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Sechzehntes Kapitel: Kartoffelferien

Septembersonne lag über Grünweide, da war es auf dem Gutshofe lebendig geworden. Die Tür des alten Herrenhauses stand weit geöffnet, um die letzte sommerwarme Luft in die sonst verschlossenen Räume zu lassen.

In allen Gastzimmern wurde ausgepackt, geplaudert und geplant, wie man diese schönen Herbsttage auf jede Weise genießen wollte. Leonore war voll liebenswürdigen Eifers, ihre Gäste zu bedienen und für ihr Vergnügen zu sorgen, und mehr noch als Vetter Albert, der ja dies alles erst kennen lernte, mußte Verwalter Matersen ihr behilflich sein, daß die Gäste nicht zu kurz kamen.

Mit kameradschaftlichem Handschlag hatte sie diesmal Hermann begrüßt und ihn gleich vorbereitet, daß nun wohl das oberste zu unterst gekehrt würde.

»Machen Sie sich auf allerlei gefaßt,« sagte sie. Hoffentlich kann man auch öfter einmal über die Pferde verfügen. Ist alles Sattelzeug in Ordnung?«

Überall war nun reges Leben, Reitpferde wurden vorgeführt, die kleinen Pirschwagen angespannt, und von den Tennisplätzen erklangen die Spielrufe. Die Bälle flogen über das Netz, und die Dorfjungen drängten sich eifrig zu dem Geschäft des Einsammelns, wobei sie mit Staunen die feinen Herren in Hemdärmeln und die Damen in weißen, absatzlosen Schuhen herumspringen sahen.

Amy Rodberts schien hier alles sehr gut zu gefallen. Als einmal Nachbarbesuch zu Tisch da war, sagte sie zu einem der jungen Herren: »Oh, I see, ein Ridderfarm ist ein gutes Ding, und es ist so klug von Miß Elinor, daß sie will ganz hier wohnen – ist es nicht?«

»Wie, Leonore,« fragte jemand, »will Ihr Herr Vater aufs Gut ziehen? Das wäre ja herrlich für die Nachbarschaft!«

Aber Leonore wehrte: »Ach, Papa doch nicht! Der trennt sich so leicht nicht vom Geschäft. Aber ich denke für später daran, wenn ich erst gründlich die Gutswirtschaft gelernt habe.«

»Himmel, und dann wollen Sie hier wirtschaften,« rief das ältere Fräulein von Dahlen entsetzt. »Gänse schlachten und Wurst stopfen – und was dergleichen ländliche Freuden mehr sind, denen unsereins so gern von Zeit zu Zeit entflieht!? Miß Rodberts, was sagen Sie dazu?«

Aber das verstand diese gar nicht. Das Schönste für die Amerikanerin war, hier reiten zu lernen. Gute Pferde und eifrige Lehrmeister waren ja zur Stelle; so meinte sie, der Begriff Rittergut käme erst durch sie recht zur Geltung. Die Hamburgerinnen suchten sich andere Vergnügungen. Alice schwärmte für Waldspaziergänge zu zweien, was ihr ein bisher ungekanntes Unternehmen war. Edda aber, die feine Edda, war wie ein Kind für den Obstgarten begeistert. Pflaumenschütteln und Schmausen war ihr eine Wonne, und selbst zum Sammeln des Fallobstes ließ sie sich herbei; sie trug es sogar zu Frau Matersen in die Vorratskammern und versuchte kleine wirtschaftliche Gespräche anzuknüpfen. Das entlockte der alten Frau allerdings nur ein nachsichtiges Lächeln, denn sie fühlte ja heraus, daß bloß Neugier dahintersteckte, kein so wahres Interesse, wie bei der guten Nell, die sich in letzter Zeit so auffallend entwickelt hatte, gerade in dieser Richtung, die Frau Matersen so gut beurteilen konnte.

Ihre Lotte natürlich war jetzt auch immer zwischen den jungen Gästen des Herrenhauses, und manchmal fürchtete die Mutter, daß sie dadurch recht verwöhnt würde. Lieb dagegen war es ihr immer, wenn sie auch jetzt das Schulhäuschen nicht vergaß und treu zu Fräulein Froben hielt.

In der Schule ging es schon seit einiger Zeit ebenfalls unruhiger zu als sonst, denn die Ferien waren in Sicht. Fräulein Froben ließ jetzt lernen:

»Bunt sind schon die Wälder,
Kahl die Stoppelfelder,
Und der Herbst beginnt!«

Eben hatte Anning Kasten dies aufgesagt, mit ihrer hellen, freundlichen Stimme, von der die Verse in der Klasse immer am hübschesten klangen. Dann sprach man ohne Verse über den Herbst weiter; es waren die Kartoffeln, denen sich das Hauptinteresse zuwandte.

»Wenn sie doch recht groß ausfallen wollten,« wünschte der kleine Christian Thielke altklug. »Vorig Jahr, da waren sie so klein wie Haselnüsse; da konnt' man grabbeln und grabbeln und bracht' doch nichts nach Haus. Aber wenn sie dies Jahr recht lohnen, Fräulein, dann machen wir Ihnen ordentlich 'ne Kartoffelmiete im Garten.«

Marianne meinte zwar, sie würde gewiß die Ernte im Keller unterbringen können; aber sie tat den Kindern doch den Gefallen, recht auf die Sache einzugehen. Alle Kinder wurden zum Helfen geladen, und sie versprach ihnen als Tagelohn einen Schmaus von Kartoffelpfannkuchen, welche Aussicht natürlich hellen Jubel hervorrief.

Dann wurde die Schule geschlossen, und auch die junge Lehrerin dehnte wohlig ihre Glieder im Gefühl der Freiheit, als sie ihrer entlassenen Schar nachsah.

Nun begann sie gleich einen Brief an ihre Mutter:

»Liebste Mama, die Kartoffelferien haben begonnen. Erschrick nur nicht über dies Wort, das Dir vielleicht wieder gar zu ländlich-sittlich klingt! Es heißt nun einmal so bei uns auf dem Dorf. Die Kartoffelernte spielt eben eine so große Rolle, daß ihretwegen die Ferien doppelt so lang dauern wie in der Stadt. Vierzehn Tage! Die Hilfe der Kinder ist bei diesem Geschäft nötig, und es ist ihnen ein solches Vergnügen, daß sie ebenso wichtig und verständig davon sprechen wie die Alten. Auch mein Kartoffelland wird täglich umkreist, hie und da auch eine Staude gelockert, um zu sehen, ob sie gut angesetzt hat, und ich werde belehrt, wieviel ich etwa ernten kann. Wenn es sehr lohnt, kann ich vielleicht euch etwas zum Wintervorrat abgeben!! Aber nun genug davon! Sonst denkst Du, ich gehe ganz in prosaischen Dingen unter, und Du verlierst am Ende die Lust, Deine Tochter hier zu besuchen. O nein, Mutterchen, gib das nicht auf! Ich verspreche Dir auch anderes als solche Kartoffelspäße. Es ist hier in Grünweide jetzt sehr belebt und unterhaltlich. Das alte Herrenhaus ist voll Besuch, und endlich habe ich nun auch das junge Fräulein Menkhausen kennen gelernt, von der mir Lotte Matersen schon so viel erzählt hat. Die beiden jungen Mädchen kamen gleich am ersten Tage zu mir, und Fräulein Leonore sprach es wiederholt freundlich aus, daß ich in den Ferien öfter ihr Gast sein müßte. Also Mutterchen, von Versauern und Verbauern, wovor Du für Deine Tochter immer ein klein bißchen Angst hast, kann gar nicht die Rede sein! Ich bitte Dich sogar, mir noch irgendein nettes Kleid zu besorgen – die Schneiderin wird mein Maß wohl noch haben – nicht gerade für Gesellschaftsabende – das verlangt man gewiß nicht von mir, aber was Helles, Niedliches, womit ich ›zu Hofe‹ gehen kann, wie wir hier im Scherz sagen. Bisher bin ich mit allem sehr gut ausgekommen und freue mich auf mein grünes Lodenkostüm, das mir in diesen Herbsttagen gute Dienste leisten wird.

Ich muß auch noch andere Besuche machen, als auf dem Hof, denn – denke Dir – gestern bekam ich einen Brief aus dem Nachbarort Langendorf, wo der alte Pfarrer wohnt, zu dessen Bezirk auch Grünweide gehört. Ich hatte ihn ja noch immer nicht kennen gelernt, weil der alte Herr nach einem sehr heftigen Gichtanfall ins Bad geschickt wurde und über fünf Wochen fern war. Kollegen aus den Nachbardörfern oder aus der Stadt haben ihn so lange vertreten. Wir hatten jeden Sonntag einen anderen Redner auf der Kanzel, aber kennen gelernt habe ich niemand von den Herren, und ich schrieb Dir schon, daß ich es doch sehr entbehrte, gar keinen Berater im Amt und gar keinen Seelsorger in diesem meinem neuen Lebensabschnitt zu haben. Nun hörte ich dieser Tage im Dorf, Pfarrer Treumund sei zurückgekehrt, allerdings vorläufig noch sehr angegriffen von der langen Reise, so daß ich mich darauf gefaßt machte, noch länger auf diese Bekanntschaft, diesen ersehnten Anhalt warten zu müssen. Da beglückte mich nun sehr jener Brief mit der altmodischen, schwer leserlichen Gelehrtenschrift, aus dem so viel Güte und herzliches Interesse zu der fremden jungen Dorfschulmeisterin spricht und – außer dem ernsten priesterlichen Ton – ein wundervoll seiner Humor, der mir so viel Vertrauen gibt. Er lädt mich gleich zu Kaffee und Kuchen ein und kündigt an, daß seine alte Kordula eine berühmte Künstlerin in beiden Dingen sei. Wenn ich also nicht über solch harmlose Genüsse erhaben wäre, sollte ich ihm doch bald die Freude machen und kommen.

›Ich höre,‹ schreibt er noch, ›Sie sind ein freundliches junges Wesen trotz der großen Würde: also wird es Ihnen nicht zu schwer fallen, den ersten Schritt zu tun zu dem alten kranken Mann im Lehnstuhl!‹

Ich gehe natürlich schon morgen, Mama, und Du kannst Dir denken, wie wichtig mir dieser Besuch ist. Und da ich dann übermorgen zu Fräulein Leonores Geburtstag erscheinen soll, möchte ich beinahe sagen: Liebe Mama, komm Du nicht vor nächster Woche! Du kannst mich doch nicht falsch verstehen, nicht wahr? Sieh, ich freue mich natürlich unbeschreiblich auf Dein Hiersein, aber ich will doch auch recht schön Zeit für Dich haben! Und Du weißt ja: ›Lebe dem Nächsten zuerst‹ und so weiter. Wenn nun das ›Nächste‹ für mich scheinbar Besuche und gesellige Vergnügungen sind, so wirst Du darum nicht denken, Deine Marianne zieht die Fremden Dir vor. Wenn unsere Gutsherrschaft mich zum ersten Male in ihren Kreis holen will, so bin ich ihr verpflichtet, nicht wahr? Oder sollte ich den kränklichen alten Pfarrei warten lassen? Dann kommt noch die Kartoffelernte – und dann ist ganz für Dich da

Deine Marianne.«


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