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Zwölftes Kapitel: Überseeische Gäste

Villa Menkhausen, in einem der vornehmsten Vororte von Hamburg gelegen, war eben das Automobil angekurbelt, und wartend stand der Fahrer neben dem fauchenden, leise erzitternden Gefährt, bis Leonore aus dem Hause geflogen kam und mit der eiligen Weisung: »Zum Hafen!« in den Wagen sprang.

»Nein, zuerst nach dem Neuenwall,« verbesserte sie sich dann, denn Papa mußte ja aus dem Kontor abgeholt werden; ohne ihn empfing sie nicht die Amerikaner – so viel war gewiß, wenn Papa auch in diesen Tagen immer behauptete, gar keine Zeit zu haben. Heute mußte er!

Leonore hatte sich sehr schön gemacht, ein neues feines Kleid angelegt, das für Grünweide ja »ewig zu schade« gewesen wäre, ebenso wie der große Hut mit der kostbaren Feder. Heute aber galt es, einem amerikanischen Backfisch zu »imponieren«; wer konnte wissen, wie wunderbar der sich kleiden mochte? Einen schönen Strauß trug Leonore auch, um ihn Frau Rodberts zu überreichen, wenn irgend möglich mit einer kleinen englischen Ansprache.

Voller Erwartung saß Nelli, und als nur erst der Papa glücklich eingefangen war, ging es in sausender Fahrt dem Hafen zu. Herr Menkhausen sah ebenfalls angeregt und heiter aus, denn William Rodberts, den es jetzt zu empfangen galt, war nicht nur ein Geschäftsfreund, sondern der Gefährte schöner Zeiten in jüngeren Jahren. Manches hatten sie zusammen durchgemacht und genossen, besonders eine Reise in das Innere von Südamerika lebte in ihrer Erinnerung. Auch in Europa waren sie zusammen gewesen, nun aber seit Jahren nicht mehr, und so freute sich Menkhausen aufrichtig, den Freund jetzt mit Frau und Tochter in der Heimat begrüßen zu sollen.

Es dauerte keine zwei Minuten, nachdem das Automobil hielt, da hatte man die vornehmen Reisenden entdeckt, und freudig klang ein: » Hallo, my boy, there you are!« und: »Will, alter Junge, glücklich da?«

Eine rasche gegenseitige Vorstellung der Damen, dann saß man wieder im Auto, und die beiden jungen Mädchen hatten Muße, einander zu betrachten.

Leonore fühlte sich sehr eingeschüchtert, sowohl von der ungemein vornehm erscheinenden Frau Rodberts, als von ihrer Tochter, der sie doch recht freundschaftlich entgegenkommen sollte, wie Papa wünschte. Ja, wie machte man das nur dieser völlig erwachsenen Schönheit gegenüber, der sie selbst gewiß wie ein Kind erschien!

Die beiden alten Herren hatten offenbar für nichts anderes Sinn als füreinander. Immer schlug einer dem anderen auf die Schulter oder aufs Knie, und Ausrufe wie » dear boy, old chap« kehrten immer wieder.

Frau Rodberts sah müde und abgespannt aus, zwang sich aber hin und wieder zu einem anerkennenden Wort über die Umgebung. Sie war schon früher in Deutschland gewesen und bestätigte eben liebenswürdig: »Dieses Hamburg ist doch immer wieder allerliebst.«

Dieses Wort verblüffte Nelli geradezu, die sonst von Fremden an ganz andere Ausdrücke gewöhnt war. Zum mindesten fand man doch Hamburg »großartig«, und dies schien ihr auch viel bezeichnender als »allerliebst«. Sie dachte geschwind an Lotte, die es in dieser Beziehung so genau nahm, zum Beispiel die Ausdrücke »niedlich« und »süß«, mit denen die kleine Hamburgerin stets bei der Hand war, durchaus nicht überall gelten ließ. Wie sie zum Beispiel von Fräulein Froben nicht »niedlich« und »schön« sagen wollte, obwohl sie ihr doch offenbar gut gefiel! Nun – aber für die Amerikanerin würde sie den Ausdruck »eine Schönheit« gewiß angebracht finden, denn das war diese ohne Frage!

Miß Amy Rodberts war groß und schlank, hatte wundervolle Farben und sehr reiches dunkles Haar; nur das Lächeln um ihren hübschen Mund erschien etwas leer und kühl. Hin und wieder sagte sie wohl ein » splendid« oder » very nice«, aber es schien so in die Luft hineingesprochen. Leonore fühlte sich nicht dabei angeredet und empfand daher diese Fahrt als sehr ungemütlich.

Die Amerikanerin wiederum dachte: »Der richtige deutsche Backfisch, wie ich ihn wohl habe beschreiben hören! Schmal, eckig, mit Hängezopf und Sommersprossen, beängstigend still oder heimlich kichernd, wenn es eigentlich nichts zu lachen gibt!«

Endlich hielt das Automobil vor dem Hotel Continental, wo die Amerikaner sogleich die bestellten Zimmer beziehen wollten, weshalb sie ihren Besuch in der Villa Menkhausen erst für den nächsten Tag in Aussicht stellten. Ziemlich enttäuscht war darüber Fräulein Philippine von Selchow, die es kaum erwarten konnte, das Haus mit allem Glanz würdevoll zu vertreten. Aber Nelli war über den Aufschub sehr froh, denn ihre Aufgabe, auf die sie sich in ihrer Art ebenso gefreut hatte wie die Tante, schien ihr gar nicht so leicht.

»Das kommt eben davon,« murrte sie in Gedanken, »wenn die Väter nie genau Bescheid über ihre Töchter wissen! Hat der Papa nicht immer behauptet, diese Amy Rodberts müsse genau in meinem Alter, also auch ein Backfisch sein? Und nun ist es eine junge Dame von mindestens neunzehn, wenn nicht gar zwanzig Jahren!«

Als sie dann am nächsten Tage kamen, ging es doch besser, als Nelli gedacht hatte. Frau Rodberts war von der Reise ausgeruht und zeigte sich sehr entgegenkommend. Die beiden Herren, die schon im Kontor ein Stündchen unter sich verplaudert hatten, waren nun auch für allgemeine Gespräche zugänglich, und jeder von ihnen beschäftigte sich ausgiebig mit der jungen Tochter des Freundes, wobei es viel Neckerei gab. Nun taute Leonore auf, war lustig und unbefangen, und auch das gleichgültige Lächeln der schönen Amy wurde ein gut Teil wärmer.

Als man nach Tisch im Gesellschaftsraum den Kaffee genommen hatte und Miß Rodberts eben den schönen Flügel ins Auge faßte, rief ihr Vater sogleich: »Come along, my girl, give us a song.«

Ohne Ziererei setzte sich das schöne Mädchen und spielte auswendig die Begleitung eines englischen Liedes, das sie ziemlich eintönig und ausdruckslos, aber mit bemerkenswert schöner Stimme vortrug.

Leonore war überrascht und wußte nicht recht, was sie auf die Frage, ob sie auch musikalisch sei, antworten sollte. Gewiß, sie spielte Klavier wie eine wohlerzogene Pensionärin, die täglich ihre vorgeschriebene Zeit am Klavier zubringt, aber eigentlich war es ihr mehr ein notwendiges Übel, und von irgendwelchem Talent hatte auch noch nie jemand gesprochen. Trotzdem – als sie nun auf Papas Befehl eines ihrer in Genf »eingepaukten« Vortragstücke spielte, schienen die Gäste höchst befriedigt, und Miß Amy äußerte gleich ihr Vergnügen, daß man nun hübsch zusammen musizieren könnte, wenn Leonore sie freundlich begleiten würde.

Nun fühlte sich das Backfischchen etwas gehoben, denn so viel hatte es gleich heraus, daß seine Musikstücke weit »schwerer« waren als jene kleinen »songs«. Sie schienen sich nun gar nicht vom Klavier trennen zu wollen, bis Fräulein von Selchow fragte, ob »Elinor« ihrem jungen Gast nicht noch den Garten zeigen wolle, bevor es Abend würde.

Sie gingen jetzt alle hinaus, und Amy, die in Neuyork wahrlich an ein reiches, großzügiges Daheim gewöhnt war, tat der Hamburgerin den Gefallen, diesen Garten, der sich in Terrassen zum Elbufer hinunterzog, aufrichtig zu bewundern – »wenn die Elbe auch natürlich kein Hudson ist«, wie sie beiläufig einfliehen lief.

Leonore war froh, dachte aber zwischendurch: »Könnte ich ihr nur auch Grünweide zeigen!« Denn so viel stand fest: kam sie nach mehrwöchigem Aufenthalt von dort zurück, erschien ihr der Hamburger Garten unvertraut, mit seinen samtnen Rasenflächen, seinen leuchtenden Blumenbeeten, mit dem stolzen belebten Strom im Hintergrunde. Dagegen der lauschige alte Garten hinter dem schlichten weißen Herrenhause von Grünweide, wo die uralten Linden so tiefen Schatten gaben, wo mancher ungestutzte Zweig im Wege war, wo der Rasen nicht immer frisch geschoren und niemals frei von Gänseblümchen und anderem blühenden Unkraut war, und wo nicht jeder Rosenstrauch sein Namenstäfelchen trug, sondern wo noch das dichte Gebüsch alter Zentifolien wucherte! Sie sprach davon zu Amy. Diese hörte ihr sehr aufmerksam zu.

»O you have a farm?« Sie fragte auch, ob man dort viele Pferde halte, ob Leonore auch das Reiten liebe. Diese bedauerte, sagen zu müssen, daß sie als Kind zwar einen Pony besessen, aber augenblicklich kein Reitpferd habe, da sie ja noch in Genf in Pension sei und erst im nächsten Sommer heimkehre.

Während die jungen Mädchen so plaudernd durch den Garten gingen, gesellte sich nach einiger Zeit ein junger Herr zu ihnen, den Leonore als ihren Vetter vorstellte. Albert Menkhausen nahm einen der ersten Plätze im Kontor seines Onkels ein und galt für hervorragend tüchtig, so daß man sich gern gewöhnte, in ihm den Erben und Nachfolger der Firma Menkhausen zu sehen. Auch heute hatte er die Kontorstunden innegehalten und kam erst jetzt, die amerikanischen Gäste zu begrüßen, da er nicht im Hause seines Onkels lebte, sondern mit seiner Mutter ein bescheideneres Landhäuschen, auch an der Elbe gelegen, bewohnte.

»Beinahe so wie die Matersens in Grünweide,« hatte Leonore kürzlich gesagt, und dem Vetter viel von Lotte und ihrem Bruder, sowie deren Mutter erzählt.

Albert Menkhausen hatte ebenfalls viel Sinn für das Landleben und hoffte, bald einmal vom Geschäft abkommen und ein paar Tage auf dem Gut des Onkels zubringen zu können, das er noch gar nicht kannte, da er erst kürzlich nach mehrjährigem Aufenthalt in England nach Hamburg zurückgekehrt war. Nelli weissagte lustig, daß er sich gewiß sehr mit Hermann Matersen, dem Verwalter, anfreunden würde, denn sie behauptete: »Das sind so 'n paar Ernsthafte, Stille! Vetter Albert hat bei aller gerühmten Tüchtigkeit noch mancherlei andere Dinge im Kopf, als das Geschäft.«

Gerade jetzt sagte er zu der Amerikanerin: »Ich weiß nicht, Ihr Name kommt mir so bekannt vor, obwohl ich mich nicht erinnere, daß mein Onkel je vorher Ihren Vornamen genannt hat – nicht wahr, Nell?«

Die schöne Amerikanerin lachte laut. »Das hat schon mancher Deutsche mir gesagt, der Walter Scott kennt. Sie denken dann immer an Kenilworth und Amy Rodberts!«

»Richtig, das ist es,« bestätigte Albert, und Amy fuhr fort: »Die Deutschen sind ja alle so sehr Bücherfreunde – nicht wahr? – und alle, oh, fond of music! Darum bin ich gekommen nach Deutschland, Musik zu studieren. Ich will singen lernen wie eine Deutsche.«

»So?« rief Leonore überrascht aus und dachte im stillen, daß jene davon noch ziemlich weit entfernt sei, trotz ihrer großen schönen Stimme.

»Deutsche Volkslieder – you know,« fuhr Amy fort, »sind in Amerika so sehr gefragt!«

Dann wollte sie wissen, ob man in Hamburg guten Unterricht bekommen könne, und Albert antwortete an Nellis Stelle: »O gewiß! Wir haben auch hier ausgezeichnete Kräfte; aber wenn Sie eigens der Musik wegen herübergekommen sind, sollten Sie nach Leipzig gehen, Miß Rodberts. Leipzig ist das musikalische Herz von Deutschland.«

Amy lachte und funkelte mit den schwarzen Augen.

»Das ist wieder recht deutsch gesprochen! Bei uns würde man einfach sagen: ›Musical centre of the United States‹, aber hier heißt man es ›Herz‹.«

Sie lachte noch immer, und der junge Menkhausen sah etwas betreten aus. Wollte diese übermütige junge Dame deutsches Wesen lächerlich machen? Aber nein, jetzt sagte sie ganz ernsthaft: »Ich werde also gehen nach Leipzig, für diesen Winter ganz sicher, und im Sommer – ja, dann ich sehe mir einmal Ihre Farm an, Miß Elinor – wie heißt es doch?«

»Grünweide, und man nennt es hier nicht Farm, sondern Rittergut.«

»Ritter – oh, Rittergut, very nice! Aber dann man muß auch reiten auf das Rittergut!«

»Natürlich,« fiel Leonore ein, »wenn Sie uns besuchen, sollen Sie ein Pferd eingeritten finden und einen Damensattel, Miß Amy. Ich gebe dann unserem Verwalter vorher Befehl.«

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Ich weiß nicht, Ihr Name kommt mir so bekannt vor.

Unwillkürlich nahm Leonore diesen Ton an und brauchte Ausdrücke, die ihr sonst nicht eigen waren, besonders nicht im Verkehr mit Lotte Matersen. Dieser stolzen jungen Amerikanerin gegenüber, die so einfach sagte: »Ich gehe – ich tue –« suchte sie sich unwillkürlich etwas unabhängiger hinzustellen, um nicht von jener über die Achsel angesehen zu werden.

Albert belustigte sich über seine junge Base, die er wohl mitunter eigenwillig gesehen hatte, aber mehr in der Art des verzogenen Kindes, während sie jetzt entschieden der Fremden Achtung einzuflößen wünschte. Ob ihr das gelang?

Amy Robberts war jederzeit liebenswürdig zu Nelli, aber doch mehr wie eine Dame, die sich zu einem Backfischchen herabläßt. Nelli wünschte daher manches Mal, wenn nicht mit Lotte in Grünweide, so doch in Genf mit ihren Altersgenossinnen zusammen zu sein, statt hier immerfort zu Diensten der schönen Amerikanerin, die sie doch in allem übersah. Nein, das war auf die Dauer kein Vergnügen! Nur gut, daß Vetter Albert sehr häufig den Ritter machte, bei Dampferfahrten, Stadtbesichtigung und so weiter – Albert mit seinem tadellosen Englisch und seiner genauen Kenntnis von allem, was in Hamburg rühmenswert ist.

Ja, bequem war das wohl für Leonore, aber langweilig machte es die Sache erst recht. Denn immer dabeistehen und hinterherlaufen, wenn die Fremde aufmerksam gemacht und belehrt wurde, die doch gewöhnlich gleich ein »In Amerika ist das so« bei der Hand hatte, den Hudson stets über die Elbe stellte und als höchstes Lob nur ein gütiges » very nice« hatte: das war nichts für Leonore! Oft dachte sie dabei: »Wenn ich nur erst mal dies alles meiner Lotte zeigen könnte! Die würde sich freuen, und das wird ein anderes Vergnügen sein. Lotte – die inzwischen auch Fremdenführerin spielt bei einer jungen Dame.«


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