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I.

»Gnädige Frau, das Auto ist da!«

Elisabeth lief noch einmal rasch durch die Wohnung, um sich zu vergewissern, daß sie nichts vergessen hatte. Viel war es ja überhaupt nicht, was sie mitnahm. Alles, was zu dieser Wohnung gehörte, was sie an das Leben in ihr erinnern mußte, ließ sie zurück. Wie sie so in der letzten Minute mit flüchtigen Augen die Zimmer durchflog, überschwemmte ihre Seele, zum Abschied gleichsam, der ganze Ekel der in diesen Räumen verlorengegangenen Jahre. Unordentlich die Zimmer, die Kästen offen – im Schlafzimmer Betten, Wäsche, Kleider, alles wirr durcheinander – grauenhaft! Sie glaubte noch in der Luft den schalen Geruch zu spüren, den die ausgehenden Zigaretten ihres Mannes zurückzulassen pflegten. – – –

Gott sei Dank – fort – fort!

Sie nahm ihre Handtasche. Warf den dichten Schleier übers Gesicht. Lief die Treppen hinunter; das Mädchen keuchte hinter ihr drein, indem es den Koffer über die Stufen zerrte. Es war ein gutes Mädchen, ehrlich und der Frau anhänglich. Es hatte gesehen und miterlebt. Sein primitiver, keine Nuancen kennender Erdinstinkt trieb es auf die Seite der Frau. Gegen den Mann. Es freute sich, daß Elisabeth jetzt fort konnte. Frei wurde – – –

Die junge Frau war bereits am Tor. Riß es auf. Im selben Moment fuhr hinter dem auf sie wartenden Wagen ein anderes Auto heran. Ein mittelgroßer, schlank gebauter Mann sprang heraus, warf den Schlag zu und eilte zum Eingang, an dem er mit Elisabeth zusammenprallte. Die Handtasche fiel zu Boden, und mit einer dumpf gemurmelten Entschuldigung bückte er sich, um sie aufzuheben. Er sah sie dabei nicht an, hielt ihr nur die Tasche hin und öffnete die Haustür, die inzwischen wieder zugefallen war. Es war ein Mann Anfang der Vierzig, mit einem schmalen, mageren Gesicht. Ein energisches Gesicht, nicht schön, aber gebräunt, klug – das Gesicht eines Mannes, der zu kämpfen gewohnt ist, eines Soldaten oder eines Seemannes oder eines Forschers. Durch ihren Schleier hindurch sah Elisabeth das alles in der einen Sekunde, da sie ihn anblickte, um ihm zu danken. Merkwürdig harte, graue Augen in diesem dunklen Gesicht. – – –

Sie trat auf die Straße. Der fremde Mann ging zum Treppenhaus, ohne sie weiter zu beachten. Sie erinnerte sich und hielt dem Mädchen, das mit dem Koffer herankam, die Tür offen. Der Chauffeur sprang vom Auto herab, hob das Gepäck auf das Verdeck, und Elisabeth stieg in den Wagen. Ein letzter Händedruck – dem Mädchen schossen die Tränen in die Augen – und auch Elisabeth fühlte, wie sich ihr die Kehle einengte.

»Wir sehen uns wieder, Marie,« sagte sie.

»Wann Sie wollen, gnädige Frau; ich werde immer auf Sie warten,« schluchzte das Mädchen. Es war eben ein treues, ehrliches Mädchen. – – –

Der Schlag fiel zu. Prustend und knatternd zog das Auto ab.

Marie stieg zur Wohnung hinauf und fand zu ihrem Erstaunen den fremden Herrn vor der Tür. Rasch wischte sie sich die Tränen ab und sah ihn mißtrauisch an. Sie erinnerte sich, während des letzten Streites zwischen dem Herrn und der Gnädigen gehört zu haben, wie diese davon sprach, daß die Kriminalbeamten jeden Augenblick kommen könnten. – – –

»Ich möchte die gnädige Frau sprechen,« sagte der Herr.

Marie schaute ihn frech und trotzig an.

»Die gnädige Frau ist soeben abgereist,« sagte sie.

»So? Dann war sie wohl die verschleierte Dame, der ich unten an der Haustür begegnete?«

»Wird wohl so sein?«

Und Marie schloß die Tür auf, zum Zeichen, daß sie die Unterhaltung als beendet ansah.

»Wohin reist die gnädige Frau?« fragte der Herr.

»Das weiß ich nicht. Sonst noch etwas gefällig?«

Sie stand schon in der Wohnung und hielt die Tür nur noch halb geöffnet.

Der fremde Mann sah sie einen Moment lang prüfend an, und unter diesem einen Blick sackte ihr der ganze Mut und der ganze Trotz davon. Ein böser, harter Blick war es. Unwillkürlich schob sie die Tür bis auf einen kleinen Spalt zu.

»Nun, dann ist es auch so gut,« brummte der Herr. Drehte sich um und stieg die Treppe hinunter. Marie schob schnell den Riegel vor.


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