Kurt Kluge
Die Zaubergeige
Kurt Kluge

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Noch mancherlei sprachen die beiden alten Freunde in dieser Nacht. Der Weg zu Beckers Wohnung war weit, und Becker lernte an Lichtermark verschiedene ihm bisher verborgene Seiten kennen. Aber auch Lichtermark selber wunderte sich zuweilen über seine neuerworbenen Ansichten: »Ach ja, man arbeitet an sich, richtet sich, man verbessert, vertieft oder erhöht sich, wo immer Änderungswürdiges sichtbar wird, und eines Tages steht man da und muß zu sich sagen: Lichtermark, alter Bursche, gib acht bei deiner Bastelei, daß du nicht plötzlich sterben mußt, ohne dich 209 selber erlebt zu haben. Dann hält man eine Weile inne und – auch dies will verrichtet werden zu der Götter Zufriedenheit – und läßt sich werden.«

»Gott sei Dank, hier wohne ich«, sprach Becker nach diesen Worten seines Freundes, zeigte auf eine Haustür und fügte hinzu: »Du kennst das Haus ja, Lieber. Mir ist so, als wenn du im Laufe dieses Tages schon einmal hier gewesen wärest.«

Eine Turmuhr schlug die vierte Morgenstunde. Der Professor zählte die Schläge und nickte: »Gestern um diese Zeit hat es an meiner Haustür geklingelt. Da ging's los. Da kam sie.«

»Die Stradivari?«

»Die heilige Ildewig.«

»Lichtermark, ich glaube, du redest schon im Schlafe.«

»Ich glaube 's auch. Vierundzwanzig Stunden bin ich nun auf den Beinen. Becker, ich falle nun um, wenn du mich nicht hältst.«

»Ja – da haben wir ganz vergessen: in welchem Hotel wohnst du denn?«

»Verdammt, an Hotel habe ich noch gar nicht gedacht in der Aufregung. Meine Mappe muß noch oben bei dir auf dem Stuhl am Schreibtisch liegen.«

So ergab sich, daß Lichtermark auf Beckers Sofa schlief und Frau Becker, etwa um die Mittagsstunde, dem unerwarteten Gast den Frühstückskaffee vorsetzen mußte – eben in der feierlichen Stunde, zu welcher sich das Personal des Museums im Saal der Streichinstrumente versammelte und Becker die Stradivari zurücklegte an ihren Ort.

Als der schwere Glaskasten mit seinen dicken spiegelnden 210 Kristallscheiben wieder über der Geige stand, meinte Kustos Lindemann: »Wir werden ein Sicherheitsschloß in den Rahmen einbauen lassen.«

»Noch besser ist, wir setzen nachts einen Hund davor«, antwortete Becker. »Während der Besuchsstunden kann niemand mit dem großen Glaskasten hantieren, ohne aufzufallen. Und während der Nachtstunden bedeutet ein kleines Schloß wenig im leeren Hause.«

Wenn Schurch von dieser Zeit an abends seinen Uniformrock auszog, legte er den Wachhund von der Kette los. Dieses bissige und bösartige Tier leistete mehr für das Museum als alle Sicherheitsschlösser. Zunächst freilich konnte keiner sagen, ob der Hund aus Wachsamkeit bellte oder aus Furcht in diesen endlosen dunklen Räumen. Entsetzlich schallte das Heulen des Wolfstieres durch das Betongemäuer. Die Saiten der Klavierharfen bebten leise mit, zart erzitterten klingelnd die Triangelstäbe, und aus der alten Glasharmonika hauchte ein geisterhafter Laut, der das Hundevieh zum Rasen brachte. Ob auch die Saiten der Stradivari zu Klange kamen, läßt sich nicht mit Gewißheit sagen. Wahrscheinlich haben die wilden irdischen Lautwellen die Geige so wenig zu erreichen vermocht in ihrem Kristall, wie der duftende Sonnenglanz das kleine tote Herz des geflügelten Lebewesens im Bernstein erreicht. Gewiß jedoch ist, daß der böse Hund die unermeßlich kostbare Geige gut bewachte. Kein Dieb wagte sich in ihre Nähe, und Andreas hat sie später, als sein Name die Grenzen des Reiches überschritt und sein Geigen Weltmacht geworden war, noch manches Mal gespielt. Dieser Gipfel seiner Kunst lag zur Zeit der hier gemeldeten Geschehnisse noch eine gute Reihe von Kehren und Haarnadelkurven über ihm – nicht jedoch 211 verhüllt von Gewitterwolken und Hagelsturm. Der weiße Schleier in der oberen Luftschicht bewegte sich zuweilen schon, wehte und ließ auch Fremde ahnen, was jetzt nur Freunde wußten.

 


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