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Vierunddreißigstes Kapitel: Der Einzug

Nun war es wieder Sommer. Auf den Feldern des kleinen holsteinischen Gutes Lindenholm reifte die erste Ernte für den neuen Pächter, der seit kurzem hier hauste; vorläufig allein, in unvollständig eingerichteten Räumen. Aber die sahen den jungen Mann auch nicht viel in ihren Wänden, da die Wirtschaft den Eifrigen von früh bis spät in Anspruch nahm; wollte er doch so schnell wie möglich sein neues Eigentum nach allen Richtungen hin genau kennen lernen, sowie Leute und Art dieser ihm bisher fremden Gegend. Nun aber hatte er eine Reise angetreten, und die Leute wußten, wenn er wiederkam, dann brachte Herr Matersen seine junge Frau heim.

Es war ein sehr warmer Juliabend. In voller Blüte standen die Linden, von denen der Ort seinen Namen trug. Das war ein Duft und ein Summen der eifrigen Bienenvölker!

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Mit einem Blumenstrauß trat das größte der Schulmädchen vor.

Man konnte auch jetzt nach Feierabend noch nicht von völliger Abendstille reden, denn es herrschte auf dem Hof eine frohe Geschäftigkeit, die auf den Empfang des jungen Paares hinzielte. Dieser Einzug war den Gutsleuten natürlich ein großes Ereignis, auf das sie sich seit lange freuten. Jahraus, jahrein hatten da auf dem Hof die alten Leutchen gewohnt mit ihren zwei ältlichen Töchtern, mit ihren Sorgen und Kümmernissen. Nie hatte es mal ein bißchen Freude, eine Festlichkeit oder dergleichen gegeben. Nun aber sollte neues Leben in das kleine alte Haus einziehen, das schon seit dem Frühling mit einfachen Mitteln so schmuck zurechtgemacht und in den letzten Tagen von einer alten Frau und einem freundlichen hübschen Mädchen vollends eingerichtet worden war. Ei, das gab doch mal etwas ganz Neues! Daran konnte man vergnügt teilnehmen!

Den jungen Pächter kannte man ja schon und traute ihm Gutes zu. War er auch in der Rede ein bißchen kurz angebunden, so doch nicht unfreundlich, und – er verstand seinen Kram! Das hatten sie bald heraus, die alten eingesessenen Taglöhner und Hofleute.

Wie nun die junge Frau sein mochte, das konnte man freilich nicht wissen. Es hieß, sie sei Lehrerin gewesen. Wenn sie dann nur aufs Land und für die Wirtschaft taugte! Als aber jemand das Wort aufbrachte: »Lehrerin, ja – aber Dorfschullehrerin«, da zerstreuten sich die Bedenken schon etwas.

Auch der alte Schulmeister von Lindenholm nahm von da an den größten Anteil an der Sache. Viele Tage beschäftigte ihn die Aufgabe, den Einzug des jungen Paares hübsch feierlich zu gestalten. Nun waren sie alle auf dem Hof aufgestellt, seine Schulkinder, und er wußte, daß er sich auf sie verlassen konnte. Sowie er den Taktstock hob, würden sie anstimmen. Im Singen waren sie ja groß, die Schulkinder von Lindenholm; das wußte man in der ganzen Gegend, denn der alte Stockmann war nicht bloß Lehrer, sondern zugleich Kantor und Organist, und er meisterte sein Instrument, daß es schon manchem Kenner aufgefallen war. Morgen, am Sonntag, wenn das junge Paar hier seinen Kirchgang hielt, ei, dann wollte er sie vom Orgelchor herab ganz besonders festlich begrüßen. Das hatte er freilich für jede neue Gutsherrschaft getan; aber für diese junge Frau, diese ehemalige Kollegin, da wollte er alle Register ziehen, daß sie jubelten und brausten, und kein Geringerer als der alte Johann Sebastian Bach durfte ihm das Thema geben.

Noch aber war es nicht so weit; noch mußte er auf die Kinder achten, die ihre Aufmerksamkeit teilten zwischen dem Beobachten der Girlande, die eben über der Haustür befestigt wurde, und dem Horchen auf den etwa schon heranrollenden Wagen. Übrigens waren drei Jungen, nicht die besten Sänger, aber die schnellsten Läufer, auf Vorposten gestellt, und einer hatte dem anderen zuzurufen, wenn die bekannte Staubwolke den Wagen ankündigte.

Jetzt – jetzt war es so weit.

»Sie kommen,« schrie es durch die Dorfstraße, und »sie kommen,« trompetete es weiter am Eingang des Hofes.

Unter den blühenden Lindenbäumen hindurch fuhr der offene Wagen um das Rasenrund und hielt vor dem geschmückten Hause. Der junge Gutsherr warf dem Kutscher die Zügel zu und wollte seine Frau vom Wagen heben; aber da setzten die hellen Kinderstimmen ein: »Lobe den Herren, den mächtigen König der Ehren!«

Überrascht und gerührt hielt das Paar an. Den Arm auf die Schulter seiner jungen Frau gelegt, stand Hermann Matersen aufrecht im Wagen. Erst als der letzte Ton verklungen war, setzten sie den Fuß auf den Boden, den sie nun bebauen wollten, und der ihnen Heimat werden sollte.

Noch aber hatten sie kaum die erste Stufe der steinernen Haustreppe betreten, als es wieder einen Aufenthalt gab. Mit einem vollen Rosenstrauß trat das größte Schulmädchen, die Enkelin des alten Kantors, vor und sprach:

Wir Kinder des Dorfes, wir kommen so gern,
Zu grüßen die junge Frau und den Herrn,
Die heute hier ihren Einzug halten,
Des freu'n sich alle Jungen und Alten.

Wir wissen, die Frau ist den Kindern gut,
Sie hat sie genommen in treue Hut
Und hat in der Schul' unterwiesen sie fein,
Wie fleißig und fromm und geschickt man soll sein.

Nun aber, die Bücher, sie legt sie beiseit';
Sie hat einen schmucken Mann gefreit.
Dem will sie jetzt helfen in Hof und Haus
Und wandern mit ihm aufs Feld hinaus.

Und kommt sie ins Dorf und guckt bei uns ein,
Wie wollen mir dann in der Schule uns freu'n!
Und zeigen der Frau guten Willen und Fleiß,
Und sagen, was jeder von uns kann und weiß!

Und meint sie, so wär's auch bei ihr einst gewesen,
So hätten die Kinder geschrieben, gelesen
In ihrer Schule, und mir könnten's auch,
Und alles wär' bei uns der gleiche Brauch.

Dann wollen wir wieder ein Lied ihr singen,
Und freudig soll nochmals der Wunsch euch klingen:
Gott schenke euch Glück und reichen Segen
Und immer zur rechten Zeit Sonne und Regen!«

Wie Marianne diese kleine Ansprache zu Herzen ging! Wie sie sich freute, daß man ihres bisherigen Berufes gedachte und doch auch auf den neuen, noch schöneren hinwies! Mit leuchtenden Augen beugte sie sich zu dem frischen netten Mädchen und nahm mit herzlichem Dank den Rosenstrauß, während Hermann mit ebenso frohem Gesicht dabeistand und dem alten Kantor die Hand schüttelte.

»Morgen,« sagte er dann, »nicht wahr, liebe Frau, morgen nach der Kirche bitten wir den Herrn Kantor und seine junge Schar, uns zu besuchen.«

».... und bewirten sie mit Hochzeitskuchen,« fiel Marianne schnell und fröhlich ein. »Heute muß ich erst auspacken, aber nochmals vielen, vielen Dank, Herr Kantor! Es war wunderschön; mein Mann und ich werden diesen Empfang nie vergessen!«

Sie winkte noch allen Kindern fröhlich mit der Hand, drückte ihren Rosenstrauß an das innig bewegte Gesicht und trat dann endlich an ihres Mannes Hand ins Haus.

Die Dorfjugend war abgezogen; die Mägde hatten auch ihr freundliches Wort für die Schmückung der Haustür bekommen. Nun konnten Hermann und Marianne endlich ungestört sich in ihrem Heim umsehen.

Marianne hatte vorher nichts sehen wollen, und doch war ihr, als kenne sie schon alles, so genau hatte Hermann ihr jeden Raum beschrieben. Aber es war alles noch schöner und freundlicher, denn Hermann – so war er nun einmal – stellte ja alles lieber ein bißchen bescheidener und geringer hin, damit es nur ja keine Enttäuschung gebe.

»Klein – klein ist das ganze Lindenholm,« hatte er oft gesagt, und heute fügte er hinzu: »Mit Grünweide darfst du es nie vergleichen, Mariandel; ich darf es ja draußen auch nicht. Jeder Schlag hier ist nur ein kleiner Bruchteil von den mächtig ausgedehnten Feldern von Grünweide.«

»Und doch,« entgegnete Marianne, »wirst du hier weit mehr das Gefühl der eigenen Scholle haben – glaubst du nicht auch?«

»Freilich, weil unser Herr Verpächter mich so eingesetzt hat, daß ich mich rühren kann, nicht immer fürchten muß, ob die Pacht aufzubringen ist! Denn sie ist wirklich mäßig. Da kann man auch Geld in den Boden hineinstecken, hier und dort verbessern; man weiß, daß der Ertrag einem selber zugute kommt, und so bleibt es nicht fremde Erde, sondern man darf selber Wurzel drin schlagen.«

»Das wollen wir,« sagte Marianne freudig, »dazu helfe uns Gott!«

So fühlte Hermann wieder deutlich, daß er das Beste gefunden hatte in seiner Frau: eine wahre Gefährtin!

Der lange helle Sommerabend währte noch immer fort. So traten sie wieder aus dem kleinen Hause, wanderten unter den blühenden Linden hin, auch ein Stückchen hinaus ins Feld, bis an den klaren, blauen Landsee, der, halb von Wald umkränzt, im Abendlicht ruhig spiegelnd dalag.

»Ich soll nicht vergleichen,« sagte Marianne, »aber ich tue es doch, und meine: landschaftlich schöner ist Lindenholm! Sieh doch das hohe Ufer dort –«

»Das ist eben der ›Holm‹, der weite, hochgelegene Buchenwald, von dem wir hier den letzten Ausläufer haben, wie unser See nach dieser Seite hin auch der letzte und kleinste der ganzen holsteinischen Seenkette ist.«

»Klein, aber mein,« sprach Marianne innig, und Hermann gestand zu: »Es kann ja immer möglich sein, daß wir schließlich einmal das Gütchen als Eigentum erwerben. Mit Herrn Menkhausen wird sich stets reden lassen –«

»... und mit seiner Tochter auch,« fiel Marianne ein.

Sie waren nun umgekehrt und sahen bald durch die blühenden Lindenzweige die hellen Fenster ihres Hauses schimmern.

Da dachte Marianne an den Abend, an dem sie zum ersten Male vor die Tür ihres Schulhäuschens in Grünweide getreten war, nach den Sternschuppen gesehen und dann wieder von außen in ihr kleines bescheidenes Reich gelugt hatte, mit mancher stillen Frage.

»Ach, es ist alles über Bitten und Verstehen gegangen,« sagte sie und faltete ihre Hände fest, indem ihre Augen in leuchtendem Vertrauen und voll Dankbarkeit zu dem hellen sternbesäten Himmel aufblickten, worauf Hermann fragte: »Hörst du die Wachtel im Korn schlagen?« was Marianne ihm nach dem bekannten lieben Liede deutete: »Fürchte Gott – Traue Gott!«


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