Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Zwölftes Kapitel

Das Diner bei Herrn Grillon

Der festgesetzte Tag, an welchem das Diner bei Herrn Grillon stattfinden sollte, war herangekommen; Herr Guerreville schickte sich an, sich zu den Eltern seiner Pathe zu begeben. Er hatte diese ihm sehr lästige Einladung nur mit Widerwillen angenommen; aber er hatte sein Wort gegeben, und das brach er nie. Mademoiselle Agathe hatte in der Zwischenzeit ihrem Pathen einen Besuch gemacht, um ihn an sein Versprechen zu erinnern, aber Guerreville sich damals nicht zu Hause befunden.

»Sie unterhalten sich bei dem Diner vielleicht besser, als Sie glauben,« sagte der Doktor, als er am Morgen seinen Freund verließ. »Das Vergnügen hält uns im Leben oft nicht Wort, es findet sich nicht da, wo wir ihm sicher zu begegnen glauben; dagegen treffen wir es zur Entschädigung zuweilen auch, ohne uns mit ihm verabredet zu haben.«

»Ich mich unterhalten!« sagte Herr Guerreville, indem er Jenneval die Hand drückte; »Sie müssen doch wohl einsehen, daß mir das unmöglich ist, wo ich auch immer sein mag; ich kann mich manchmal zwingen, meine Leiden zu vergessen; aber selbst dann, wenn ich mir Gewalt anthue, um zu lächeln, ist mein Herz dem Ausdruck meines Gesichtes ganz fremd ... Jeder Tag steigert meinen Schmerz, denn jeden Tag sehe ich die Hoffnung, die ich noch hegte, wiederzufinden, was ich verloren habe, sich vermindern.«

»Wenn man Ihren Kummer kennte, würde man Sie bei Ihren Nachforschungen unterstützen können, und vielleicht würden dieselben dann einen bessern Erfolg haben.«

Herr Guerreville gab dem Doktor keine Antwort; er ließ den Kopf auf die Brust sinken und entfernte sich von ihm.

Um drei Viertel auf fünf Uhr klingelte Herr Guerreville bei Herrn Grillon. Agathe öffnete ihm die Thüre, und alsbald erschallten Ausrufungen der Freude, des Entzückens, als ob Manna vom Himmel auf das Haus herabgefallen wäre.

»Ah, welches Glück! es ist mein Pathe! Ah, guten Tag, mein lieber Pathe! Mama, es ist mein Pathe! Sie sind sehr liebenswürdig, daß Sie uns nicht vergessen haben ... Papa, es ist mein Pathe ... O, Papa ist im Keller! ... Treten Sie doch ein, lieber Pathe ... Ah! lassen Sie mich vor Allem Sie küssen! ... Sie erlauben es mir doch, nicht wahr, lieber Pathe?«

Und ohne eine Antwort abzuwarten, hatte Mademoiselle Agathe Herrn Guerreville schon geküßt, der, ganz betäubt von dem Lärm, den sein Eintreten hervorbrachte, in den Salon trat, ohne noch Zeit gehabt zu haben, sich zu fassen.

Hier empfing Madame Grillon ihren Gast; Agathens Mutter trug ein kleines, rosafarbenes Häubchen auf dem Kopfe, das vielleicht für eine Familienmutter mit etwas zu viel Koketterie aufgesetzt war; aber die alte Bekannte von Guerreville sah immer noch gut aus, und deßhalb war das rosafarbene Häubchen nicht gerade lächerlich.

Ein junger Mann mit glatten Haaren und einem Backenbart, der sich um seinen ganzen Hals herumzog, war ebenfalls im Salon und schien eben sehr mit der Aufgabe beschäftigt zu sein, eine unrechte Falte, die er an seiner Weste entdeckt hatte, zu glätten. Es war ein hübscher Bursche, ein ganzer Stutzer, mit anmaßender Miene.

Dann war noch ein so großer, so langer Mann da, daß sein Kopf fast an die Decke reichte, und daß Alle, je mehr sie in seine Nähe kamen, desto kleiner wurden, dabei war er so mager, so klapperdürr, daß seine Glieder beim Gehen zusammenzubrechen schienen. Er war auch noch jung, aber er hatte nichts von einem Stutzer an sich, und schien ganz in Verlegenheit, was er mit seinem langen Körper anfangen sollte.

Madame Grillon empfing Herrn Guerreville mit einem zärtlichen Lächeln, mit welchem sie viel sagen zu wollen schien. Die beiden jungen Leute hatten sich bei seinem Eintritt in den Salon erhoben; aber Agathe ließ ihrer Mutter kaum Zeit zum Sprechen; sie kam, ging, hüpfte um ihren Pathen herum, und schien weder ihrem Körper noch ihrer Zunge die geringste Ruhe gönnen zu wollen.

»Es schmeichelt uns sehr, daß Sie die Güte gehabt haben, unsere Einladung anzunehmen,« sagte Madame Grillon, indem sie den Blicken von Herrn Guerreville zu begegnen suchte, welcher ziemlich kalt erwiderte: »Madame, Sie sind viel zu gütig; ich wollte es Ihnen nicht abschlagen, obgleich ich sehr wenig in die Welt gehe und ;...«

»O ja, es ist sehr liebenswürdig von meinem Pathen, daß er gekommen ist! Ich bin ganz glücklich, Sie zu sehen, lieber Pathe ;...«

»Agathe hört gar nicht auf, von Ihnen zu sprechen,« sagte Madame Grillon, indem sie einen Halbseufzer unterdrückte.

»Meine Pathe ist sehr gütig.«

»Ich, lieber Pathe, wenn ich Jemanden liebe, so liebe ich ihn auch gleich von ganzem Herzen; das ist bei mir immer so ... und das begegnet mir zuweilen so schnell, daß ;...«

»So schweige doch, Närrin!« sagte Madame Grillon, indem sie ihrer Tochter einen leichten Schlag auf die Wange gab; dann näherte sich die Mama Herrn Guerreville und sagte mit halber Stimme zu ihm: »Sie ist noch ganz Kind, sehr ausgelassen, aber auch sehr gefühlvoll. Sie ist ganz mein Abbild ... so war ich in ihrem Alter ... Erinnern Sie sich noch?«

Herr Guerreville, der eine Abneigung gegen Rückerinnerungen und Andenken hatte, gab sich den Anschein, als hätte er nichts gehört, und wandte sich zu Agathen, die ihm sagte: »Lieber Pathe, das ist Herr Adalgis, von dem ich Ihnen gesprochen habe, der so schöne Romanzen singt und das Klapphorn blasen lernt, um mich zum Piano zu begleiten ... Werden Sie bald im Stande sein, mich zu begleiten, Herr Adalgis?«

Der junge Mann verbeugte sich, indem er sagte: »Mein Fräulein, ich will mich nicht eher in einem Salon hören lassen, als bis ich eine große Fertigkeit erlangt habe; ich finde, daß die schönen Künste gegenwärtig keine Mittelmäßigkeit mehr dulden ... Wenn man kein schönes Talent hat, so macht man sich nur lustig über Einen. Ich aber will fliegen und nicht kriechen.«

»Das ist richtig,« sagte der große junge Mann; »man macht sich über Sie ... ich wollte sagen, über Einen lustig, wenn ;...«

»O, Sie werden sehen, lieber Pathe, wie gut Herr Adalgis singt,« sagte Agathe; dann sich an Guerreville's Ohr neigend fügte sie hinzu: »Dieser junge Mann hat ein allerliebstes Benehmen, nicht wahr, lieber Pathe? Er würde um keinen Preis eine Weste tragen, die nicht nach der neuesten Mode gemacht wäre ... Der große Andere dort ist Herr Lélan; man sagt, er sei sehr bemittelt, aber ich kann ihn durchaus nicht leiden, diesen jungen Mann da ... Erstens ist er mir zu groß, und dann, wenn er etwas sagen oder erzählen will, so verspricht er sich immer. Er ist nicht wie Herr Adalgis, der spricht sehr gut ... Ah, da kehrt der Papa aus dem Keller zurück, ich höre ihn. Papa, kommen Sie doch, mein Pathe ist angelangt!«

»Mein Freund, Herr Guerreville ist angekommen!« schrie ihrerseits Madame Grillon.

Herr Grillon erschien hierauf in der Thüre des Salons; er hielt noch seinen Flaschenkorb in der einen und ein Licht in der andern Hand. Er wußte nicht, ob er seine Last zuerst absetzen oder damit eintreten sollte, um den Pathen seiner Tochter schneller willkommen zu heißen; in dieser Unentschlossenheit blieb er an der Thüre stehen und rief: »Guten Tag, Herr Guerreville! Ich bin sehr erfreut ... Ich komme eben aus dem Keller ... Und Sie befinden sich? ... Ich bitte tausendmal um Verzeihung ... ich habe die Finger voll Unschlitt ... dieses Licht hat mir darauf geträufelt ... Sie befinden sich doch wohl?«

»Besorgen Sie doch Ihre Geschäfte, Herr Grillon,« sagte Herr Guerreville; »thun Sie sich doch um meinetwillen keinen Zwang an; ich bitte Sie darum.«

»Ich bin im Augenblick bei Ihnen. Es ist sehr unangenehm, wenn Einem das Unschlitt auf die Finger läuft. Jeannette! Jeannette!«

Grillon verschwand mit seinem Korbe und seinem Lichte, und Madame rief aus: »Er hat die Manie, immer selbst in den Keller gehen zu wollen ... Was kann man machen! ich muß ihn wohl gewähren lassen! Das ist die einzige Sache im Hause, in die er sich mischt.«

»Ich sehe nichts Unrechtes darin,« sagte Herr Guerreville.

»Ich bin noch nie in meinem Leben in einen Keller hinabgestiegen,« sagte Herr Adalgis, indem er sich in einem Fauteuil ausstreckte.

»Gerade wie ich,« sagte Herr Lélan, »ich bin auch noch nie in einen Brunnen ... ah! ich wollte sagen in einen Keller hinabgestiegen.«

»Ich will hoffen, daß die Damen Devaux nicht auf sich warten lassen werden,« sagte Madame Grillon, »es fehlt Niemand mehr als sie.«

»Ah, Du weißt, daß Laura nie mit ihrem Anzuge fertig wird,« sagte Agathe, »und ihre Schwester immer etwas vergißt, aber demungeachtet sind sie sehr liebenswürdig; ich habe Laura gesagt, sie solle ihre Castagnetten mitbringen, sie ist sehr stark auf den Castagnetten. Haben Sie sie schon einmal gehört, Herr Adalgis?«

»O, Mademoiselle, die Castagnette ist kein Instrument, sondern nur eine Klapper! Sie sind gut, um sich beim Tanzen des Bolero oder der Folies d'Espagne zu begleiten ... Aber im Uebrigen kenne ich nichts Abgeschmackteres.«

»Ah, das ist sonderbar! Ich glaubte, das wäre allerliebst.«

Herr Grillon kam in den Salon zurück, indem er noch an seinen Fingern trocknete; er lief auf Herrn Guerreville zu, um ihm die Hand zu drücken.

»Wie geht es Ihnen, Herr Guerreville? Ich bitte Sie um Verzeihung, daß ich nicht auf der Stelle da war, um Sie zu empfangen ... aber ich war im Keller.«

»Mein Herr, die Damen waren da, und Sie hätten sich gar nicht zu geniren gebraucht.«

»Gehen Sie auch in Ihren Keller, Herr Guerreville? ... Für mich ist das ein Hauptvergnügen. Ich lasse alle meine Flaschen die Revue passiren, und sehe nach, ob die Stöpsel nicht schimmelig geworden sind.«

»Ihre Fräulein Tochter macht die Honneurs bei Ihnen schon sehr gut.«

»Es gibt dem Wein einen schlechten Geschmack, wenn der Pfropf schimmelt, ich nehme dann die Flasche sorgfältig aus dem Haufen heraus und stecke einen andern darauf.«

»Wir warten nur noch auf die Familie Devaux,« sagte Madame Grillon; »ich bin erstaunt, daß sie noch nicht angekommen sind ... das ist sehr widerwärtig, denn mein Essen ist fertig ... Aber wenn sie in fünf Minuten noch nicht da sind, so setzen wir uns zu Tische.«

»Ah, Madame,« sagte Herr Guerreville, sich vom Herrn des Hauses entfernend, »wir können warten. Wir müssen sogar, da es Damen sind.«

»Immer galant, der Herr Guerreville.«

»Wenn der Wein anfängt, sich zu setzen,« sagte Herr Grillon, sich dem schönen Adalgis nähernd, »dann ist es etwas Anderes, das verlangt andere Vorkehrungen; man muß ihn sorgfältig in andere Flaschen umgießen. Es gibt Leute, die noch ein anderes Verfahren anwenden ;...«

»Ich verstehe von all' diesem nichts,« sagte der Stutzer, indem er sich erhob, um mit Agathen zu plaudern. Alsdann näherte sich Herr Grillon dem großen Lélan und fuhr fort: »Die Weine, welche sich setzen, sind nicht schlecht, wie man behauptet, aber ich habe nicht gerne Hefen in meinem Glase. Sie werden mir sagen: man gieße langsam ein; aber der Wein ist doch immer trübe. Da bleibt das kürzeste, sicherste Mittel ... denselben rasch auszutrinken. Ha! ha! Nicht wahr?«

»Allerdings, das beste Mittel ist, ihn nicht zu trinken.«

»Wie?«

»Ich wollte sagen: ihn sogleich zu trinken.«

Man klingelte heftig und Agathe machte einen Freudensprung, indem sie rief: »Ah! das sind die Damen!«

Nun trat Herr Adalgis vor einen Spiegel, in den er einen Blick warf, um zu sehen, ob in der Harmonie seines Haares nichts gestört wäre; Herr Lélan schlich sich hinter die Stühle, die er schon anbieten zu wollen bereit schien, und Herr Grillon und seine Tochter verließen den Salon, um den Ankommenden entgegenzugehen.

Madame Grillon benützte diesen Moment, um sich Herrn Guerreville zu nähern und ihm sanft den Arm zu drücken, indem sie leise sagte: »O Eduard! wie glücklich bin ich, Sie wieder hier zu sehen! Welche Bewegung bringt Ihre Gegenwart in mir hervor! Welches Vergnügen! ich bin für Sie immer Euphemie! Einst Ihre Euphemie ... Aber warum würdigen Sie mich kaum eines Blickes?«

Guerreville war nahe daran, zu erwidern: »Madame, wenn Sie kein Ende machen, so werde ich meinen Hut nehmen und fortgehen;« aber in der Gesellschaft muß man oft solche sich von selbst ergebende Antworten, die aus der Tiefe unseres Herzens kommen, zurückzuhalten wissen. Herr Guerreville schwieg, und die Ankunft der Familie Devaux verhinderte die zärtliche Euphemie, mit ihren Ergießungen fortzufahren.

Der Salon wurde durch die drei Neuangekommenen fast gänzlich ausgefüllt. Als Herr Guerreville die Madame Devaux, eine dicke Mama, erblickte, welche schon über die fünfzig Jahre hinaus war und einen ungeheuren Turban auf dem Kopfe trug, so suchte er sich zu erinnern, wo er diese schon einmal gesehen habe; der Anblick ihrer beiden Töchter bestärkte ihn in der Ueberzeugung, es sei nicht das erste Mal, daß er sich mit der Familie Devaux zusammen finde. Bald kehrte auch sein Gedächtniß zurück: die dicke Mama war dieselbe Dame, welche im Begriffe war, sich ihre Schuhe zuschnüren zu lassen, als er ihre Wohnung mit Herrn Fourré besichtigte. Mademoiselle Laura war das junge Frauenzimmer, welches ihm die Thüre geöffnet hatte, und dabei ein Butterbrod verzehrte; die jüngere Tochter endlich, Fräulein Ophelia, war die Clavierspielerin.

»Mein Gott, wie grausam ist es von Ihnen, so spät zu kommen!« rief Madame Grillon, indem sie auf Madame Devaux und ihre Töchter zuging und sie küßte.

»Es ist nicht meine Schuld, theure Freundin,« sagte die dicke Mama, indem sie vor der Gesellschaft holdselige Verbeugungen machte; wir waren fortgegangen und schon auf dem Wege hieher zu kommen, als ich zu Laura sagte: »Aber, meine Theure, die Strümpfe fallen Dir ja herunter, sie sind nicht fest genug angezogen. Was soll denn das heißen?« Sogleich sah sich Laura an, befühlte sich und rief, lachend wie eine Närrin, die sie auch ist: »›;Ah, ich habe meine Strumpfbänder vergessen!« Nun mußte sie, wie Sie sich wohl vorstellen können, nochmals hinaufgehen, um ihre Strumpfbänder anzulegen. Sie sagte zwar: »Ich könnte sie wohl entbehren‹« aber ich gebe nicht zu, daß man zu einem Diner ohne Strumpfbänder kommt. Im Uebrigen scheinen Sie mir Alle recht gesund zu sein.«

Grillon wartete, bis seine Frau und seine Tochter mit ihren Küssen zu Ende waren, um seinerseits auch seinen Mund auf die Gesichter dieser Damen zu drücken. Herr Adalgis begrüßte die Fräulein Devaux wie Bekannte, Herr Lélan bot Stühle an, und Herr Guerreville konnte sich der stillschweigenden Bemerkung nicht enthalten, daß das Kostüm der beiden Mädchen, die eben angekommen waren, sehr viel Ähnlichkeit mit dem von englischen Reiterinnen oder Seiltänzerinnen habe.

Mademoiselle Ophelia hielt eine Notenrolle unter dem Arme, welche sie auf das Piano legte. Agathe lief zu ihr hin, indem sie rief: »Ah, Sie haben Romanzen mitgebracht! O, wie gut Sie sind! Sie werden uns doch etwas singen!«

»Meine Tochter hat große Musikstücke mitgebracht,« sagte Madame Devaux, »denn ich will sie keine Romanzen mehr singen lassen ... Alle diese kleinen Arien verderben nur ihre Stimme. Ich verlange, daß sie nicht mehr von Rossini oder Meyerbeer abgehe ... Nicht wahr, Ophelia, Du wirst nicht mehr von ihnen abgehen. Du hast es Deiner Mutter versprochen?«

»Ah, Madame!« sprach Herr Adalgis mit etwas spöttischem Lächeln, »ich hoffe, daß Sie zu Gunsten Mozarts eine Ausnahme statuiren werden?«

»Mozarts?« entgegnete Madame Devaux, wie Jemand, der sich an etwas zu erinnern sucht. »Warum nicht gar; der spielt ja nur Tänze in der St. ;Honoréstraße?«

Nein, Madame, ich spreche nicht von Musard, sondern von dem Componisten des Don Juan und der Hochzeit des Figaro

»Ah, das ist etwas Anderes! Die Hochzeit des Figaro! Göttlich! ein herrliches Lustspiel ... ich habe mich fast krank darin gelacht.«

Adalgis wandte sich lachend zu Agathen, dann warf er sich auf den Divan; in diesem Augenblicke rief die Haushälterin am Eingang des Salons: »Das Diner ist aufgetragen, Madame.«

»Zu Tische! zu Tische!« sagte Grillon; »das Essen darf nicht kalt werden. Meine Herren, den Damen die Hand!«

Und der Herr des Hauses reichte die seinige der Madame Devaux, Herr Adalgis bemächtigte sich Agathens und Opheliens, Herr Lélan streckte die seinige zu Mademoiselle Laura herab; es blieb nur noch Madame Grillon übrig, welche erwartete, daß Herr Guerreville ihre Hand ergreifen würde, die sie ihm von selbst darbot, daher er sich endlich entschloß, sie anzunehmen; dies hatte zur Folge, daß sie ihm die seine heftig drückte und bis zum Speisesaal tiefe Seufzer ausstieß.

Als Alles Platz genommen hatte, befand sich Herr Guerreville zwischen Madame Grillon und Madame Devaux; letztere hatte schon mehrere Male Herrn Guerreville betrachtet, als ihr die zärtliche Euphemie sagte: »Dieser Herr ist der Pathe meiner Tochter, einer unserer alten Freunde, der lange Zeit von Paris abwesend war, und über dessen Wiedersehen wir entzückt sind.«

»Es macht mir viel Vergnügen, seine Bekanntschaft zu machen,« erwiderte Madame Devaux; »aber das Aeußere des Herrn ist mir nicht unbekannt und ich suche ;...«

»Ich kann Ihrem Gedächtniß zu Hülfe kommen, Madame,« sagte Herr Guerreville; »ich war einst bei Ihnen, um das Logis zu sehen, welches Sie damals in der Straße Montmartre bewohnten, und Sie hatten die Güte, mir zu erlauben, es in Augenschein zu nehmen, obgleich Sie Ihre Toilette noch nicht beendet hatten.«

»Ah, das ist's ... ich erinnere mich ... Ja, mein Herr, so ist es. Sie helfen mir da auf das rechte Kapitel! Sie kamen mit dem Portier?«

»Ganz richtig, Madame.«

»Auch ich erinnere mich daran,« rief Fräulein Laura, »ich war damals gerade damit beschäftigt, die Halbstiefelchen von Mama zuzuschnüren ;...«

»Weil sie mir zu weit waren!« schrie Madame Devaux.

»Nun, mein Herr, haben Sie eine Wohnung nach Ihrem Geschmack gefunden? Sie haben die unsere nicht genommen, und Sie thaten wohl daran; sie war schrecklich vernachlässigt; man mußte Alles ausbessern. Aber nun haben wir eine herrliche Wohnung.«

»Dessen ungeachtet ziehen wir wieder aus,« versetzte Laura lächelnd.

»Wie, Sie ziehen aus?« sagte Herr Grillon. »Ah, Sie zieh ... Herr Lélan, tragen Sie doch Sorge für die Damen.«

Herr Lélan beugte sich vor und bot Herrn Grillon ein Salzfaß an, das aber dieser mit den Worten zurückstieß: »Ich empfahl Ihnen ja, für die Damen Sorge zu tragen.«

»Ah, ja, ja ... verzeihen Sie ... ich verstand nicht recht.«

»Man muß wohl seine Wohnung ändern,« fuhr Madame Devaux fort, »wenn man eine Tochter verheirathet.«

»Ah, Sie verheirathen wieder Ophelien,« sprach Madame Grillon. »Nun, desto besser ... ich wäre sehr erfreut, wenn es zu Stande käme.«

»Ja, ja! ... O, gewiß wird es zu Stande kommen ... Es muß zu Stande kommen.« Bei diesen Worten neigte sich Madame Devaux hinter den Stuhl von Herrn Guerreville und setzte mit halber Stimme hinzu: »Ich will Ihnen nur sagen, daß es noch nicht so ausgemacht ist, daß ich Ophelien verheirathe ... Ich glaube eher, daß Laura ihrer Schwester vorangehen wird.«

»Ah, Sie haben auch für sie eine Parthie?«

»Ein' und dieselbe.«

»Wie, einen Mann für Ihre zwei Töchter?«

»Ja! ... Das heißt, er machte zuerst Ophelien die Cour, nun hat er sich aber, wie ich glaube, in Laura verliebt. Er hat jedoch nicht gewagt, sich auszusprechen. Daher Verlegenheit ... Erkaltung. Sie begreifen ;...«

»Ist es eine gute Partie?«

»O! eine vortreffliche! ... Niemand anders, als Herr Emil Delaberge ... ein junger Mann von nahe einer Million ... und schön ... Ah, alle Frauen sind in ihn vernarrt! ... Schon seit länger als vierzehn Tagen war er nicht mehr bei uns ... Aber ich will ihn zwingen, sich zu erklären ... Uebrigens, dem Himmel sei Dank, ist es mir nicht bange um meine Töchter! Jedermann hat sie gern ... sie erregen überall die Leidenschaft der Männer! Das ist in so hohem Grade wahr, daß es neulich auf einem Balle, wo ich so unvorsichtig war, zu äußern, daß ich im Begriff sei, Laura zu verheirathen, zwei jungen Leuten übel wurde und sie weggetragen werden mußten, zwei andere aber in einen Winkel des Salons gingen, um sich auszuweinen! ... Das that mir in der Seele weh ... Aber still! Alles das bleibt unter uns, meine Liebe!«

Herr Guerreville war ein unfreiwilliger Vertrauter von dem geworden, was man hinter seinem Rücken sprach; denn obgleich sie nur halblaut sprach, so legte sich die dicke Mama doch fast an seine Ohren; aber er gab sich nicht den Anschein, etwas gehört zu haben, weil er keine Lust hatte, in diese Unterhaltung gezogen zu werden.

»Schenken Sie doch Ihren Nachbarinnen ein, meine Herren, legen Sie doch Ihren Damen vor,« rief Herr Grillon, indem er die besten Stücke von jeder Platte für sich aussuchte.

Herr Lélan beeilte sich sogleich, eine Wasserflasche zu ergreifen und Madame Devaux, die Wein von ihm verlangt hatte, das Glas voll zu gießen.

»Nun, was machen Sie denn da, mein Herr?« sagte die dicke Dame. »Glauben Sie etwa, ich habe Lust, mir den Magen auszuspülen?«

»Ah, Verzeihung, Madame, ich hatte falsch gehört.«

»Ophelia, meine liebe Freundin, iß nur nicht von den eingemachten Gurken, Dein Gesangslehrer hat sie Dir verboten.«

»Seien Sie unbesorgt, Mama!«

»Ich singe nicht,« sagte Laura, »und deßhalb kann ich von Allem essen. Die eingemachten Gurken verhindern mich nicht, die Castagnetten zu spielen!«

»Vorgestern hat sie sie wie ein Engel gespielt,« sagte Madame Devaux. »Wir waren bei einer Soirée, wo man eine spanische Quadrille tanzte; Laura hat sie begleitet.«

»Ja,« sprach Mademoiselle Laura, »ich habe die Cachucha las manchegas begleitet.«

»Und dann den zarten Peter,« sagte die Mama.

»Den Zatapeado, liebe Mutter, und die Jota aragonesa

»Ja, das war's, die jute Aragnese ... Es war zum Entzücken, Alles war hingerissen ... Meine Tochter wurde von der ganzen Gesellschaft abgeklatscht.«

»Aber Herr Adalgis sagt, die Castagnette sei ein abgeschmacktes Instrument!« rief Agathe.

»Abgeschmackt!« sagte Laura mit einem verächtlichen Lächeln, während ihre Mutter den jungen Mann mit ihren Blicken durchbohren zu wollen schien, was übrigens dem Anschein nach keinen Eindruck auf ihn machte.

»Abgeschmackt! die Castagnetten!« schrie Madame Devaux. »Aber wie ist denn der Herr im Stande, das zu sagen? Er hat wohl Spanien und Italien nicht gesehen! Die Castagnetten sind dort überall angebetet. Bei den Stierkämpfen werden Castagnetten gespielt: es ist ein Nationalinstrument. Und was gibt einer Frau mehr Reiz ... Ach Gott ... Ich werde Ihnen selbst nach Tische vorspielen, und da werden Sie sehen ;...«

»Madame, ich habe nicht behauptet, daß die Castagnetten ohne Reiz seien, ich finde bloß, daß man sie nicht zu den musikalischen Instrumenten zählen dürfe.«

»Aber die Trommel und das Klingelspiel zählen Sie dazu, welche Einem die Ohren zerreißen!«

»Bei einem Marsche,« sagte Herr Lélan, sich aufrichtend, um zu sprechen, »macht sich das Klingelspiel, die Trommeln wollte ich sagen, sehr gut; selbst das Klapphorn, zweckmäßig angewendet, bringt eine kräftige Wirkung hervor. Ich habe ... ich weiß nicht mehr in welcher Ouvertüre, ein Solo auf dem Fagott ... das heißt auf der Klapper ... ich meine auf dem Klapphorn gehört, zur Begleitung ... des berühmten Dings da ... wie hieß er doch ... der Sänger, welcher den Ton so lange aushalten konnte ... und das machte sich sehr gut.«

»Wer ist denn dieser große junge Mann, der nicht aus seinen Klappern herauskommt?« fragte Madame Devaux, indem sie sich abermals hinter Herrn Guerreville's Stuhl neigte.

»Es ist ein junger Mann von vielen Mitteln ... sehr talentvoll ... sehr unterrichtet. Er kommt aus einer Normalschule.«

»Es ist Schade, daß er unter seinen Mitteln keines gegen seine Confusion hat. Was aber Ihren Herrn Adalgis betrifft, so ist das ein sehr netter Mensch, nur bildet er sich auf sein Aeußeres zu viel ein.«

Herr Guerreville mischte sich sehr wenig in die Unterhaltung, er suchte sich auch noch einer andern zu entziehen, die man unter dem Tische mit ihm anzuknüpfen suchte, wo gewisse Füße die seinen hartnäckig verfolgten. Agathe aber rief oft: »Sie essen ja gar nicht, lieber Pathe ... Papa, mein lieber Pathe ißt nicht ... Mama, sprechen Sie doch meinem lieben Pathen zu.«

Madame Grillon seufzte und biß sich in die Lippen, indem sie erwiderte: »Herr Guerreville will nichts nehmen; wenn ich mich auch noch so sehr anstrenge, er berührt nichts von dem, was ich ihm anbiete.«

»Ophelia, rühre die Sardellen nicht an, liebe Tochter, Dein Gesangslehrer hat sie Dir ausdrücklich verboten, er versichert, die Sardellen seien die Antipoden der Rouladen.«

»Es heißt: die Antipathie, liebe Mutter.«

»Ja, die Antipodie, ich habe mich nur versprochen. Wenn man eine schöne Stimme hat, so muß man sie auch schonen. Mein zukünftiger Schwiegersohn, Herr Emil Delaberge, ist in schöne Stimmen vernarrt.«

»Ah! ... Ja ... das ist wahr ... Apropos ... Sie verheirathen also eine von Ihren Fräulein Töchtern,« sagte Herr Grillon; »ohne Zweifel die Aeltere?«

»Vielleicht Beide auf einmal,« erwiderte Madame Devaux, ihren Töchtern einen Blick zuwerfend, der sagen wollte: sprecht doch auch wie ich.

»Alle beide! ... Teufel! ... das ist noch besser!«

»Schon seit vier Jahren höre ich sie immer von der Verheirathung ihrer Töchter sprechen,« sagte Adalgis zu Agathen, »und dennoch sind diese Damen immer noch ledig.«

»O! es ist abscheulich, was Sie da sagen.«

»Der Herr Delaberge,« sprach der große Lélan, »ist das nicht ein junger Mann ... das heißt, kein sehr junger Mann, aber ein Mann ... in der Art ;...«

»Ganz richtig!« rief die dicke Mama, »der ist es! Unermeßlich reich, ein hübscher Junge, ein vollendeter Cavalier, der die Moden, den Ton angibt; aber, Herr Adalgis muß ihn ja kennen, da er so viel in die große Welt kommt?«

»Emil Delaberge,« erwiderte Adalgis, sich das Kinn streichend, »ja gewiß, ich kenne ihn sehr gut, ich war drei oder viermal mit ihm zusammen ... Aber ich habe immer gehört, daß er sich über das Heirathen und über diejenigen, welche die Thorheit begingen, sich auf ewig zu binden, lustig machte.«

»Das ist nicht möglich! Sie werden schlecht gehört haben!« rief Laura mit unwilliger Miene.

»Uebrigens kann Herr Delaberge jetzt nicht mehr dieselbe Gesinnung haben,« sagte Ophelia mit Affectation.

»Ja, Du hast Recht, Ophelia,« sagte Madame Devaux; »er konnte wohl so sprechen und anders denken: das sieht man ja alle Tage ... Iß nicht von dem Senf, liebe Tochter, das verursacht zweideutige Töne, wie Dein Lehrer sagt, und ich will nicht, daß man zweideutige Töne bei Dir höre.«

»Meine Herren, sorgen Sie doch für Ihre Damen,« sagte Grillon, indem er den Flügel eines welschen Hahns für sich auf die Seite schob, und sogleich zerlegte.

»Apropos,« rief Madame Devaux, die es sich angelegen sein ließ, die Unterhaltung stets im Gange zu erhalten, »unser Cousin ist angekommen; Sie wissen, Madame Grillon, daß ich Ihnen gesagt habe, ich erwarte meinen Cousin, um der Hochzeit meiner Töchter beizuwohnen. Er ist schon ziemlich lange hier, und ich habe mir erlaubt, ihn aufzufordern, uns heute Abend bei Ihnen abzuholen. Ich wünsche ihn Ihnen vorzustellen.«

»Sie haben sehr wohl daran gethan, wir werden sehr erfreut sein, die Bekanntschaft Ihres Herrn Cousins zu machen.«

»Es ist ein charmanter Mann ... voll Geist ... Er wohnt in Château-Thierry, wo man ihn anbetet ... wo er mit den vornehmsten Leuten zusammenkommt, mit dem Unterpräfekten, dem Maire, den übrigen Beamten ... man reißt sich um ihn in den Gesellschaften, wo er der eigentliche Tonangeber ist.«

»Ist er noch jung?«

»Ja, ein junger Mann von vierzig Jahren ... noch ledig ... aber so schüchtern, so kindlich! ... Ein sehr hübscher Mann; nicht wahr, meine lieben Töchter? Euer Cousin Vadevant ist allerliebst?«

»Er hat einen zu dicken Bauch,« sagte Laura, indem sie sich mit Butterbrod vollstopfte.

»Deßhalb hüpft er aber doch beim Tanzen wie ein Gummiball auf.«

»Er will wohl nicht in Paris bleiben?«

»Nein, ich glaube nicht; indeß wäre es möglich ... je nachdem ;...«

Indem sie dieses sagte, betrachtete Madame Devaux ihre Töchter mit einer Miene, die noch vielerlei ausdrücken sollte.

Bei dem Namen Vadevant hatte Herr Guerreville eine Bewegung gemacht, die der zärtlichen Euphemie nicht entgangen war; sie sagte daher sogleich zu ihm: »Kennen Sie vielleicht den Cousin dieser Dame? Wenn mir recht ist, kommen Sie auch von Château-Thierry?«

»Ja, Madame, ich war mit diesem Herrn schon zusammen.«

»Ah! Sie kennen meinen Cousin Vadevant,« schrie Madame Devaux, »das freut mich unendlich; Sie werden ihn diesen Abend sehen. O! wie schön sich das zusammenfindet, wie lieb ist es mir jetzt, ihm aufgetragen zu haben, uns hier abzuholen. Ophelia, nimm doch keine Kresse, das ist der Tod der Cadenzen.«

Herr Guerreville war durchaus nicht erfreut darüber, sich wieder mit dem neugierigen kleinen Manne zusammenzufinden, der ihn überall zu verfolgen schien. Aber er dachte, er werde sich bei Herrn Grillon, wie anderwärts, seinen Zudringlichkeiten zu entziehen wissen.

»Mein Cousin Vadevant hat mir, seitdem er sich hier befindet, schon einen großen Dienst geleistet,« sprach Madame Devaux, nachdem sie den Arm des Herrn Lélan, der ihr fortwährend die Wasserflasche anbot, zurückgestoßen hatte. »Ich muß Ihnen nämlich sagen, daß wir seit einiger Zeit keinen Arzt mehr haben; der unsrige starb, und das betrübte mich sehr; denn, so wie Sie mich sehen, bin ich doch von einer sehr zarten Complexion, man sollte es kaum glauben.«

»Wahrhaftig, man glaubt es gar nicht,« sagte Herr Adalgis lächelnd.

»Dieser junge Mann thut sich zu viel auf sein Aeußeres zu gut,« sagte die dicke Mama ganz leise; dann fuhr sie in gereiztem Tone fort: »Ja, mein Herr, ich bin sehr zart! ich muß mich an eine strenge Diät ... das heißt an eine große Vorsicht in der Wahl meiner Lebensmittel halten.«

»Ganz wie ich,« sagte Lélan, »ich esse von Allem ... aber das bekommt mir nicht gut, das heißt, es gibt Speisen ... es sind nicht gerade solche Speisen, die ich esse ... aber ich sollte nichts davon essen.«

»Gewiß,« fuhr Madame Devaux fort, »fehlt es in Paris nicht an Aerzten und an Männern von großem Verdienste! Aber ich schwankte, ich war unentschlossen, als mein Cousin Vadevant bei seinem Besuche zu mir sagte: Nehmen Sie den Doktor Jenneval, der aus Château-Thierry mit mir angekommen ist, das ist ein wahrer Damen-Arzt, ein ganz verdienstvoller Junge ;...«

»Er hat Sie nicht getäuscht,« sagte Herr Guerreville, der nicht schweigen konnte, als er den Namen seines Freundes aussprechen hörte.

»Sie kennen ihn auch, mein Herr?«

»Sehr gut, Madame.«

»Er ist vielleicht Ihr Arzt?«

»Noch mehr, Madame, er ist mein Freund.«

»Alsdann, mein Herr, werde ich Ihnen Wohl ein Vergnügen machen, wenn ich der Gesellschaft einen Zug von Doktor Jenneval erzähle, welcher beweist, wie erfinderisch er ist, um seine Patienten aus einer gefährlichen Lage zu reißen! das zeigt, daß er eben so viel Genie, als Kenntniß besitzt. Ich komme zur Sache ... Ophelia, Du darfst keinen Salat essen, meine Liebe; Du weißt, was Dein Lehrer Dir gesagt hat; Salat und Flötenstimme passen zusammen wie Knoblauch und Orangenblüthe.«

»Mama, ein Blättchen ;...«

»Nein, liebe Freundin, das würde Deine Tiefe angreifen, und meine Tochter soll keine angegriffene Tiefe haben.«

»Ich werde für uns Beide essen,« sagte Mademoiselle Laura, indem sie zugriff, »ich mache mir nichts daraus, daß meine Tiefe angegriffen wird, ich bin keine Sängerin!«

»O! diese da ist ein wahrer Satan! Eine Gesundheit von Eisen, sie würde Diamanten essen.«

»Teufel! da möchte ich sie nicht in der Kost haben,« sagte Herr Adalgis mit halber Stimme, und die dicke Mama begann ihre Erzählung:

»Meine Herren, Folgendes ist mir begegnet: nachdem der Doktor Jenneval mir mehrere Besuche gemacht hatte, um sich mit der Beschaffenheit meiner Constitution bekannt zu machen, rieth er mir, zum Frühstücke Chokolate zu nehmen, und setzte hinzu, diese würde meinen Magen vollständig zurecht setzen; aber damit sie gut durchpassire, sagte er mir zugleich: Trinken Sie Ihre Chokolate zwischen zwei Gläsern Wasser, eines vorher und eines nachher. Ich befolgte die Vorschrift des Doktors pünktlich, und verspürte schon den besten Erfolg, als ich eines Morgens beim Frühstücke gedrängt oder zerstreut, ich glaube durch einen Besuch, meine Chokolate nahm, ohne wie gewöhnlich vorher ein Glas Wasser getrunken zu haben; als ich meinen Irrthum bemerkte, war es zu spät, die Chokolate war verschluckt. Ich trank nun zwar wohl mein Glas Wasser hintendrein, aber das, welches ich vorher hätte trinken sollen, fehlte mir immer, und meine Chokolate war eben nicht zwischen zwei Wassern. Sie begreifen meine Unruhe. Ich sagte mir: Du hast gegen die Verordnung des Doktors gefehlt, was wird daraus entstehen? Vielleicht die gefährlichsten Folgen; ich kann Ihnen gar nicht sagen, wie sehr mich schon diese Furcht krank machte.«

»Das war auch darnach,« sagte Madame Grillon, indem sie fortwährend ihren Fuß unter den des Herrn Guerreville zu schieben suchte.

»Da ich mir gar nicht zu helfen wußte, so entschloß ich mich, den Doktor holen zu lassen, indem ich ihm sagen ließ, es wäre ein dringender Fall. Herr Jenneval kam und fragte mich, was ich habe; ich erzählte ihm meine unglückselige Zerstreuung und fügte hinzu: Lieber Doktor, was fängt man an, daß diese Chokolate wieder zwischen zwei Gläser Wasser komme? Jenneval, von meiner Rathlosigkeit ergriffen, sann einige Augenblicke nach und rief dann aus: »Gießen Sie das Glas Wasser, das Sie zuerst hätten trinken sollen, in eine Klystierspritze und nehmen Sie es als Klystier zu sich; auf diese Weise wird sich ihre Chokolate wieder zwischen den zwei Gläsern Wasser befinden.«

»Vortrefflich ausgedacht,« sagte Herr Grillon.

»O! das ist herrlich! Auf Ehre, das ist köstlich!« sagte Herr Adalgis, indem er sein Gesicht hinter seiner Serviette verbarg.

»Ich that, wie mir der Doktor verordnet hatte,« fuhr die dicke Mama fort, »und empfand auch wirklich keinen Nachtheil; aber das Auskunftsmittel, das er gefunden hatte, schien mir so geistreich, und zu gleicher Zeit so tief in den Gegenstand eindringend, daß ich diese Anekdote, die den vortheilhaften Ruf des Doktors Jenneval nur erhöhen kann, mit Wohlgefallen überall erzähle.«

Die Erzählung der Madame Devaux machte einen sonderbaren Eindruck auf die Gesellschaft. Herr Adalgis und Agathe erstickten fast vor Lachen. Laura und ihre Schwester schienen verstimmt; der lange Lélan schien nichts davon zu verstehen; Herr Grillon allein theilte den Enthusiasmus der dicken Dame; glücklicherweise war man gerade beim Dessert, und da Madame Grillon bemerkte, daß ihr Nachbar seine Füße hartnäckig unter seinem Stuhle behielt, so stand sie unwillig auf und rief aus: »Der Kaffee erwartet uns im Salon.« Nun erhob sich Alles vom Tische, und Fräulein Agathe, die sehr gerne liebkoste, benützte diesen Moment, um zu ihrem Pathen zu laufen und ihn zu küssen.

Man begab sich in den Salon, wo Herr Grillon, indem er seinen Kaffee trank, zu jedem einzelnen seiner Gäste ging und sagte: »Wie finden Sie ihn ... he? ... Ich zweifle, ob man ihn irgendwo besser trinkt. Meine Frau hat ihn selbst gemacht. Sie ist sehr gefällig, meine Frau.«

»Thun Sie Cichorie hinein?« sagte Herr Lélan.

»Wie?«

»Ich meine, um ihm Farbe zu geben ... das macht ihn so bitter.«

»Sie finden meinen Kaffee bitter?«

»Nein; ich wollte sagen, es gibt ihm einen guten Geschmack. Es ist wie bei meiner Tante, dort trinkt man einen abscheulichen Kaffee, weil sie ihn selbst macht.«

»Sie macht ihn abscheulich?«

»Nein! Ich sage Ihnen ja, daß er köstlich ist.«

»Ein kleines Gläschen Parfaitamour, Madame Devaux,« sagte Grillon, »es ist vom feinsten.«

»Nein, ich trinke keinen Liqueur, aber ich gestehe Ihnen, daß ich wie die Männer bin, ich nehme Rum ... ich liebe nur diesen ... und wenn Sie mir erlauben ;...«

»Alles, was Ihnen angenehm ist; Herr Lélan, gießen Sie doch der Madame Devaux Rum in den Kaffee.«

Der lange junge Mann näherte sich, mit einer kleinen Flasche bewaffnet, und goß daraus in die Tasse der dicken Mama, welche mehrere Stücke Zucker nahm, und sich damit beschäftigte, dieselben in dem Rum zergehen zu lassen.

Während dieser Zeit hatte sich Fräulein Ophelia an das Clavier gesetzt, wo sie spielte und trillerte, was ihr gerade in den Sinn kam. Herr Guerreville hatte sich auch gesetzt, und alsbald stellte die zärtliche Euphemie ihren Stuhl neben den seinigen. Herr Adalgis betrachtete sich in einem Spiegel und Mademoiselle Laura, die ihn aus der Ferne beobachtete, sagte zu Agathen: »Ich möchte doch wohl wissen, wie es Herr Adalgis macht, um einen so pünktlich hergerichteten Backenbart zu haben: da geht keine Seite vor der andern auch nur um ein Haar heraus.«

»Ah! ich weiß es, ich!« sagte Agathe; »ich habe ihn mit einem seiner Freunde darüber sprechen hören.«

»Nun?«

»Nun, meine Liebe, er legt sich mit einem Sturmband zu Bette, in welches sein Backenbart so fest eingebunden ist, daß es absolut unmöglich ist, daß sich ein Haar krumm biege.«

»Ha! ha! ha! Ein Sturmband! O! das ist gar zu drollig.«

»Was gibt es denn dabei Drolliges, mein Fräulein? Wir gebrauchen ja auch Papilloten, wir Frauenzimmer.«

»O! das ist gleich. Ha! ha! Mit einem Sturmband zu Bette gehen! Ach! wenn ich einen Mann heirathen müßte, der solches Zeug an sich hätte, so würde ich ihm einen Flederwisch in seinen Rockkragen stecken.«

»O! warum das, mein Fräulein?«

»Weil es mich zum Lachen brächte.«

»O! Sie sagen das nur, weil Herr Adalgis behauptet hat, die Castagnetten seien ein abgeschmacktes Instrument; denn früher fanden Sie ihn charmant.«

»Charmant! ... Ich habe immer gefunden, daß er jenen Wachsköpfen gleicht, die man in den Laden der Haarkräusler sieht.«

Der Streit der beiden jungen Damen begann lebhaft zu werden, denn Fräulein Laura wollte dem Stutzer durchaus nicht wohl, während die junge Agathe eine große Vorliebe für ihn an den Tag legte. Aber ein unerwartetes Ereigniß machte ihrem Streit ein Ende. Madame Devaux, die seit einiger Zeit den Zucker, den sie in ihren Rum gethan hatte, herumrührte, war endlich dazu gelangt, ihn ganz zerfließen zu machen; sie setzte nun die Tasse an den Mund und fing an daraus zu trinken; aber fast eben so bald schnitt sie eine schreckliche Grimasse, setzte ihre Tasse hin und schrie: »O! mein Gott! wie schlecht ist das! Ach! das ist abscheulich! Ich habe in meinem Leben noch keinen Rum genommen, der einen solchen Geschmack hatte.«

»Aber mein Rum ist doch köstlich,« sagte Grillon: »Jedermann macht mir Complimente darüber.«

»Ach! das kann Einen krank machen! Pfui! das stößt mir auf, das. Geben Sie mir ein Glas Wasser, ich bitte Sie darum! Ich glaube, daß es mir übel wird.«

Alles drängte sich um Madame Devaux; aber Grillon, dem es daran lag, den Ruf seines Rums wieder herzustellen, hatte die Tasse, welche den Rest des Rumes enthielt, ergriffen; er schnüffelte daran, probirte sie, und entschloß sich endlich, mit der Spitze seines Fingers ein wenig davon zu kosten; plötzlich schrie er: »Darin war nie Rum ... Sie haben Parfaitamour in Ihren Kaffee gegossen. Wer hat denn der Madame eingeschenkt?«

Herr Lélan sagte kein Wort und hielt sich hinter den Fräulein Devaux, welche ihre Mutter aufschnürten. Als aber mehrere Haften aufgerissen waren, und die dicke Dame sich erleichtert fühlte, zeigte sie mit den Fingern auf den großen jungen Mann, indem sie rief: »Das ist der Schuldige! Dieser Herr da hat mir die Medizin bereitet. Ich, ich habe nicht aufgemerkt; während er mir einschenkte, suchte ich mir einige Stückchen Zucker aus.«

»Mein Gott! Madame, Sie glauben? ... Ich müßte mich in der Masche geirrt haben.«

»Man sollte Sie zwingen, meinen bittern Extrakt zu trinken, um Sie zu lehren, ein andermal mehr Acht zu geben.«

»Ich bitte Sie tausendmal um Verzeihung, Madame; meine große Zerstreuung ist Schuld daran. Eines Tages, bei meiner Tante ... nein, bei meinem Onkel, bat man mich, den Salat anzumachen, es war Salat von Dings ... von, Sie wissen ... man thut solche ... Dinger hinein ... Nun, ich nahm die Tabaksdose eines Herrn, der neben mir saß, statt der Pfefferbüchse, die ich suchte. Sie war unglücklicherweise offen, so daß ich den Salat mit Tabak anmachte, und die ganze Gesellschaft acht Tage lang krank davon wurde.«

»Es ist ein prächtiger Mann, Ihr Herr Lélan!« sagte Madame Devaux, indem sie sich zu Grillon wandte. »Aber ich erkläre Ihnen, daß ich mit ihm nicht wieder zusammenessen mag. Er könnte es sich eines Tages beikommen lassen, eine ganze Gesellschaft zu vergiften.«

Die Ruhe war wieder hergestellt; man schickte sich an, Fräulein Ophelia singen zu hören, als sich die Salonthüre öffnete und Herr Vadevant hereintrat.

»Da ist mein Cousin!« rief Madame Devaux, und sich alsbald von ihrem Stuhle erhebend, lief sie dem Neuangekommenen entgegen, nahm ihn bei der Hand und stellte ihn dem Herrn des Hauses vor.

Herr Vadevant wurde von der Familie Grillon sehr freundlich empfangen, an die er eine große Menge Grüße, süße Mienen und Artigkeiten verschwendete. Nachdem die Begrüßungen beendigt waren, sagte Madame Devaux zu ihrem Cousin, indem sie auf Herrn Guerreville zeigte: »Sie finden hier alte Bekannte, liebe, Cousin Vadevant; dieser Her, hat mir von Ihnen erzählt!«

Vadevant näherte sich Herrn Guerreville, der in seinem Winkel sitzen geblieben war; der kleine Mann faßte ihn ins Auge, machte dann einen Sprung zurück, stieß einen Freudenschrei aus, als ob er seinen Vater wieder gefunden hätte, ergriff die Hand Herrn Guerrevilles, die ihm dieser gar nicht hinreichte, und drückte sie heftig, indem er auslief: »Es ist Herr Guerreville! ... O! welch köstlicher Zufall! ... Wie erfreut bin ich ... dieser liebe Herr Guerreville! ... Ich habe Sie seit der Zeit, da ich Ihnen im Theater français Plätze aufbewahrt hatte und Sie nicht kamen, nicht wieder gesehen ;...«

Herrn Guerreville gelang es, seine Hand los zu winden, die man hartnäckig festhielt, und er wollte einige Worte zur Entschuldigung sprechen; aber der kleine Mann ließ ihm keine Zeit dazu, sondern begann wieder: »Ich weiß, daß Sie durchaus nicht dafür konnten ... Sie sind ganz gerechtfertigt ... Jenneval hat mir gesagt, es sei Ihnen Jemand begegnet ... der liebe Jenneval! Der gute Doktor! ... Ich verschaffe ihm viele Kranke ... Er behandelt meine Cousine ... er hat Madame Devaux schon aus einer großen Gefahr errettet ... in Beziehung auf eine Tasse Chokolate ;...«

»Ich habe die Geschichte bei Tische erzählt,« sagte die dicke Mama.

»O! das ist ein sehr gescheiter, praktisch und theoretisch ausgebildeter Mann,« fuhr Vadevant fort, »ich glaube, er hat Sie zu Château-Thierry von einer gefährlichen Krankheit gerettet?«

»Ja, mein Herr.«

»Ich liebe und schätze ihn deßhalb nur um so mehr, und meine Cousinen sind höchst erfreut, seine Bekanntschaft gemacht zu haben ... Nicht wahr, liebe Cousinen?«

Die Familie Devaux antwortete mit einem einstimmigen Ja. Herr Adalgis, den Vadevants Geschwätz ungeduldig zu machen schien, führte Agathen an das Piano, indem er sagte: »Mein Fräulein, haben Sie die Gnade, uns etwas zu singen ... Es wird uns ein doppeltes Vergnügen sein, Sie zu hören, und dagegen nicht länger gezwungen zu sein ;...«

Er sprach das Ende seiner Rede Agathen ins Ohr, die lächelnd murmelte: »Ah! Sie sind recht abscheulich.«

Vadevant setzte sich hinter Madame Devaux, die sich an Herrn Guerreville's Seite niedergelassen hatte, und sagte zu ihr: »Haben meine hübschen Cousinen gesungen?«

»Noch nicht.«

»Ich hoffe doch, sie zu hören.«

»Gewiß ... Aber apropos, lieber Cousin, haben Sie daran gedacht, was ich Ihnen aufgetragen habe? Haben Sie nachgeforscht ... Haben Sie etwas erfahren? ;...«

»O! gewiß, liebe Cousine ... Ich habe Ihnen große Neuigkeiten mitzutheilen.«

»Ah! lassen Sie hören, ich bitte Sie darum.«

Vadevant rückte seinen Stuhl dem seiner Cousine näher, mit der er im Vertrauen sprechen wollte. Herr Guerreville war noch einmal wider seinen Willen in die Notwendigkeit versetzt, alle die Geheimnisse, welche man sich hinter seinem Rücken anvertraute, mit anzuhören, während vor ihm seine Pathe sang, und sich auf eine so kräftige Weise begleitete, daß man kein Wort von ihr verstehen konnte.

»Ich habe mich an die Ferse Ihres zukünftigen Schwiegersohnes gehängt,« sagte Vadevant, welcher immer mit der dicken Mama sprach, während Fräulein Grillon sich auf dem Flügel übte; »ich habe wissen wollen, was Herr Emil Delaberge seit den drei Wochen, während welcher er sich nicht mehr bei Ihnen sehen ließ, getrieben hat ;...«

»Ich wette, daß er sehr krank ist.«

»Nichts weniger, liebe Cousine; dieser Herr, welcher auf einem großen Fuß lebt ... Beiläufig gesprochen ist er sehr reich, wie man mich versichert hat.«

»Er ist ungeheuer reich.«

»Dieser Herr, sage ich, bringt sein Leben in fortwährenden Vergnügungen hin; aber seitdem er aufgehört hat, meinen liebenswürdigen Cousinen den Hof zu machen, hat sich, wie man sagt, eine neue Leidenschaft seines Herzens bemächtigt ;...«

»Ah! mein Gott! Meine Töchter sollten ausgestochen sein?«

»So hat man mir wenigstens gesagt. Herr Emil geht fast täglich zu einer gewissen Madame Dolbert, die ebenfalls sehr reich ist, und auf dem Boulevard de la Madeleine wohnt.«

»Das Ungeheuer! ... Er will diese Dame verführen!«

»Ich glaube kaum. Madame Dolbert hat ihre vollen siebzig Jahre ... aber sie hat eine Enkelin, welche erst siebzehn Jahre zählt, und wie man sagt, ein Engel von Schönheit sein soll! ;...«

»Engel hin, Engel her, ich wette, daß sie nicht singt wie Ophelia, und die Castagnetten nicht spielt wie Laura.«

»Ich habe mich darüber nicht erkundigt. Aber Ihr Herr Emil Delaberge scheint in dem Hause sehr heimisch zu sein ... Und Sie begreifen, daß das seine Gründe hat.«

»Das thut nichts, Herr Emil hat meinen Töchtern den Hof gemacht, er muß sich erklären ... er muß eine oder die andere heirathen ... sie können nicht in dieser Ungewißheit bleiben ... Und streng genommen ... könnte ich sogar für mich einige Erklärungen verlangen ... denn er hat mir mehrere Male die Hand gedrückt, mit einer Kraft ;...«

»Es scheint, daß dieser junge Mann zu Allem fähig ist ;...«

»Aber ich will nur an meine Töchter denken, an diese lieben Kinder! Ich, die ich überall ihre Verheirathung verkündigt habe ... Lieber Cousin, ich rechne auf Sie, um Herrn Delaberge in die Enge zu treiben.«

»Seien Sie ruhig, liebe Cousine, ich gehöre Ihnen ganz an ... Ich bin nach Paris gekommen, um bei der Verheirathung Ihrer liebenswürdigen Töchter gegenwärtig zu sein, und ich werde gewiß Alles, was in meinen Kräften steht, thun, um nicht vergeblich hieher gekommen zu sein.«

»Sie sind ein kostbarer Mann ... Aber still! Ophelia beginnt zu singen.«

Madame Devaux, die, während Agathe am Piano gesessen, unaufhörlich gesprochen hatte, wollte, daß man nicht mucken sollte, wenn ihre Tochter sang.

Aber Fräulein Ophelia war nicht bei Stimme; sie konnte kaum die Arie, welche sie gewählt hatte, zu Ende bringen, und ihre Mutter rief: »Du hast Salat gegessen ... Du willst es mir nicht gestehen, aber ich weiß gewiß, daß Du welchen gegessen hast. Laura, meine Liebe, tanze uns die Zatapa ... die Zatapete ... mit Begleitung der Castagnetten, Du thust es mir wohl zu Gefallen ... Sie müssen wissen, daß meine Tochter auf dem Ball in der großen Oper hauptsächlich deßwegen gewesen ist, um die Spanier tanzen zu sehen, welche die Tänze ihres Vaterlandes aufführten ... Sie hat das so ausgezeichnet gefunden, daß sie sich am andern Tage im Zimmer auf eine hinreißende Weise herumdrehte ... ganz so, wie die Spanier beiderlei Geschlechts.«

»Mama, ich möchte lieber die Cachucha tanzen ... die ist origineller ;...«

»Tanze die Kankutscha, liebe Freundin ... Hast Du Tanzschuhe mitgebracht?«

»O! gewiß ... kann ich denn das in gewöhnlichen Schuhen tanzen! ;...«

»Alsdann bereite Dich vor und vernachlässige nichts ... Ich freue mich sehr, dem Herrn Adalgis zu zeigen, was man mit Castagnetten ausrichten kann.«

»Ich,« sagte der große Lélan, »ich bin sehr neugierig, Italienisch tanzen zu sehen ;...«

»Es ist Spanisch, mein Herr ;...«

»Ja, Spanisch. Sonst ging ich stets nach Vaugirard, bloß in der Absicht, um walzen zu sehen, die Dinger da ... die so gut walzen ... Sie wissen? ;...«

»Die Schweizer?«

»Ja; ich habe es auch lernen wollen, aber verfehlte stets die ... die Geschichte ... Sie wissen? ... So daß ich eines Tages bin auf meinen ... meinen Dings da ... wie heißt man ihn doch ... fiel, und mir sehr wehe that.«

Während sich Laura zum Tanzen vorbereitete, benützte Herr Guerreville einen Augenblick, wo sich Madame Grillon von ihm entfernt hatte, stand auf, und indem er sich den Anschein gab, als wollte er in dem Salon auf- und abgehen, gewann er den Speisesaal, nahm seinen Hut und entfernte sich, indem er sagte: »Ich habe meine Pathe singen hören; das scheint mir genug zu sein; ich habe keine Verpflichtung, Fräulein Laura die Cachucha tanzen zu sehen.«

Aber während er sich nach seiner Wohnung begab, erinnerte er sich an das, was zwischen Madame Devaux und ihrem Cousin Vadevant gesprochen worden war; denn bei dieser Unterhaltung war ihm ein Name, der der Madame Dolbert, aufgefallen; er suchte sich zu erinnern, wo er ihn schon habe nennen hören. Sein Gedächtniß anstrengend, fiel ihm endlich die Erzählung Jerome's, des Wasserträgers ein, und er sagte zu sich: »Madame Dolbert ... Boulevard de la Madeleine ... so hießen die Damen, welche das Kind dieses braven Auvergnaten mit sich genommen haben. Ja, bei ihnen ist die kleine Zizine ... Ich habe Jerome versprochen, Erkundigungen einzuziehen ... mich zu versichern, ob seine Tochter immer gut behandelt wird ... und ich habe es vergessen ... denn ich vergesse Alles, was sich nicht auf mich ... auf meine eigenen Sorgen bezieht! ... Indeß muß ich mein Versprechen erfüllen ... Ja, ich werde recht erfreut sein, diese arme Kleine wieder zu sehen!


 << zurück weiter >>