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Elftes Kapitel

Die Damen Dolbert

In einem sehr schönen Salon, dessen Fenster auf das Boulevard de la Madeleine gingen, saß eine alte sehr elegant gekleidete Dame auf einem Divan; ihr Rücken und ihre Arme waren mit Kissen umgeben, die Füße hatte sie auf ein schönes, mit Stickereien bedecktes Tabouret gestellt. Ein Buch lag zur Seite der alten Dame, die ihre Lektüre öfters unterbrach, um in ein kleines Seitenzimmer zu blicken, dessen Thüre weit geöffnet war.

Dieses kleine, mit weißem Kaschemir austapezirte Zimmer war mit all' den hübschen Kostbarkeiten und phantastischen Spielereien angefüllt, welche erfunden worden sind, um den Mußestunden einer Frau Reiz zu verleihen. Lakirte Tische waren mit Kästchen, Necessaires, Souvenirs, Tabletten und mit allem zum Malen und Zeichnen nöthigen Material bedeckt. An der Seite eines Schreibzeugs von Perlmutter erblickte man einen niedlichen Affen von Porzellan; neben einem Arbeitskästchen einen Hampelmann oder sonst ein neues Spiel. Dieses liebliche Zimmer, eine Art kleiner Spielzeugladen, war das Boudoir Stephaniens, der Enkeltochter von Madame Dolbert.

Stephanie war erst sechzehn Jahre alt; es war ein herrliches Mädchen, blond, rosig, ungezwungen und voll Grazie; mit ihrem schönen griechischen Profil, und ihren dicken Haarflechten à la Clotilde, erinnerte Stephanie an die lieblichen Burgfräulein, welche wir in den Gemälden aus dem Mittelalter damit beschäftigt sehen, ihren Rittern eine Schärpe zu sticken; besonders aber gefiel an dem jungen Mädchen eine gewisse Offenheit, eine echt kindliche Heiterkeit, welche die sichersten Beweise gab, daß sich Koketterie und Anmaßung noch nicht bei ihr eingenistet hatten.

Stephanie trug ein feines Kleid von weißem Mousselin, lag in ihrem Boudoir auf den Knieen und war damit beschäftigt, eine hübsche Puppe anzukleiden, welche ein kleines Mädchen von sechs bis sieben Jahren hielt; dieses kleine Mädchen, ebenso elegant gekleidet wie Stephanie, war dasselbe, welches noch unlängst mit einem Rock von grober Leinwand und einer schlechten, sehr abgenützten Schürze bekleidet, eine Dachkammer bewohnte, in der es ihr oft an dem Nöthigsten gebrach. Es war die kleine Zizine, zu welcher Stephanie Dolbert so viel Zuneigung gefaßt hatte, und die jetzt mit ihr zusammenwohnte; aber trotz der Verschiedenheit ihrer Kleidung und ihrer Lebensweise war es noch immer die kleine, blasse, niedliche Gestalt mit dem ausdrucksvollen Gesichte, welches einen ihr Alter weit überragenden Verstand anzeigte.

Stephanie, die in Folge ihres Charakters vielleicht noch mehr Kind war, als ihre kleine Freundin, fand viel Vergnügen daran, die Puppe zu putzen, und zuweilen setzte sie sich, ohne daran zu denken, daß ihr schöner Anzug darunter leiden müßte, mitten im Zimmer nieder, oder rutschte sie auf den Knieen fort und verfolgte Zizinen, welche fortlief und sich unter irgend einem Möbel verbarg; und wenn sie sich erhaschten, gab es ein so herzliches, glückliches Lachen, daß man es bedauert hätte, die liebenswürdige Stephanie vernünftiger werden zu sehen.

Seitdem Zizine bei Madame Dolbert wohnte, flossen ihre Tage in diesen unschuldigen Vergnügungen dahin, welche dann und wann nur durch eine Stunde in der Musik, im Schreiben oder Zeichnen unterbrochen wurden. Stephanie, welche mannigfache Talente besaß, hatte es über sich nehmen wollen, ihren kleinen Schützling darin zu unterrichten, und die Schülerin, welche die glücklichsten Anlagen bekundete, war manchmal gesetzter als ihre Lehrerin, die sehr oft von dem Unterrichte wegsprang, um einen Hampelmann Purzelbäume machen zu lassen, oder mit einem Federball zu spielen. Das Kind zeigte ein lebhaftes Verlangen, zu lernen; es schien dadurch beweisen zu wollen, daß es dessen, was man für es that, auch würdig sei, und oft war Stephanie genöthigt, zu ihm zu sagen, arbeite nicht so viel, liebe Kleine, Du wirft Dich sonst zu sehr ermüden. Zizine aber entgegnete: »O! das Lernen macht mich nicht müde! ... und ich möchte gerne Alles so vollkommen wissen wie Sie! ... Mein Papa Jerome wird sehr vergnügt sein, sehr staunen, wenn er mich Clavier spielen hört! ;...«

Stephanie ging weder ins Theater noch spazieren, ohne ihre kleine Freundin mitzunehmen; sie langweilte sich auf einem Balle, in einer Soirée, weil Zizine nicht dabei war. Madame Dolbert, die ihre Enkelin anbetete und ihr immer viel nachgegeben hatte, widersprach ihr in keiner Sache. Stephanie hatte gewollt, ihr Günstling sollte wie sie gekleidet sein, ihr Bett sollte an der Seite des ihrigen stehen, es sollte ihr an nichts mangeln; die gute Großmutter hatte Alles bewilligt, so daß Zizine behandelt wurde, als ob sie zur Familie gehörte.

Aber dieses neue Glück, diese Umwandlung ihrer Lage, ließen das Kind die Dachkammer, in der es einst gewohnt hatte, und den Wasserträger Jerome nicht vergessen; sie sprach oft davon; sie wurde unruhig, wenn ihr Vater sie lange Zeit nicht besucht hatte, und Stephanie mußte manchmal alle ihre Beredtsamkeit anwenden und ihre Liebkosungen verdoppele, um Zizinen vom Weinen abzuhalten, wenn sie an ihren armen Vater dachte.

Gerade jetzt war es, um Zizinen zu zerstreuen, welche bei der Bemerkung, ihr Vater sei schon lange nicht mehr sie zu besuchen gekommen, tief aufgeseufzt hatte, daß Stephanie die Puppe nahm, welche beide in dem Boudoir anzogen. Die Traurigkeit des Kindes hatte sich rasch zerstreut; es war noch in dem glücklichen Alter, wo Lachen und Weinen so nahe aneinander grenzen, und Stephanie, entzückt, sie wieder heiter zu sehen, gab sich allen Ausgelassenheiten hin, die ihr durch den Kopf fuhren.

»Wie! meine Tochter, Du kniest noch auf dem Boden!« sprach Madame Dolbert, indem sie ihre Blicke nach dem kleinen Zimmer richtete.

»Ja, gute Mama, ich bin auf den Knieen ... So ist es mir bequemer, um unsere Puppe anzuziehen.«

»Aber Stephanie, Du bist nicht mehr in dem Alter, um noch mit einer Puppe zu spielen ;...«

»Warum denn, gute Mama? Ich werde damit spielen, so lange mich das amüsirt ... und es wird mich immer amüsiren.«

»Bedenke doch, Stephanie, daß Du in drei Monaten siebzehn Jahre alt wirst.«

»Das ist mir ganz gleich ... Muß man denn, wenn man groß wird, darauf verzichten, zu thun, was einem Freude macht? ... O! dann, liebe Mama, möchte ich lieber mein ganzes Leben hindurch klein bleiben, wie Zizine, meine kleine Zizine, die mir versprochen hat, nicht zu wachsen, um immer mit mir zu spielen.«

Und Stephanie schlang ihre Arme um den Hals des Kindes, und zog es in einer zärtlichen Umarmung an sich.

»Zizine ist vernünftiger als Du,« versetzte Madame Dolbert, »und wenn sie so alt wie Du sein wird, bin ich sicher, daß sie mit keiner Puppe mehr spielen wird.«

»Zizine ist viel zu vernünftig, ich weiß es wohl; deßhalb bringe ich sie zum Spielen, deßhalb mache ich sie lachen ... denn ich fürchte, sie langweilt sich bei uns und möchte uns verlassen wollen ... und dann, dann würde ich vor Kummer sterben! Hörst Du, Zizine?«

»O! nein! ... ich will Dich nicht verlassen; ich liebe Dich sehr,« sagte die Kleine, indem sie sich ihrerseits in die Arme ihrer jungen Wohlthäterin warf; »aber ich finde, daß es schon sehr lange ist, seitdem ich meinen Papa nicht gesehen habe ... Wenn er krank wäre ... dann müßte man mich gehen lassen, um ihn zu pflegen.«

»Ja, ohne Zweifel; aber sei ruhig, er ist nicht krank; ich habe mich vor einigen Tagen nach ihm erkundigt.«

»Ganz gewiß?«

»O! ich lüge niemals ... frage nur die gute Mama ;...«

»Warum kommt er alsdann nicht?«

»Weil er keine Zeit hat. Sein häßlicher Stand eines Wasserträgers hält ihn davon ab ... Du weißt nicht, Zizine, daß ich Deinem Vater, als er das letzte Mal hier war, den Vorschlag gemacht habe, sein Gewerbe aufzugeben ... Die gute Mama hätte ihm Geld, kurz, zu leben gegeben ... er hätte thun können, was er gewollt hätte ... dann hätte er auch Zeit genug gehabt, Dich zu besuchen; aber Jerome hat es mir abgeschlagen, indem er zu mir sagte: Mademoiselle, Sie sind zu gütig; daß Sie meiner Zizine Gutes thun, damit bin ich einverstanden; aber ich, ich habe die Kraft zu arbeiten, und wäre ein Taugenichts, wenn ich Ihr Anerbieten annähme. Das war recht häßlich, mir das abzuschlagen, nicht wahr? ;...«

Die Kleine schlug die Augen nieder, schien verlegen zu sein und schwieg; denn in der Tiefe ihrer Seele fühlte sie, daß ihr Vater geantwortet hatte, wie er mußte, aber die gute Mama rief: »Jerome ist ein braver Mann, und seine abschlägige Antwort beweist mir, daß er verdient, daß man sich für ihn interessirt.«

»Ja, ein braver Mann! ... Das ist ganz gut,« sagte Stephanie, indem sie den Mund ein wenig verzog; »aber, wenn er es angenommen hätte, so wäre Zizine jetzt vergnügter.«

»Stephanie, Du verlangst, daß sich alle Welt in Deinen Willen füge. Du überlegst nicht, meine Liebe, daß Jerome in der Tiefe seiner Seele einen edlen Stolz trägt, wegen dessen man ihn nicht tadeln darf.«

Stephanie erwiderte nichts; aber sie stand auf, nahm Zizinen an der Hand, und indem sie dieselbe in den Salon hineinzog, tanzte sie einen Galopp mit ihr, bis Beide, von der Anstrengung erschöpft, auf den Divan neben der Großmutter hinsanken.

Die Bekannten der Madame Dolbert erstaunten manchmal, wenn sie deren Enkelin noch wie ein Kind spielen sahen, aber wenn man sie darauf aufmerksam machte, entgegnete die gute Mama lächelnd: »Ich sehe nichts Schlimmes darin, daß sie so lange als möglich Kind bleibt! ... der Augenblick wird schnell genug kommen, wo diese unschuldigen Vergnügungen keinen Reiz mehr für sie haben werden; meine Enkelin hat nur mich zur Stütze: Sollte ich, um meine Würde geltend zu machen, sie auszanken, wenn sie lacht und glücklich scheint, ihr befehlen, sich vor den Leuten hübsch gerade zu halten, eine nachdenkliche Miene, eine ernste Haltung anzunehmen, damit man eine hohe Meinung von ihrem Verstande bekomme ... O! nein, ich will ihr durchaus keinen Zwang anthun. Stephanie ist hübsch und hat Vermögen ... Es wird nur zu bald Einer kommen, der ihr einen Theil ihres Glücks wird entziehen wollen.«

Was die gute Mama vorausgesehen hatte, ging auch bald in Erfüllung. Eine alte Freundin der Madame Dolbert gab einen großen Ball, Stephanie und ihre Großmutter erhielten dringende Einladungen. Madame Dolbert, die nur darauf bedacht war, ihrer Enkelin Vergnügen zu machen, und die glücklich war, wenn sie die Lobreden hörte, die man ihrer Schönheit machte, hatte versprochen, sich auf dem Balle einzufinden.

Aber Stephanie sagte sogleich: »Ich will nicht auf diesen Ball gehen, außer wenn man mir erlaubt, Zizine mitzubringen.«

»Mein liebes Kind,« sprach Madame Dolbert, »was Du verlangst, kann nicht sein; wir können diese Kleine nicht mit uns in die große Welt nehmen; daß sie hier immer in Deiner Nähe sei, will ich wohl leiden, aber bei Fremden dürfen wir uns nicht erlauben, die Tochter Jerome's, des Wasserträgers einzuführen.«

»Und warum nicht, gute Mama? Du weißt doch, daß Zizine sich überall klug und vernünftig benimmt.«

»Das macht nichts, es würde sich nicht schicken; und wenn ich es Dir abschlage, kannst Du Dir wohl denken, daß es durchaus unmöglich ist.«

»Nun gut! Alsdann schlage ich es auch ab, auf diesen Ball zu gehen, wohin ich meine kleine Freundin nicht mitnehmen kann.«

Madame Dolbert hatte nicht darauf bestanden, doch war ihr dieser abschlägige Bescheid sehr zuwider, weil der Ball von einer ihrer ältesten Bekannten gegeben wurde, und weil man sich Hoffnung gemacht hatte, Stephanien darauf zu sehen, welche durch ihre Liebenswürdigkeit und ihre Gestalt die allgemeinste Bewunderung erregte.

Aber die kleine Zizine hatte, in einem Winkel des Saales sitzend, keines dieser Worte verloren, während sie selbst mäuschenstille war und sich niemals erlaubte, sich in ein Gespräch zu mischen: Erst als sie Stephanien allein sah, näherte sich ihr das kleine Mädchen und sagte zu ihr: »Ich bitte Dich darum, meine liebe Freundin, gehe mit Deiner Großmutter auf den Ball, ohne das muß sie ja denken, ich sei Schuld daran, daß Du Dir kein Vergnügen gestattest ... dann wird sie mich nicht mehr so lieb haben und das würde mich recht betrüben.«

Stephanie küßte das kleine Mädchen zärtlich, indem sie sagte: »Wie gut Du bist! ... ich thue daher sehr wohl daran, Dich zu lieben! ;...« Dann lief sie zu Madame Dolbert und sagte zu ihr: sie wolle auf den Ball gehen.

Man beschäftigte sich sogleich mit den Vorbereitungen zu Stephaniens Toilette, denn Madame Dolbert wollte, daß ihre Enkelin ebensowohl durch ihren Anzug, als durch ihre Schönheit glänzen sollte. Nichts wurde vernachlässigt, um diejenige noch mehr auszuschmücken, welche die Natur so wohlgefällig mit ihren Gaben überschüttet hatte. Der Tag des Balles kam, und Stephanie, mit eben so vielem Geschmack als Pracht gekleidet, glich einer Nymphe, die im Begriffe steht, sich in die Wolken zu erheben. Jeder bewunderte sie, und Zizine lief fortwährend um sie herum, indem sie ausrief: »O, wie schön Du bist.«

Stephanie allein schien gleichgültig gegen die Wirkung, welche ihr Putz hervorbrachte; sie stieß, während sie sich in den Spiegeln betrachtete, leichte Seufzer aus und murmelte: das war auch der Mühe werth, so große Toilette zu machen, ich werde mich langweilen, ich bin es gewiß.

Als endlich die Stunde herangekommen war, um auf den Ball zu fahren, verzog Stephanie immer noch ihr Mäulchen und küßte Zizinen, indem sie sagte: »Adieu, morgen werden wir uns gut amüsiren ... Wir werden unsere Puppe ganz so anziehen, wie ich jetzt gekleidet bin.«

Ein Gemurmel der Bewunderung erhob sich bei dem Eintritt der Damen Dolbert. Die gute Mama war so glücklich, als hätten alle Complimente ihr gegolten. Beim Aelterwerden erfreut man sich an dem Triumphe seiner Kinder, sofern man nicht die thörichte Anmaßung hat, selbst noch jung erscheinen zu wollen, sein Alter zu verhehlen und sich zu schmeicheln, man könnte noch Eroberungen machen; in diesem Falle macht man aber keine Eroberungen, dagegen sich recht lächerlich und es bleibt Einem nichts übrig, als in einen Winkel zu sitzen und zu schmollen.

Unter den zahllosen Bewunderern von Stephanien schien besonders ein Herr von ungefähr dreißig Jahren, den man aber noch einen jungen Mann nennen konnte, weil er dem Anschein nach kaum fünfundzwanzig Jahre alt war, von den Reizen des Fräuleins Dolbert lebhaft ergriffen zu sein.

Dieser Herr war auch recht hübsch; groß, gewandt, elegant; sein edles, ausgezeichnetes Gesicht war oft ernst, was in Verbindung mit der gewöhnlichen Blässe seines Gesichts, seinen Zügen einen Anstrich von Schwermuth gab, der an sich schon für ihn einnahm; aber wenn er lächelte, so hatten seine Augen einen schwer zu beschreibenden Ausdruck, einen Ausdruck, den die Frauen besser verstehen mußten als die Männer, der sie aber dennoch niemals verletzen konnte.

Emil Delaberge, das war der Name dieses Herrn, forderte Stephanien bald zum Tanze auf; dabei wechselte er jedoch mit ihr nur einige unbedeutende Worte, indem er sich damit zu begnügen schien, seine Tänzerin zu bewundern.

Beim zweiten Tanze versuchte es der junge Mann, Stephanien zum Sprechen zu bringen: diese antwortete ihm mit jener Offenheit, jenem liebenswürdigen Freimuth, der sich schon in ihren Zügen aussprach. Emil sah auf der Stelle, daß er es mit keiner Kokette zu thun hatte, und daß alle jene Gemeinplätze, welche gewöhnlich auf einem Balle verbraucht werben, sehr wenig Eindruck auf seine schöne Tänzerin machen würden.

Stephanie tanzte zum drittenmale mit Herrn Delaberge, als Madame Dolbert, die gerade neben der Frau vom Hause saß, diese fragte, wer der Herr sei, der mit ihrer Enkelin tanze.

»Es ist Herr Emil Delaberge,« entgegnete die Dame, »ein junger Mann aus sehr guter Familie ... »Doch, meine liebe Freundin, Sie müssen ja seine Tante gekannt haben, die Frau von Marvelle ... welche vor fünf Jahren gestorben ist.«

»Ja, ich habe Frau von Marvelle gekannt ... Ah! dieser junge Mann ist ihr Neffe?«

»Ja! Sein Vater hatte ihm schon fünfundzwanzigtausend Franken jährlicher Rente hinterlassen; von seiner Tante, die nicht verheirathet war, hat er noch zweimal so viel geerbt; er ist daher sehr reich und noch ledig, obgleich er nahezu dreißig Jahre alt ist, was man gar nicht glaubt, da er noch so jugendlich aussieht. Es ist ein charmanter Cavalier ... überall gern gesehen ... Reich, von guter Familie und noch unverheirathet, hätte er nur zu wählen ... Er ist lange Zeit gereist und scheint sich erst seit dem Tode seiner Tante in Paris niedergelassen zu haben.«

Während dieser Unterhaltung wechselte Emil Delaberge einige Worte mit einem jungen Manne, der sich den Tanzenden genähert hatte, um Stephanien genauer zu betrachten.

»Sie sind glücklich, mein lieber Emil,« sagte der neu Hinzugekommene; »Sie tanzen mit der schönsten Dame des Balles ... und es scheint mir, bereits einige Male heute Abend.«

»In der That ... ich habe schon einmal das Vergnügen gehabt ... Es ist ein allerliebstes Mädchen ... Wer ist sie ... Wissen Sie es?«

»Gewiß, es ist die Enkelin der Madame Dolbert, der alten Dame, welche dort unten sitzt ... und Sie in diesem Augenblicke betrachtet; der Vater der schönen Stephanie war höherer Beamter. Er war ein sehr achtungswerther verdienstvoller Mann; aber er und seine Frau starben sehr jung und überließen die kleine Stephanie der Fürsorge ihrer Großmutter, die übrigens vernarrt in sie ist und sie, wie man sagt, machen läßt, was sie will ... Die junge Dame wird zum wenigsten zwanzigtausend Franken jährlicher Einkünfte bekommen. Das ist eine schöne Partie; aber nicht hinreichend für Sie, Delaberge, der Sie ein Nabob, ein Krösus sind und fast eine Provinz erheirathen könnten; lassen Sie daher uns dem Fräulein Dolbert den Hof machen und stellen Sie sich nicht unsern Hoffnungen in den Weg! ... Sie sind ein zu gefährlicher Nebenbuhler! ... Sobald Sie erscheinen, steht man uns Andere nicht mehr an, deren Glück oft nur in der Hoffnung beruht ... Man hat nur Augen für Sie, und die Mütter werden Ihnen am Ende noch die Hand Ihrer Töchter anbieten, so sehr liegt ihnen an einer Verbindung mit Ihnen ... Heirathen Sie doch endlich einmal, Delaberge, damit sich nicht mehr alle Wünsche nur nach Ihnen richten.«

Emil entgegnete lächelnd: »Es hat keine Eile ... Ich befinde mich sehr wohl in meiner Lage! ;...«

»O! meiner Treu, mein Lieber, Sie haben sehr Recht! ... Und Eifersucht bei Seite, gestehe ich Ihnen, daß ich mich an Ihrer Stelle niemals verheirathen würde! ... ich müßte denn leidenschaftlich verliebt werden ... Aber ein Mann, dem man die Triumphe so leicht macht, verliebt sich selten.«

Die Unterhaltung wurde nicht weiter geführt, der Contretanz war zu Ende, und der Tänzer von Stephanien verließ sie, nachdem er sie zu ihrer Großmutter zurückgebracht hatte. Emil verlor indeß seine schöne Tänzerin nicht aus den Augen, wobei er jedoch Sorge trug, die Aufmerksamkeit zu verbergen, mit der er sie beobachtete. Er hatte zu viel Geist und Takt, um sich durch ausfallendes Benehmen bemerkbar zu machen, und denjenigen jungen Leuten nachzuahmen, welche glauben, um eine Dame zu erobern, müsse man seine Liebe vor aller Welt zur Schau tragen, und das Mittel, ihr zu gefallen, bestehe darin, sich auf eine Art vor sie aufzupflanzen, daß sie die Augen nicht aufschlagen kann, ohne hartnäckig auf sie gerichteten Blicken zu begegnen.

Gegen die Mitte der Soirée hatte Stephanie bereits mit mehreren jungen Leuten getanzt, die ihr alle zu gefallen geglaubt hatten, wenn sie sie mit Schmeicheleien überhäuften; jeder dieser Herrn suchte seinen Vorgänger in Galanterien zu überbieten. Jeder schmeichelte sich, liebenswürdiger zu erscheinen, und sich bei seiner Tänzerin vortheilhaft auszuzeichnen, wenn er ihre Liebenswürdigkeit und ihr Benehmen bis in die Wolken erhob. Aber weit entfernt davon, hatten es die jungen Leute nur dahin gebracht, Stephanien zu langweilen, welche, betäubt von ihrem Geplauder, eben einen Contretanz ausschlug, um bei Madame Dolbert zu bleiben.

»Solltest Du schon müde sein? ... Willst Du, daß wir den Ball verlassen?« sagte die gute Großmutter zu ihrer Enkelin.

»Nein, gute Mama, das ist es nicht ... aber sehen Sie, alle diese Herren, mit denen ich tanze, wiederholen mir immer die gleiche Sache ... und das langweilt mich.«

»Was sagen sie Dir denn?«

»Daß ich reizend, daß ich die Schönste auf dem Balle sei! ... Daß ich wie ein Engel tanze ... daß ich voll Grazie wäre!«

»Ah! mein Gott! und deßhalb schlägst Du den Tanz aus,« sprach Madame Dolbert lächelnd.

»Ja, gute Mama! ... denn sie sagen mir Alle dasselbe. Ueberdies ist es nicht wahr, denn ich bin gewiß nicht die Schönste auf dem Balle, und es sind noch viele Fräulein da, die besser tanzen als ich ... Nicht wahr, gute Mama?«

»Das ist möglich; aber ich sehe nicht ein, warum man sich ärgern soll, wenn man einem sagt, daß man schön sei ... In Gesellschaft, meine Tochter, glauben die Herren den Damen Artigkeiten sagen zu müssen ... das ist so gebräuchlich.«

»Das mag sein, aber sie sollten es doch nicht Alle auf die gleiche Weise thun.«

»Würdest Du es lieber haben, daß man Dir sagte, Du seiest häßlich? ;...«

»Ah! das würde mir doch wenigstens komisch vorkommen ;... ... ;ich würde darüber lachen müssen.«

»Und alle diese Herren haben also gefunden, daß Du gut tanzest? ;...«

»Mein Gott, ja ... Ah! Es ist nur ein Einziger, ja, ein Einziger darunter, der mir keine Complimente gemacht hat ... den habe ich mir auch gemerkt ... Ich ziehe ihn allen Andern vor.«

»Welcher ist es denn?«

»Gute Mama, es ist ein Herr, mit dem ich mehrere Male getanzt habe ... Er hat sich mit mir unterhalten, aber nicht wie die Andern, um mir zu sagen: mein Fräulein, Sie tanzen unvergleichlich! oder: mein Fräulein, Sie sind voll Liebenswürdigkeit! Er hat mit mir über die Soirée, über die Vergnügungen des Winters gesprochen, er hat mich gefragt, ob ich musikalisch sei ... dann noch verschiedene Dinge ... das war doch wenigstens abwechselnd.«

»Zeige mir doch den Herrn ;...«

»Warten Sie, gute Mama, er ging so eben hier vorbei ... Ah! jetzt sehe ich ihn ... Jener Herr ist es ... der dort.«

Hier hielt Stephanie inne, dann stotterte sie mit leiser Stimme: »der Herr, der auf uns zukommt.«

In diesem Augenblicke näherte sich die Frau vom Hause, Emil Delaberge an der Hand führend, Madame Dolbert, um ihr denselben vorzustellen.

»Meine liebe Freundin, wollen Sie mir erlauben, Ihnen Herrn Emil Delaberge vorzustellen, den Neffen jener liebenswürdigen Frau von Marvelle, die wir so sehr liebten. Sie und ich.«

Madame Dolbert empfing den Neffen ihrer ehemaligen Freundin sehr artig. Die ausgezeichneten Manieren Emils nahmen zu seinen Gunsten ein; und wenn er liebenswürdig sein wollte, so war es sehr schwer, dem Reiz seiner Unterhaltung zu widerstehen. Der junge Mann gab auf eine achtungsvolle Weise Madame Dolbert zu verstehen, wie sehr er sich geschmeichelt fühlen würde, die Bekanntschaft mit einer alten Freundin seiner Tante fortzusetzen, und die Großmutter Stephaniens, welche diese Bitte ganz natürlich fand, entgegnete Herrn Emil Delaberge, daß sie ihn stets mit Vergnügen bei sich sehen werde.

Emil dankte Madame Dolbert sehr für die ihm bewilligte Gunst und heftete seine Blicke in diesem Augenblicke auf Stephanien, welche erröthete und die Augen niederschlug, ohne zu wissen warum.

Emil nahm von den Damen Abschied. Man tanzte noch; aber, fast in demselben Augenblicke, bezeigte Stephanie Madame Dolbert den Wunsch, sich nach Hause zu begeben.

Diese, nachdem sie all die gewöhnliche Sorgfalt angewandt hatte, ihre Enkelin vor Erkältung zu schützen, stieg mit ihr in den Wagen, der Beide in ihre Wohnung zurückbrachte.

Am andern Morgen lauerte die kleine Zizine auf das Erwachen ihrer jungen Beschützerin; das Kind hatte während ihrer Abwesenheit seine Puppe ganz so angezogen, wie Stephanie zum Balle geschmückt war; sie dachte ihrer guten Freundin eine angenehme Ueberraschung zu bereiten, und sich ganz nahe an deren Bett setzend, erwartete sie mit ihrer schönen Puppe auf den Knieen in größter Stille das Erwachen Stephaniens.

Der ersehnte Augenblick erschien endlich; das junge Mädchen murmelte einige Worte, Zizine lief zu ihr heran und küßte sie; dann zeigte sie ihr die Puppe, indem sie sagte: »Siehst Du, so schön warst Du gestern.«

Stephanie lächelte, aber sie brach in kein Gelächter aus, wie sie es gewöhnlich zu thun pflegte, wenn sie mit ihrer kleinen Freundin spielte; man hätte sogar sagen können, sie betrachtete ihre Puppe mit Gleichgültigkeit.

Stephanie erzählte während des Aufstehens Zizinen Alles, was den Abend vorher auf dem Balle vorgegangen war; und sprach im Verlauf des ganzen Tags von nichts Anderem. Aber als ihr Zizine vorschlug, mit der Puppe zu spielen, schlug es ihr Stephanie ab und bemerkte, daß sie das nicht unterhalten würde. Die kleine Zizine, ganz erstaunt darüber, sagte zu ihr: »Aber es unterhielt Dich doch gestern so sehr! ;...«

»Ja ... gestern ;...« stammelte Stephanie mit träumerischer Miene.

Für das Kind war gestern nur der Zwischenraum eines Tages; aber für das junge Mädchen nur noch eine unklare Erinnerung an ein vergangenes Leben.


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