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XIII.

Elisabeths Stolz hatte einen heftigen Stoß erlitten. Und um so größer war die Demütigung, als sie von Dazkovic kam, den zu fürchten sie schon längst verlernt hatte. Aber sie hatte doch noch so etwas wie ein Gewissen –.

Am Abend, als Helene und sie ihre Zimmer aufsuchten, zog sie das junge Mädchen in das ihrige hinüber.

»Helene,« sagte sie, »ich weiß, daß Sie kein Wort gesprochen haben, aber ich weiß auch, daß Sie mir die Schuld dafür zuschieben, daß Ihre Hoffnungen sich bis jetzt nicht erfüllen. Ich habe gewiß nichts absichtlich getan, um den Grafen Stephan von seinem Vorhaben abzubringen. Ich hoffe, Sie glauben mir das, Helene.«

Helene blickte sie lange an. Es war etwas in diesen braunen Augen des unschuldigen Weibes, dem die Elisabeths nicht standhalten konnten. Zum erstenmal in ihrem Leben mußte sie den Blick senken.

»Ich habe zu niemand gesprochen«, entgegnete Helene. »Ich liebe Sie viel zu sehr, Elisabeth, als daß ich Sie auch nur einen Augenblick lang verdächtigen könnte! Wenn ich Ihnen Vorwürfe machen wollte, müßte ich Sie zu allem Anfang anklagen, weil Sie schöner, anziehungsvoller, gebildeter sind als ich, und weil es selbstverständlich ist, daß jeder Mann in Ihnen mehr sehen muß als in mir. – – –«

Elisabeth machte eine Bewegung, als wollte sie die Jüngere unterbrechen, aber Helene fuhr fort, indem sich ein bitteres und um so rührenderes Lächeln um ihren Mund legte.

»Ich habe geglaubt, Stephan – Stephan hätte mich wirklich lieb. Aber ich sehe nun, daß er sich geirrt hat, daß das, was ich für Liebe in ihm nahm, vielleicht nichts weiter war, als ein bißchen Gefallen an mir. In der ersten Woche schon, die wir hier waren, sah ich, was kommen mußte. Oh – Elisabeth, Sie haben gewiß nichts dazu getan! Was können Sie dafür, daß Sie schön sind, so schön, daß jede andere Frau neben Ihnen verschwinden muß! Was kann ich dagegen tun? Nichts. Ich könnte nicht einmal etwas dagegen tun, wenn Stephan bereits mit mir verheiratet wäre. Es gibt eben Dinge, die stärker sind als wir. Nicht wahr, Elisabeth?«

Jedes dieser Worte fiel sengend und ätzend auf die Seele der Frau – – – sie wand sich unter dem Schmerz. Wenn Helene die raffinierteste Art, ihr wehzutun, hätte suchen wollen – keine andere brauchte sie anzuwenden als diese einfachen, schlichten Worte.

Das Fenster des Zimmers war weit geöffnet. Frisch, mit balsamischen Düften von Wald und Feld durchsetzt, strich die Nachtluft herein. Elisabeth ging hin und hielt ihr das glühende Gesicht entgegen, ihr Gesicht, das vor Scham und Zorn über sich selbst glühte. Bis jetzt war es in ihrem Leben immer so gewesen, daß sie in jedem Ringen die Stärkere war. Nie noch hatte sie vor einem anderen Menschen die Augen niederschlagen müssen, und nun stand sie vor diesem jungen Mädchen schuldbewußt, unfähig, ihr zu entgegnen. Das war es vor allem, was sie würgte und ihr die Glut der Scham in die Wangen trieb.

Helene kam ihr nach. Legte ihr die Hand auf die Schulter und sprach:

»Ich räume Ihnen das Feld, Elisabeth. Ich möchte nur nicht gleich gehen, weil das zu auffällig wäre. Ich habe meinem Vater gesagt, wir wollen warten, bis der Edthof fertig ist. – – –«

Bis hierher reichten ihre Kraft und ihr Stolz. Nun aber quoll der Schmerz in ihr herauf. Ueberwältigend alle Beherrschung, alles weibliche Selbstbewußtsein niederringend. Sie schluchzte laut auf und wandte sich, um in ihr Zimmer zu flüchten. Doch nun hielt Elisabeth sie. Zog sie zurück.

»Lassen Sie mich!« rief Helene. In ihrer Stimme war auf einmal so etwas wie ein abweisender Trotz. Ganz deutlich hörte ihn Elisabeth heraus. Um so fester schlossen sich ihre Hände um die Arme der anderen.

»Hören Sie, Helene!« sprach sie ernst, beinahe feierlich. »Vielleicht wird der Tag kommen, an dem ich Ihnen mein Leben erzählen werde, dann werden Sie vieles begreifen, vielleicht sogar alles. Aber über das eine möchte ich Sie heute schon beruhigen, Helene. Das schwöre ich Ihnen, ich denke nicht daran, Ihnen die Liebe Stephan Antzeys zu entwenden, und ich werde ihn nie heiraten – nie, hören Sie.«

Mit großen Augen starrte Helene sie an. So standen sich die beiden Frauen gegenüber, beide bleich, beide zitternd vor Erregung. – – –

»Ich verstehe Sie nicht, Elisabeth,« hob Helene nach einer Pause an, in der nichts zu hören gewesen war als das Klopfen ihrer beiden Herzen. »Ich verstehe Sie nicht. Wenn Sie das nicht wollen, warum lassen Sie die Dinge dann gehen, so wie sie gehen? Wenn Sie auch nichts tun, so lassen Sie doch geschehen – nicht wahr, Elisabeth? Und Sie müssen mir doch zugestehen, daß Sie als Weib deutlich sehen können, was geschieht. Also warum dann? Warum die Qual für Sie? Für mich? Für Stephan Antzey?«

Abermals senkte Elisabeth die Augen. Sie hatte schon eine Antwort auf den Lippen: Fragen Sie Ihren Vater; er wird Ihnen die Aufklärung geben – das wollte sie antworten. Aber sie tat es nicht. Sie hatte nicht den Mut. Sie fühlte sich auf einmal so schwach, so feig. – – –

»Helene,« flüsterte sie, »ich beschwöre Sie, glauben Sie mir, was ich Ihnen sage. Eines Tages werden Sie mich verstehen. Heute – heute, mein Gott, ich verstehe mich selbst nicht. Ich weiß nicht, warum ich den Edthof gekauft habe, warum ich mich hier, in diesem weltabgeschiedenen Winkel, verstecken will. Ich weiß nicht, warum ich diese Spielerei, diese dumme, zwecklose Spielerei – –«

Sie unterbrach sich und begann, im Zimmer auf und ab zu gehen. Die Erregung war so groß in ihr, daß sie ihr durch heftige Bewegung Luft machen mußte. Still stand Helene und wartete. Sie, die Unerfahrene, Lebensunkundige, wußte nicht, was in der Freundin vorging, doch die Frau in ihr ahnte den Kampf, den in dieser Minute die andere Frau mit sich selbst kämpfte. Deshalb schwieg sie und wartete.

Elisabeth kam zu ihr zurück. Legte ihr den Arm um die Schultern und zog sie zärtlich an sich.

»Ich kenne mich oft selbst nicht,« sagte sie, »wie soll ich verlangen, daß andere mich kennen und verstehen. Man hat mir im Leben sehr weh getan, Helene. Man hat mich verraten, betrogen. Man hat mich auf die Gasse werfen wollen. Ich habe kämpfen müssen, um mein Leben, um meine Ehre. Ich bin hart dabei geworden. Man verlernt alle Sentimentalitäten, wenn man sich mit dem Messer in der Hand verteidigen muß, mein Kind. Das ist es, worüber ich vergessen habe, daß auch andere Frauen so leiden können wie ich. Gehen Sie jetzt schlafen, Helene – von mir droht Ihnen keine Gefahr!«

*

An demselben Abend stieg aus dem Zug der Steyrtalbahn in Molln ein Fremder aus. Er war einfach, beinahe ärmlich gekleidet und trug einen langen, graumelierten Bart, der ihn älter machte, als er vielleicht wirklich war. Sein ganzes Gepäck bestand aus einem kleinen Handköfferchen, das er selbst nach Molln hineintrug. Dort nahm er im Gasthaus »Zum braunen Adler« Quartier und schrieb sich als Dr. Johann Schurf, Schriftsteller aus Wien, ein.

Er war ein stiller Mensch, scheu und unzugänglich.

»Ich bin nervös und überarbeitet,« erklärte er dem Wirt, »ich war schon einmal in Molln, und es hat mir damals so gut gefallen, daß ich wieder hierhergekommen bin. Ich will Ruhe, nichts als Ruhe.«

Der Wirt vom »Braunen Adler« schüttelte den Kopf dazu. Der Gast sah wahrhaftig nervös und überarbeitet aus mit seinen bleichen Wangen, seinen tief im Kopf liegenden Augen. Das mochte schon stimmen. Aber dem Wirt war er unheimlich.


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