkten sich wieder auf den Boden, wahrend sein Mund murmelte: »Sonst war sie da ... und nun? ... niemals mehr ... o mein Gott! niemals mehr! ;...«

»Ja, lieber Pathe, heute ist Ihr Namenstag, der heilige Isidorus,« sprach Agathe wieder, nachdem sie ihren Blumentopf niedergesetzt hatte, »und ich werde darauf bedacht sein, niemals zu vergessen, Ihnen an demselben Glück zu wünschen ... Es ist ein so großes Vergnügen, seinem Pathen einen Blumenstrauß zu überreichen ... Wollen Sie mir erlauben, Sie zu küssen?«

Das junge Mädchen bückte sich und bot Herrn Guerreville ihre Rosenwangen hin, dieser aber rührte sich nicht; sie entschloß sich endlich, ihn auf die Stirne zu küssen, bald aber sprang sie zurück, indem sie ausrief: »Ah, das ist sonderbar ... wie kalt mein Pathe ist!«

Julius, der seit einigen Augenblicken darauf wartete, daß ihn Guerreville eines Blickes würdigen würde, und aus seinem Munde ein freundliches Wort zu vernehmen hoffte, stürzte sich jetzt auf ihn zu und stieß einen Schreckensruf aus, als er wahrnahm, daß Herr Guerreville das Bewußtsein verloren hatte: »Ach, mein Gott, Mademoiselle! ... er befindet sich unwohl ... er ist völlig ohnmächtig!«

»Wäre es möglich ... lieber Pathe ... mein armer Pathe! ... Ach, was hat das zu bedeuten? ;...« – Was ist zu machen ... was kann man ihm geben? ;... – »Ach, warten Sie, ich will Jeannette rufen ... sie ist mit mir gekommen ... O, mein Gott, mein armer Pathe! ;...«

Und das junge Mädchen lief, ihre Bonne zu holen, dann kam sie zu Herrn Guerreville zurück, rieb ihm die Stirne, kitzelte ihn in der Hand. Während dieser Zeit öffnete Julius das Fenster, suchte Flacons, flüchtige Salze; Georg und Jeannette liefen in allen Zimmern umher, brachten tausend Dinge herbei, rannten aneinander, stießen die Köpfe zusammen und verzweifelten, weil Herr Guerreville immer in demselben Zustande blieb.

Die Ankunft des Doktor Jenneval weckte wieder die Hoffnung in Aller Herzen; man lief ihm entgegen, man zeigte ihm den, mit dessen Wiederbelebung man sich fruchtlos bemühte.

Jenneval fing damit an, sich über die Ursache dieser Ohnmacht zu unterrichten, und Agathe drängte sich vor, zu erzählen: »Mein Herr, wir kamen zusammen her, dieser Herr und ich, um meinem Pathen zu seinem Namensfeste Glück zu wünschen. Ich weiß nicht, ob er heute schon krank war.«

»Nein,« sagte Georg, »nur schien der Herr heute noch trauriger, niedergeschlagener zu sein, als gewöhnlich.«

»Wir kamen hieher, um ihm Jedes ein Bouquet zu überreichen ... und es fand sich, daß wir ihm Beide eine Myrte brachten ... Aber das hat ihn nicht krank machen können, denn die Myrten haben keinen Geruch, nicht wahr, mein Herr?«

»Aber er war wahrscheinlich auf Euern Besuch nicht vorbereitet?« sagte Jenneval; »was hat er bei Eurem Anblick gesagt?«

»Er wurde blaß,« erwiderte Julius, »dann sah er sich nach allen Seiten im Zimmer um, ließ den Kopf auf die Brust sinken, während er einige Worte stammelte, die ich nicht habe verstehen können.«

»Genug,« sagte der Doktor, »ich errathe, ich glaube es zu verstehen ... Entfernen Sie sich einen Augenblick ... gehen Sie in ein anderes Zimmer. Sie, Georg, nehmen Sie diese Blumentöpfe weg, damit sie Ihr Herr nicht sehen kann, wenn er die Augen wieder aufschlägt.«

»Aber, mein Herr, da das nach nichts riecht! ;...« rief Agathe.

»Lassen Sie mich gefälligst handeln, mein Fräulein. Georg, thun Sie, wie ich Ihnen gesagt habe.«

Man führte die Befehle des Doktors aus, und die beiden jungen Leute, ganz bestürzt über das eben Vorgefallene, entfernten sich traurig von dem, welchen zu feiern sie gekommen waren.

Als er sich mit seinem Freunde allein befand, bemühte sich Jenneval, ihm mit allen Mitteln seiner Kunst beizustehen. Nach Verfluß von einigen Augenblicken sah er Herrn Guerreville wieder zu sich kommen; bald öffneten sich seine Augen wieder und schauten sich um, aber seine Brust war beklommen, er holte schwer Athem. Der Doktor ergriff seine Hand und erwärmte sie in den seinen, indem er sagte: »Mein armer Freund ... diese jungen Leute haben Ihnen, ohne sich dessen zu versehen, großes Leid zugefügt ... O! ich habe Alles errathen ... indem sie Ihnen zu Ihrem Namensfeste Glück wünschen wollten ... an das Sie ohne Zweifel nicht dachten, haben sie Sie an einen Zeitpunkt Ihres Lebens erinnert, in welchem Sie glücklich waren ... wo Sie diejenige ... welche Sie suchen ... welche Sie unaufhörlich betrauern ... um sich hatten ... damals vielleicht ... war sie es, welche Ihnen zuerst ein Bouquet überreichte.«

»Meine Tochter! ... Meine Pauline! ;...« schrie Guerreville. »O! ja ... ja ... sie kam immer zuerst ... brachte mir ein Bouquet ... und warf sich in meine Arme ... indem sie sagte: Lieber Vater! welch' eine Freude für mich, Dir Glück zu wünschen!«

Nachdem er diese Worte gesprochen, stützte Herr Guerreville sein Haupt an Jennevals Brust, er hatte nicht mehr die Kraft zu sprechen; aber zwei Thränenbäche brachen hervor und überschwemmten sein Gesicht. Der Doktor drückte ihn in seine Arme, indem er sprach: »Weinen Sie ... weinen Sie an der Brust Ihres Freundes ... ich selbst habe diese Thränen hervorgerufen, die Sie zu ersticken drohten ... lassen Sie Ihren Schmerzen freien Lauf! ... es gibt keinen, der mehr Achtung verdient, als der eines von seinem Kinde verlassenen Vaters! ;...«

»O, mein lieber Jenneval! ... Ich bin sehr unglücklich! ... Aber es scheint mir in der That, daß diese Thränen mich erleichtern ... Ja! es ist meine Tochter ... meine Tochter, die ich anbetete ... welche mir jetzt alle meine Qualen und Schmerzen verursacht ... Sie sollen Alles erfahren, mein Freund, ich will kein Geheimniß mehr vor Ihnen haben ... Sie sind meines Vertrauens würdig ... Verzeihen Sie mir, daß ich so lange gezögert habe, Ihnen dieses Geständniß zu thun ... Ach! es geschah nicht, weil ich an Ihrer Freundschaft zweifelte, aber ich wollte noch immer verbergen ... die Schuld meiner Tochter.«

»Wohlan, mein Freund ... ermannen Sie sich, Sie befinden sich jetzt wieder besser ... Ah! Wie sehr wünsche ich mir Glück, in diesem Augenblicke gekommen zu sein!«

»Guter Doktor! ... Ja ... ich erhole mich ... Es hatte sich heute, ohne daß ich den Grund davon wußte, eine doppelte Traurigkeit meiner bemächtigt ... War es vielleicht eine unbestimmte Erinnerung an eine Epoche, die mir sonst so erfreulich war? ... Ich weiß es nicht ... Aber die armen jungen Leute, welche gekommen waren, mir Glück zu wünschen, und die ich auf eine so traurige Weise empfangen habe ... ich sehe sie nicht mehr.«

»Sie sind da ... in dem Seitenzimmer ... wo sie ohne Zweifel mit Ungeduld darauf warten, daß ich ihnen erlaube, zu Ihnen zurückzukehren.«

»Arme Kinder! ... Es ist doch sonderbar! ... ihr Anblick hat mich noch unglücklicher gemacht ... Und dennoch ... Ach! Doktor, wenn Sie wüßten ;...«

»Sie werden mir das Alles sagen ... Und ich glaube, daß ich wenig Neues dabei erfahren werde; denn durch Uebung daran gewöhnt, die Gefühle meiner Kranken zu studiren, weiß ich fast immer schon vorher, was man mir anvertrauen will. Fühlen Sie sich stark genug, die jungen Leute wieder zu sehen, oder wollen Sie, daß man sie fortschicke?«

»Sie mögen kommen, Doktor, ich will ihnen selbst für ihren Glückwunsch ... und ihr Bouquet danken.«

Jenneval öffnete die Thüre des Salons, wo Agathe und Julius jedes in einem Winkel saß und ängstlich darauf wartete, daß man ihnen Nachricht von dem Zustand Guerreville's gebe; auf ein Zeichen des Doktors sprangen sie auf und liefen herbei.

»Ach! lieber Pathe! ... Wie sehr hat es mich geschmerzt, Sie zu sehen, als Sie ganz weg waren!« rief Agathe, indem sie Herrn Guerreville's Hand ergriff, während Julius mit bewegter Stimme zu ihm sprach: »Befinden Sie sich besser, mein Herr? wie fühlen Sie sich? ... Ach! ich war sehr in Unruhe ... ganz trostlos! ;...«

»Ich danke ... Julius ... danke, meine gute Agathe,« erwiderte Herr Guerreville, indem er sich zu lächeln zwang. »Es war nichts ... ein Uebelbefinden ... dessen Grund ich nicht kenne ... aber es ist gänzlich vorüber.«

»Nicht wahr, lieber Pathe, unsere Myrten waren an Ihrem Unwohlsein nicht Schuld ... Obgleich Ihr Herr Doktor unsere Blumentöpfe von hier hat entfernen lassen? ;...«

»Nein! nein, es kam nicht von Euren Blumen.«

»Mein Stock ist sehr hübsch, es ist der mit den vielen Knospen ... Wenn Sie wollen, lieber Pathe, so hole ich ihn herbei.«

»Nein, meine liebe Pathe, lassen Sie ihn, wo man ihn hingestellt hat ... Ich bin durch Ihre Aufmerksamkeit, durch Ihr Andenken sehr erfreut ;...«

»O! lieber Pathe, ich wußte nicht, daß heute Ihr Namenstag war; Mama hat mich gestern davon unterrichtet, indem sie zu mir sagte: Obgleich Dein Pathe Dich nicht mehr besucht, und sich gar nicht mehr um Dich zu bekümmern scheint, so ist doch morgen sein Namensfest, und da darfst Du nicht ermangeln, hinzugehen, um ihm Glück zu wünschen; Mama hat auch den Myrtenstrauch gekauft, und mehrere kleine Vergißmeinnicht herumgepflanzt ... Sie werden sehen ... sie sagte, das sei allegorisch! ;...«

Jenneval wandte lächelnd den Kopf ab, und Herr Guerreville sagte, um dem Geschwätz seiner Pathe bald ein Ende zu machen:

»Meine liebe Agathe, bringen Sie Ihrer Frau Mutter meinen innigsten Dank ... Sie werden mich entschuldigen, daß ich Sie nicht habe besuchen können ... Herr Julius, haben auch Sie die Güte, meine Empfehlung an Madame Galet zu übernehmen ... Meine Geschäfte ... meine Gesundheit gestatten mir nicht immer, über meine Zeit zu verfügen ... Ehe ich Sie aber wieder besuche, hoffe ich, daß Sie auch von mir ein Bouquet annehmen werden ... denn ich bin sehr zerstreut, und könnte Ihren Namenstag vergessen, deßhalb möchte ich es Ihnen schon heute überreichen.«

Julius schwieg und schlug die Augen nieder: ein Etwas sagte ihm, das Bouquet werde wiederum eine Rolle mit Goldstücken sein, die man in seine Hand gleiten lassen würde, und seitdem er die letzte, von der Guerreville behauptet hatte, sie schuldig zu sein, seiner Mutter übergeben hatte, sprach er nie einen Wunsch aus, ohne daß diese ihn nicht sogleich erfüllt hätte; so konnte der junge Mann seine Neigung für das Theater befriedigen, ohne genöthigt zu sein, von seinem Vater Geld zu verlangen, wodurch dann Frieden im Laden der Parfümeriehändlerin herrschte.

Agathe aber, die nicht gewöhnt war, lange zu schweigen, ohne dazu gezwungen zu sein, beeilte sich, Herrn Guerreville, der an seinen Sekretär gegangen war, zu erwidern: »O! lieber Pathe, ich werde Alles annehmen, was Sie mir gerne geben wollen, und nehme es eben so gerne sogleich, als an meinem Namenstage, denn es ist wahr, Sie könnten denselben vergessen ... Sie haben so viele Dinge im Kopfe! ... Ueberdies hat mir Mama gesagt, ich dürfe niemals etwas von Ihnen zurückweisen ... und ich möchte ihr nicht ungehorsam sein!«

»Nehmen Sie denn, meine liebe Pathe,« sagte Guerreville, indem er Agathen ein kleines Portefeuille gab, »hier ist mein Bouquet ... Gehen Sie, und seien Sie glücklich ... das ist mein aufrichtiger Wunsch ;...«

Das junge Mädchen nahm das Portefeuille, in welches sie schon hätte hineinsehen mögen, und machte eine tiefe Verbeugung, indem sie sagte: »Dank, lieber Pathe.«

Herr Guerreville hatte sich indeß Julius genähert, dem er eine geschmackvolle Brieftasche, mit goldenem Schlosse überreichte, indem er sprach: »Hier ist mein Bouquet ... Ich hoffe, Sie werden sich daran erinnern, daß ich ein alter Freund Ihrer ... Familie bin, und mir den Verdruß nicht machen, mein Geschenk zu verschmähen.«

Julius nahm die Brieftasche mit Erröthen, denn eine innere Stimme sagte ihm, daß in derselben noch ein anderes Geschenk enthalten sei, er stotterte einige Worte des Dankes, während Herr Guerreville ihm die Hand drückte; Julius hätte gerne den Mann, der trotz seiner kalten Miene sich so großmüthig gegen ihn erwies, geküßt, aber obwohl er große Lust dazu verspürte, so hatte er doch nicht den Muth, ihn um diese Gunst zu bitten; und nachdem er einen tiefen Seufzer ausgestoßen, grüßte er Herrn Guerreville und nahm Abschied von ihm.

Fräulein Agathe beeilte sich, ein Gleiches zu thun, denn sie hätte gerne schon draußen sein mögen, um ihr Portefeuille untersuchen zu können; sie lief auf ihren Pathen zu, küßte ihn, machte dem Doktor mehrere Knixe, und sprang mit Jeannetten fort, indem sie rief: »Auf Wiedersehen, lieber Pathe; gute Besserung, und besuchen Sie uns, wenn Sie Zeit haben.«

Kaum war sie mitten auf der Treppe, als sie stehen blieb und that, als müßte sie ihr Schuhband fester knüpfen, um Julius vorangehen zu lassen, der sie grüßte und sich entfernte. Mit ihrer Kammerfrau allein, zog sie ihr kleines Portefeuille aus der Tasche und sprach: »Gewiß hat mir mein Pathe dieses häßliche kleine Portefeuille, das gar nichts gleich sieht, nicht leer gegeben ... Ich wette, es steckt etwas darin, nicht wahr, Jeannette?«

»O! ja freilich, Mademoiselle; sehr wahrscheinlich ... ist es schwer? ;...«

»Nein, es ist nicht schwer ... Es klingt auch nicht ... Wir wollen sehen ;...«

Das Portefeuille ist offen, Agathe untersucht es, durchläuft es mit solcher Haft, daß sie die Tasche noch gar nicht bemerkt hat, die an der Decke befestigt ist, sie blättert, reißt es hin und her und murmelt schon: »Das ist sonderbar! es ist nichts darin ... das Andenken meines Pathen ist nicht sehr kostbar, da wäre mir die andere Brieftasche lieber gewesen.«

Aber Jeannette, die auch hineinsah, bemerkte die kleine Tasche und sagte zu dem jungen Mädchen: »Mademoiselle, sehen Sie doch hieher, es scheint mir, daß Sie dieses Seitentäschchen noch nicht bemerkt haben.«

Agathe beeilte sich, diesen Theil des Portefeuilles zu untersuchen, und stieß einen Freudenschrei aus: »Ah! Jeannette! Ein Bankbillet ... Ein Bankbillet von tausend Franken! ;...«

»Ist es möglich, Mamsell! ;...«

»Ja, Jeannette ... O! ich kenne die Bankzettel sehr gut ... Papa hat mir bisweilen welche gezeigt, indem er sagte: Das sind Fetzen, mit denen man ganz Paris kaufen könnte.«

»Ah! Mamsell, lassen Sie mich doch noch einmal sehen, wie das aussieht ... tausend Franken! ;...«

»O! das schöne Geschenk! ... Was das für ein lieber Pathe ist! o! ich bin sehr erfreut, ich hätte Lust zurückzukehren, um ihn zu küssen. ;...«

»O! nein, Mamsell, er würde ja sehen, daß wir auf der Treppe stehen geblieben sind.«

»Du hast Recht, beeilen wir uns vielmehr, nach Hause zu kommen, daß ich den Meinigen das schöne Bankbillet von tausend Franken zeigen kann! ;...«

Und Agathe entfernte sich mit ihrer Bonne so schnell als möglich, und auf dem ganzen Wege hielt sie ihre Hand fest auf das Portefeuille gedrückt, und so oft sie hundert Schritte gemacht hatte, öffnete sie es, um sich zu überzeugen, daß ihr Bankzettel noch darin sei; als sie endlich zu ihrer Mutter nach Hause kam, war ihr erstes Wort, »Mama, mein Pathe hat mir ein Geschenk mit einem Bankbillet von tausend Franken gemacht.«

Und Madame Grillon erwiderte lächelnd: »Ich glaube es wohl, man bekommt nicht alle Tage eine Pathe wie Dich!«

Julius war weniger ungeduldig als Fräulein Agathe; indeß machte ihm die Brieftasche doch zu schaffen; während des Nachhausegehens zog er sie mehrere Male aus seiner Tasche, drehte sie um und bewunderte sie; aber er öffnete sie nicht; er wollte sie zuerst seiner Mutter zeigen, der er versprochen hatte, sogleich zurückzukommen, um ihr Bericht abzustatten, wie ihr Myrtenstock aufgenommen worden sei.

Marie war allein, sie erwartete mit Ungeduld die Zurückkunft ihres Sohnes. Sobald sie ihn erblickte, überschüttete sie ihn mit Fragen, denen Julius dadurch ein Ziel setzte, daß er ihr Alles, was vorgegangen war, erzählte.

Als sie vernahm, Herr Guerreville habe das Bewußtsein verloren gehabt, wurde sie lebhaft bewegt. Thränen benetzten ihre Augenwimpern, sie blieb einen Augenblick in Nachdenken versunken, dann rief sie: »Ein junges Frauenzimmer, sagst Du, kam auch, Herrn Guerreville Glück zu wünschen?«

»Ja, liebe Mutter, eine Pathe von ihm, denn sie nannte ihn unaufhörlich: lieber Pathe ;...«

»Eine Pathe von ihm? ... Ah! ja ... ich erinnere mich, die Tochter von Madame Grillon! ;...«

Indem sie diese Worte aussprach, zuckte ein bitteres Lächeln über die Lippen der Parfümeriehändlerin, welche seufzend hinzufügte: »Und ohne Zweifel hat diese junge Dame Herrn Guerreville auch eine Myrte überreicht? ;...«

»Ja, liebe Mutter ... Wir hatten Beide denselben Strauch ... Herr Guerreville hat seiner Pathe ein kleines Portefeuille und mir diese Brieftasche gegeben, die sehr elegant ist ... Sieh ... hier ist sie, liebe Mutter! ... Ich habe sie noch nicht geöffnet.«

Marie nahm die Brieftasche, zog den Stift heraus, der sie zusammenhielt, und alsbald fiel ein Bankbillet heraus und bewegte sich auf dem Ladentisch.

»Tausend Franken!« rief Julius, die Banknote genauer ansehend, aus, und ein freudiges Gefühl strahlte in seinen Blicken; doch fast in demselben Augenblicke sah er seine Mutter an und setzte hinzu: »Aber darf ich ein so beträchtliches Geschenk annehmen?«

»Ja, mein Sohn,« erwiderte Marie, die Augen niederschlagend, »ja ... denn wenn Du es ausschlägst, könntest Du Herrn Guerreville beleidigen ... und Du mußt Dir seine Freundschaft erhalten.«

Julius nahm hierauf das Bankbillet und legte es in seine Brieftasche, die er nicht satt werden konnte, zu bewundern. Nach Verfluß von einigen Augenblicken sagte seine Mutter mit bewegter Stimme zu ihm: »Und hat Dich Herr Guerreville geküßt?«

»Nein, liebe Mutter ... und ich ... ich habe es nicht gewagt, ihn zu küssen, obgleich ich große Lust dazu verspürte ;...«

»Nicht eine Liebkosung!« sagte Marie, und wandte sich ab, um ihre Thränen zu verbergen. »Ach! eine solche hätte mehr Werth gehabt als Geld!«


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