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Achtzehntes Kapitel

Das Kaffeehaus der Schauspieler

Herr Guerreville brachte seine Tage jetzt damit hin, die elegantesten Spaziergänge der Hauptstadt zu durchlaufen; bisweilen miethete er ein Pferd und dehnte seine Exkursionen auf die Umgebungen aus. Ein Tilbury, ein Kabriolet, die unbedeutendste Equipage wurde oft von ihm verfolgt, wenn er den Mann darin zu bemerken glaubte, welchen er mit glühender Begierde aufsuchte. Abends kam er, von Anstrengung erschöpft, nach Hause, und nahm sich beim Niederlegen vor, am folgenden Tag wieder anzufangen.

Wie es der Doktor vorausgesehen hatte, dachte Herr Guerreville, einzig und allein mit dem Räuber seiner Tochter beschäftigt, weder an seine Pathe, noch an Mariens Sohn. Aber, während er allen Equipagen nachgaloppirte, that Jenneval sein Möglichstes, um Julius und Agathen wieder aufzufinden.

Es gibt in Paris ein gewisses Kaffeehaus, oder vielmehr eine Tabagie, die man das Kaffeehaus der Schauspieler nennt. Während die Mehrzahl der derartigen Etablissements in Pracht, Spiegeln, Vergoldungen, Malereien und Eleganz mit einander wetteifern, ist das Schauspielerkaffeehaus in der Zwei-Thalergasse seinen alten Lampen, seiner Oelbeleuchtung und seinen verrauchten Tapeten treu geblieben; es ist hier nichts Modernes, nichts Geschmackvolles zu schauen; es ist wahr, man geht auch nicht dorthin, um seine Toilette bewundern zu lassen und Gefrorenes zu sich zu nehmen ... man spielt Poule dort und raucht dazu; sehr häufig genießt sogar der größte Theil der anwesenden Gäste gar nichts, und geht nur hin, um von seinen Angelegenheiten zu sprechen.

Dieses finstere Kaffeehaus, welches sich von außen durch nichts bemerklich macht, ist dennoch eines der besuchtesten von Paris. Besonders gegen die letzten vierzehn Tage vor Ostern, zu welcher Zeit die Engagements der Schauspieler und Schauspielerinnen stattfinden, ist das Schauspielerkaffeehaus dermaßen mit Leuten angefüllt, daß es oft Mühe kostet, hineinzukommen. Dann bilden sich zahlreiche Gruppen auf der Straße, vor der Thüre; öfters können die Wagen wegen der großen Menge, die dort bei einander steht und miteinander schwatzt, nur sehr schwer durchkommen. Man könnte glauben, daß daselbst, wie vor Tortoni, Börsenangelegenheiten und Handelsgeschäfte abgemacht werden. Allerdings werden da auch Geschäfte abgemacht, aber mit leeren Börsen, d. ;h. mit Bühnenkünstlern. Das Theater ist, was allen diesen Personen, die man kommen, gehen, sich einander nähern und mit einander sprechen sieht, zu leben gibt oder wenigstens zu leben geben soll. Hier werden Engagements für die Provinz, bisweilen selbst für das Ausland abgeschlossen. Hier kommen diejenigen hin, welche keine Anstellung mehr haben, diejenigen, welche eine suchen, oder ihre bisherige aufgeben wollen; und alle diese Leute, wie ihr sie da sehet, sind lauter Talente ersten Rangs; wenigstens glauben sie es.

Jenneval entschloß sich, in das Schauspielerkaffeehaus zu gehen, um zu versuchen, dort etwas über Julius zu erfahren, der sich bei seinen Eltern nicht wieder hatte sehen lassen. Eines Nachmittags begab sich der Doktor in die Zwei-Thalergasse; er bemerkte einige Gruppen von Schwatzenden, welche fast in der Goße standen und erkannte daraus, daß er an dem Orte war, den er suchte.

Dem, der in die Mysterien des Theaters, in die Angelegenheiten der Coulissen nicht eingeweiht ist, scheint der Name Kaffeehaus der Schauspieler eine fröhliche, liebenswürdige, verführerische Gesellschaft zu versprechen, in welcher er einen Theil von Allem wieder zu finden hofft, was ihm im Theater gefallen hat. Man bildet sich ein, jene erste jugendliche Liebhaberin ungefähr so wiederzusehen, wie sie Einem in ihren Glanzrollen erschienen ist; man glaubt die reizende Soubrette wiederzufinden, das unschuldige Mädchen mit ihrer naiven Anmuth, den verliebten Stutzer, den Marquis von seinem Tone! Doch wie erstaunt man, wenn man in das Kaffeehaus der Schauspieler eintritt! Man sieht nichts von dem, was Einen in Entzücken versetzt hatte. Bei diesen Männern, welche rauchen oder eine Poule spielen, sucht man vergeblich die Grazie, die eleganten Formen, welche von den Brettern herab so verführerisch wirkten, und man wird versucht, zu ihnen zu sagen: »Ah, mein Gott! meine Herren, wie kommt es, daß Sie so gar keine Künstlerphysiognomie haben?« Man sucht Schauspielerinnen, sie sind in geringer Anzahl da und hielten sich sonst im Hintergrunde des Kaffeehauses, jetzt aber bleiben sie, wie die Männer, in der Nähe der Billards. Die junge Frau, welche dort an einem Tische sitzt, wo sie einen italienischen Salat verzehrt, ist eine Soubrette, die von Nantes kommt und nach Montpellier reisen will; jene, die in ihrer Nähe Aepfel verspeist und sich mit ihrem Nachbar zu streiten scheint, ist eine junge Unschuldige, welche, seitdem sie Paris verlassen, schon dreimal ihren Reisegefährten gewechselt hat. Mit einem jugendlichen ersten Liebhaber abgereist, verließ sie ihn eines dummen Bauernjungen wegen, der sie an einen zweiten Tenor abtrat; endlich kam sie mit einem Baßbouffon zurück. Daraus und aus der Gewohnheit dieser Art Damen, immer den Namen des Geliebten anzunehmen, mit welchem sie leben, geht hervor, daß wir sie in Paris unter dem Namen Madame ;A. gekannt, in Rouen unter dem Namen Madame ;B. gesehen haben, und sie an einem dritten Orte als Madame ;C., aber stets als junge Unschuld, wiederfinden. Das Gescheiteste ist, wenn man eine solche Dame wieder sieht, sie zu fragen, welchen Namen sie gegenwärtig führe?

Diese Veränderungen geschehen übrigens fast immer freiwillig; beide Theile nähern sich einander, verlassen sich und finden sich wieder in unveränderter Freundschaft. Oft kommt es sogar vor, daß der dermalige Liebhaber, wenn er nach einiger Zeit dem ehemaligen Liebhaber seiner Dame begegnet, zu ihm sagt: »Mein Freund, willst Du mir wohl die Gefälligkeit erweisen, meiner Frau auf einen Augenblick den Arm zu bieten?«

Der Arm wird auch auf der Stelle angenommen, und Madame, die gegenwärtig die Frau eines Andern ist, geht mit dem spazieren, dessen Namen sie ehemals führte und der jetzt für sie nur noch ein Kunstgenosse ist.

Aus diesem Allem ersieht man, daß es unter den Theaterleuten viele Gebräuche gibt, die denen der St. ;Simonisten gleichen.

Ich brauche Ihnen übrigens nicht erst zu sagen, daß dergleichen Züge unter den ansäßigen Künstlern selten sind, und daß es unter unsern großen Talenten, unter unsern renommirten Schauspielerinnen viele gibt, welche das Schauspielerkaffeehaus nicht einmal dem Namen nach kennen, da dieses Kaffeehaus nur für die dramatische Demokratie errichtet worden ist.

Jenneval hatte sich in einen Winkel des Kaffeehauses gesetzt, blickte um sich her und beobachtete.

Ein Herr von gesetztem Alter, dessen Perrücke sich über den Ohren bedeutend verkürzte und dessen Kinn und halber Mund in einer ungeheuren Halsbinde stak, näherte sich dem Ofen, tiefe Töne ausstoßend, welche den Klängen einer Kirchenposaune ähnelten; er unterbrach sich häufig, um zu husten, was mit einer Gewalt geschah, die nicht ganz ohne Absicht schien. Man sah, daß es diesem Manne ein Vergnügen gemachte hätte, beim Husten den Lärm einer Kanone hervorzubringen.

»Allem Anschein nach singt dieser Herr zweite Tenorpartien,« sagte Jenneval zu sich. Indem er sich dem Manne mit der starken Stimme näherte, bot er ihm eine Prise Tabak an, die mit großem Eifer angenommen wurde; der Doktor glaubte sogar zu bemerken, daß dieser Mann, statt mit den Fingern davon zu nehmen, die Hälfte seiner Hand mit Tabak angefüllt hatte, den er dann geschickt in eine Westentasche ausleerte und nur eine kleine Prise an seine Nase brachte. Ohne sich aber das Ansehen zu geben, als bemerke er diese, für künftige Prisen getroffene Vorsorge, knüpfte der Doktor ein Gespräch an.

»Der Herr sind Künstler, ohne Zweifel?«

»Erster tiefer Tenor ... hum! hum ... nötigenfalls Bariton ... hum! ... musikalisch bis in die Fingerspitzen ... hum! hum! ... Ich habe nur gerade ein vertracktes Kratzen in der Kehle ... es muß mich ein Beinsplitter von einem Kapaun geritzt haben. Ich besitze eine herrliche Stimme ... hum! ... die mich noch nie im Stiche gelassen hat. Ich habe alle Städte des mittäglichen Frankreichs in Entzücken versetzt ... Pfoi! Pfoi! ... Ah! Ah! ... das ist ein verteufelter Reiz ;...

Deine Liebe, theure Tochter
Tröstet' mich für Alles.

Hum! hum! ;...«

»Der Herr kommt aus der Provinz?«

»Ich komme von Bordeaux ... ich war dort auf ein Jahr engagirt ... hum! hum! ... blieb aber nur vierzehn Tage dort ... ich habe mein Engagement gebrochen, es gefiel mir nicht dort! In Bordeaux lieben sie nur den Tanz! ... Ich ließ sie herrliche Orgeltöne hören! ... sie waren entzückt! ... aber sie zischten, um dem Direktor einen Possen zu spielen, weil er ihnen nicht genug Ballete gab. Deßhalb sagte ich zu dem Direktor: Ihr Publikum betet mich an, ich weiß es sehr wohl; aber es verdrießt mich, daß Sie Feinde haben, welche immer zischen, wenn ich singe. Ich will fortgehen, denn Sie dürften mir zehntausend Franken für jede Vorstellung geben, ich würde nicht hier bleiben. Der Direktor hatte Thränen in den Augen ... er wollte mich mit aller Gewalt zurückbehalten ... hum! hum! ... aber ich habe nicht gewollt ... und ich werde dieses Theaterjahr in Beaugency beenden ... hum! die werden sich nicht wenig gratuliren, mich dort zu besitzen! ... Ah! Verhext ... Eine Stimme von meinem Umfang haben sie dort noch nicht gehört! Ich debütire in dem Deserteur.«

»Ah! Sie spielen die Rolle des Deserteurs?«

»Pfui! ... den Heuler, der nichts zu singen hat ... Ich mache den Courchemin ... ich singe die schöne Arie: Der König ging vorbei ... hum! hum! und der Tambour schlug ... hum! hum! den Marsch ... Verdammte Bürste im Halse ... eine ganze Schleimmasse ... Ah, Teufel! die himmlische Arie! ... in dieser kann man seine Mittel entwickeln. Darf ich Sie um eine Prise bitten?«

»Sehr gern.«

»Ihr Tabak ist vortrefflich.«

Der erste tiefe Tenor grub seine Hand wieder in die Dose des Doktors ein und führte dasselbe Manöver wie vorhin aus.

Ein Mann von etwa vierzig Jahren, mit einer jugendlich blonden Perrücke, Baumwolle in den Ohren, der zwei Ketten von grünen Steinen um den Hals trug und eine Haarkette über die Weste, große Berlocken an der Uhr, Ringe mit falschen Brillanten an allen Fingern, einen abgeschabten blauen Rock, nußfarbene Beinkleider, mit Bindfaden statt der Stege befestigt, Schuhe, blaue Strümpfe und eine Busenkrause, näherte sich jetzt tänzelnd und schlug dem tiefen Tenor auf die Schulter.

»Guten Tag, Alter!«

»Guten Tag ... hum! hum! ;...«

»Denke nur, die Sache ist abgemacht, ich habe diesen Morgen unterzeichnet.«

»Nun zum Teufel! mein Engagement nach Perpignan ... Für erste Liebhaber, erste Helden, Marquis und erste komische Rollen ... ganz ausschließlich.«

»Potz tausend, da wirft Du ja Alles spielen ... das riecht verflucht nach Nebenrollen!«

»Nebenrollen! ... Hast Du mich denn nicht verstanden ... ein vortreffliches Engagement: ich wähle die Rollen, die mir gefallen, und viertausend Franken Gage, ohne das Benefice zu rechnen ;...«

»Hum! hum! ... ja, das ist etwas Sauberes, um ein Benefice in Perpignan! Ich habe einige Zeit dort gespielt; das ist eine Stadt, wo es für Künstler nichts zu thun gibt.«

»Bah! Du scherzest ... das Theater ist dort im Gegentheil sehr besucht.«

»Man dürfte mir dort zwanzigtausend Franken bieten und ich ginge nicht hin.«

»Du bist sehr difficil ... Ah, ich habe mit Bedauern erfahren, daß Du Unannehmlichkeiten in Bordeaux gehabt hast.«

»Unannehmlichkeiten ... ich! ... was für ein Vieh hat das gesagt?«

»Nun ... hier ... im Büreau bei Daudel; da war Jemand, welcher sagte, Du seiest ausgepfiffen worden ;...«

»Ausgepfiffen ... ich! ... Ah, ich wünsche Dir nur immer solche Auspfeifer zu haben wie diese da ... überschüttet mit Beifall, mein Lieber, völlig überschüttet ... so daß sie mich oft meine großen Arien nicht zu Ende singen ließen ... hum! hum! ... Ah, zum Henker! das war ein betäubender Lärm, wenn ich auftrat.«

»Warum bist Du denn aber fortgegangen?«

»Ah, warum hatte der Direktor Feinde? ... Siehst Du, das ist etwas Anderes ... Privatangelegenheiten ... und dann wurde ich in Bordeaux zu oft heiser! ... die verfluchte Seeluft ... Ich sagte: Keine Minute mehr! ich will zum Vergnügen dieser Kanaillen meine Stimme nicht einbüßen! ... Mein Herr, ich möchte Sie noch um eine Prise bitten.«

»Mit großem Vergnügen.«

Jenneval präsentirte seine Dose; nach der dritten Prise war nichts mehr darin.

»Der Herr will also nach Perpignan abreisen?« fragte der Doktor, sich an den andern Mann wendend.

»Ja, mein Herr, in zehn Tagen muß ich dort sein ... ich habe fünfhundert Franken Vorschuß.«

»Hum! hum! ... Pfoi!«

Diesmal schien der tiefe Tenor mit spöttischer Miene zu husten, wobei er eine leichte Bewegung mit den Schultern machte, welche ausdrückte, daß er dem, was sein Kamerad so eben gesagt, keinen Glauben schenke. Jenneval selbst kam es sehr sonderbar vor, daß der erste Held, wenn er fünfhundert Franken vorausbekommen, sich nicht ein Paar lederne Stege statt seiner Bindfäden gekauft hätte. Doch das hinderte ihn nicht, die Unterhaltung fortzusetzen.

»Sie müssen mehrere der Direktoren aus der Provinz kennen?«

»Fast alle ... ich habe mich so viel von Stadt zu Stadt herumgetrieben; ich liebe den Wechsel, ich habe kein Sitzfleisch, und auf diese Weise sieht man sich auch die Welt an, vergnügt sich dabei und lernt Lebensart ... Ich habe Geschmack und eine Garderobe, die zu den vollständigsten gehört ... ich würde sie nicht für sechstausend Franken geben ... Ah, ich glaube meine Frau zu sehen!«

Der erste Held entfernte sich hüpfend, und der alte Huster sagte darauf zum Doktor: »Das ist ein Schwätzer und Aufschneider vom ersten Rang! ... Saubere Garderobe seine Garderobe! ... Nun, Sie haben ja eine Probe davon an seinem Anzuge gesehen ... Alles an ihm ist falsch, von seiner Stimme bis zu seinen Waden ... hum! ... Stellen Sie sich vor, um Aufsehen in den Städten zu machen, wohin er kommt, schleppt er drei ober vier leere Koffer mit sich; aber was thut mein erster Held, um seinem Wirthe Vertrauen einzustoßen und Kredit zu erlangen? ... Kaum ist er in einem Gasthofe angekommen, schlägt er von innen Nägel durch seinen Koffer und nagelt sie an den Fußboden fest, dann verschließt er sie sorgfältig. Nun ist es gewöhnlich das erste Geschäft eines Gastwirths, welcher einen Schauspieler beherbergt, dessen Koffer zu wägen, um nach ihrem Gewichte zu urtheilen, ob er für seine Zeche ein Unterpfand habe. Das soll nun auch mit denen unseres ersten Helden geschehen; wenn man aber versuchen will, sie in die Höhe zu heben, ist es rein unmöglich! man bringt sie nicht von der Stelle! Jetzt ist mein Schafskopf von Gastwirth ganz beruhigt; o! denkt er bei sich, da drin ist genug, um mich für meine Zeche zu decken! und er kreditirt frisch darauf los. Das ist eine von den tausend Schelmereien dieses famosen Kameraden ... hum! hum! Uebrigens ein ziemlich guter Kerl und als dummer Junge nicht übel, nur darf er sich nicht bis zu Liebhabern oder gar ersten Helden versteigen ... Ah! die rathe ich ihm sehr ab! Dabei wird er noch den Hals brechen ... Ich möchte Sie um eine Prise gebeten haben.«

»Thut mir sehr leid, aber ich habe keine mehr.«

»Ah! es ist wahr, ich habe nur so die Gewohnheit ;...«

Ein kleiner, hagerer Mann, braun, häßlich und von den Pocken stark gezeichnet, näherte sich jetzt deklamirend, beide Hände in den Taschen seines Oberrocks und seine Augen wie ein Verschworener herumrollend. Der tiefe Tenor begrüßte ihn mit einem Kopfnicken, der Andere antwortete ihm darauf mit hohler Stimme:

»Ach, Ungewißheit ist die größte Folterpein!
Des Wartens Stunde scheint unendlich uns zu sein!«

»Herrlich!« ... sagte der tiefe Tenor. »Du kommst von Lyon zurück?«

»Ja.«

»Wie ist Dir's dort ergangen?«

»Gekrönt!«

»Du hast eine Krone erhalten?«

»So oft ich spielte, gekrönt.«

»Gerade wie ich in Bordeaux ... hum ... hum! ... hast Du auch in Chalons Vorstellungen gegeben?«

»Drei hinter einander ... das heißt, drei Stücke an einem Abend.«

»Mit Erfolg?«

»Gekrönt!«

»Teufel auch, es scheint, daß die Tragödie dieses Jahr in der Provinz in Aufnahme gekommen ist. Man hatte mir aber doch gesagt, daß nichts mehr ziehe, als die komische Oper und das Vaudeville.«

»Ah! ja! sie machen keinen Sou mit ihrer komischen Oper.«

»Weil sie keinen tiefen Tenor haben.«

»Möglich! Ich suche den Direktor von Douai ... das heißt, seinen Regisseur, der sich in Paris befindet, und mich mit aller Gewalt haben will.«

»Wenn er Dich mit aller Gewalt haben will, so scheint es mir, daß er Dich aufsuchen müßte.«

»Ich sage Dir auch, daß er mich gebeten hat, ihn hier zu erwarten ;...

Für wen die Schlangen, die ob meinem Haupte zischen! ...«

»Hast Du schon in Douai gespielt?«

»Ja, freilich! deßhalb brennen sie auch vor Begierde, mich dort wiederzusehen ... Ich habe den Hamlet gespielt, den Nero, Agamemnon ... den Menschenfeind ... Antoni ... dreißig Jahre.«

»Ah! dort lieben sie also das Drama ;...«

»Was heißt lieben, sie verschlingen es ... sie suchten mich in meiner Loge auf ... sie trugen mich im Triumphe davon! ... ich wurde alle Abende gekrönt ;...«

»Hum! hum! ... meine Gurgel ist so trocken, wie eine Mandel!«

»Wenn Sie ein Glas Bier von mir annehmen wollten?« sagte Jenneval, indem er sich einem Tische näherte.

Der edle Opernalte schien über diesen Vorschlag eben so gerührt als entzückt; er verbeugte sich und erwiderte: »Mit größtem Vergnügen.«

Der Tragöde folgte diesen Herren, indem er rief: »Meiner Treu! ein Glas Bier wäre auch mir nicht unangenehm.«

Man setzte sich an einen Tisch. Es waren mehrere besetzt, aber man beschäftigte sich an denselben nur mit dem Dominospiel; daher richteten sich auch alle Blicke sogleich nach dem Orte, wo eine Flasche entpfropft wurde.

Jenneval hatte drei Gläser verlangt, und war eben im Begriff, den beiden Künstlern einzugießen, als der erste Held herbeilief, sich eines Stuhles bemächtigte und sich mit dem Ausrufe an den Tisch setzte: »Halt! Ihr trinkt Bier ... Ah! gut, da bin ich dabei! Ein Glas, Kellner!«

»Der Herr hat uns die Ehre erwiesen, uns einzuladen,« sagte der Tragöde, indem er dem neu Hinzugekommenen einen strengen Blick zuwarf.

»Und was thut das?« sprach der Doktor, »der Herr wird uns nicht zuviel sein. Kellner, noch ein Glas und Bier.«

Der erste Held ließ sich nicht bitten, griff sogleich nach dem Glase und sang:

»Je närrischer man ist, je mehr man lacht!
Je närrischer man ist ...«

»Lassen Sie es nicht schäumen, wenn ich bitten darf.«

»Herrliches Bier!« sagte der tiefe Tenor.

»Ich werde noch besseres in Douai trinken!« sagte der Tragöde.

»Ah! Du gehst nach Douai, Du?« begann der erste Held. »Ah! ah! dort habe ich komische Geschichten erlebt. Ich war etwas auf dem Trockenen, denn ich hatte meinen Vorschuß bei der Ankunft verzehrt ... ich erinnere mich unter Anderem, daß ich einen Marquis zu spielen hatte und genöthigt war, die kleinen Vorhänge von meinem Fenster zu nehmen, um mir eine Halsbinde und ein Taschentuch daraus zu machen ... ha! ha! haben wir da gelacht! haben wir da gelacht!«

»Meine Herren,« sagte der Doktor, »Sie sind alle drei Künstler und durch ihre Talente sehr bekannt, wie ich höre.«

Die Herren verbeugten sich; der tiefe Tenor hustete stärker.

»Nun gut!« fuhr Jenneval fort, »Sie könnten mir vielleicht einen großen Dienst erweisen.«

»Alles, was Sie wünschen,« erwiderte der erste Held und fügte, auf seine klanglose Hosentasche klopfend, hinzu: »nur darf es sich nicht um Geld handeln.«

»Oh! davon ist durchaus nicht die Rede,« sagte Jenneval lächelnd.

»Ich scherzte auch nur.«

»Uebrigens kann das Geld nicht knapp bei Dir sein, da Du ja fünfhundert Franken Vorschuß bekommen hast,« sagte der tiefe Tenor zum ersten Helden.

»Ich habe sie meiner Frau zu ihrer Niederkunft gegeben.«

»Deiner Frau! Die hat ja erst vor drei Monaten ein Kind gehabt.«

»Gleichviel! wenn sie jetzt wieder eines bekommen will, geht das Dich etwas an?«

»Still doch, meine Herren, ihr hindert ja den Herrn zu sprechen.«

»Wir hören Sie, mein Herr.«

Der Doktor fuhr fort: »Ein junger Mann, der Sohn einer Dame, die mich interessirt, wurde von der schönen Leidenschaft für das Theater ergriffen; seine Eltern gehören dem Handelsstande an und wünschen, daß ihr Sohn ihr Geschäft fortführen möchte. Wenn übrigens dieser junge Mann Anlagen für das Theater hätte, so würde ich ihnen gerathen haben, ihn eine Laufbahn verfolgen zu lassen, welche so viel Anziehendes darbietet. Aber weit entfernt davon, glaube ich, daß der, von welchem ich mit Ihnen spreche, immer nur einen sehr schlechten Schauspieler abgeben wird; und denken Sie in diesem Falle nicht wie ich, daß er besser daran thun würde, dem Theater zu entsagen?«

»Oh! ja, ohne Zweifel, mein Herr!«

»Der arme Bursche, wenn er wüßte, wie es auf solch einem Provinzialtheater zugeht!«

»Wie auf einer Galeere!«

»Drei Viertheile unserer Zeit bekommen wir nichts bezahlt!«

»Anstrengungen, Kränkungen, Ueberdruß, und nichts zu beißen und zu nagen ... das ist's, was auf ihn wartet!«

»Ah! mein Herr, wenn Sie irgend eine Gewalt über ihn haben, so halten Sie ihn davon ab, zum Theater zu gehen.«

Jenneval betrachtete mit Erstaunen diese drei Männer, welche wenige Augenblicke vorher nur von ihren Erfolgen, von ihren Triumphen gesprochen hatten, und nun Alle dann übereinstimmten, ihn aufzufordern, einen Dritten von ihrer Laufbahn zurückzuhalten; er dachte damals, daß die Schauspieler auch im gewöhnlichen Leben fast immer die Gewohnheit beibehalten, Komödie zu spielen, daß es aber auch Momente gebe, in denen sie sprechen, wie es ihnen ums Herz ist, und aufhören, Komödianten zu sein.

»Und was hat Ihr junger Mann gethan?« fragte der Tragöde.

»Was er gethan hat? Oh! mein Gott! er hat seine Eltern vor acht Tagen verlassen, indem er ihnen sagte, daß er sich für die Provinz engagiren lasse.«

»Oh! ... Oh! ... ein Geniestreich ... das war mein Fall,« sagte der erste Held, »aber ich fühlte mich auch von meinem Beruf durchdrungen.«

»Und welches Fach hat er gewählt?«

»Oh! ich glaube, daß er Alles spielen wird, was man nur von ihm verlangt ... doch da er ein hübscher Bursche und noch nicht zwanzig Jahre alt ist, wird man ohne Zweifel einen Liebhaber aus ihm machen.«

»Oder einen Kuhschwanz,« sagte der tiefe Tenor, »darunter verstehen wir einen Erztölpel, einen Bauernlümmel. Wenn er noch Stimme hätte! hum! hum!«

»Die hat er durchaus nicht.«

»Zum Theater gehen, ohne Stimme! ... diese jungen Leute sind erstaunlich kühn; sie verzweifeln an nichts ... er ist im Stande, sich für die große Oper engagiren zu lassen!«

»Das ist leicht möglich.«

»Und für welche Stadt hat er ein Engagement angenommen?«

»Das ist es gerade, was ich nicht weiß.«

»Wie heißt er?«

»Julius ... Gallet.«

»O! er hat ohne Zweifel einen Theaternamen angenommen«

»Sein Signalement?«

»Noch nicht zwanzig Jahre alt, blond, groß, rothe Gesichtsfarbe, ein hübscher Bursche, aber etwas zart.«

»Warten Sie, wir wollen Erkundigungen über ihn einziehen; da ist gerade der zweite Stutzer, der alle Neuigkeiten weiß ... er läuft immer bei den Theateragenten herum ... Hollah! he! Vollliebe

Der Künstler, den seine Kameraden Vollliebe nannten, war ein starkbeleibter Mann, welcher seine volle fünfzig Jahre zählte, aber immer noch ein hübscher Mann war, sich mit großer Koketterie bewegte und außerordentlich in seine Kleider eingezwängt war, so daß er den Mund immer aufstehen hatte, um nach Luft zu schnappen; sein Accent deutete auf ein Kind der Garonne. Er näherte sich lächelnd, ließ zweiunddreißig sehr weiße Zähne sehen und trillerte, indem er im Gehen seine Hüften bald rechts bald links schwenkte:

»Wenn man aufs Liebchen harrt,
Wie uns die Zeit da narrt.

Guten Tag, meine Kinder ... Mein Herr, ich habe die Ehre ... ah! Du hier, Tragöde ... ich glaubte Dich in Lyon.«

»Gekrönt!« murmelte der kleine, hagere und gelbe Mann, indem er sein Bier hinuntergoß.

»Wie ich in Toulouse ;...

O Richard! o mein König!

Halt, willst Du von meinen Kronen? Ich habe alle Taschen davon voll.«

Und Herr Vollliebe zog ein Paket mit Laubwerk hervor, von dem sich einige Zweige auf dem Kopf des tiefen Tenoristen festsetzten.

»Sie sind am gehörigen Platze ... Alterchen! ;...«

»Hum! hum! Danke, Vollliebe ;...«

»Wir haben Dich um eine Auskunft zu bitten,« sagte der erste Held.

»Eine Auskunft ... sprecht, ich bin wie der Eremit auf dem Berge Prazzo ... ich sehe Alles, ich weiß Alles ... ich ... doch Ihr trinkt Bier?«

»Wollten Sie mir wohl das Vergnügen machen, mein Herr, ein Glas davon anzunehmen?« sagte Jenneval und grüßte Herrn Vollliebe mit freundlicher Miene.

»Ein Glas, Sie sind sehr gütig ... indeß würde ich etwas Anderes vorziehen ... das Bier ist für einen mittäglichen Schlund zu kalt.«

»Kellner, eine Bowle Punsch!« rief alsbald der Doktor.

Jetzt stürzte Herr Vollliebe an den Tisch und warf fast den ersten Helden und den tiefen Tenor über den Haufen. Aber die Bestellung einer Bowle Punsch hatte eine allgemeine Bewegung in dem Kaffeehause hervorgebracht; der Kellner fürchtete falsch gehört zu haben, und ließ es sich dreimal vom Doktor wiederholen, er sah ganz verwundert darüber aus, daß man von ihm eine Bowle auf einmal forderte, und lief in das Comptoir, um diese wichtige Neuigkeit sogleich seiner Herrin anzuzeigen.

Indeß hatte man den zuletzt Angelangten befragt, ob er etwas über Julius wisse. Nachdem er einige Zeit nachgedacht hatte, schlug sich Herr Vollliebe an die Stirn und rief aus: »Die kleine zärtliche Mutter von Limoges hat mir von einem hübschen Liebhaber erzählt, den sie, ich weiß nicht mehr in welcher dramatischen Agentur gesehen hatte ... Warten Sie, wir können sie fragen ... Wollen Sie, daß ich sie kommen lasse?«

»Sehr gern,« sagte Jenneval, der entschlossen war, eine ganze Truppe zu bewirthen, wenn es dazu dienen konnte, Julius auf die Spur zu kommen.

»He! he! ho! ho! ... Mimi! ... he! he! ... Mimi! ... ho! ho! ;...«

Diese Ausrufe machte Herr Vollliebe in Rouladen und eine junge, ziemlich hübsche Frau, deren Toilette aber außerordentlich zerknittert war, lief aus dem Hintergrunde des Kaffeezimmers herbei, indem sie eine ungeheure Bretzel verspeiste, und sagte zu dem mittäglichen Künstler mit einer tiefen Altstimme: »Nun denn! was hat mich denn das Vieh da in einem fort zu rufen? Willst Du mir vielleicht ein Glas Cider aufwichsen? bezahlst Du ein Glas Cider?«

»Der Herr bietet Ihnen ein Glas Punsch an ... das, glaube ich, Sirene, wiegt Ihren Cider auf.

All diese Lust war auch für mich ...
Dran denke ich, dran denke ich!«

In diesem Augenblicke brachte man die Bowle Punsch, deren bläuliche Flamme die Stammgäste des Kaffeehauses in die größte Aufregung versetzte. Die zärtliche Mutter ließ sich nicht lange bitten; sie setzte sich, und Jenneval sagte zu dem Kellner: »Noch ein Glas.«

»Wo wirst Du dieses Jahr hingehen, Mimi?« fragte der erste Held die junge Frau, die eben herzugekommen war.

»Wo ich hingehen werde? ... was weiß ich ... vor der Hand gehe ich spazieren ... ich bewege mich in der freien Luft ... alle Direktoren ekeln mich an! Da will mich Einer als erste Liebhaberin engagiren, unter der Bedingung, daß ich auch im Chore mitsinge, wenn es an Leuten fehlt ... und daß ich auch in den Divertissements mittanzen solle. Ich aber sagte: Danke! es fehlt nur noch, daß Sie mich am Eingange ins Theater die Trommel rühren und ausrufen lassen: »›;Treten Sie ein! Treten Sie ein, meine Herren und Damen! ... Versehen Sie sich mit Billeten, man wird sogleich anfangen! ... Brrrr ... Versehen Sie sich mit Billeten!‹«

Alle Künstler fingen an zu lachen und der Doktor konnte sich nicht enthalten, mit einzustimmen, weil die zärtliche Mutter am Schlusse ihrer Rede auf eine ganz originelle Weise die Manieren und die Sprache eines Marktschreiers nachmachte. Hierauf goß sie ihr Glas Punsch in einem Zuge hinunter und rief dann aus: »Ah! wie heiß das ist! ... Gleichviel, ich nehme doch noch eines ... das wird meine Heiserkeit kuriren! ;...«

Während Jenneval Punsch einschenkte, blieb eine Frau von fünfzig Jahren, mit Schminke und Schönpflästerchen bedeckt, welche absichtlich schnell sprach und ging, um dadurch ihren Beruf als Soubrette anzuzeigen, bei dem Tische stehen und sagte mit halber Stimme zu dem Tragöden: »Pest! ... welche Schwelgerei! ... habt Ihr einen Theaterdirektor aus Peru bei Euch?«

Der Tragöde, der schon halb und halb durch den Punsch, den er wider seine Gewohnheit getrunken hatte, benebelt war, hob seinen Kopf in die Höhe und brummte: »Gekrönt! ... im Triumphe in der Stadt herumgeführt!«

»Ja, wie wir gestern, als wir von Moulins hierher zu vierzehn in einem Karren von einer Mähre gezogen wurden, welche die Rozinante vorzüglich gespielt hätte.«

Während dieses Gesprächs hatte man die zärtliche Mutter nach dem jungen Menschen gefragt, den sie ein Engagement hatte unterzeichnen sehen, und indem sie genau aufpaßte, streckte sie ihr Glas wieder hin mit den Worten: »Warten Sie ... noch ein wenig Punsch ... ich muß mich erst besinnen ... gießen Sie nur immer zu ... Ein schmachtender Blondin ... nicht sehr stark ... Uebrigens nicht übel ... man sollte noch ein wenig Rum dazuthun ... Ah! jetzt hab ich's, er ist nach Moulins engagirt.«

»Nach Moulins? ... Sie glauben?«

»Ich weiß es gewiß, er soll die jugendlichen Liebhaber jeder Art spielen ... und nötigenfalls auch die edlen Väter ;...«

»Unter welchem Namen hat er unterzeichnet?«

»Er hat sich Julius Ga... Gale... Gaga.. genannt?«

»Gallet?«

»Ja, Gallet oder Galère. Man hat ihn gefragt, ob er keinen Theaternamen annehmen wolle, und er hat unterzeichnet: Julius Galère genannt Florival.«

»O! das ist gut; und nach Moulins sagen Sie ... ist er schon abgereist?«

»Das weiß ich nicht ... aber ich glaube, er wird erst morgen abreisen ... Sie können es auf dem Diligencenbureau erfahren ... er wollte den Wagen von Laffitte und Caillard nehmen ;...«

»Sehr verbunden, Madame; meine Herrn, äußerst erfreut, Ihre Bekanntschaft gemacht zu haben.«

»Wir ebenfalls, mein Herr.«

Vier Hände streckten sich zugleich aus, die des Doktors zu fassen, der sie auch alle herzlich drückte, dann die Zeche bezahlte und das Kaffeehaus verließ, gefolgt von den Verbeugungen des Kellners und den Liebesblicken der zärtlichen Mutter und des fünfzigjährigen Kammerkätzchens.

»Nach Moulins,« sagte der Doktor zu sich, seinen Weg nach dem Diligencenbureau einschlagend; »für diese Stadt also ist Julius engagirt; aber er ist noch nicht abgereist; ich will ihm aufpassen, will mit ihm sprechen, es versuchen, ihn von seiner Theaterwuth zu heilen; ich will den Agenten sprechen, ihm den Reukauf für das Engagement bezahlen und diesen jungen Mann seiner Mutter zurückbringen. Dann werde ich mich nur noch nach Fräulein Agathe Grillon umzusehen haben, bei der es mich vielleicht größere Mühe kosten wird, sie aufzufinden, oder sie an der Flucht zu hindern.«

Der Doktor war indeß in dem Hofe der Diligencen angekommen; es war schon finster, aber die Laternen, welche in regelmäßigen Zwischenräumen dort angebracht sind, machten es noch möglich, die Reisenden zu unterscheiden.

Während er die Wagen nach Moulins suchte, fand er sich von mehreren Reisenden beiderlei Geschlechts umringt, welche eben abgestiegen waren, und sich wieder zu erkennen und zurecht zu finden suchten.

Ein Herr, der über seinen Rock einen Spencer, über den Spencer einen Ueberzieher und über den Ueberzieher einen Mantel gezogen hatte, und auf dem Kopfe ein Foulard, eine baumwollene Mütze und eine Kappe trug, stürzte sich durch die Mantelsäcke, Koffer und Pakete, indem er schrie: »Sehr gut ... Niemand erwartet mich ... Niemand ist da, um mich bei meinem Aussteigen aus dem Wagen zu empfangen? ... Wie allerliebst! ... Da habe Einer eine Frau, eine Bonne und eine Schwester! ... Ich hätte gute Lust, wieder nach Lyon zurückzureisen ... Und ich bin noch so gut und bringe ihnen eine ungeheure Schlackwurst mit, in die meine Frau vernarrt ist, und überdies von den größten Kastanien für meine Schwester.«

»Wo is der Straß Révolé?« fragte ein großer Reisender, an dessen Accent man den Engländer erkannte.

»Welches ist der beste und billigste Gasthof?« fragte ein junger Mann, sich an einen der Commissionäre wendend.

»Ich wünsch zu lodschir, in dem Hôtel in der Straß Révolé, wo lodschir alle fashionablen Englischmen.«

»Einen Fiaker, wenn Sie die Güte haben wollen; verschaffen Sie uns einen Fiaker!« sagten zwei Damen, die in großen Hüten mit grünen Schleiern steckten.

»Ich will sofort nach dem Palais-Royal gehen,« sagte ein kleiner Mann, über die Pakete stolpernd, und indem er sich rings umsah, als ob er gehofft hätte, das Palais-Royal in dem Posthofe zu finden.

Der Doktor machte sich endlich Luft durch dieses Gedränge; er erkundigte sich und fragte nach dem Wagen nach Moulins. Man antwortete ihm, daß er schon seit einer Stunde abgegangen sei; er ließ sich die Liste der Reisenden geben, die sich darauf befanden, und sah auf dieser Liste: Julius Gallet, genannt Florival.

»Ich bin zu spät gekommen,« sagte Jenneval zu sich, »er ist fort ... ich kann ihm nicht bis Moulins nachlaufen. Uebrigens würde er auch dort nicht mehr auf mich hören; er würde sein Engagement nicht brechen wollen ... Möge er denn spielen ... möge er Schauspieler sein ... Möge man ihn aber auch, wenn er kein Talent hat, hinlänglich auspfeifen, damit er recht bald zu seiner Mutter zurückkehre.«

Und der Doktor wollte den Diligencenhof verlassen, als er plötzlich mit der Nase auf einen kleinen Mann stieß, den er an seinem tänzelnden Wesen sogleich für seinen Freund Vadevant erkannte.

»Ah! Sie sind es, Doktor?«

»Ja, ich selbst, aber was machen denn Sie in diesem Hofe? ... Sie schienen mir zu lachen.«

»Ja, so ist's. O! das ist drollig. Ich freue mich unendlich, daß ich zufällig dazu gekommen bin ... O! das ist göttlich, hi! hi!«

»Können Sie mir nicht auch einen Antheil an Ihrer Freude zukommen lassen?«

»Nichts leichter ... und ich wette, daß Sie mit mir lachen würden, wenn Sie die Personen kennten. So mögen Sie denn wissen, daß ich hieher gekommen war, um meine Cousinen Devaux nach der Diligence zu begleiten. Sie wissen ... Clientinnen von Ihnen.«

»Wie! sie verlassen Paris?«

»Auf einige Zeit ... Man hat der Madame Devaux geschrieben, daß in Coulommiers zwei heirathsfähige junge Leute seien, die ganz für ihre Töchter paßten. Sogleich sagte meine Cousine: Gut, machen wir einen kleinen Abstecher nach Coulommiers ... wir haben Verwandte dort; meine Töchter werden ihre Talente, ihre Reize entwickeln ... und es ist wahrscheinlich, daß sie von dort mit dem Titel Frau zurückkehren werden.«

»Ich glaubte, sie sollten sich in Paris verheiraten ;...«

»Ah! Ja ... es gab Unterhandlungen, Vorschläge von Seiten eines gewissen Herrn Delaberge ... eines jungen Leichtsinns nach der Mode; aber ich habe das Alles abgebrochen, ich! ... Ich habe Erkundigungen eingezogen und erfahren, daß dieser Delaberge ein erbärmlicher Wicht sei! ... Er hätte meine jungen Cousinen unglücklich gemacht. Ich ging zu ihm und sagte: Mein Herr, ich verbiete Ihnen, noch weiter an meine Cousinen zu denken.«

»Sollte er sie denn alle Beide heirathen?«

»Nein, aber er schwankte unentschlossen hin und her ... O! was ist dieser Delaberge für ein abscheulicher junger Mann ... ein kleiner Flegel ... denn er hat versuchen wollen, einen Ton gegen mich anzunehmen! aber ich habe ihm die Meinung gesagt! ... Ich glaube nicht, daß er Lust haben wird, mich wieder zu sehen. Ueberdies geschieht es auch, um meine jungen Cousinen ein wenig zu zerstreuen, daß sie ihre Mutter nach Coulommiers führt. Doch um auf das zu kommen, was mich so lachen machte. Nachdem ich meine Cousinen Devaux in den Wagen gebracht, schlenderte ich ein wenig im Hofe umher ... Ich beobachtete ... Sie wissen, ich bin ein scharfer Beobachter ... Ich erblicke einen Wagen, der eben abfahren will ... ich weiß nicht wohin! Das ist gleich; ich nähere mich, um die Reisenden ins Auge zu fassen; da bemerke ich in einem Winkel, auf einer Bank, eine Dame, nahe bei einem Herrn sitzen; sie drängten sich ganz enge zusammen, die junge Frau schien sich verbergen zu wollen, sie wandte das Gesicht weg, wenn Jemand vorbeiging. All' das reizte meine Neugierde. Ich versteckte mich hinter einen Wagen und prüfte mein junges Paar genauer. Denken Sie sich mein Erstaunen; ich erkannte Fräulein Agathe Grillon. Ah! aber Sie kennen Sie nicht, Sie ;...«

»O! doch, im Gegentheil, ich kenne sie sehr genau.«

»Alsdann werden Sie mit mir lachen.«

»Und der junge Mann?«

»Der junge Mann? Meiner Treu, ich weiß seinen Namen nicht; aber ich kann mich sehr wohl daran erinnern, ihn bei Madame Grillon an dem Tag, wo mich meine Cousine Devaux dort vorstellte, gesehen zu haben. Es ist ein schöner Mann, ein Stutzer.«

»Nun! wo sind sie hin?«

»Wo sie hin sind? O! jetzt schon weit fort, sie stiegen in einen Wagen, wo noch zwei Plätze waren, und nun zugefahren Kutscher! ... das Ganze sah mir einer Entführung gleich.«

»Und Sie haben sie abreisen lassen?«

»Warum nicht? Ich bin weder ihre Mutter, noch ihre Tante, ich hatte keinen Beruf, mich der Abreise dieses jungen Paares zu widersetzen. Aber ich lachte! o! ich lachte gewaltig! Es ärgert mich allein, daß sie und meine Cousinen nicht in einen Wagen gekommen sind: das wäre noch drolliger gewesen.«

»Aber in welchem Wagen sind sie abgereist?«

»In welchem Wagen? Ach! ich habe so viele ankommen und abgehen sehen, daß ich nicht mehr weiß, in welchen sie sich gesetzt haben.«

Jenneval ging ins Bureau; er erkundigte sich nach Herrn Adalgis, nach Fräulein Agathe; aber kein Beamter hatte diese Namen verzeichnet, welche die Flüchtlinge bei ihrer Abreise ohne Zweifel gegen andere vertauscht hatten.

»In Gottes Namen,« dachte der Doktor bei sich, »möge Fräulein Agathe ein wenig mit Herrn Adalgis reisen. Ich glaube, daß es schon zu spät ist, sie zurückzuhalten. Sobald sie kein Geld mehr haben, werden sie schon von selbst zurückkommen. Ich habe gethan, was ich konnte, aber meine Bemühungen waren vergeblich. Ich will zu Guerreville zurückkehren, möchte ich mit ihm glücklicher sein.«

Jenneval verließ hierauf den Hof der Diligencen, wo er Vadevant zurückließ, der sich wieder hinter einen Wagen versteckte, um ein neues Paar zu beobachten.


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