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Drittes Kapitel: Gestörte Freundschaft

Ein trüber Regentag folgte der Ankunft der Gutsherrschaft. Verwalter Matersen begrüßte ihn mit Freude, obwohl er ein augenblickliches Hindernis in der Ernte bedeutete. Gar zu trocken war draußen alles, so daß bei der Gewitterneigung dieser Zeit immer die Gefahr eines neuen Brandes vorlag. Wer sich aber an diesem Morgen nicht freute, das war Leonore Menkhausen. Regenzeit auf dem Lande, damit hatte sie eigentlich nicht gerechnet, wenn sie ihre fröhlichen Ferienpläne spann. Das konnte ja recht langweilig werden! Besonders wenn das so weiterging, daß Lotte Matersen unsichtbar blieb! Länger konnte man ihr das wirklich nicht hingehen lassen. Wenn sie schon so unhöflich war, die Herrschaft beim Empfang gar nicht zu begrüßen, wie es sich doch für des Verwalters Schwester gehörte, dann –

Leonore warf trotzig den Kopf auf. Aber dem zögernden »dann« folgte doch kein anderer Nachsatz als: »Ach was! Dann muß eben ich ihr nachlaufen! Kann ich das? Schickt sich das? Würde Tante Pine das gutheißen? Ei was! Man fragt nicht lange, sondern tut, was man nicht lassen kann, und hält aus, was danach kommt. Papa erlaubt es sicher.«

So weit in ihren Gedanken angelangt, sprang Leonore vom Frühstückstisch auf, wo sie recht spät ihren Kaffee getrunken hatte, und lief davon, des Rufes der Tante: »Wohin in dem Regen?« nicht achtend. Der Regen machte nichts aus für den kleinen Weg zum Verwalterhause. Hoffentlich war Lotte allein! Ihren Bruder hätte sie jetzt nicht gerne getroffen; sie schämte sich ein bißchen wegen gestern.

Sie hatte Glück. Im Wohnzimmer saß Lotte allein, allerdings am großen Schreibtisch des Verwalters arbeitend; aber das half nicht, da mußte man sie eben stören! Angeklopft wurde nicht, sondern rasch die Stubentür aufgerissen, hinter die Schreibende getreten, eine Hand ihr über die Augen gelegt und mit verstellter Stimme gerufen: »Charlotte Matersen, wenn du unsichtbar sein willst, brauchst du auch nicht zu sehen, wer hier einbricht.«

Über Lottes Gesicht war ein kleiner Freudenschein gehuscht, als sie die Freundin erkannte; aber dann antwortete sie doch steif: »Fräulein Leonore, ich bitte um Entschuldigung, daß ich beim Empfang fehlte; ich hatte zu tun.«

Da rief das kleine Gutsfräulein schier entrüstet: »Lotte Matersen, bist du eigentlich nicht recht klug? Wie sprichst du mit mir?«

Lotte beharrte in ihrer Haltung.

»Man kann nie wissen, was in zwei Jahren sich verändert hat,« sagte sie. »Solcher Begrüßung, wie sie gestern meinem Bruder zuteil wurde, wollte ich mich nicht aussetzen.«

Nelli wurde rot, aber rief ungestüm: »Ach geh, Lotte, sei doch nicht soo!«

Jetzt fuhr die andere herum, mit blitzenden Augen.

»Natürlich bin ich soo, wenn du meinen Bruder soo behandelst!«

Leonore errötete stärker und stand einen Augenblick ratlos.

»Was tat er dir?« fuhr Lotte erregt fort.

»Mir? Ach, nichts, aber die Leute sagen und diese schreckliche Tante Pine –«

Lottes hübsches bräunliches Gesicht klärte sich ein wenig, aber es klang doch noch streng, als sie fortfuhr: »Mußt du denn darauf hören, Neil? Will dein Vater das haben?«

»Ach bewahre, nein! Nun laß doch nur – frag mich nicht aus wie ein Untersuchungsrichter!«

Dies Wort weckte in Lotte peinliche Vorstellungen; ihre Miene sank und sie sagte kleinlaut: »Ach Nell, hier ist jetzt alles so schrecklich, und nun kommst du auch noch und machst einem das Leben schwer! Das hatte ich mir anders gedacht, als ich mich so auf dich freute. Aber Hermann warnte mich schon, es könnte jetzt manches anders werden.«

»Das hat er gesagt, dein Bruder?« und »Sollte er doch ein schlechtes Gewissen haben?« fuhr es blitzschnell durch den Kindskopf. Aber schon antwortete Lotte: »Nun, er meinte natürlich, du seiest jetzt wahrscheinlich zu vornehm geworden; in der seinen Pension hättest du wohl andere Freundinnen gefunden.«

»Teepott!« sagte Nelli verächtlich.

An diesem Ausdruck erkannte Lotte die Freundin wieder und lachte erleichtert. Hatten sie doch beide immer eine Vorliebe für solche Ausdrücke, oft auch noch stärkere, gehabt, die der Tante Pine auf die Nerven fielen. Auch Nelli lachte und erzählte, wie man sich in der Pension über diese Bezeichnung gewundert habe, und wie sie den Engländerinnen erklären sollte, was denn ein » teapot« mit Zorn und Verachtung zu tun habe? »Das konnte ich natürlich nicht,« sprudelte Nelli, »aber das ist ja auch nicht nötig; solche Ausdrücke sind doch nur für Eingeweihte! Übrigens bist du recht verbohrt, daß du mir noch keinen Stuhl angeboten hast.«

Damit schwang sich das Fräulein auf den großen Schreibtisch und saß in kecker Haltung, mit den Füßen baumelnd, als plötzlich der junge Verwalter eintrat. Augenblicklich sprang Nelli herab mit dem Ruf: »Oh, entschuldigen Sie, Herr Matersen, Ihr geheiligter Schreibtisch!«

»Wenn Sie nur mit Ihrem weißen Kleid nicht der Tinte zu nahe kommen, gnädiges Fräulein; dann macht es ja weiter nichts. Lotte, hast du die Papiere sicher beiseite getan?«

»Verschlossen,« antwortete sie bestimmt, und auf ihrem Gesicht stand fast dieser selbe Ausdruck, als Nelli fragte: »Was schreibst du da überhaupt, wobei ich dich gestört habe? Schularbeiten waren das doch nicht.«

»Meine Schwester fertigt einige Abschriften für mich,« sagte Hermann Matersen, und damit mußte sich Leonore begnügen, obgleich ihre Neugier sich regte, denn natürlich hingen diese Schreibereien wieder mit »jenen Geschichten« zusammen. Hm, eigentlich – wenn sie ehrlich war, nahm sie ein gewisses grauliches Interesse an den »Geschichten«. Verhöre und Gerichtsverhandlungen – das klang so spannend! Aber gegen Lotte durfte sie sich das nicht merken lassen; die verstand keinen Spaß in der Sache, wie sie eben gesehen hatte.

»Laß nur jetzt die Schreiberei, Lotte,« sagte Hermann, »und geh mit Fräulein Menkhausen!«

Diese machte eine kleine schelmische Schmollmiene. »Früher hieß ich ›Nell‹, Herr Matersen.«

»Früher.« wiederholte dieser ernsthaft, »aber aus Kindern werden Leute. Sie sind sehr gewachsen, gnädiges Fräulein, völlig Dame geworden.«

»Find' ich gar nicht,« eiferte Lotte und stellte sich neben die Freundin; »ist sie überhaupt viel größer als ich? 'nen Fingerbreit doch höchstens.«

Bild

Sie sind inzwischen sehr gewachsen, gnädiges Fräulein

»Die paar Zentimeter tun es nicht, Lotte.«

»Ach so, du meinst den Aufenthalt in der Pension?« Dann in lautem Flüsterton weiter: »Na, ich kann dir sagen, Hermann: das mit der gezierten Vornehmheit ist auch noch nicht weit her – nicht wahr, Teepott?«

Schalkhaft blinzelte sie der Freundin zu, und diese fühlte sich wieder im Gleichgewicht.

Frau Matersen trat jetzt ein und sah mit inniger Freude, wie die beiden Mädchen in altgewohnter Eintracht miteinander umgingen; sie machte also keine Anstalten, »gnädiges Fräulein« zu sagen, wie sie sich tags vorher vorgenommen, sondern fragte vertraulich: »Nelli, soll ich heute wohl Waffeln backen lassen zum Kaffee oder Kranzkuchen?«

»Waffeln,« entschied Nelli ohne Besinnen, »und nicht zu wenig, in der bewußten Form, Frau Matersen.« Dann heimlich zu Lotte: »Wenn erst die braunen Herzen erscheinen, wird es hoffentlich wieder gemütlicher – wollen mal sagen: herzlicher!«

Dabei faßte sie die Freundin um und zog sie hinaus.

»Aber was fängt man heute an?« rief sie dabei. »Dieser Regen ist ja einfach schauderhaft!«

»Es klärt schon auf, gnädiges Fräulein,« rief der Verwalter, in die Tür tretend. »Da es aber zum Einfahren für heute doch zu naß ist, dürfen Sie nur befehlen, wenn Sie zu einer Fahrt Pferde haben möchten.«

»Danke, Herr Matersen; ich will es mir überlegen.«

Sie hatten nun den ganzen Vormittag für sich, die beiden Mädchen, liefen durch den Park, bis sich der letzte Regen verzog, und dann weiter hinaus in die Wiese. Leonore beklagte, daß dort nicht gerade Heuhaufen ständen, in denen sie so gern mal wieder lagern möchte; aber Lotte schalt: »Weißt du denn noch immer nicht, daß zur Zeit der Kornernte kein Heu auf den Wiesen zu finden ist? Man kann doch nicht alles zugleich haben!«

»Ach so – na, und ich will gerade eine Landwirtin werden,« fiel Leonore ein. »Ich habe es gestern schon der Tante Pine angekündigt, daß sie künftig gar nicht mehr das Opfer zu bringen braucht, statt ins Seebad zu gehen, mit nach Grünweide zu kommen. Sie mag hier doch mal nicht sein und stört bloß anderen Leuten das Vergnügen.«

Mit diesen anderen Leuten meinte sie natürlich nur sich, weil ihr die Ermahnungen und Anstandsregeln der Tante in den Ferien recht lästig erschienen, aber sie fand auch außerdem, daß ihr Vater die Hausdame hier auf dem Lande wohl entbehren könnte, wenn er eben eine tüchtige, umsichtige Hilfe und Gesellschaft in seiner Tochter hätte. Also – wie fing man es an, dies möglichst bald zu werden? Etwas plötzlich, wie ihr Lieblingsausdruck lautete!

Lotte Matersen lachte dazu und sagte, ihr Bruder habe schon von Nellis Plänen erzählt, daß diese künftig sogar die Außenwirtschaft im Auge behalten wolle.

»Du meinst wohl,« fügte sie mit ein klein wenig Spott hinzu, »du kannst künftig Feuer- und andere Schäden verhüten, Nell?«

»Na, wenn auch das nicht, aber wenn mal wieder was geschieht, dann kann man ja künftig mich einsperren statt deines Bruders!«

»Sprich doch nicht so leichtsinnig ins Blaue, Nell – ich kann es wirklich nicht hören,« entgegnete Lotte Matersen voll Ernst.


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