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XXIII.

Der Ausdruck seines Gesichts veränderte sich. Der böse Zug wich von seinen Lippen, er beugte sich weit vor und schaute sie starr an, wie wenn er sie überhaupt zum ersten Male sähe.

»Leopold Antzey hat mich von der Bühne weg geheiratet. Ich war ein junges Ding damals. Er war ein eleganter, liebenswürdiger Kavalier, und ich habe ihm alles gegeben, was ich hatte, meine Jugend, meinen Namen und meinen Ehrgeiz. Sie und Ihr Haus haben mich deshalb verflucht und ihn wie einen Verlorenen behandelt. Es scheint, daß dieses Steyrtalbähnchen nicht stark genug ist, um moderne Anschauungen ins Land zu transportieren. Die alte Zeit, diese poetische, gute, alte Zeit, ist etwas sehr Schönes, aber sie ist auch dumm und beschränkt, Herr Pertz. Sie kann Menschen unglücklich machen – und sie hat Ihren Neffen unglücklich gemacht und mich dazu. Wozu Ihnen das alles jetzt erzählen? Sie wissen es so gut wie ich. Leopold hat gespielt – hat alles verspielt, meinen letzten Ring habe ich ihm noch gegeben, und dann hat er mich einen falschen Namen unter einen Wechsel schreiben lassen. Ein Mitglied Ihres Hauses, Herr Pertz! Ich kann Ihnen den Brief zeigen, den er mir dann zum Abschied geschrieben hat. Es ist der Brief eines Nichtswürdigen, eines Schurken, schlimmer noch, eines verächtlichen Feiglings. Er hat sich von Ihnen nach Amerika schicken lassen – für mich hatte er gerade das Geld für die Briefmarke auf dem Abschiedsbrief übrig – weiter nichts – –! Verhungern hätte ich können. Mich an den Nächstbesten verkaufen – –«

»Ich bin zu Ihnen gekommen«, schrie Pertz dazwischen, den die Erregung nicht mehr schweigen ließ. »Leider waren Sie gerade abgereist – – –«

Sie hob den Blick zu ihm – traurig war das Lächeln, das jetzt ihren Mund verzog.

»Erinnern Sie sich der Frau, mit der Sie an der Haustür zusammenstießen? Der Frau fiel die Tasche aus der Hand; Sie hoben sie auf – erinnern Sie sich?«

Er dachte nach. Zwang seine Erinnerung zurück. –

»Ja – ja, ich glaube, mich zu entsinnen, eine tiefverschleierte Dame – – –«

»Das war ich, Herr Pertz.«

Jetzt schwiegen sie lange – beide – sie spürten das Schicksal, das sie in der einen Laune aneinander vorbeigeführt hatte, und nun in der anderen Laune hier oben zusammenwarf.

»Und weiter?« heischte er. Rauh klang seine Stimme, gepreßt.

Sie erzählte ihm ihr Leben, wie Dazkovic sie um ihre Freiheit betrogen und sie dafür zur reichen Frau gemacht hatte; erzählte ihm, wie sie mit Helene hierher kam, von irgendeinem unbestimmten Drang geleitet, Haus und Familie ihres Mannes kennenzulernen. Wie die guten und die bösen Geister sich in ihr stritten, sie hin und her rissen. Sie wollte sich rächen, wollte Stephan Antzey ins Unglück stürzen – sie hätte es getan, wenn nicht Helene, just Helene dabei im Spiele gestanden.

»Ich bin ja nur eine Frau,« sagte sie dann zum Schluß, »habe nur meine Gefühle, und können Sie mir verdenken, Herr Pertz, daß diese Gefühle nicht gerade die freundlichsten für das Haus Antzey-Walloth sind?«

Als sie zu Ende war, brauchte er lange, bis er antworten konnte. Alles war in ihm durcheinander gerüttelt. Sein Selbstbewußtsein, seine hochmütige Ueberlegenheit, lagen in Scherben auf dem Boden. Narren sind wir alle, die wir uns zu Richtern über andere machen wollen, sagte er sich.

»Warum haben Sie nicht unten gesprochen?« brachte er nach langer, langer Zeit hervor.

»Wann? Und zu wem? Und warum?« Die alte Feindseligkeit klirrte wieder in ihrer Stimme, funkelte wieder in ihren Augen.

Er zuckte wie hilflos die Achseln.

»Ich weiß es nicht; aber, Frau Elisabeth, ich hätte das doch nicht getan, was ich getan habe, wenn Sie gesprochen hätten. Wollen Sie, daß ich Sie sofort zurückführe?«

»Jetzt, in diesem Aufzug, am hellen Morgen? Dann wäre es gescheiter, Herr Pertz, Sie bringen mich gleich um und schaffen mich als Leiche zurück. Oder graben mich hier oben ein. Nein, jetzt muß ich schon hierbleiben und sehen, daß ich mich am Abend zum Edthof zurückstehlen kann – dank Ihrer männlich-herrlichen Unternehmungen!«

Er knurrte etwas, das sie nicht verstand. Ein Fluch war es, mit dem er sich selbst belegte.

»Ich werde Ihnen also die paar Zeilen für Marie schreiben. Selbst, wenn ich einen Tag nur hierbleibe, kann ich doch nicht so herumlaufen. Wenn ich schon hier bin, will ich in den Wald gehen, will etwas haben von der Höhe hier. Holen Sie mir also ein paar feste Schuhe, ein Kleid und meinen Lodenmantel. Marie wird Ihnen alles geben.«

Während sie in die Hütte trat, den Zettel zu schreiben, ging er in den Stall, brachte die Pferde heraus, spannte den Wagen ein und führte ihn vor die Tür.

Sie wartete auf ihn und reichte ihm den Zettel. Dabei ergriff er ihre Hand und hielt sie fest. Leise zog sie sie zurück, ganz leise, aber sie lächelte.

Schon wollte er auf den Bock springen, da trat er noch einmal zu ihr hin.

»Ich wüßte zwar nicht, was Ihnen hier geschehen sollte, aber besser ist besser«, sagte er, indem er in die Hütte trat und ihr winkte, ihm zu folgen. Aus einer Lade nahm er einen Revolver heraus und gab ihn ihr.

»Falls Sie es nicht wissen sollten – man hält eine solche Waffe beim Abdrücken am Griff und nicht am Lauf.«

Sie lachte.

»Und hier,« fuhr er fort, indem er sie zum Kamin zog, »ist ein Telephon. Sie sehen, modernste Kultur in dieser Höhle! Das Telephon geht hinunter zum Forsthaus in Molln. Sie sind also nicht von der Welt abgeschlossen und können jederzeit den Förster herbeirufen. Ich hoffe aber. Sie werden es so lange aushalten, bis ich zurück bin. Ja, und zu essen! In dem Schrank dort finden Sie alles, was Sie brauchen. Fleisch, Kartoffeln, Gemüse – es ist nur die Frage, ob Sie wissen, wie man Kartoffeln kocht.«

Es war auf einmal so eine wilde, verzweifelte Fröhlichkeit in ihm, mit der er sich über diese peinliche Viertelstunde hinwegbringen wollte.

Sie merkte es wohl und ging darauf ein.

»Ich kann sogar ein Stück Fleisch braten«, behauptete sie. »Und da ich allein es essen muß, kann ich es ja ruhig wagen.«

»Also dann Gott befohlen, Frau Worth! In längstens fünf Stunden bin ich wieder zurück.«

Er schwang sich auf den Bock, ergriff die Zügel, schnalzte mit der Zunge – und die Jucker warfen sich ins Geschirr.

Sie blieb vor der Tür stehen und blickte ihm nach. Als er an die Schlucht kam, in die der Weg einbog, wandte er sich um und winkte mit der Peitsche zurück. Hell flatterte ihr Taschentuch. – – –


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