Kurt Kluge
Die Zaubergeige
Kurt Kluge

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Diese Fahrt nach Kranichstedt vergaß Kegel sein Lebtag nicht. Er hatte also den Verdächtigen doch noch gefunden. Im letzten Augenblick. Leider ohne das nötige Beweismaterial, um deswillen er diese opfervolle Fahrt unternommen hatte. Dafür hatte der Gefundene seinen sorgenvoll nach ihm fahndenden Verfolger aufgebracht, und zwar unter den allerverdächtigsten Umständen!

Kegel fühlte, wie ihn der Geiger ein paarmal von der Seite ansah. Aber Andreas schien auch todmüde zu sein. Wer weiß, was der hinter sich hat, dachte Kegel und ließ die eigenen Erlebnisse dieser Nacht mißtrauisch durch seine Gedanken gehen.

Andreas hatte sich in eine Ecke gedrückt, in seinen Mantel gewickelt und mit schon geschlossenen Augen kopfschüttelnd noch einmal vor sich hingelacht. Dann war der Mensch eingeschlafen.

Neidvoll sah der gerechte Kegel diesen Schlaf des Ungerechten. Thedor Kegel fand keine Ruhe, aber dieser Lüdrian da in der Ecke schlummerte so friedlich, daß sein 44 Verfolger von Haltestelle zu Haltestelle grimmiger wurde und, etwa in der Gegend von Greiz, zu der Erkenntnis kam: »Lüdicke ist ein Rindvieh!«

»Wie?« – der aufgeschreckte Andreas rieb die Augen – »Was haben Sie gesagt?«

»Ach nein. Nichts. Ich meinte nur.«

Kegel hätte seinen Mitreisenden lieber nicht wecken sollen. Vielleicht wäre der im Schlafe bis nach Eisenach gefahren und die heutige Geigenstunde im Barbierhaus ausgefallen. Agnes durfte nicht behelligt werden mit unnützen Worten. Immer unruhiger wurde Kegel. Die Türme von Kranichstedt tauchten auf. Länger war die notwendige kleine Aussprache nicht hinauszuschieben. Noch auf dem Trittbrett begann Kegel: »Was ich sagen wollte . . . Ja, wissen Sie, auf Reisen trifft man einander manchmal, ohne sich dabei was zu denken. Darum ist es auch besser, hinterher nicht drüber zu reden, nicht wahr? Zu niemandem. Am besten zu überhaupt gar niemandem, wie?«

»Reden? Ich? Ich rede überhaupt nicht« – er reckte gähnend die Arme aus – »ahhh, diese wunderbare Morgenluft! Märzluft, Vater Kegel!«

Verwundert sahen sich die bereits im Dienst befindlichen Beamten und Angestellten nach den beiden Reisenden um, und der Mann an der Sperre nahm ihnen schmunzelnd die Fahrkarten ab: »Lassen Sie sich die Fuhre gut bekommen, meine Herren.«

»Da haben Sie ja schon geredet«, sagte Kegel zornig zu seinem Gefährten, »der ganze Bahnhof dreht sich um nach uns.« 45

 


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