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XVI.

Elisabeth blieb an diesem Abend zu Hause. Sie ließ sich unter die Linden einen Tisch stellen und aß dort ein frugales Nachtmahl. Dann saß sie lange, lange – –. Sie kam nicht mit sich ins reine. Alles war so durcheinandergeworfen in ihr. Eine nie gekannte Unsicherheit drückte sie, und sie wunderte sich über sich selbst. Wunderte sich über die Gleichgültigkeit, mit der sie des Serben Geständnis ausgenommen hatte. Wunderte sich vor allen Dingen über die Genugtuung, die sie darüber empfand, daß Hubert Pertz doch den Wechsel eingelöst hatte. War es nur Genugtuung? War es nicht mehr? War es nicht eine Freude, irgendeine ganz vage, kaum sich formende Hoffnung – – –?

Stephan kam zeitlich am anderen Morgen vorüber. Ihr erster Gedanke war, ihn abzuweisen – sie wollte jetzt nicht mehr. Wollte zwischen ihm und sich eine unüberwindliche Barriere errichten. Doch sie schuldete ihm noch Dank für seine Bemühungen um ihren Hof.

Sie ließ ihm durch Marie sagen, sie würde zu ihm herunterkommen. So erwartete er sie auf dem Wege, ohne vom Pferde zu steigen – seine Augen leuchteten hell auf, als er sie dann auf sich zukommen sah.

Ich muß ein Ende mit ihm machen, sagte sie sich.

»Ich komme als Ausbitter«, rief er ihr entgegen. »Man erwartet Sie heute, Frau Elisabeth, bei uns zu Tisch.«

»Etwas Besonderes?« fragte sie. Und sie blickte zu ihm aus, unschuldig, harmlos, mit einem Lächeln der Freundschaft auf den Lippen.

Ueber sein Gesicht flog ein Schatten. Er verstand sie recht gut. Und der Zorn stieg in ihr empor, als sie sah, wie ihre Frage auf ihn wirkte.

Aber war sie nicht selbst schuld daran?

»Gut, ich werde kommen«, lächelte sie. »Doch jetzt hören Sie, ich würde Sie bitten, Herr Graf, mir zu sagen, was und wem ich für diese wunderhübsche Einrichtung eigentlich zu bezahlen habe. Es sind doch gewiß auch viele Stücke aus Ihrem Besitz darunter?«

»Das eine und das andere. Ich hoffe, Sie werden mir die Freude bereiten, sie als Geschenk von mir anzunehmen.«

Ihr Blick wurde hochmütig, abweisend.

»Ein Geschenk? Von Ihnen? Wie käme ich dazu? Vor allem – woher leiten Sie das Recht ab, Herr Graf, mir Geschenke zu machen?«

Er beugte sich vom Pferd zu ihr herunter. Wollte ihr etwas zuflüstern – heiß wurde sein Gesicht dabei. – –

Sie trat zurück. Der Ausdruck ihres Gesichtes fiel tief unter den Gefrierpunkt.

»Klare Rechnung erhält die Freundschaft.«

»Wie Sie wünschen, Frau Elisabeth.«

Er lüftete den Hut und ritt davon.

Es war ein böser Blick, den sie ihm nachsandte.

*

Das Mittagessen auf Rottenstein verlief überaus vergnügt. Stephan machte zwar im Anfang ein etwas mürrisches Gesicht und beteiligte sich nicht gerade häufig an der Unterhaltung, doch sein Onkel trat für ihn in die Bresche.

Hubert Pertz war nicht just das, was man einen scharmanten Causeur nennt. In einem Salon, in dem Tee mit Esprit serviert würde, hätte er eine nur höchst bescheidene Rolle gespielt. Er war weder besonders geistreich, noch hinreißend lebhaft. Ein Mann der Tatsachen, knapp, wuchtig in seinen Sätzen. Nie ein Wort zuviel. Nie liefen seine Gedanken seinen Worten voraus. Langsam sprach er, wohlüberlegt. Er riß nicht fort. Betäubte nicht. Amüsierte nicht – obwohl er Witz hatte. Sogar Ironie ins Treffen schicken konnte. Doch er zwang die Leute, ihm zuzuhören. Er packte sie und hielt sie fest. Sie spürten in seinen Worten die Tat.

Dabei sprach er zuerst nicht einmal von sich und seinen Arbeiten. Erzählte von der Türkei Mustapha Kemals, von Persien, von jenen fernen Ländern, die um ihre Freiheit kämpften, sich ihr Recht auf Zivilisation und Fortschritt von den großen Mächten, den privilegierten Hütern der Kultur, ertrotzten. Er wurde warm dabei, ging aus der unpersönlichen Schilderung heraus, streifte hie und da seinen eigenen Anteil an diesem Kampfe.

»Ich will eine Bahn bauen, die direkt von Angora nach Teheran geht. Die Türkei und Persien sind in ihrem Kampfe aufeinander angewiesen. Früher haben sie sich bekämpft. Jetzt lernen sie allmählich begreifen, was ihnen die Notwendigkeit diktiert. Ich habe ein Projekt ausgearbeitet – wenn mir die Engländer nicht die Suppe versalzen – – –! Der Teufel hole die Engländer!«

Sein feiner Mund preßte sich zu einer ganz dünnen, schneidend scharfen Linie zusammen.

»Die Engländer sind der Feind!« setzte er als Schlußpunkt hinter seine Worte.

»Hassen Sie, Herr Pertz, die Engländer so sehr?« fragte Elisabeth.

»Hassen? Nein! Ich bewundere sie. Ich bewundere auf der Welt kein anderes Volk als die Engländer. Sie sind das Herrenvolk. Sie wissen nicht nur zu erobern, sondern auch festzuhalten. Sie sind gewalttätig, brutal, rücksichtslos, hinterhältig – ja – ja, alles, was man will. Aber sie sind ein Volk der Kraft. Ein Volk mit einem Ziel vor den Augen. Sie kennen nichts als sich und ihr Imperium. Sie haben sogar Gott gezwungen, sich der Theorie vom Primat der englischen Weltherrschaft anzuschließen.«

»Und doch bekämpfen Sie die Engländer? Wir wollen keinen zu hohen Maßstab an mein bißchen Arbeit legen. Ich helfe den anderen, so gut ich eben kann.«

»Sympathie mit dem Schwachen!« sagte Elisabeth. Sie blickte den ihr gegenübersitzenden Hubert dabei aus großen Augen an, doch kein Mensch am Tische wußte zu sagen, ob sie spottete oder im Ernst sprach.

Er gab ihr den Blick zurück, und einen Moment lang maßen sich die blauen und die grauen Augen – – –.

»Sympathie mit dem Schwachen?« meinte er dann. »Seien Sie ehrlich, gnädige Frau, glauben Sie an solch edelmütige Gefühle?«

»Erlauben Sie, mein Herr! Ich bin eine Frau und habe schon durch mein Geschlecht die Verpflichtung mit in die Welt bekommen, mich stets auf die Seite des Schwächeren zu stellen.«

»Bravo! Meine Anerkennung, meine Gnädigste. Ich bin nicht so sentimental. Meine Sympathien gehören der Seite, die mich besser bezahlt. Die Engländer haben Ingenieure genug, die Türken gar keine. Infolgedessen zahlen die Engländer schlecht, die Türken gut, und ich begeistere mich für die Sache des Morgenlandes gegen das räuberische Albion.«

»Bravo! Meine Anerkennung!« höhnte Elisabeth. »Mein Bravo gilt aber nicht der Anschauung, sondern dem offenen Bekenntnis dieser Anschauung. Es ist doch immerhin etwas wert, wenn man bei einer neuen Bekanntschaft gleich weiß, wessen man sich von ihr zu versehen hat. Sie, Herr Ingenieur, sind allem Anschein nach ein Mann, vor dem ein schwaches Weib sich hüten muß.«

»Zählen Sie sich zu den schwachen Weibern, Frau Elisabeth?« fragte Stephan in den Zweikampf hinein.

»Natürlich«, lachte sie. »Ist Weib und schwach sein nicht ein und dasselbe? Nennt ihr euch nicht das starke Geschlecht?«

»Wir tun es, aber wir glauben selbst nicht daran.«

Stephan war's wieder, der antwortete. Sein Onkel trat ihm die Ehre des Kampfes ab.

»Nun, und warum verlangen Sie, daß wir daran glauben? Helene, sagen Sie, ist das nicht absurd?«

Damit hatte Elisabeth gleichfalls einen Ersatz für sich vorgeschoben, denn nun begannen sich Stephan und Helene herumzunecken. Hubert versank in wohlwollend-onkelhaftes Schweigen, und Elisabeth lockte Dame Ursula in eine angeregte Unterhaltung über die Dienstbotenverhältnisse im Steyrtale.

Diese Unterhaltung dehnte sich auch nach Tisch aus, denn die neugebackene Herrin des Edthofes hatte mancherlei auf dem Herzen und meinte es ehrlich mit ihren Fragen. Aus dem Schatze ihrer Erfahrungen erteilte Stephans Tante gern und unermüdlich ihre Ratschläge. Zwei Kühe sollte sich Elisabeth einstellen. Auch wäre es praktisch, eine Sau aufzufüttern. Das Geflügel müßte ordentlich instand gehalten werden. Auf dem kleinen Teich neben dem Edthof könnte man Enten und Gänse halten. Und vor allem das Gemüse nicht vergessen! So viel wie möglich vom eigenen Boden und aus dem eigenen Stall beziehen. So unabhängig wie möglich von den bäuerlichen Lieferanten sein! Tante Ursula versprach, am nächsten Tag selbst hinüberzukommen und sich die Dinge einmal anzusehen.

Am Abend erst rüstete Elisabeth zur Rückfahrt nach dem Edthofe. Ein Stallknecht brachte um neun Uhr den Steirerwagen vor die Rampe, und die ganze Gesellschaft versammelte sich, um Elisabeth adieu zu sagen. Da geschah etwas Merkwürdiges. Lord, der alte Jagdhund, der, wie immer, an der Seite Tante Ursulas hertrottelte, ihr, wohin sie ging und sich setzte, überall mit gleichgültigem, müdem Schritt nachjuckelte, richtete sich plötzlich auf und spitzte die Ohren. Sein ganzer Körper steifte und streckte sich – –. Niemand achtete zuerst auf ihn. Er stand einige Sekunden regungslos, mit scharfen Atemzügen irgendeine Witterung einholend – – – dann – plötzlich ein Heulen, mehr ein wilder Schrei – – und das alte Tier stürmte unter rasendem Bellen über die Parkwiesen dem Gittertore zu. Das war noch verschlossen, und die auf der Rampe sahen, wie Lord mit verzweifelten Sätzen an ihm in die Höhe sprang. Eigentümlich klang sein Bellen – kleine Schreie gellten dazwischen.

Einen Moment lang blieb die kleine Gesellschaft wie erstarrt, dann stürzten Stephan und Hubert dem Hunde nach. Aus dem Pförtnerhäuschen am Tor stolperte der alte Jochen, der Gärtner, heraus. Von den Stallgebäuden her rannten zwei, drei Knechte. – –

Der Hund am Tor gebärdete sich wie wahnsinnig. Bellte, heulte – seine Schreie wurden greller, verzweifelter. Als man das Tor öffnete, wollte er mit einem einzigen Satze davon. Rechtzeitig konnte Stephan ihn noch am Halsband packen, doch es kostete ihn Mühe, das Tier zu halten. Es schnaufte, winselte kläglich, riß am Halsband. – – – Die Männer rannten auf die Landstraße hinaus, die sich nicht weit vom Gitter nach Molln hinzog und nun hell beleuchtet im Scheine des aufgehenden Mondes dalag. Leer, schlafend streckte sie sich hin, bewacht von den alten Obstbäumen, die an ihrer Seite standen. Hubert und die Knechte suchten in weitem Umkreise Straße und Wiesen ab – nichts zu finden. Achselzuckend kehrte man ins Schloß zurück – doch der Hund wollte und wollte sich nicht beruhigen lasten. Stephan schrie ihn an und befahl ihm, sich niederzulegen. Er gehorchte nicht! Erst als Ursulas seine alte Hand ihm den Kopf zu krauen begann, wurde er ruhiger. Aber von Zeit zu Zeit ließ er immer noch ein leises Winseln hören. – –

Die Menschen standen um ihn herum und schauten ihn an.

»Wenn er uns nur mitteilen könnte, was ihn so erregt!« sagte Stephan. »Er ist sonst ein so vernünftiger und in sich gekehrter alter Geselle – der Teufel weiß, was ihn so aus dem Häuschen gebracht hat.«

»Vielleicht irgendein Landstreicher – –«, meinte Stanko Dazkovic.

»Landstreicher? Habe schon seit Jahr und Tag keinen hier bei uns gesehen. Nein – nein, das war etwas anderes«, gab Stephan zurück, indem er den Hund betrachtete, der ihn aus seinen großen braunen Augen anschaute und leise dabei wedelte, als wollte er um Verzeihung bitten für die Unruhe, die er verursacht hatte.


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