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XIV.

Auf Schloß Rottenstein gab es ein Fest.

Tante Ursula hatte dem Drängen Stephans doch endlich nachgegeben und über alle finanziellen Bedenken hinweg sich entschlossen, den Gästen aus Wien zu Ehren die Freunde und Nachbarn einzuladen. Die Lohnsteins waren gekommen, die Stolt-Werffenberg, die Pyrcker, aus Steyr ein paar Fabrikanten – groß war die Gesellschaft nicht, aber behaglich, anspruchslos und vergnügt.

Den Mittelpunkt bildete natürlich Elisabeth. Von der ersten Minute an. Die Frauen bewunderten ihre Toilette, die Männer bewunderten sie selbst.

Es war hier wie überall. Sie machte die Männer verrückt, sie machte sie toll. Selbst diese vornehmen Aristokraten, die, durch die neue Zeit verbittert, auf ihren verfallenen Schlössern saßen und über das Einst raunten; selbst diese Fabrikanten, die in ihren Fabriken den furchtbaren Kampf um ihre und ihrer Arbeiter Existenz führten – sie alle erlagen widerstandslos dem Zauber, der von dieser Frau ausging. Sie waren vielleicht auch weniger gewappnet dagegen als die raffinierten Lebemänner der Welt, aus der Elisabeth hierherkam. Sie waren ehrlicher, natürlicher und anständiger. Sie waren ihr eine leichte Beute.

Sie amüsierte sich über sie. Ließ sich ihre liebenswürdig-bescheidenen Huldigungen gefallen, spöttelnd, überlegen und mit einem Lächeln quittierend, das ihnen allen vollends den Kopf verdrehte.

Stephan sah's. Er als der Hausherr mußte sich an diesem Abend von ihr fernhalten. Mußte sie den anderen überlassen. Er hatte sich Helene als Dame erkoren, und ihr widmete er sich. Oder glaubte es wenigstens zu tun. Doch mehr als einmal ertappte sie ihn dabei, wie sein Blick zu dem lachenden, lärmenden Kreise hinüberwanderte, der sich um Elisabeth drehte und legte. Wie sich seine Lippen dabei aufeinanderpreßten – – –! An diesem Abend beschloß sie, den vergeblichen Kampf aufzugeben.

Spät am Abend endete das Fest. Als unter Hussa und Hallo die Gäste auf ihren Jagdwagen und Automobilen wegfuhren, hatte Elisabeth wenigstens zwanzig oder dreißig Einladungen angenommen. Sie selbst hatte alle Welt zur feierlichen Einweihung ihres Edthofes entboten. Auch jetzt war sie allein Mittelpunkt, Hauptperson, Herzogin. Alles winkte nur ihr zu. Alles sah zum Abschied nur sie. – – –

Als der letzte Wagen davongerollt war, kehrten die Rottensteiner ins Haus zurück. Helene schützte übergroße Müdigkeit vor und verschwand gleich in ihr Zimmer. Dazkovic folgte dem Beispiel seiner Tochter, und Tante Ursula beschäftigte sich damit, die Wegräumung des Silbers noch am selben Abend zu überwachen.

Elisabeth, die noch keinen Schlaf verspürte, trat auf die Terrasse hinaus, die hell im Mondlicht dalag. Wie immer, nahm sie der Frieden dieser wundervollen Bergnacht gefangen. Trotzdem fand sie keine Ruhe. Trotzdem war sie unzufriedener mit sich denn je. Was war ihr dieser Abend? Was waren ihr alle diese Menschen, die sie kennengelernt hatte? Gerade in der Stille dieser Nacht, unter diesem träumenden, dunklen Himmel fühlte sie den eigenen Unfrieden schwerer denn je. Wieder und wieder kam ihr die Frage: Was willst du hier? – – –

Ein Schritt tönte hinter ihr. Sie schreckte auf. Stephan stand neben ihr und blickte sie an. Sofort sah sie in seinen Augen die mühsam unterdrückte Erregung. – – –

»Ich hoffe, Sie haben sich gut unterhalten, Frau Elisabeth?« sprach er, indem er sich vergebens bemühte, seiner Stimme einen gleichmütig festen Klang zu geben.

»O ja, Herr Graf, ich habe mich sehr gut unterhalten und danke Ihnen herzlichst für den schönen Abend. Und Helene? Ich habe sie leider nicht fragen können, da das arme Kind zu müde war.«

»Fräulein Helene?« – er zauderte einen Moment –. »Oh, ich glaube, sie war auch sehr zufrieden. Ich möchte aber – daß auch Sie, Frau Elisabeth – –«

»Ich?« unterbrach sie ihn mit einem erstaunt kühlen Blick. – »Helene ist doch die Hauptsache, nicht ich? Wenn ich erst einmal auf meinem Edthof sitze – – –«

Ihre abweisende Haltung, ihr gleichgültiger Blick rührten in ihm die Gefühle auf, die er den ganzen Abend unterdrückt hatte. Er glaubte nur über das kokette Spiel Elisabeths ärgerlich zu sein, und er war sich selber nicht klar darüber, daß es Eifersucht war, nichts weiter als nackte, brutale Eifersucht, die ihn in Hitze brachte. Unwillkürlich trat er einen Schritt auf sie zu und faßte nach ihrer Hand. Seine Knie berührten dabei das ihrige. Sie konnte sich nicht wehren, denn sie stand dicht an die Brüstung gedrängt. Sie beugte sich nur zurück – –. Geschmeidig bog sich ihr Leib. Sinnverwirrend zeigten sich die Linien ihrer Hüften, ihrer Büste. – Brüste – – –

»Sie wissen recht gut, Elisabeth,« stieß er hervor, indem er sich immer näher an sie heranschob, »was ich meine.«

Seine Augen glühten, seine starken, nervigen Hände krampften sich um ihre Schultern.

Sie rührte sich nicht. Das bißchen Sympathie, das sie für den Bruder ihres Mannes bis jetzt noch empfunden hatte, zerstob in dieser Minute. Sie lachte. Lachte ihm höhnisch ins glühende Gesicht – – –.

»Ich weiß nicht, was Sie meinen, Herr Graf. Ich weiß nur, daß Sie mir weh tun und augenscheinlich vergessen, daß unter Ihrem Dache noch ein junges Mädchen weilt, das Sie liebt und das Sie zu lieben vorgeben. Wollen Sie mich nicht endlich loslassen?«

Er hielt sie. Ließ sie nicht. An seinen Knien spürte er die Wärme ihrer Glieder. Der Hohn der blauen Augen raubte ihm vollends die Besinnung. Er warf den Arm um ihre Taille und riß sie ganz an sich. – – –

Gleichgültig, wie ein Stück Stein, hing sie in seinem Griff. Der Gedanke zuckte ihr durch das Hirn: Sag ihm jetzt, daß du das Weib seines Bruders bist! Das ist ja die Minute, auf die du gewartet hast!

Doch zu ihrer Ueberraschung gab er sie auf einmal frei, trat von ihr zurück, schwer atmend, mit nervös zuckenden Händen. Sie blickte zurück.

In der Tür stand Dame Ursula.

*

Am nächsten Morgen ritt Elisabeth allein nach dem Edthof hinüber.

»Wie lange dauert es noch, bis ich hier einziehen kann?« fragte sie ihren Architekten.

»Gnädige Frau, wenn Sie wollen, können wir Ihnen die Räume unten in zwei, drei Tagen fertigstellen. Aber ich meine, Sie sollten Geduld haben. – –«

»Herr Architekt, ich bitte Sie, Ihr Wort zu halten; ich möchte in drei Tagen hier meinen Einzug halten.«

Mit erstauntem Gesicht sah ihr der Mann nach, als sie dann vom Edthof ins Tal hinunterritt. Sie schlug den Weg durch die Felder ein – –. Sie wollte mit sich allein sein, wollte mit sich beraten. Drei Tage! Sie konnte doch unmöglich nach dem, was gestern geschehen war, noch auf Rottenstein bleiben! Dame Ursula hatte sie angesehen wie ein Gespenst, das aus der Ahnengruft hervorgestiegen war, um den Untergang der Welt im allgemeinen und der Antzeys im besonderen zu verkünden. Und schließlich – Helene!

Ich werde nach Wien fahren. Werde vorgeben, ich muß meine Sachen heraufschaffen. – – –

Plötzlich tat ihr Pferd einen heftigen Satz zur Seite, schnaubte und schien nicht übel Lust zu haben, durchzugehen. Mit Mühe und Not beruhigte sie es, so daß es nach drei, vier aufgeregten Sätzen stehenblieb. Liebkosend klopfte sie ihm den schlanken Hals, strich über die dicke, seidene Mähne. – – –

»Aber Bessie – Bessie! – – –«

Als sie das Tier wieder in der Gewalt hatte, wandte sie sich um, um zu sehen, was der sonst so ruhigen und verläßlichen Bessie solchen Schreck eingejagt hatte. Da stand am Wege ein fremder Mann, bärtig, mit tiefliegenden Augen. Er stand und starrte sie an. Rührte sich nicht. Redete kein Wort. Stand nur und starrte.

Elisabeth war alles, nur kein Feigling, und doch griff ihr der Blick dieses fremden Menschen an die Nerven. Hier, mitten in der hellen Sonne, fühlte sie, wie heimliches Grauen sie packte. Irgend etwas war an diesem fremden Menschen. – – –

Sie riß das Pferd herum, ritt auf ihn zu. Deutlich sah sie, wie er die Achseln zuckte, ehe er vom Wege sprang und in das Gebüsch verschwand.

Sie ritt weiter – kam durchs Dorf und hatte den Fremden bald vergessen.

Gegen Mittag kehrte sie nach Rottenstein zurück. Sie war mit sich energisch zu Rate gegangen und hatte sich entschlossen, nach Wien zu fahren.

Als sie in die Halle trat, kam ihr Stephan entgegen. Die Verlegenheit sprang in sein hübsches Gesicht, als er sie erblickte. Aber er überwand sich rasch und rief ihr zu:

»Kommen Sie, Frau Elisabeth, wir warten schon alle auf Sie, kommen Sie nur!«

»Ist es denn so dringend? Ich muß nämlich packen. Ich will – – –«

»Packen?« Er sah sie einen Moment überrascht an und biß sich auf die Lippen. »Meinetwegen?« Leise und schuldbewußt klang die Frage.

Sie lächelte.

»Nein,« erwiderte sie, »Helenes wegen.«

Er stand einen Moment unschlüssig, wußte nicht, was er sagen, was er tun sollte. Die Scham würgte an ihm. – – –

Und sie lächelte. Jenes Lächeln, das Dazkovic so gut kannte und so sehr fürchtete – – –.

Das Lächeln erstarb ihr plötzlich auf den Lippen. Sie stand mit dem Gesicht zu der auf die Terrasse führenden Tür und sah nun in dieser einen Mann erscheinen, mittelgroß, breitschultrig, mit schmalem, dunkel gebräuntem Gesicht. – – –

»Mein Onkel Hubert!« stellte Stephan vor. »Er ist soeben angekommen.«


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