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XXIV.

Das Verschwinden Elisabeths aus der Gesellschaft hatte natürlich großes Aufsehen erregt. Es war ein Loch entstanden, das niemand ausfüllen konnte. Daß auch Pertz unsichtbar geworden war, erregte anfänglich Staunen, dann allerlei Kommentare, die Stephan mit höchster Wut erfüllten. Er konnte es sich nicht mehr verheimlichen, daß er eifersüchtig auf den Onkel war, regelrecht eifersüchtig. Obwohl er sich doch sagen mußte, daß gerade er das geringste Recht dazu hatte. Die Wut biß in ihm, nagte in ihm – – kaum, daß er sich so weit beherrschen konnte, um seinen Hausherrnpflichten zu genügen.

Am nächsten Morgen jagte er zum Edthof hinüber.

»Ja – ja, die gnädige Frau ist nicht zu Hause«, sagte Marie. »Ist sie denn nicht drüben bei Ihnen geblieben, Herr Graf?«

Er trieb sich den ganzen Vormittag über im Tal herum. Ritt bis nach Leiten, forschte vorsichtig hie und da in Molln – nichts zu erfahren. Elisabeth war wie in den Erdboden verschwunden. Er kam nach Rottenstein zurück. Dort sah er nur ein rätselhaftes Lächeln auf den Lippen Dame Ursulas, die ihn vollends aus dem Gleichgewicht brachte, als sie in ihrer mütterlichen Gelassenheit fragte:

»Warum bist du denn so besorgt um Frau Worth? Sie ist doch erwachsen genug, und, soviel ich weiß, ist sie weder deine Schwester noch deine Frau. Also?«

Das sagte sich Stephan ja auch. Aber die Wut, die Eifersucht saßen doch in ihm.

»Du tätest besser, dich um Fräulein Dazkovic zu kümmern; sie hat mir heute morgen erklärt, sie reist am Nachmittag nach Wien zurück. Definitiv, Stephan!«

Er wußte keine Antwort darauf. Mußte sich ja sagen, daß nach seinem Benehmen das nicht anders zu erwarten war. Jetzt ging ein vollständiges Chaos in seinen Gefühlen los. Scham, Demütigung, Selbstvorwürfe stritten mit seiner Eifersucht.

»Was soll ich tun?« schrie er.

Seine Tante legte ihm die Hand auf den Arm.

»Vor allen Dingen beruhige dich! Wenn du ruhig bist, dann gehe hinauf zu ihr und sprich mit ihr! Das ist doch das mindeste, was du dem Mädchen schuldig bist!«

Ruhig werden! Ursula hatte leicht reden! Er lief im Zimmer auf und ab, preßte die Fäuste gegen die Stirn und kam zu keinem Entschluß.

»Sie ist mit Pertz durchgegangen!« knirschte er. »Mich hat sie zum Narren gehalten, so lange, bis er gekommen ist!«

Dieser Gedanke war natürlich nicht dazu geeignet, seine Seele in das nötige Gleichgewicht zu bringen.

»Ich muß Klarheit haben!«

Und er ritt abermals zum Edthof hinüber. Da bekam er denn die gewünschte Klarheit. Denn er fand seinen Onkel Hubert in demselben schönen Empiresalon sitzen, den er Elisabeth verschafft hatte. Behaglich, mit der Miene eines Mannes, der sich ganz zu Hause fühlt, saß Pertz da. Lachte ihm vergnügt entgegen.

»Wo ist Frau Worth?« schrie Stephan.

Hubert Pertz sah ihn gemächlich an, ohne ihm Zunächst zu antworten. Kalt und hart waren seine Augen, höhnisch sein Mund.

»Möchtest du mir nicht erklären,« sagte er nach beendeter Musterung, »mit welchem Recht du mich so anschreist?«

Stephan hatte jetzt wenigstens einen Mann vor sich, einen Mann zwar, vor dem er Respekt hatte, wie vor niemand anderem auf der Erde, aber immerhin einen Mann.

»Das ist gleich«, knirschte er zurück. »Du bist gestern mit ihr davongefahren, und ich will wissen, wo sie ist. Ich bin ihr Freund und fühle mich verpflichtet, ihren Ruf und ihre Ehre zu verteidigen!«

»Ich werde dir etwas sagen, mein Junge«, erklärte Hubert Pertz. Es war sogar etwas wie eine feierliche Erklärung. Denn er stand dazu auf und stellte sich, die Hände in den Hosentaschen, vor Stephan hin. »Ich weiß nicht, wieso es gekommen ist, daß du den Kopf verloren hast. Um dich davor zu bewahren, auch noch deinen Ruf als anständigen Menschen zu verlieren, habe ich Frau Worth gestern abend eingeladen, mit mir einen kleinen Ausflug zu unternehmen. Von diesem Ausflug wird sie zurückkehren, sobald du zur Vernunft gekommen bist. Laß mich ausreden! Im übrigen diene dir zur Kenntnis, daß Frau Elisabeth Worth für dich ein für allemal unerreichbar bleibt. Sie heißt nicht Worth – das ist ihr Mädchenname. Sie ist Gräfin Antzey und die Frau deines Bruders Leopold!«

Der Schlag traf Stephan wie ein Keulenhieb auf den Kopf. Er prallte förmlich unter ihm zurück, starrte mit weit aufgerissenen Augen Hubert Pertz an. Seine Lippen versuchten, Worte zu bilden, aber sie blieben unhörbar – – –

Der andere fuhr mit derselben kalten, mitleidslosen Stimme fort:

»Leopold hat an ihr gehandelt, wie nur ein feiger und gemeiner Schurke handeln kann. Ich glaube zu verstehen, was sie hierhergetrieben hat. Irgend so ein dunkler Wunsch, sich an uns zu rächen. Vielleicht verstehst du das auch, und vielleicht verstehst du darüber hinaus, was du jetzt zu tun hast.«

Stephan reckte sich auf. So wollte er denn doch nicht mit sich sprechen lassen – sein Onkel war indessen nicht der Mann danach, sich von seinem einmal gefaßten Vorhaben abbringen zu lassen. Er hatte ein glühendes Eisen in der Hand und brannte die Wunde aus, vollständig, ohne Erbarmen.

»Wenn man dabei ist, sich zum Narren zu machen, so muß man es sich gefallen lassen, daß einem der Kopf wieder eingerenkt wird. Das tut weh, aber ich kann dir nicht helfen. Die Sorgen um die Frau deines Bruders nehme ich dir ab.«

Die Blicke der beiden Männer stießen aneinander. Sie rangen um die Frau – – der Aeltere, der Stärkere, blieb Sieger. Stephan beugte den Kopf, schritt hinaus, schwang sich auf sein Pferd und ritt nach Rottenstein zurück. Das Ausbrennen hatte weh getan, schmerzte noch und würde wohl lange schmerzen. Aber – er hatte die Klarheit, die er hatte haben wollen. Er setzte sich im Sattel zurecht und biß energisch die Zähne aufeinander – – –

Als er in Rottenstein einritt, suchte er sofort Helene auf. Er fand sie in ihren Zimmern, gerade damit beschäftigt, ihren großen Koffer zu schließen.

»Helene,« sagte er, »ich war ein Narr oder, wenn Sie wollen, ich war krank. Habe ein Fieber gehabt. Aber ich bin gesund geworden. Ganz gesund. Wollen Sie mir das glauben und vertrauen?«

Ihre Antwort auf diese Frage war so weiblich, wie sie weiblicher nicht sein konnte. Sie kniete vor ihrem Koffer und arbeitete mit den Schlüsseln herum. Sie schaute nicht auf, während er sprach. Beugte sich nur noch tiefer, doch als sie fertig war, ließ sie den Kopf auf den Koffer sinken und begann zu weinen. Er zog sie zu sich empor, und sie weinte sich an seiner Brust den Rest des Schmerzes ganz herunter. Weinte so lange, bis die Tränen hinter einem Lächeln der Glückseligkeit verschwanden.

Dann half er ihr, den Koffer wieder auszupacken.

*

Hubert Pertz fuhr mit den Sachen, die ihm Marie nach Weisung Elisabeths gegeben hatte, zurück. Er nahm den Weg durch Molln, da er vom Edthof aus kürzer war, und hielt am Forsthaus an, das am Rande des Waldes lag. Es schoß ihm plötzlich der Gedanke durch den Kopf, Elisabeth anzutelephonieren. Ihr zu sagen, daß er bereits auf dem Heimweg wäre. Irgend etwas in ihm verlangte auf einmal, ihre Stimme zu hören, diese weiche, sonore Frauenstimme.

Poser, der Förster, war nicht zu Hause, doch seine junge Frau kam mit ihrem Baby auf dem Arm an den Wagen heran.

»Ich möchte einmal telephonieren, Frau Poser«, sagte Pertz. »Bitte halten Sie mir inzwischen die Pferde!«

Die Frau tat, wie geheißen, und Pertz sprang vom Bock.

Ein vierjähriger Bub, pausbäckig, flachshaarig, kam aus dem Gemüsegarten gelaufen, drängte sich an den Rock der Mutter und äugte, mit dem Finger im Mund, den fremden Herrn an. Pertz lachte und streichelte den Buben. Er hatte Pate bei ihm gestanden.

»Wird ein Prachtkerl«, sagte er und hob den kleinen Burschen hoch in die Höh. Der strampelte und jauchzte vergnügt.

Im selben Moment schrillte drinnen im Hause eine Glocke.

»Das ist das Telephon!« rief die Försterin und schaute erstaunt zum Haus. Blieb aber stehen und drehte sich wieder zu Pertz zurück, als müsse der wissen, wer am Telephon war.

»Wer kann denn das sein?«

»So gehen Sie doch hinein, Frau Poser, dann werden Sie es gleich hören!«

Die Frau lief ins Haus. Pertz folgte ihr langsamer, ihren Buben noch immer an der Hand. Das Telephon war gleich an der Eingangstür angebracht, und Pertz sah, als er näherkam, daß die Försterin ein völlig überraschtes Gesicht machte.

»Herr Pertz, eine Dame ist am Telephon« stammelte sie, »will Sie sprechen – ich versteh' nicht – – –«

Weiter kam sie nicht. Pertz hatte ihr den Hörer aus der Hand gerissen – –

»Hier Pertz«, rief er in den Apparat.

In der nächsten Minute gefror sein Blut zu Eis. Elisabeth war's. Elisabeth in höchster Not augenscheinlich – – –

»Herr Pertz, kommen Sie – rasch – ich – –«

Dann hörte er einen Schrei am Telephon, hörte eine Männerstimme undeutlich, aber drohend und brutal. Hörte den Lärm, wie wenn zwei Menschen rangen – – einen Schlag – nichts mehr. Er wußte sofort, was geschehen war. Der Mann drüben hatte den Telephonapparat abgerissen. Er rannte hinaus, sprang auf den Wagen.

»Ihr Mann,« schrie er der ganz fassungslosen Försterin zu, »soll sofort mit dem Gendarm hinaufkommen zur Hütte am Predigtstuhl.«

Und fort jagte er. Hinauf in den Wald.


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