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Fünftes Kapitel

Das kleine Mädchen

In dem Augenblick, als Guerreville den Fuß auf die erste Stufe der Treppe setzte, um hinabzusteigen, kam ein Mädchen von ungefähr sechs Jahren dieselbe herauf.

Das Kind war sehr ärmlich und für die Jahreszeit sehr leicht gekleidet; ein Häubchen von brauner Leinwand bedeckte seinen Kopf; ein an mehreren Stellen geflickter Rock und eine ziemlich verschossene schwarze Schürze machten seine ganze Bekleidung aus, und die kleinen Füßchen waren schon mit Holzschuhen beschwert.

Die Kleine trug ein vierpfündiges, rundes Brod unter dem Arme. Obwohl ihr diese Last schwer sein mußte, schien sie doch stolz darauf zu sein, sie zu tragen, und betrachtete sie mit Wohlgefallen. Als sie auf der Flur ankam und Leute erblickte, schlug sie die Augen nieder und wandte sich nach einer andern, kleinen, finstern Treppe, die sich in einem Winkel des Vorsaals befand und der Leiter in einer Windmühle glich.

Herr Fourré hielt das Kind an, indem er sagte: »Ah! Kleine, sage doch Deinem Vater, der Hausbesitzer wolle sein Geld! ... Was Teufels! Jerome will der Welt trotzen ... weil er krank ist, glaubt er, werde man die verfallenen Termine vergessen; man wird ihm seine Möbeln verkaufen, wenn er nicht zahlt. Sag ihm das nur wieder!«

Das Kind betrachtete den Portier halb mit verschämter, halb mit furchtsamer Miene; dann entfernte es sich rasch und kletterte die Mühlenleiter hinauf.

Guerreville, der Anfangs auf das Kind nicht geachtet hatte, sah es, als der Portier mit ihm sprach, genauer an; er betrachtete das kleine, so weiße, so feine, so niedliche Gesichtchen, diese zarten und interessanten Züge, um welche sich hellbraune Locken ringelten, und erstaunte über den Ausdruck der Besonnenheit, welcher auf diesem so jungen Gesichte lag. Dieses Kind hatte weder regelmäßige Züge noch rothe Wangen; es war keines von den Posaunenengeln, von denen man gewöhnlich sagt: das ist ein hübsches Kind; noch war es einer der ausgezeichnet schönen Köpfe, welche die Maler in ihren Gemälden so gerne anwenden: es war ein kleines, blasses, zartes, ernstes Mädchen, das viele Leute gar nicht bemerkt und andere sogar häßlich gefunden hatten, das aber die Aufmerksamkeit derer erregen mußte, welche sich auf den Ausdruck der Gesichtszüge verstehen.

Herr Guerreville blieb einige Augenblicke nachdenkend stehen, dann wandte er sich gegen die Mühlenleiter; der Portier lief ihm nach und rief: »He! mein Herr ... wohin gehen Sie denn? Hier geht man nicht hinunter.«

»Ich will diesen Jerome sehen ... den armen Mann, von dem Sie so eben sprachen, den Vater dieses kleinen Mädchens.«

»Sie wollen in diese Dachkammer gehen! ... Wahrhaftig, das ist ein sonderbares Vergnügen ... wollen Sie denn jetzt absolut ein ganz miserables Zimmer unter dem Dache miethen ... mit einer Luke nicht größer als eine Schnupftabaksdose ... kurz, einen Speicher, wie ich ihn zu meinen Vorräthen habe?«

»Kann man diesen Speicher miethen?«

»Miethen? ja, wenn man will! ... Sie können sich denken, daß man nicht hoffen darf, ihn an anständige Leute zu vermiethen ... und für armes Volk, da danke ich, das bezahlt nicht, zum Beweis Jerome der Wasserträger; der Hauseigenthümer will ihn auch auf die Straße setzen; er will lieber die Kammer selbst benutzen, um Trauben oder grüne Bohnen darin zu trocknen, als Leute darin zu haben, die ihm nichts einbringen; der Mann hat Recht; und dann ist es angenehm, im Winter grüne Bohnen zu essen, wenn sie auch nicht mehr grün sind ... man fädelt sie ein und hängt sie an eine Schnur, wie Rosenkränze.«

»Führen Sie mich zu diesem Jerome,« sagte Herr Guerreville, indem er dem Portier ein Zeichen gab, voranzugehen; aber Herr Fourré machte im Gegentheil einige Schritte gegen die große Treppe, indem er sagte: »Ich sage Ihnen zum Voraus, daß Sie die schlechte Kammer unter der Dachrinne nicht miethen werden ... Sie wollen sich nur amüsiren; aber meine Loge und meine Frau verlangen nach mir ... Steigen wir hinab.«

»Führen Sie mich zu diesem Jerome,« wiederholte Herr Guerreville mit einer bereits vor Unwillen bebenden Stimme, indem er einen durchbohrenden Blick auf Herrn Fourré warf.

Der Portier ging nun vor ihm her, indem er die Hand an seine Mütze legte und vor sich hinmurmelte: »Freilich, wenn Sie noch nie eine Dachkammer gesehen haben ... das ist auch sehenswerth, wie etwas Anderes ... Haben Sie die Güte, mir zu folgen, aber nehmen Sie sich in Acht, daß Sie sich nicht stoßen, denn es ist hier nicht sehr hell.«

Der Portier stieg die Art von Leiter hinauf, welche zu dem Speicher führte: dieser Weg war so schmal, daß nicht zwei Personen neben einander gehen konnten; es gab weder einen Strick noch ein Geländer, um sich zu halten; da man aber an der Mauer rechts und links streifte, so war keine Gefahr da, auf die Seite zu fallen. Kein Tageslicht erhellte die Treppe, welche sehr steil war.

Infamigter Weg!« schimpfte Herr Fourré, der seinen Kopf an die Mauer gestoßen hatte. »Das ist eine halsbrechende Arbeit!«

»Wie kommt das kleine Mädchen da herauf, ohne zu fallen?« sagte Herr Guerreville.

»O, die Kinder ... klimmen wie die Katzen überall herum ... nehmen Sie sich in Acht, mein Herr, jetzt sind wir oben. Warten Sie, ich werde klopfen, damit Sie heller sehen, wenn man die Thüre aufmacht.«

Der Portier klopfte an, man öffnete eine Thüre: das kleine Mädchen erschien und sah fast erschrocken aus, als es den Herrn und den Portier, denen es so eben erst begegnet war, wieder erblickte.

»Wir wollen die Lockalle Deines Vaters ansehen,« sagte Herr Fourré mit spöttischer Miene; »wenn ich sage, Lockalle, so bin ich gewiß sehr höflich! ich könnte ebensogut Hundestall sagen ... Hier durch, mein Herr, aber bücken Sie sich, denn das Dach ist fast überall gebrochen.«

Herr Guerreville folgte dem Portier und gelangte in ein schlechtes Zimmer, dessen jämmerlicher Anblick ihm das Herz zerriß. Keine Tapete verbarg die Mauern und Balken, welche die Decke bildeten; keine Vorhänge hingen an den Tabaksdosenfenstern (wie Herr Fourré sagte), durch welche der Tag eindrang; ein schlechtes Bett, ein Tisch, einige Stühle, ein kleiner Schrank aus weißem Holze, den man ein wenig gebohnt hatte: das war das ganze Möblement dieses Zimmers. Aber in einer Ecke hatte man einige Bretter zusammengenagelt, um einen Verschlag, einem kleinen Cabinette ähnlich, zu bilden. Hier stand ein kleines Kinderbett aus Nußbaumholz, sehr reinlich, sehr sauber; darüber war eine gerade hinausstehende Stange angebracht, von welcher Vorhänge von grüner Leinwand herabhingen, welche das Bettchen verdeckten und vor dem Lichtstrahl bewahrten, der senkrecht in diesen traurigen Winkel fiel.

Ein Mann von ungefähr fünfzig Jahren lag in dem Bette, welches im Zimmer stand; seine Gestalt und seine kräftigen Arme schienen auf einen starken Mann zu deuten, aber seine Gesichtsfarbe war krankhaft, und seine Augen vom Fieber entzündet. Indeß konnte man aus seinen stark markirten Zügen weder Traurigkeit noch Niedergeschlagenheit herauslesen; man sah, daß der Kranke mit Muth und Geduld gegen die Krankheit kämpfte, und die Hoffnung ihn noch nicht verlassen hatte.

Nachdem das junge Mädchen die Thüre geöffnet, setzte sie sich wieder nahe an das Bett des Kranken, ergriff dessen Hand und hielt sie in den ihrigen, indem sie in seinen Augen den Eindruck zu lesen suchte, welchen der unerwartete Besuch auf ihn hervorbrachte.

Jerome, der Wasserträger, erhob den Kopf ein wenig, wie um zu grüßen, legte die Hand an seine baumwollene Mütze und sagte mit dem unverkennbaren Accent eines Auvergnaten: »Entschuldigen Sie, meine Herren, daß ich nicht aufstehe, um Sie zu empfangen ... doch wahrhaftig ... es ist nicht meine Schuld ... ich wünschte wohl, es wäre mir möglich ;...«

»Es würde mich sehr betrüben, wenn ich Ihnen die geringste Störung verursachte, braver Mann ... und wenn ich hätte denken können, daß meine Gegenwart Sie irgendwie belästigen würde, so wäre ich nicht bei Ihnen eingetreten.«

Der artige und freundliche Ton, womit Herr Guerreville diese Worte sprach, setzten Jerome in Verwunderung; er war ganz erstaunt, daß ein Mann, dessen Haltung und ganzes Aeußere einen vornehmen Stand verkündeten, ihn würdigte, so gütig mit ihm zu sprechen; das kleine Mädchen lächelte dem Fremden zu; ihre Angst war schon gehoben.

Herr Fourré, der nicht begriff, wie man befürchten könnte, einen Wasserträger zu belästigen, hatte sich auf einen Stuhl geworfen und schaukelte sich in demselben, indem er rief: »Mein Gott! wie garstig ist es hier! ... aber wie! Jerome, sind wir immer noch krank?«

»Ach! mein Gott, ja, Herr Fourré, die Kräfte wollen eben gar nicht wiederkommen.«

»Das ist traurig, und um so trauriger, als man während der Zeit, in der man nichts arbeitet, nichts verdient ... und die Miethe immer fortläuft.«

»Ich wollte, ich könnte statt ihrer laufen,« sagt der Auvergnate, indem er sich zu lächeln bemühte.

»Sie sehen noch sehr schlecht aus, Jerome, Sie sind noch sehr gelb! ... Hören Sie, wir sind Alle sterblich! ... und dieses Jahr sterben sehr viele Leute ;...«

Herr Guerreville fühlte sich sehr versucht, den Portier an den Ohren zu nehmen; er hielt jedoch an sich und näherte sich dem Kranken.

»Ist es schon lange, daß Sie das Bett hüten?«

»Ueber drei Wochen, mein Herr. Es war, wie ich glaube, eine Art Brustentzündung, die mich befiel ... was aber auch Herr Fourré sagen mag, ich fühle sehr wohl, daß ich mich besser befinde, und daß ich bald wieder meine Eimer werde tragen können.« – Der Stand eines Wasserträgers ist ein schwerer Stand! – »Doch, wenn man einmal darin ist, denkt man nicht mehr daran ... jeder Mensch muß arbeiten! ... ich war so zufrieden, wenn ich nur verdiente, was ich brauchte, und von Zeit zu Zeit dieser armen Kleinen ein Spielzeug heimbringen konnte! ;...«

»Ach! ja, da ist das Geld gut angewandt!« sagte der Portier, indem er mit wichtiger Miene eine Prise nahm. »Puppen kaufen, Kleinigkeiten für dieses Kind ... wie kann man solche Schwachheiten haben! ... Und Sie kauften nicht einmal von dem geringen Spielzeuge für zwei Sous ... es waren herrliche Puppen um fünfundzwanzig Sous! ;...«

»Ah! Hören Sie, Herr Fourré; für meine Zizinette finde ich nichts schön genug ... meine kleine Tochter ... mein kleiner Engel! gegenwärtig meine kleine Wärterin ... Ach! ich wünschte, ich hätte ihr noch viel schönere Sachen kaufen können! ;...«

»Sie hätten besser daran gethan, das Geld bei Seite zu legen, um Ihre Miethe damit zu bezahlen! ... Man wäre dann nicht genöthigt, Sie zur Thüre hinauszuwerfen, und Ihre Möbeln zu verkaufen ... was in einem Hause von gutem Rufe immer sehr unangenehm ist.«

»Mich hinauswerfen ... meine Möbeln verkaufen!« rief der Kranke, indem er es versuchte, sich halb aufzurichten und eine leichte Röthe seine matten Züge belebte; »wie! man könnte die Grausamkeit haben ... aber ich werde bezahlen, Herr Fourré, ich werde Alles bezahlen, sobald ich wieder arbeiten kann.«

»Beruhigen Sie sich, braver Mann!« sagte Herr Guerreville, indem er sich dem Bette näherte. »Nichts von alle dem wird geschehen ... dieser Portier weiß nicht, was er spricht! ;...«

»Ich wisse nicht, was ich spreche!« wiederholte Herr Fourré, indem er den Kopf in die Höhe streckte. »Seht da, man wird noch erleben, daß mich dieser Herr, der nicht, wie ich, das Vertrauen des Hauseigenthümers besitzt, von den Absichten desselben unterrichten wird! Und diese zumal wäre gar gut!«

Ohne daß es schien, als höre er nur im geringsten auf das, was der Portier sagte, legte Herr Guerreville seine Hand auf die Wange des kleinen Mädchens, und es liebkosend, sagte er: »Ist das Ihr einziges Kind?«

»Ja, mein Herr.«

»Und Sie lieben es wohl sehr, nicht wahr?«

»Ob ich es liebe! ... o! es ist mein kleiner Schatz ... Armes Kind, seid ich krank bin, sorgt sie für mich, gibt mir zu trinken ... geht hinab, um mir Brod zu holen, und Alles was ich verlange. Und doch ist sie noch so jung ... erst sechs und ein halbes Jahr alt, aber es steckt in diesem kleinen Kopfe schon mehr Verstand und Ueberlegung als in manchem viel älteren.«

Herr Guerreville erwiderte nichts, er war in seine Betrachtungen zurückgesunken; sein Haupt neigte sich auf seine Brust herab und ein tiefer Schmerz malte sich in allen seinen Zügen.

Der Wasserträger und sein Kind betrachteten ihn mit Theilnahme und wagten kaum zu athmen. Während dieser Zeit durchschnüffelte der Portier alle Winkel, und sah sich besonders in dem Verschlage um, in welchem das Bett des Kindes stand.

Endlich stieß Herr Guerreville einen tiefen Seufzer aus und sagte dann zu Jerome: »Ihre Tochter ist bei Ihnen ... Sie können sie küssen, an Ihr Herz drücken ... Ach! es gibt Leute, die Sie noch um Ihr Lager, um Ihre Armuth beneiden würden! ;...«

»Ist es möglich, sich wegen eines Kindes so zu berauben!« rief Herr Fourré, indem er seinen Kopf hinter den Brettern hervorstreckte. »In dem Bette der Kleinen sind drei Matratzen, drei gute weiche Matratzen ... während der Vater auf einem elenden Strohsacke liegt.«

»Wenn es mir nun so beliebt, Herr Portier,« sagte Jerome mit Ungeduld. »Es scheint mir, daß ich das Recht habe, mich zu betten, wie ich will; ich, der ich weder verzärtelt, noch verweichlicht bin, befinde mich überall gut! Aber diese arme Kleine! ... o! die muß weich liegen; sehen Sie, wie zart, wie schwächlich sie ist; eine Kleinigkeit würde ihr wehe thun! ;...«

»Sollte man nicht glauben, es sei eine Prinzessin? ... Ich liebe meine Kinder auch, aber wahrhaftig, ich wäre nicht im Stande, mich um ihretwillen zu berauben ... Nun, mein Herr, Sie haben Zeit gehabt, sich dieses Zimmer zu besehen, ich muß wieder hinunter, ich ... wenn es Ihnen gefällt, für fünfzig Franken können Sie es haben, und wir hängen dann die grünen Bohnen anderswo auf.«

»Haben der Herr Lust, hier einzumiethen?« sagte Jerome, indem er Herrn Guerreville ansah; aber dieser machte ihm mit dem Kopfe ein verneinendes Zeichen.

»Ich weiß nicht, wozu der Herr Lust hat,« sprach der Portier, »aber ich weiß, daß er sich schon seit langer Zeit fast das ganze Haus zeigen läßt und mir noch keinen Sou Trinkgeld gegeben hat ... O! mein Gott, ich glaube die Stimme meiner Frau im Hofe zu hören.«

Der Portier steckte seinen Kopf aus der Thüre über der kleinen Treppe.

Eine kreischende Stimme schrie im Hofe: »Fourré! will man Dich da oben umbringen ... wirst Du heute noch herabkommen ... Fourré!«

»Hier bin ich, liebe Freundin, hier bin ich ... ich werde hinunter kommen!« ... schrie der Portier, indem er seinen Körper vorwärts streckte; alsdann wandte er sich um, und indem er Herrn Guerreville ansah, setzte er hinzu: »Gehen Sie mit, mein Herr?«

Aber Herr Guerreville rührte sich nicht; er war gerade damit beschäftigt, sich das Lager des kleinen Mädchens zu betrachten; dann sah er sich wieder im Zimmer um.

»Nach Belieben!« sagte Herr Fourré, die Achseln zuckend. »Wenn Ihnen an der Unterhaltung mit dem Wasserträger gelegen ist, geniren Sie sich nicht ... mir ist daran gelegen, meine Suppe nicht kalt zu essen.«

Und der Portier stieg rasch die Treppe hinunter, indem er vor sich hinsummte:

»Mein Weibchen ist mein Ruhm, mein Stolz ...
Es hat gar schöne Augen! ...«

»Sie sind ein guter Vater, Herr Jerome,« sagte Guerreville, sich dem Kranken nähernd und ihm herzlich die Hände drückend; dann machte er einige Gänge durch das Zimmer ... blieb stehen und schien verlegen, als wenn er etwas auf dem Herzen hätte, das er nicht zu sagen wagte.

»Es ist, wie ich glaube, sehr natürlich, seine Kinder zu lieben,« sagte Jerome, »und dann ist meine Zizine meine Retterin, mein Schutzengel, wie meine arme Frau in ihrer Sterbestunde sagte! ;...«

»Ihr Schutzengel! Was wollen Sie damit sagen?«

»Ach ja, mein Herr, damit will ich sagen, daß diese Kleine mir schon einmal das Leben gerettet hat ;...«

»Wie! so jung ;...«

»Das macht nichts ... hören Sie. Ich hatte mich eines Abends zu Bette gelegt, und war rauchend, mit der Pfeife im Munde, eingeschlafen ... was mir oft begegnete; es scheint, daß Feuer aus meiner Pfeife gefallen war und meine leinene Bettdecke angezündet hatte; ich merkte nichts davon, schlief wie ein Tauber; denn ich schlafe sehr gut, wenn ich wohl bin ... und ich glaube, ich wäre, ohne zu erwachen, gebraten worden, wenn nicht diese Kleine, durch den Rauch erweckt, schnell herbeigelaufen wäre mit nackten Füßen, und mir zugerufen hätte: »Mein Vater! mein Vater! Du brennst!« während ihre kleinen Hände zu gleicher Zeit versuchten, die Decke wegzureißen. Sie können sich denken, daß ich im Augenblicke aufsprang; es gelang mir, das Feuer zu löschen, und ich kam mit dem Verluste der halben Bettdecke noch gut weg, aber seit jener Zeit! habe ich geschworen, nicht mehr in meinem Bette zu rauchen, und ich versichere Sie, ich habe den Schwur gehalten, denn ich hätte ja das liebe Kind mit mir rösten können! ... und das wäre noch das größte Unglück gewesen!«

Als der Auvergnate diese Worte gesprochen hatte, zog er die Kleine auf sein Bett und küßte sie zärtlich, dann fügte er hinzu: »Und man findet es noch Unrecht, daß ich ihr schöne Puppen kaufe ... aber ich lasse die Welt reden und thue, was mir beliebt. Nicht wahr, meine Zizinette?«

Das Kind lächelte, indem es sagte: »O! ich sorge auch recht für meine Puppe; ich nehme sie mit in mein Bett ... und ich werde ihr ein Kleid machen, weil eine Dame im Hause ist, die mir recht schöne Flecke versprochen hat.«

»Ja, ja; Du bist eine gute Wirthin ... und Alles im Hause liebt Dich, außer diesem Portier, der Dir nur harte Worte sagt ... aber er soll sich hüten, daß er Dich je nur unsanft berühre! denn dann würde ich meine Wassereimer auf seinem Rücken zerschlagen!«

»Sie nennen Ihre Kleine Zizinette?« fragte Guerreville.

»O! sie heißt eigentlich Caroline, aber sehen Sie, ich, ich nenne sie oft Zizine ... Zinette ... kleine freundschaftliche Spitznamen ... und dieser Esel von Portier fragte mich neulich: Was soll das heißen, Zizine? ... das ist nicht Französisch ... Hm! ... erbärmlicher Schuhflicker! ... Man that Recht daran, ihn Fourré (Steck) zu nennen! ... denn er steckt seine Nase in Alles!«

Herr Guerreville faßte die Kleine noch einmal mit der Hand unter dem Kinn, warf einen letzten Blick rings herum, und entfernte sich dann rasch vom Bette und ging mit den Worten zur Thüre: »Adieu, braver Mann, Adieu!«

»Ich habe die Ehre mich Ihnen zu empfehlen, mein Herr,« erwiderte der Auvergnate, indem er die Hand an seine Mütze legte, »entschuldigen Sie, daß ich Sie nicht hinausbegleiten kann.«

»Aber man sieht an Ihrer Thüre nicht sehr gut,« sagte Guerreville, indem er an der kleinen Treppe stehen blieb, »wenn Ihre Kleine mir den Weg zeigen könnte ;...«

»O! sehr gerne, mein Herr ... Geh, liebe Zizine, führe den Herrn und gib auch selbst Acht, daß Du nicht fällst ;...«

Das kleine Mädchen sprang nach der Thüre, bald war sie vor Herrn Guerreville und stieg gewandt die enge und steile Treppe hinunter, indem sie sagte: »Folgen Sie mir, mein Herr ... halten Sie sich an der Mauer.«

Man war bald auf dem unteren Treppenabsatz; da sagte das Kind dem Fremden Adieu und wollte wieder die Mühlenleiter hinaufsteigen. Aber Herr Guerreville hielt sie zurück und sagte zu ihr: »Warte, liebe Kleine, ich habe Dir etwas für Deinen Vater zu geben ... Mache Deine Schürze auf.«

Das Kind that, wie man ihm sagte; Guerreville zog seine Börse, leerte sie in die Schürze und fügte auch noch Alles hinzu, was er in den Taschen an Geld hatte, so daß Alles zusammen ungefähr hundertundzwanzig Franken betragen konnte.

Das Kind riß die Augen weit auf, als es all das Geld erblickte; und da es, trotz seiner großen Jugend, schon wußte, daß sein Vater viel arbeiten mußte, um nur einen geringen Theil davon zu verdienen, so war es ganz gerührt; seine Augen füllten sich mit Thränen, während es stammelte:

»Wie! mein Herr ... das Alles ist für den Vater?«

»Ja, mein Kind, er soll seine Miethe bezahlen, und, wenn er ruhiger im Gemüthe ist, wird er schneller genesen. Geh', bring' ihm das.«

Das Kind ließ sich diese Worte nicht wiederholen; es vergaß sogar dem Herrn zu danken und eilte nach seiner Dachkammer hinauf, so sehr fühlte es sich getrieben, das Geld seinem Vater zu bringen. Herr Guerreville bekam deßhalb nur eine um so günstigere Meinung von dem Herzen des Kindes; denn die Freude, welche es seinem Vater verursachen werde und die Hoffnung, dieses Glück würde ihm seine Gesundheit wiedergeben, mußten allerdings seine ersten Gedanken sein.

Herr Guerreville stieg die Treppe vollends hinab, indem zu sich sagte: »Wenn ich auch nichts in Betreff meiner Angelegenheiten erfahren habe, so habe ich doch meine Zeit nicht ganz verloren, indem ich die Wohnungen in diesem Hause besah.«

Als Herr Guerreville in den Hof kam, fand er den Portier, der auf sein Weggehen zu passen schien und vor seiner Loge auf- und abspazierend, seine Suppe aß.

Herr Guerreville wollte, ohne sich aufzuhalten, vorbeigehen, aber der Portier, nachdem er seinen Napf vor der Loge niedergesetzt, stellte sich zwischen ihn und die Einfahrt, indem er sagte: »Nun, mein Herr, Sie haben sich ohne Zweifel für das Lockall entschieden, das Sie miethen wollen?«

Und während er dies sagte, streckte Herr Fourré die Hand hin.

»Ich werde gar nichts in diesem Hause miethen,« erwiderte Guerreville und ging auf die Hausthüre zu.

»Sie werden nichts miethen ... das ist schön und gut ... aber ich glaube, ich werde mich nicht haben stören lassen und mein Handwerk verlassen müssen ... ohne daß ... nun, Sie sind zu billig, um ;...«

Und die Hand des Portiers bot sich fortwährend Herrn Guerreville dar; aber dieser, nachdem er in seinen Taschen herumgesucht und nichts mehr gefunden hatte, stieß den Arm, der ihm fast den Ausweg versperrte, zurück, und ging mit den Worten aus dem Hause:

»Es thut mir leid ... aber ich habe nichts bei mir.«

Herr Fourré war einen Augenblick stumm vor Wuth, dann schlug er mit der Faust nach seiner Mütze und rief: »Ich bin bestohlen, wie in einem Walde! ... Hat man einen Begriff von solch einer Gemeinheit! ... ein wohlgekleideter Mann ... wagt es mir zu sagen, er habe kein Geld bei sich, pfui! ... das ist unschicklich! ... aber der Mensch da, nach Allem zu schließen, ist, glaube ich, ein Polizeispion.


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