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Siebzehntes Kapitel: Im Studierstübchen

Hier wohnt der Friede auf der Schwell'.
In den geweißten Wänden hell
Sogleich empfing mich sondre Luft,
Bücher- und Gelahrtenduft,
Gerani- und Resedaschmack,
Auch ein Rüchlein Rauchtabak.

Diese Verse aus Mörikes köstlichem »Alten Turmhahn« kamen Marianne Froben unwillkürlich in den Sinn, als sie das Pfarrhaus zu Langendorf betrat und sogleich nach oben gewiesen wurde, wo man ihr die Tür zu einem hellen Giebelzimmer öffnete. Ja, das war das Bild! Bücher überall, an den Wänden, auf Tisch und Stuhl, dann die bunten, nickenden Blumen am Fenster, und wenn der zarte Resedaduft auch ein wenig übertäubt wurde von dem »Rüchlein Rauchtabak«, so legte er sich der Eintretenden keineswegs beklemmend auf die Brust. Marianne erkannte sogleich, daß hier nicht unaufhörlich gequalmt wurde wie aus einem Schornstein, sondern langsam und mit Verständnis ein gutes Kraut genossen, wie ihr Vater sich auszudrücken pflegte.

So konnte sie ganz klar, nicht in blauen Dunst gehüllt, den feinen alten Mann erkennen, der da vor seinem Blumenfenster saß und mit hellen, beinahe jugendlichen Augen und gütigem Lächeln ihr entgegenblickte. Marianne nahm schnell und behutsam die eine Hand des Greises, die schmerzverzogen auf der Decke lag, und strich weich darüber hin. Da fühlte sie auch schon die andere, die beweglichere, auf ihrem Scheitel und hörte das herzliche: »Gottes Segen und Hilfe zu Ihrer Tätigkeit, mein liebes Fräulein! Jung sehen Sie aus, aber mutvoll, und das beides tut alten Augen wohl.«

Dann erschien das schalkhafte Lächeln, das Marianne sich unwillkürlich schon beim Brief des alten Pfarrers vorgestellt hatte, und er sagte: »Riechen Sie wohl den Kaffeeduft? Gleich wird meine brave Kordel hier sein und uns den braunen Trank kredenzen – wenn Sie nämlich hier im verräucherten Studio vorlieb nehmen wollen, Kind – die Treppe bis zum Staatszimmer kann ich gerade heute nicht gut steigen.«

Marianne sagte, daß sie es als eine Ehre empfinde, hier im Studierstübchen empfangen zu werden; zugleich aber konnte sie nicht umhin, sich zu wundern, daß der alte Herr oben wohne, wenn das Treppensteigen ihm doch Mühe machte.

»Ja, ja, das ist wohl wahr,« sagte der Pfarrer kopfwiegend, »aber erst seit kurzem ist es so, das heißt seit etwa einem Jahr. Früher stieg ich die Treppe flink genug, so oft es sein sollte, denn – verstehen Sie – nicht jeder Besuch wird hier oben angenommen! Und ich war immer der Meinung, die auch der Arzt bestätigte: das Treppensteigen erhält die alten Glieder geschmeidig. Nun aber hat mich die böse Gicht gefaßt, und wenn es nicht noch viel besser damit wird, muß ich wohl doch hinunter. Aber schwer würde es mir, meine stille Zurückgezogenheit hier oben aufzugeben. Denn unten – es sind recht nette Räume da, aber dort regiert die Kordel! Sie ist ja sehr brav und tüchtig, meine Haushälterin, aber – ein bißchen geräuschvoll!«

Marianne sah sich in dem traulichen Raum um, in den die Nachmittagsonne strömte, und der so still anheimelnd wirkte, als wohnten allerlei gute Geister darin, die kein Alltagslärm verscheuchen durfte.

Jetzt hörte man aber Tassen klappern, und herein trat in geschäftiger Wichtigkeit das mehrfach erwähnte Fräulein Kordula, ein schlichtgekleidetes ältliches Persönchen, mit einem etwas hartgeschnittenen stillen Gesicht. Sie wollte die junge Lehrerin auf das Sofa nötigen, doch diese ergriff schnell ein freistehendes Tischchen, von dem nur ein einziges Buch fortzunehmen war, und stellte es vor den Lehnstuhl des alten Herrn. Der schmunzelte behaglich, Fräulein Kordula aber stand starr und erschrocken über diese Eigenmächtigkeit der Fremden, und hielt noch immer steif das Brett mit den guten Dingen vor sich, bis Marianne schnell und freundlich bat: »Erlauben Sie mir, Ihnen zu helfen! Der Herr Pfarrer darf meinetwegen nicht bemüht werden, den Platz zu wechseln – nicht wahr, es geht auch so?«

Bild

Die junge Lehrerin ergriff ein freistehendes Tischchen und stellte es an den Lehnstuhl des alten Herrn.

Da glättete sich das Gesicht der Kordel etwas; sie bot eifrig von dem duftenden Kuchen an und wandte sich dann zum Hausherrn: »Herr Pfarrer, der Herr Lehrer aus Schönlanke war eben da und fragte nach Ihrem Befinden; aber ich sagte, Sie hätten Besuch. Da ist er weitergegangen zum Schmied. War's recht so?«

»Durchaus nicht, meine gute Kordel,« erwiderte der Pastor eifrig.

»Sie hätten lieber sagen sollen, hier oben sei ein Kollege, den der Herr Langreuther gewiß sehr gern kennen lernen würde.«

»Das konnt' ich nicht wissen,« sagte die Alte trocken und streifte das junge Mädchen mit etwas mißtrauischem Blick, worauf der Pfarrer lachend bemerkte: »Nein, Kordel, das konnten Sie nicht – der Fall ist neu! Aber schicken Sie doch jetzt, bitte, in die Schmiede – ich lasse Herrn Langreuther bitten, später noch ein wenig zu kommen, wenn es ihm möglich ist. Ich muß ihn sprechen, denn am Sonntag wird er doch noch einmal für mich lesen müssen; zwei Predigten werden mir für den Anfang zu viel sein. So, und nun, mein liebes Fräulein Froben, wollen wir uns ein wenig kennen lernen, und Sie erzählen nur von Ihrer Schule! Werden Sie denn fertig mit den Kindern? Ist die Plage nicht allzu groß? Anders geht es sicher her als in städtischen Schulen!«

»Ich glaube wohl, Herr Pfarrer, aber ich mache hier meine allerersten Erfahrungen; viel vergleichen kann ich noch nicht.«

»So, so, erste Sporen verdient, kein alter Haudegen, wie ich vor der Entscheidung fast glaubte, als mir Herr Matersen von den beiden Bewerberinnen sprach – nicht wahr, eine ältere Dame war doch auch zur Wahl?«

»Freilich, und sie hätte vielleicht mit ihren Erfahrungen mehr geleistet als ich, aber – ich bin doch nun einmal gewählt und bin so froh darüber.«

»Das macht Ihnen alle Ehre! Erhalte Gott Ihnen diese Freudigkeit zu Ihrer Arbeit! Aber wie ist's denn mit dem Wohnen im Dorf? Nicht gar zu notdürftig?«

»Herr Pfarrer, mein Häuschen ist einfach wonnig, und meine kleine Wirtschaft mein ganzer Spaß – auch ein gesundes Gegengewicht zum Schulehalten, wie mein Vater sagt.«

»Und die Einsamkeit?«

»Spüre ich nicht– noch nicht! Ich bin gern allein, lese viel und kann ja, wenn ich das Verlangen habe, auch Menschen aufsuchen, zuzeiten ist es ganz gesellig in Grünweide.«

Jetzt klopfte es wieder. Herein trat ein junger, schlanker Herr mit einem seinen bartlosen Gesicht und einer goldgefaßten Brille vor den klaren hellblauen Augen. Mit beherrschter Haltung näherte er sich dem alten Herrn; dieser aber stellte sogleich scherzend vor: »Hier also, mein lieber Langreuther, sehen Sie Ihren neuesten Kollegen, Froben mit Namen, aber kein alter Haudegen, wie jener zur Zeit des Großen Kurfürsten, sondern – na, Sie sehen schon! Und nun, meine lieben jungen Leutchen, kramt eure Schulweisheit aus und tauscht eure jungen Erfahrungen. Ich höre gern zu und störe nicht.«

Mit diesem Austausch ging es allerdings nicht so schnell vorwärts.

Der junge Lehrer war entschieden verlegen, und so sehr Marianne mit ihrer heiteren Frische sich um das Gespräch mühte, es blieb ziemlich einseitig, bis der alte Herr sich mit einem ganz neuen Thema einmischte und sagte: »Nun, es wird schon werden mit der Kollegialität, wenn der Herr Langreuther Ihnen auch erst eine junge Schulmeisterin gegenüberstellt. Ich habe nämlich schon die Papiere im Hause, die zum demnächst erfolgenden Aufgebot erforderlich sind.«

Nun lebte der junge Mann sichtlich auf, und auch Marianne ging vergnügt darauf ein, als sich das Gespräch um die Braut drehte, deren Bild Herr Langreuther mit schüchternem Eifer hervorzog. Dabei erzählte er: »Wir stammen beide aus Roggenfelde, wo die Matersens früher wohnten. Hermann und ich waren von klein auf Spielgefährten, auch die Schwestern kenne ich gut. Nur Lotte, das Nestküken, war damals noch zu klein für unsere Spiele. Aber Hermine, die jetzige Frau Werber, tat lustig mit.«

»Die ist jetzt in Grünweide zum Besuch,« sagte Marianne, und Herr Langreuther nahm das lebhaft auf.

»Oh, dann komme ich nächster Tage einmal mit meiner Braut hinüber! Darf ich dann auch Ihnen meine Aufwartung machen, gnädiges Fräulein?«

»Oh, oh –« Marianne lachte – »kommen dürfen Sie gern, aber nicht mit dieser vornehmen Anrede; die steht mir nicht zu, werter Herr Kollege.«

Des jungen Lehrers seines Gesicht rötete sich fast mädchenhaft; diese seine neue Kollegin hatte er sich auch wohl anders gedacht. Sie forderte ihn zum Schluß noch freundlich auf, einmal in ihrer Schule zuzuhören, ein wenig zu prüfen, und als er bescheiden erwiderte, das stünde ihm doch auch nicht zu, scherzte sie: »Aber warum denn nicht? Den hochwürdigen Schulrat sollen Sie ja nicht vorstellen, aber beraten müssen sich doch alle Kollegen miteinander.«

Als sich Marianne oben verabschiedet hatte, suchte sie noch die alte Haushälterin unten auf. Im blitzsauberen Staatszimmer fand sie die Kordel, die diese Aufmerksamkeit zu erwarten schien und mit trockener Würde das junge Mädchen empfing. Dem versagte dabei zum ersten Male fast die heitere Unbefangenheit diesem säuerlich steifen Wesen gegenüber, von dem Marianne nicht begriff, daß man es unter dem Einfluß des besonders liebenswürdigen Humors des prächtigen alten Herrn nicht ablegte. Abends schrieb sie über diesen Besuch in ihr Tagebuch:

»Nun ist mir erst so, als hätte ich mir die volle Berechtigung zu meiner hiesigen Arbeit geholt, seit der alte Pfarrer mir so liebreich seinen Segen dazu gab. Er heißt Treumund, und ich könnte mir keinen hübscheren Namen für ihn denken, so wohltuend fließt die Rede von diesen Lippen! Da ist Milde des Alters, aber auch ein jung gebliebener seiner Geist mit vielseitigen Interessen. Ich habe mich kein bißchen vor ihm gefürchtet, auch wenn er mir hie und da etwas auf den Zahn fühlte und schließlich eine kleine Katechese mit mir anstellte. Gern will ich ihm auch meine Schüler vorführen, wenn der alte Herr erst wieder so weit wohl ist, daß er nach Grünweide kommen kann. Ich freue mich darauf, denn meine unbeobachtete Selbständigkeit war mir fast allzu groß. Vor dem Herrn Pfarrer wird aber wohl noch der junge Amtsbruder aus Schönlanke kommen. Nein, nun bin ich gewiß nicht mehr allein mit meinen Berufsinteressen! Vorläufig aber sind noch Ferien – Kartoffelferien!«


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