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Neunundzwanzigstes Kapitel: Lindenholm

Im kleinen Verwalterhause in Grünweide saßen Mutter und Sohn zusammen und sahen beide ziemlich sorgenvoll aus. Sie hatten von Lotte gesprochen, daß sie nicht recht aus ihr klug werden könnten, ob sie sich nun eigentlich in dem großen reichen Hamburger Hause ziemlich wohl fühlte, oder ob es ihr doch zu schwer würde, was sie da in jugendlichem Feuereifer übernommen hatte.

»Leicht ist es keinesfalls,« sagte die Mutter, und Hermann fügte hinzu: »Wenn ich nur nicht immer denken müßte, daß sie es in einem kindlichen Wagemut, der aus Lebensunkenntnis entspringt, für mich getan hat und nun erwartet, daß ich bereits große Vorteile von dem an ihr ersparten bißchen Geld erlebe! Daß ich noch immer keine Pachtung finde, kann sie gar nicht begreifen. Sie ist weit ungeduldiger in diesem Punkt als Marianne. Die bittet nur immer wieder, nichts zu übereilen, und versichert, daß auch ihre Eltern es ruhig abwarten, bis sich etwas recht Vorteilhaftes bietet. Freilich glaube ich ja gern, daß die Eltern die einzige Tochter noch möglichst lange bei sich behalten wollen. Aber mir geht es doch etwas gegen die Ehre, daß ich ihr noch immer nichts zu bieten habe!«

»Hermann,« mahnte die Mutter, »das wußtet ihr doch beide, daß ihr etwas warten müßtet! Ihr seid noch kein Jahr verlobt!«

»Ja, ja, Mutting, aber ich sehe bis jetzt keinen Weg, wie es anders werden soll. Die Güter steigen immer höher im Preise, und die Pachtungen, die in absehbarer Zeit frei werden, taugen alle nicht viel. Ich weiß ziemlich Bescheid im Lande.«

»Man müßte vielleicht mal über die Grenze gehen,« schlug die Mutter vor und riet endlich: »Reise du nur einmal zur Marianne und hole dir frischen Mut von deiner Braut! Du siehst mir jetzt oft schon wieder so aus wie damals in den bösen Zeiten; das darf mir nicht wieder einreißen, Junge!«

»Nein, nein, Mutter – aber du hast recht, wenn du meinst, daß ich reisen soll! Jetzt kann ich gerade noch gut abkommen, vor der Saatzeit!«

»Ja, und wenn du dann doch unterwegs und auf halbem Wege nach Hamburg bist, könntest du dich vielleicht mal nach Lotte umsehen?«

Die Mutter sagte es ganz zaghaft, aber Hermann griff es frisch auf.

»Natürlich, das soll gemacht werden! Das Mädel schreibt viel zu wenig; man denkt unwillkürlich, es verbirgt einem was.«

Um dieselbe Zeit, da der Verwalter von Grünweide sich zu einer kleinen Reise rüstete, tat auch der Besitzer des Gutes dasselbe. Herr Menkhausen fuhr nach Holstein, weil seine Nelli etwas sehnsüchtig geschrieben hatte und er auch selber Verlangen nach der Tochter spürte.

Er fand sie frisch und rotbackig, beseelt von einem Arbeitseifer, der dem Vater so etwas wie Achtung abnötigte. »Also doch kein Strohfeuer,« dachte er im stillen und sah ihr erfreut zu, wie sie sich in dem Haushalt der alten Verwandten mit frischer Selbstverständlichkeit bewegte.

Ihm selbst war Lindenholm nebst seinen Bewohnern fast ganz fremd geworden. Er wunderte sich, wie seine Nell es bei diesen trockenen, nüchternen Leuten so gut aushielt; ja, er war überrascht, daß sie schon so viel gereiftes Verständnis hatte für diese Menschen, die ihr Leben lang hart und schwer arbeiten mußten, ohne doch viel vor sich zu bringen, so daß sie jetzt keinen anderen hoffnungsfrohen Ausblick in die Zukunft mehr kannten, als das Gut zu verkaufen und sich dann ganz still und bescheiden in eine kleine Stadt zurückzuziehen.

Leonore sprach mit dem Vater darüber, daß sie ihnen diese Erleichterung wohl noch zu Lebzeiten des alten Großonkels gönnen möchte, und daß sie oft gedacht habe – –

Sie zögerte ein bißchen, nahm dann einen Anlauf und fuhr mutig fort: »Papa, lieber Papa, kaufe du doch Lindenholm! Lege das Geld, das nun in Südamerika frei geworden ist, in heimatlicher Erde an! Es ist wirklich kein übles Ding, das kleine Lindenholm; ich hörte erst neulich zwei alte Herren darüber sprechen. Es hat den besten Boden dieser Gegend, wenn auch nicht alles Marschland, und ist auch gut im Stande – und – und – sieh mal, du könntest den alten Verwandten doch einen anderen, einen besseren Preis zahlen, als Fremde es vielleicht tun würden – und – wenn du es dann hast, setzest du Herrn Matersen als Pächter ein, und er heiratet seine Marianne Froben! Ist das nicht ein herrlicher Plan?«

In ihrer Begeisterung darüber schlug Nelli die Hände zusammen, und wer in diesem Augenblick gesagt hätte, das junge Mädchen sei nicht hübsch, der hätte ihm bitter unrecht getan! So warm und gütevoll strahlten die dunklen Augen, so klug und entschlossen erschien jeder Zug des Gesichts.

Nicht ohne Rührung blickte Herr Menkhausen auf seine Tochter.

»Für eine künftige Gutsherrin wohl reichlich idealistisch gedacht,« sagte er dann bedächtig, »ich meine das mit dem besonderen Preise, den ich für das Ding zahlen soll, den vielleicht kein anderer geben würde –«

Nelli lachte ein bißchen verlegen, und der Vater lächelte mit. Er fuhr dann fort: »Aber immerhin, man könnte es sich durch den Kopf gehen lassen!«

Dies war schon mehr, als Nelli erwartet hatte. Als sie am anderen Tage beobachtete, wie er sich vom alten Lindenholmer Herrn überall herumführen ließ, wie sie jenen in unbestimmter Hoffnung förmlich aufleben sah, da jauchzte sie im stillen. Sie hörte sogar allerlei Zahlen nennen, mit denen sie nur leider nichts anzufangen wußte, denn so weit gingen ihre landwirtschaftlichen Kenntnisse doch noch nicht, daß sie verstehen konnte, ob da von Kaufpreisen oder von Pachtsumme die Rede war. Endlich hörte sie den Vater sagen: »Ja, lieber Vetter, ich selbst bin zu wenig Landwirt, um das alles genau zu beurteilen. Aber ich werde an meinen Verwalter schreiben und ihn mal herbitten, daß der sich die Sache ansieht; dann wollen wir weiter darüber reden.«

Leonore war glücklich und trug selbst den Brief des Vaters zur Post im Dorf. Diesen Brief erhielt Hermann, als er gerade seiner Braut einen Besuch abstattete, und Marianne fragte besorgt: »Ach, wirst du schon wieder abgerufen?«

Hermann las und sagte dann mit frohem Aufblick: »Ja, mein Herz, aber will es Gott, sind wir unserer Vereinigung ein gut Teil näher, wenn ich zurückkomme!«

Da ließ sie ihn natürlich wieder ziehen. Er wünschte noch am selben Abend in Lindenholm einzutreffen; denn das Wartenlassen, das wußte er, das war nicht des Geheimrat Menkhausens Sache.

Da man ihm geschrieben hatte, daß der Weg von der Haltestelle nicht lang sei, meldete er sich nicht weiter an, sondern dachte zu Fuß einzurücken. In der hellen kalten Dämmerung des Aprilabends also schritt Hermann Matersen auf Lindenholm zu, die Reize der echt holsteinischen Landschaft gleich in sich aufnehmend, und dabei an Marianne denkend, ob es ihr hier gefallen würde. O ja, diese klaren Landseen würde sie lieben!

Der letzte, an dem er vorüberkam, gehörte schon zu Lindenholm, sagte ihm ein Vorübergehender, und gleich darauf tauchte das Dorf auf. Viel kleiner war es als Grünweide, das sah er sofort; auch der Hof schien ihm unbedeutend gegen die Verhältnisse, die er gewöhnt war. Aber das schadete ja weiter nicht! Das Wohnhaus sah recht gemütlich aus; mächtige alte Linden umstanden es schützend und zogen sich als Doppelzeile gegen das Dorf hin.

In dieser Allee sah er eine junge Gestalt auf sich zukommen, die ein kleines Tuch um den Kopf gebunden hatte, und trotz des ungewissen Lichtes erkannte er doch gleich Leonore Menkhausen.

Sie gab ihm die Hand wie einem alten Freunde und sagte ohne Einleitung: »Herr Matersen, wenn es so kommt, wie ich hoffe und wünsche, begrüße ich Sie hier an der Schwelle Ihrer künftigen Heimat!«

Er wußte gar nicht, was er dazu sagen sollte, der gute Hermann, so überraschte ihn ihre ungeschminkte Offenheit und Herzlichkeit.

Gleich darauf traten sie zusammen ins Haus, wo auf der altmodischen Diele schon die Hängelampe brannte, in deren hellem Schein Leonore noch einmal sagte: »Also herzlich willkommen!« Dann rief sie laut in eine halboffene Tür zur Linken: »Da bringe ich ihn wirklich schon! Papa, lieber Großonkel – ich hatte recht, die Matersen sind pünktliche Leute!«

Bei den gealterten, von der Welt recht abgetrennt lebenden Insassen des Hauses machte das Auftreten dieser frischen mannhaften Erscheinung eine begreifliche Wirkung, hatten doch auch die Frauen im Lauf des Tages erfahren, wen Nellis Vater sich eigentlich hierher bestellte, und wieviel von dem Urteil dieses neuen Gastes für sie alle abhängen konnte.

Die beiden alten Basen fanden es fast bedauerlich, daß er schon verlobt war, wie sie gehört hatten; das wäre ja sonst ein hübscher, prächtiger Mann für die Nell gewesen, dachten sie im stillen. Aber eben, daß er schon verlobt war und eine Wirtschaft suchte, um heiraten zu können, das war vielleicht gerade das Glück für sie selber. Denn nun würde er doch sicher dem Geheimrat Menkhausen soviel wie möglich zureden, das Gut zu kaufen.

»Mit gutem Gewissen kann er das ja tun,« sagte die eine Tochter, »es ist doch wirklich ein schönes, wenn auch kleines Besitztum. Wer etwas mehr Geld hat und sich rühren darf, kann sicherlich noch viel daraus machen.«

»Ja, ja,« versetzte die andere, »aber nun, da man sich davon doch trennen soll, wird es einem vielleicht noch schwer. Indessen – besser ist es auf alle Fälle! Nelli, die kleine Närrin, die wir zuerst nicht recht ernst nehmen konnten mit ihren Gutsschwärmereien, hat doch manchmal ganz kluge Einfälle – das muß ich zugeben!«

Es kam nun natürlich nicht so, daß Herr Menkhausen schon am nächsten Vormittage verkündete: »Mein liebes Kind, ich habe das Gut gekauft« und so weiter. Das erwartete Nelli auch gar nicht. Aber nachdem alles so weit eingeleitet war, hatte sie viel Geduld, denn es gehörte ja noch viel Rechnen und Ratschlagen dazu, bis Herr Menkhausen seinem jungen Verwalter erklären konnte: »So, mein lieber Matersen, nun reisen Sie zu Ihrer Braut und sagen Sie ihr, daß sie die Aussteuer beschleunigen darf, wenn sie will. Zu Johanni möchte mein alter Vetter das Gut gern übergeben. Wenn also Sie, lieber Matersen, mir bis dahin einen tüchtigen Ersatz für Grünweide stellen, so können Sie um Johanni die Pachtung antreten und die Braut heimführen.«

Hermann wollte etwas sagen von Dank für vertrauensvolles Entgegenkommen, doch Herr Menkhausen schnitt ihm das Wort ab, indem er neckend sagte: »Wenn Sie eine gefühlvolle Rede loswerden wollen, wenden Sie sich an meine Tochter, die das alles ausgeheckt hat.«

Aber auch Leonore wehrte lachend und sagte nur: »Hoffentlich fällt alles gut aus und Sie behaupten nicht eines Tages: ›Die Leonore Menkhausen hat uns schön was eingebrockt!‹«

»Ich denke, wir werden es gern ausessen, Fräulein Leonore,« antwortete Hermann schnell und drückte der jungen Freundin die Hand. Dann reisten sie alle drei ab, denn auch Leonore verlangte es jetzt, einmal wieder nach Hamburg zu kommen, und sie meinte, jeder Mensch, auch ein Wirtschaftslehrling, müsse einmal Ferien haben. Ihr Vater aber nahm sie nur zu gern mit sich in sein stilles Haus.

Hermann Matersen fuhr wieder zu seiner Braut, die ihn vor zwei Tagen in so besonderer Spannung hatte ziehen lassen, und die Freude im Doktorhause war groß, ebenso wie in Grünweide bei der alten Mutter, die durch einen ausführlichen Brief von dem günstigen Zukunftsbilde, das sich für ihr junges Paar aufgetan hatte, alles aufs Genaueste erfuhr. Denn Hermann kehrte ja noch nicht sogleich heim, sondern sagte zu seiner Braut: »Wie wäre es, Mariandl, wenn du dich zu einer kleinen Reise nach Hamburg rüsten wolltest? Ich möchte mich einmal nach Lotte umsehen, und die wäre gewiß selig, wenn du mitkämst. Vor allem aber möchte ich, daß wir uns unserem großmütigen Herrn Menkhausen endlich als Brautpaar vorstellen. Er kennt uns ja bis jetzt nur einzeln. Kleine Mama, hast du nicht Lust, auch mitzukommen?«

So wandte er sich dann lächelnd an seine Schwiegermutter, die allerdings nie kleiner und kindlicher aussah als neben dem großen, stattlichen Schwiegersohn. Sie bezeigte dann große Lust zu der Reise mit dem Zusatz: »Wenn mein Mann will!«


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