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Fünfzehntes Kapitel.

St. Thomas. – Frühere Bedeutung des Hafens. – Die Stadt Charlotte Amalia. – Vorbereitung zur Weihnachtsfeier. – Festgottesdienst. – Bescherung auf Deck. – – Die Transparente. – In der Maschine. – Kirchgang. – Ausflüge. – Unter Dampf. – Sylvesterfeier auf See. – Die Lobrede des Kommandanten. – Die Strafen. – Die Disziplin an Bord. – Kleine Disziplinarstrafen. – Arreststrafen. – Bordarrest. – Gerichtliche Strafen. – Zum Rapport. – Bestrafung der Schiffsjungen. – Lynchjustiz. – »Wir winden Dir den Jungfernkranz!« – Strafen in früherer Zeit. – Strafen in der englischen Marine. – Der Schneider an Bord.


Am 22. Dezember nähern wir uns auf der »Moltke« der kleinen Insel St. Thomas. In dem Augenblick, in dem wir in die Bucht einfahren, an welcher die Hauptstadt der Insel, Charlotte-Amalia, liegt, kommt ein von uniformierten Negern gerudertes Boot an das Schiff heran, das am Heck die rote Flagge mit dem weißen Kreuz, den Danebrog, die Flagge Dänemarks zeigt. St. Thomas ist bekanntlich im dänischen Besitz. Der Lotse ist ein Däne, eine echt germanische Gestalt.

Man hat St. Thomas die Eingangspforte von Westindien genannt, und vor mehr als fünfzig Jahren war St. Thomas wohl einer der wichtigsten Häfen der ganzen Welt. Er lag außerordentlich günstig für die nächsten Häfen in Nord-, Mittel- und Südamerika. Kleine Segler brachten die Produkte der Länder hierher nach St. Thomas, wo in riesigen Lagerschuppen an den Quais von Charlotte-Amalia die Waren aufgestapelt wurden. Die von Europa kommenden Schiffe brachten Waren, die von den kleinen Seglern dann wieder nach ihrem Heimathafen befördert wurden, während die europäischen Schiffe die Stapelwaren von St. Thomas nach ihrer Heimat zurücknahmen. Ungeheure Reichtümer verdienten die Kaufleute auf der Insel.

Diese Glanzperiode dauerte aber nur ungefähr bis zum Jahre 1860, dann schwanden durch die Einführung der modernen Erfindungen des Dampfes und der überseeischen Kabel die Zwischenhäfen mehr und mehr aus dem internationalen Verkehr. Man sah ein, daß das Umladen und Lagern von Waren, welches sehr teuer war, sich vermeiden ließ, indem die Dampfer direkt die Häfen anliefen, wo die Landesprodukte verschifft wurden. Während früher der Hafen St. Thomas kaum die Flotten fassen konnte, deren Schiffe hier Station machten, sieht man jetzt hier nicht ein halbes Dutzend Schiffe. Wenige Weiße wohnen auf der Insel, die sonst nur von Negern bevölkert ist. Wäre nicht die deutsche Hamburg-Amerika-Linie, so würde St. Thomas wahrscheinlich noch mehr heruntergekommen sein, aber diese große deutsche Schiffahrtsgesellschaft entsendet monatlich allein neun bis zehn Schiffe nach dem Hafen. Sie hat hier einen Agenten, welcher kolossale Kohlenvorräte bereit hält, um bei der Fahrt nach und von Amerika die Schiffe der Gesellschaft bunkern zu lassen. Er hält auch Trinkwasser bereit, das in Zisternen aufgefangen wird, und endlich befindet sich auf St. Thomas eine große Werft der Hamburg-Amerika-Linie mit Lagerhäusern, mit Quais und mit Werkstätten, welche kleinere Reparaturen an den Dampfern vornehmen können. Durch das Kabel steht der Agent mit ganz Westindien in Verbindung, er weiß daher, wo Frachten zu holen sind, und gibt den Kapitänen der Dampfer seiner Gesellschaft, wenn sie nach St. Thomas kommen, Informationen, wohin sie sich um Fracht zu wenden haben. Der Agent beherrscht den ganzen Handel derartig, daß man ihn scherzhaft den »König von St. Thomas« nennt.

Über den Eindruck, den St. Thomas und der Seehafen machen, schreibt der bekannte Weltreisende Dr. Georg Wegener:

»Und doch macht die kleine dänische Kolonie auch heute noch einen allerliebsten Eindruck. Wenn das Schiff in die enge Einfahrt des Hafens hineinbiegt, so baut sich im Hintergrunde der Wasserfläche, an schönlinigem Bergabhange, die Stadt Charlotte-Amalie wunderhübsch und ganz eigentümlich zugleich auf. An den Hängen dreier nebeneinander vorspringender Gebirgsausläufer emporkletternd, hat die Stadt von weitem die Form dreier gleich hoher Wellenberge. Und der angenehme Eindruck verflüchtigt sich auch nicht, wie so oft und ganz besonders bei Tropenstädten, wenn man näher kommt. Palmen und großblühende Laubbäume wiegen sich am Strande und auf den gutgehaltenen Plätzen; mit dänischer Sauberkeit und Zierlichkeit sind die Häuschen gebaut; sie geben mit ihren rotgestrichenen Dächern, ihren weißen Wänden und den grünen Jalousien ein heiteres farbenreiches Gesamtbild. Die besseren Wohnstätten auf luftiger Höhe, in grünen Gärten gelegen und oft mit Veranden und Säulenhallen versehen, machen einen vornehmen und behaglichen Eindruck. Zwei romantische, jahrhundertealte Türme, einst der Schutz gegen die Flibustier, überragen malerisch die Stadt; der ›Blaubartsturm‹ heißt der eine, der ›Schwarzbartsturm‹ der andere, niemand weiß mehr, weswegen. Unten am Hafen aber selbst liegt, zierlich wie ein Kinderspielzeug das alte, noch heute von der kleinen Garnison benützte dänische Fort, mit rotangestrichenen, krenelierten Wänden stark gegen das Grün der öffentlichen Gartenanlage vor ihm kontrastierend. In sauberer Uniform steht der dänische Posten davor Schildwache, allwöchentlich spielt die kleine Musikkapelle in einem Pavillon am Hafen, und jeden Abend um acht und jeden Morgen um fünf ertönt ein donnernder Signalschuß aus einer der alten Kanonen, wie er wohl einst in früheren Tagen zur Zeit der Sklaverei das Zeichen zum Beginn und Ende des allgemeinen Tagewerkes gegeben hat.

Ja selbst in der Negerbevölkerung des heutigen St. Thomas macht sich der Einfluß des früheren Wohlstandes der Insel und der verständigen Fürsorge der kleinen nordischen Regierung für sie noch immer geltend. Die Neger von St. Thomas, wie überall in Westindien mehr oder minder reinblütige Nachkommen der ehemaligen afrikanischen Sklaven, machen unstreitig den saubersten und adrettesten Eindruck unter allen Bevölkerungen gleicher Art, die ich in Westindien gesehen habe; und da ihr, den Kindern gleiches Temperament eine Betrübnis über den Rückgang des allgemeinen Verdienstes ohnehin nicht aufkommen läßt, so ist der Anblick der sonnigen Straßen von St. Thomas mit ihrem Leben, namentlich an Sonn- und Festtagen, wenn alles in frischen Waschkleidern prangt und die stattlich gewachsenen Negermädchen die buntesten Schleifen und die verwegensten Hüte tragen, ein bunter und fröhlicher.«

Für die Besatzung der »Moltke« hatte das Anlaufen des Hafens von St. Thomas deshalb Bedeutung, weil man hier am 24. das Weihnachtsfest nach altem deutschen Brauche feiern wollte. Durch Dampfer der Hamburg-Amerika-Linie waren für die »Moltke« von Kiel aus vier riesige deutsche Tannenbäume eingetroffen, ebenso mehrere Kisten mit Weihnachtsgeschenken und Christbaumbehang. Am 23. und 24. wurde auf dem Schiffe auf das lebhafteste gearbeitet, um die Vorbereitungen für die Weihnachtsfeier zu treffen. Ein Wetteifer entwickelte sich bei den verschiedenen Backschaften, um das Weihnachtstransparent, das jede Backschaft an diesem Abend aushängt, recht interessant der Inschrift und hübsch der Ausführung nach zu gestalten. Das Maschinenpersonal hatte den größten Teil der Arbeit für die Weihnachtsvorbereitung, da es elektrisches Licht liefern mußte. Boote fuhren an Land, um ganze Berge von Palmenwedeln und anderem tropischen Grün zu holen, das zur Ausschmückung des Schiffes dienen sollte.

Gegen 4½ Uhr nachmittags wurde dem ersten Offizier das Schiff klar zur Weihnachtsfeier gemeldet. Befehle ergingen durch die Decke, das weiße Sonntagszeug anzulegen, denn man befand sich in den Tropen in der heißen Zeit des Jahres. Um fünf Uhr begann die Schiffsglocke mit feierlichen Schlägen die Weihnachtsfeier einzuläuten. Alle Mann wurden aufgepfiffen und traten auf dem Oberdeck an. Dasselbe bot einen wunderbaren Anblick. Die ganze innere Bordwand war mit Grün und kleinen Palmen geschmückt, dazwischen waren Glühlämpchen angebracht, die nach Einbruch der Dunkelheit, welcher gegen sechs Uhr erfolgte, für die Beleuchtung des Oberdecks sorgen sollten.

»Alle Mann achteraus!« lautete das Kommando. Der Marinepfarrer im Ornat stand auf dem Achterdeck, und auf seinen Wink begann die Musik das deutsche Weihnachtslied »Stille Nacht, heilige Nacht« zu spielen. Die ganze Versammlung fiel mit Gesang ein, und kaum war das Lied begonnen, als man nicht nur in den Augen der Schiffsjungen, sondern auch der älteren Offiziere und Maate manche Träne blinken sah.

Die Erinnerung an die Heimat und an die Weihnachtsfeste, die man in der Familie verlebt hatte, war doch gar zu mächtig geworden. Dann sprach der Marinepfarrer herzliche Worte zur Versammlung. Er erinnerte an die Lieben in der Heimat, er legte es den jungen Seeleuten, den Matrosen, Kadetten und Schiffsjungen ans Herz, die Erinnerung an die Heimat und an die Lieben stets hoch zu halten, weil dadurch der Mensch vor vielen schlimmen Dingen bewahrt werde.

Dann richtete von der Kommandobrücke aus der Kommandant herzliche Worte an die Besatzung, und mit dem Gesange eines Weihnachtsliedes wurde die Feierlichkeit beendet. Das große Maschinen-Oberlichtfenster auf dem Oberdeck, durch welches Licht in die Maschine hinunterfällt, war mit Brettern bedeckt und so in einen riesenhaften Tisch verwandelt worden. Flaggen dienten als Tischtücher. An den vier Ecken des so entstandenen Riesentisches waren die vier aus Deutschland gekommenen Tannenbäume aufgestellt. Sie waren mit hunderten von Lichtern, mit Ketten von kleinen Flaggen, mit Gold- und Silberpapier, mit Lametta, mit Äpfeln und Nüssen, die ebenfalls aus Kiel gekommen waren, dekoriert.

Jeder der Tannenbäume war zwei Meter hoch, und der Lichterglanz, der jetzt bei hereinbrechender Dunkelheit um so wirkungsvoller war, zauberte in aller Herzen Weihnachtsstimmung. Schmale Tische waren neben dem Oberlicht aufgestellt, auf denen Geschenke lagen, die jetzt durch das Los verteilt wurden. Zigarren und Zigarrentaschen, Tabakspfeifen, Photographiealbums, Schreibmappen, Bierseidel und -Krüge, Taschenmesser und Portemonnaies lagen da, und jeder Mann bis zum jüngsten Schiffsjungen erhielt sein Geschenk. Dann traten die Backschaften an, um Pfefferkuchen, Äpfel und Nüsse für die betreffende Back zu empfangen. Das Wegtreten wurde befohlen, und die Leute eilten in die Decke hinunter, um ihre Transparente anzuzünden, denn nun begann nach altem Brauch der feierliche Rundgang des Kommandanten und der Offiziere.

Jede Back hatte tiefes Geheimnis über die Inschrift des Transparentes, das sie aufhängen wollte, bewahrt, und im Schweiße ihres Angesichts hatten die Leute Verse zusammengestoppelt, die nun durch das elektrische Licht, das die Maschine lieferte, beleuchtet waren. Auf dem ersten Transparente der Batterie fanden Offiziere und Kommandant zu ihrem Erstaunen eine Abbildung des Leuchtturms von Bülk, der die Einfahrt in die Kieler Föhrde weist. Man sah, wie der Scheinwerfer vom Leuchtturm ein in voller Fahrt herankommendes Schiff – natürlich die »Moltke« – beleuchtete. Darunter standen die Verse:

»Haben wir erst Bülk in Sicht,
Fürchten wir Westindien nicht!«

»Ganz ausgezeichnet,« sagte der Kommandant, und die Leute strahlten vor Vergnügen. Wohl bemerkt, am Weihnachtsabend finden der Kommandant und die Offiziere alles ausgezeichnet, um den Leuten eine Freude zu machen. Selbst wenn die Backschaft nichts weiter fertig gebracht hat, als den Vers, den die Admirale schon als Kadetten kannten, nämlich:

»Frisch Brot und Butter
Ist das beste Futter!«

so wird auch diese geistvolle Bemerkung von Kommandant und Offizieren ganz großartig gefunden. Eine andere Backschaft hatte die humoristische Inschrift:

»Es ist ja alles da!«

und der Kommandant freute sich, daß die Leute zufrieden waren. Andere Backschaften hatten in Versen kleine Sticheleien gegen den Zahlmeister wegen des Essens gebracht, aber am Weihnachtsabend wird nichts übel genommen. Der Kommandant lachte mit dem Zahlmeister, der neben ihm ging, darüber und machte ihn noch besonders auf die Inschriften aufmerksam. Die Kuttergasten hatten den Vers:

»Alle Zeit treu bereit
Zum Rudern zur Zufriedenheit,
Nur nicht in der Mittagszeit!«

Das Batterie- und Zwischendeck war außerdem reichlich mit Grün ausgeschmückt, so daß man glaubte, in grünen Lauben zu wandeln. Als der Kommandant in die Nähe der Maschine kam, war er wirklich überrascht, denn die Herren Maschinisten und Heizer hatten diesmal alles aufgeboten, um beim Weihnachtsfeste den Vogel abzuschießen. An der Eingangstür war ein meterhoher Anker mit Zahnrad angebracht, natürlich ebenfalls ein Transparent, und darunter standen die Worte:

»Was das Segeln nicht mehr schafft,
Das vollbringt des Dampfes Kraft,
Dampf ist unser Losungswort,
Ohne Dampf kommt man nicht fort.«

Da hatten die Herren Seeleute von den Maschinisten wieder einmal ihr Fett weg! Aber heute nimmt man, wie bereits erwähnt, nichts übel. Der Maschinenraum selbst war durch grüne Palmen und Papierketten in einen Festpavillon umgewandelt worden. Aus Kohlenstücken, Korallen und Muscheln, die mit Moos und anderem Grün bekleidet waren, hatte man einen kleinen Hügel errichtet, auf dem eine Wassermühle ausgestellt war. Aus einer Kiste hatten die Maschinisten Fenster ausgesägt, dann hatten sie die Kiste weiß lackiert, hatten aus leeren Flaschenhülsen ein Strohdach gemacht, hatten einen Schornstein und eine Umzäunung angebracht und die Fenster mit rosa Seidenpapier verklebt, während im Innern dieses Häuschens elektrische Glühlichter befestigt waren. Ein blechernes Rad an der einen Seite des Hauses stellte das Mühlenrad dar, und ein wirklicher Wasserfall, der durch eine kleine Pumpe getrieben wurde, setzte das Rad in ununterbrochene Bewegung. Mit Hilfe einer Pumpe und einer besonders angelegten Röhrenleitung trieben die Maschinisten auch noch im Zwischendeck während des ganzen Abends einen Springbrunnen, dessen Wasser in die sogenannte Bilge abfloß und durch die Pumpen weggeschafft wurde.

Lobend und anerkennend gingen Kommandant und Offiziere durch die Decke. Dann erhielten die Leute warmes Abendbrot mit Rotweinpunsch, während der Kommandant von den Offizieren gebeten wurde, in der Messe mit ihnen einen Weihnachtspunsch zu trinken. Erst gegen elf Uhr nachts wurde »Ruhe im Schiff!« befohlen.

Während beider Weihnachtsfeiertage gab es vormittags an Bord Sonntagsmusterung und protestantischen Gottesdienst. Die Katholiken fuhren mit der Dampfbarkasse nach St. Thomas, wo sie mit der Negergemeinde und wenigen englischen, katholischen Damen den Gottesdienst in der Kirche hatten. Nachmittags gab es Landurlaub, und wenn man auch keine großen Ausflüge machen konnte – denn die Insel St. Thomas ist nicht größer als die Stadt Berlin –, so fand man doch ganz anständige Restaurants, auch Billards, und man konnte sich an kleinen Spaziergängen erfreuen.

Am 29. Dezember wurden die Anker aufgenommen, und die »Moltke« trat ihre Fahrt nach New-Orleans (sprich Njuohrlihns) an. Es wurde zwei Tage gesegelt, dann trat vollkommene Windstille ein. Es blieb nichts anderes übrig, als Dampf aufzumachen, denn man mußte zu bestimmter Zeit in New-Orleans eintreffen, da die dortigen Deutschen, wie man auf der »Moltke« bereits vernommen hatte, dem Schiffe und seiner Besatzung einen großen Empfang bereiten wollten.

In der Maschine stieg die Temperatur bis auf 46° C., und das Maschinen- und Heizerpersonal hatte schlimme Tage. Am 31. Dezember nachmittags wurde die ganze Mannschaft auf Deck gerufen, denn der Navigationsoffizier hatte berechnet, daß um diese Zeit in der Heimat schon zwölf Uhr Mitternacht sei. Zusammen mit den Lieben in der Heimat wollte man den Eintritt in das neue Jahrhundert begehen, denn dort hatte bereits der 1. Januar 1900 angefangen.

Der Marinepfarrer sprach ein Gebet und richtete Worte an die Mannschaft, durch die er sie an die Lieben in der Heimat erinnerte. Dann hielt der Kommandant von der Brücke herunter die Sylvesterrede, der man mit großer Spannung entgegensah. Es ist nämlich üblich, daß in dieser Rede der Kommandant seiner Befriedigung oder seinem Mißfallen über das bisherige Verhalten der Mannschaft Ausdruck gibt. Selbst die Offiziere waren gespannt, was der Kapitän wohl sagen würde.

Der Kommandant dankte zuerst für die ihm bereits von den Offizieren und den Vertretern der Mannschaft dargebrachten Neujahrswünsche und drückte dann seine Freude darüber aus, daß er mit dem Verhalten der Besatzung bisher zufrieden sein könne. Er hoffe und wünsche nur, daß ihm die Mannschaften auch weiterhin keinen Anlaß zur Klage geben würden. Er sprach die sichere Hoffnung aus, daß jeder Mann während der ferneren Dauer der Reise wie immer seine Pflicht erfüllen werde.

Mit dieser Rede hatte der Kommandant der Mannschaft eine wirkliche Festesfreude gemacht. Man sah überall vergnügte Gesichter. Abends gab es Punsch und dann Bier, ebenso warmes Abendbrot. Da man unter Dampf ging, hatte die Mannschaft mit den Segeln gar nichts zu tun. Kurz vor zwölf Uhr nachts versammelte sich wieder die Besatzung bis zum letzten Mann, mit Ausnahme der Maschinisten und Heizer, die vor ihren Kesseln und Steuerungen standen, auf dem Oberdeck. Auch die Musik hatte sich eingefunden. Mit besonders feierlichen Doppelschlägen meldete die Schiffsglocke um zwölf Uhr »acht Glas«. Bei dem letzten Ton setzte die Musik mit einem Choral ein, von dem aber nur der erste Vers gespielt wurde, dann begann ein hundertstimmiges, nicht endenwollendes »Prosit Neujahr«-Rufen. Die Musik spielte den zweiten Vers und es trat allgemeine Stille ein. Jetzt dröhnte die Stimme des Kommandanten über das Deck.

»Unserm Allergnädigsten Kriegsherrn Seiner Majestät dem Deutschen Kaiser ein fröhliches Neujahr! Hurra, hurra, hurra!«

Begeistert fielen Offiziere und Mannschaft in das Hurrarufen ein und die Musik spielte die »Wacht am Rhein«. Dann brachte der erste Offizier im Namen der Schiffsbesatzung das Hurra auf den Kommandanten aus, der Kommandant dankte mit einem Hurra auf die Besatzung der »Moltke«. Nun brachte der älteste Deckoffizier auf den ersten Offizier und die anderen Offiziere des Schiffes das Hurra aus, und mit allgemeinem gegenseitigen Gratulieren und Händeschütteln war die Feier beendet, die sich bis ein Uhr nachts im Batterie- und Zwischendeck fortsetzte. –

Wir wollen jetzt zu einem sehr ernsten Kapitel übergehen, das wir doch kennen lernen müssen, wenn uns daran liegt, über das Leben und Treiben auf einem Kriegsschiffe unterrichtet zu sein.

Es sind dies die Strafen.

Es wurde schon wiederholt auf das enge Zusammenleben von Vorgesetzten und Mannschaften, sowie der Besatzung untereinander, hingewiesen. Während der Soldat an Land doch wenigstens außerhalb des Dienstes Stunden, ja halbe Tage lang aus den Augen seiner Vorgesetzten kommt, ist der Mann an Bord beständig in unmittelbarer Nähe des Vorgesetzten. Die Gesundheitspflege, die engen Räumlichkeiten an Bord, die Ordnung, die absolut herrschen muß, fordern es gebieterisch, daß selbst kleine Vergehen eines Mannes nicht geduldet werden, sondern bestraft werden müssen. Infolgedessen gibt es bei der Marine eine Menge Bestrafungen, welche sich die Landratte eigentlich gar nicht erklären kann. Dem nicht Eingeweihten mag es übertrieben streng, ja grausam vorkommen, wenn die Mannschaft wegen geringfügiger Kleinigkeiten sofort bestraft wird. Wer jedoch erst selbst an Bord sich einige Zeit aufgehalten hat, sieht ein, wie notwendig diese Strenge ist.

Die Disziplin an Bord untersteht vor allem dem ersten Offizier. Läßt zum Beispiel jemand sein Messer, seine Tabakspfeife oder irgendeinen kleinen, ihm gehörigen Gegenstand irgendwo liegen, so wird er dafür bestraft. Passiert ihm dies zum ersten Male, so entert er dreimal über den Topp, passiert es wiederholt, so steht der Mann während der Freizeit, abgesondert von den anderen, unter Aufsicht eines Postens an Deck. Als Strafverschärfung hat er dabei die Hängematte über der linken Schulter. Es geht eben nicht, daß jeder nach Belieben seine Sachen herumliegen läßt, das verstößt gegen die Ordnung im Schiff, dann aber wird durch die Liederlichkeit eines Mannes ein anderer Mann vielleicht gar veranlaßt, die Sachen einzustecken, und dann ist der Diebstahl fertig, der an Bord eines Schiffes, besonders unter Kameraden, außerordentlich streng bestraft wird.

Wer das Deck verunreinigt, sei es durch Spucken oder anderweitig, wird bestraft. Es muß im gesundheitlichen Interesse auf strengste Reinlichkeit gesehen werden. Wer zu spät zum Dienst antritt, wird natürlich bestraft. Auf einem Schiffe ist Schnelligkeit beim Antreten absolut notwendig, wir wissen es jetzt bereits, daß es sich bei einem Segelschiff manchmal um Sekunden handelt, wenn »Alle Mann auf!« gepfiffen, oder »Schotten dicht!« befohlen wird. Sekunden entscheiden über das Schicksal der Mannschaft und des Schiffes. Die Leute müssen also daran gewöhnt werden, mit denkbar größter Geschwindigkeit sofort auf ihrem Posten zu erscheinen, wenn sie gerufen werden.

Reichen diese Disziplinarstrafen nicht aus, dann wird Arreststrafe verhängt. Gewöhnlich sind an Bord Arrestlokale vorgesehen, und zwar befinden sie sich im Zwischendeck. Man unterscheidet gelinden, mittleren und strengen Arrest. Wird der gelinde Arrest verhängt, so wird der Verurteilte zum gewöhnlichen Dienst herangezogen, seine dienstfreie Zeit jedoch muß er an einem abgesonderten Orte zubringen, er muß auch seine Mahlzeiten an einsamer Stelle einnehmen und darf auch in der freien Zeit nicht rauchen.

Der mittlere Arrest wird schon in der Arrestzelle bei Wasser und Brot verbüßt. Nur am vierten, achten und zwölften Tage erhält der Mann volle Verpflegung und seine Hängematte, sonst muß er auf den Planken der Arrestzelle schlafen. Der strenge Arrest wird in einer dunklen Zelle auf hartem Lager bei Wasser und Brot verbüßt.

Helfen die kleineren Strafen nicht, dann wird Bordarrest verhängt, was den Matrosen das Allerunangenehmste ist. Die Leute dürfen dann, wenn das Schiff in einen Hafen kommt, nicht an Land gehen, sondern müssen an Bord bleiben. Diese Strafe gehört sogar nur zu den kleinen Disziplinarstrafen, sie ist aber viel wirksamer und in gewissem Sinne auch härter, als der sogenannte strenge Arrest. Es werden natürlich als verbüßt nur die Tage gezählt, an denen das Schiff im Hafen liegt, und wenn es nur selten in einen Hafen kommt und, wie bei einem Schulschiff, nur drei bis vier Tage dort bleibt, dann kann es einem Manne, der Bordarrest hat, passieren, daß er vier Monate und länger nicht an Land kommt. Das ist in mancher Beziehung eine grausame Strafe, und es gibt Kommandanten, welche nicht wünschen, daß ihre ersten Offiziere allzuoft Bordarrest verhängen.

Wenn auch der strenge Arrest nichts mehr hilft, dann treten die stand- und kriegsgerichtlichen Strafen ein, welche in angenehmer Abstufung lauten:

Todesstrafe, Gefängnis, Festungshaft, Versetzung in die zweite Klasse des Soldatenstandes, Verlust der Ehrenzeichen und Entfernung, aus der Marine.

Man muß es unseren blauen Jungen nachsagen, daß sie ebenso gehorsame wie ehrenhafte Menschen sind, die sich schon aus Ehrgefühl nach Möglichkeit vor Strafe hüten und aus Pflichtgefühl ihren Dienst auf das beste erfüllen, aber »schwarze Schafe« gibt es überall, und so finden sich an Bord jedes Schiffes Leute, welche ihre Vorgesetzten durch beständige Vergehen zur Verzweiflung bringen. Solche Leute stellt der erste Offizier immer wieder zum Rapport.

Wenn nämlich der erste Offizier das Maß seiner Strafgewalt erschöpft hat, dann stellt er mittags, bevor »Backen und Banken!« gerufen wird, dem Kommandanten diejenigen Sünder vor, mit denen er nicht mehr fertig werden kann. Der Kommandant muß strafen, und zwar sehr streng, weil eben alle kleineren und mittleren Strafen bei diesen Leuten nichts geholfen haben. Dem Kommandanten ist das aber sehr unangenehm, denn alle Strafen werden in besondere, sehr sorgfältig geführte Strafbücher eingetragen, welche bei der Rückkehr des Schiffes den höheren Vorgesetzten vorgelegt und von diesen durchgesehen werden. Es wirft ein schlechtes Licht auf den Kommandanten eines Schiffes, wenn viel Strafen zu verzeichnen waren, man muß annehmen, daß er es nicht versteht, die Leute zu behandeln.

Auch die Schiffsjungen können bestraft werden, obgleich sie noch nicht Soldaten, sondern nur Schüler sind. Für sie kommen aber ganz andere Strafen in Betracht, nämlich:

  1. Öffentlicher Tadel, einmaliges Verlesen bei der Hauptmusterung und Aushängen der Namen der Getadelten bis zur Dauer von drei Tagen.
  2. Essen an gesonderten Plätzen bis zu acht Tagen.
  3. Strafexerzieren.
  4. Stehen an Deck während der Freizeit, nicht länger als eine Stunde.
  5. Anbinden an einen Mast hinter einem Vorhänge dergestalt, daß der Bestrafte zwar aufrecht stehen, nicht aber sich setzen oder legen kann, nur täglich eine Stunde und höchstens drei Tage hintereinander.
  6. Körperliche Züchtigung bis zu zehn Hieben, im Beisein des Divisions- bezw. Zugoffiziers, des Divisions-Feldwebels und der Korporalschaftsführer des Zuges, unter sonstigem Ausschluß der Öffentlichkeit.

Letztere Strafe darf nur bei groben Vergehen und, falls nicht Diebstahl oder Versuch des Entlaufens bezw. dieses selbst vorliegt, nur dann verhängt werden, wenn zuvor die übrigen Strafen ohne Erfolg angewendet sind.

Die im zweiten Jahre an Bord befindlichen Schiffsjungen sind nur noch ausnahmsweise, und zwar nach groben Vergehen, die einen schlechten Charakter bezeugen, mit Prügelstrafen zu belegen. Dagegen ist ihnen bei groben Verstößen gegen militärische Zucht und Ordnung bis zu drei Tagen strenger und fünf Tagen mittlerer Arrest aufzuerlegen. Die gleichen Strafen kommen auch für die in der Landausbildung befindlichen Schiffsjungen zur Anwendung. Prügelstrafen sind hier ausgeschlossen.

Wirkungsvoller als alle diese offiziellen Strafen aber sind diejenigen, welche von den Mannschaften selbst gegeneinander verhängt werden. Es gibt keine bessere und wirkungsvollere Erziehung, als die durch die Kameraden, und wenn ein Mann liederlich im Dienst und widerspenstig ist, so helfen mehr als alle Reden und Strafen der Vorgesetzten die energischen Vorstellungen der Kameraden.

Auf einem Kriegsschiff, selbst auf einem Schulschiff ist niemand überflüssig. Schon der beschränkte Raum verbietet es, Reservemannschaften mitzunehmen. Wird ein Mann krank, so müssen die anderen für ihn seinen Dienst tun, oder bei den verschiedenen Rollen-Exerzitien muß ein Schiffsjunge an seine Stelle treten. Das gibt für die Mannschaften mehr Arbeit und bei der Vertretung durch einen ungeübten Mann allerlei Unannehmlichkeiten und Störungen im Dienst. Aber der Kamerad ist krank, er kann schließlich nicht dafür, und die Arbeit muß für ihn getan werden. Wenn aber ein Mann durch Pflichtwidrigkeiten es so weit bringt, daß er womöglich in das Schiffsgefängnis gesteckt werden muß, dann ruht er sich dort eben aus, während seine Kameraden Dienst für ihn tun müssen. Das bringt die Leute gegen ihn auf, zumal wenn sie wissen, daß ehrlose Subjekte lieber im Gefängnis sitzen, als arbeiten. Ist es erst so weit gekommen, dann helfen Strafen bei dem Manne überhaupt nicht mehr. Dann gibt es nur ein einziges Mittel, das ist das Strafgericht der Kameraden, und auf den Schiffen aller Nationen herrscht ein sonderbarer Brauch, der an das amerikanische Lynchgericht erinnert.

Der Matrose Warnke ist in Rio de Janeiro über Urlaub ausgeblieben und dafür selbstverständlich streng bestraft worden. Seit der Zeit ist der Mann wie verwandelt. Er wird widerspenstig, krakeelig gegen seine Kameraden, sucht sich von jedem Dienst zu drücken, verdirbt beim Exerzieren aus Unachtsamkeit und Nichtswürdigkeit jede Übung, und um seinetwillen müssen die Manöver immer wiederholt werden. Erst haben ihm die Maate privatim Vorstellungen gemacht, aber Warnke hat dazu nur höhnisch gelächelt. Er ist überzeugt, er werde die ganze Schiffsbesatzung schon klein kriegen, besonders aber die Vorgesetzten, und wenn die dummen Teufel, seine Kameraden, auch gegen ihn sind, so sollen sie um seinetwillen erst recht Dienst tun. Der erste Offizier und der durch ihn unterrichtete Kommandant sind überzeugt, daß sich Warnke mit seinem Trotz noch unglücklich machen und das Schiffskommando zwingen wird, die schwersten Strafen über ihn zu verhängen.

An einem Sonnabendnachmittag aber meldet der Oberbootsmannsmaat vertraulich dem ersten Offizier:

»Dem Warnke wird morgen nach dem Essen gesungen werden!«

»Das gönne ich dem Lurbaß!« sagt der erste Offizier, »hoffentlich tränken es ihm die Leute ordentlich ein. Benachrichtigen Sie die Maate, Oberbootsmann, ich werde es den Herren Offizieren mitteilen.«

Es hat sich unterdes nämlich eine Verschwörung unter den Matrosen gegen Warnke gebildet. Die ältesten Leute haben den Maaten gewisse Andeutungen gemacht, diese dem Oberbootsmann, und da der erste Offizier von allen Dingen, die an Bord geschehen müssen, selbst wenn es Heimlichkeiten sind, Kenntnis haben muß, wenigstens unter der Hand, hat ihm der Oberbootsmann vertrauliche Meldung erstattet.

Das Mittagessen in den Backschaften ist am nächsten Tage, einem Sonntag, vorüber. Die Leute, die den Backschaftsdienst haben, schlagen Backen und Banken hoch, waschen das Geschirr ab und bringen alles an seinen richtigen Ort. Die Maate sind alle auf Deck, und zwar vorn auf der Back, in sehr lauter und eifriger Unterhaltung begriffen. Die Deckoffiziere sitzen vollzählig in ihrer Messe, und die Offiziere sind alle in ihren Kammern fest eingeschlossen. Der erste Offizier ist in höchst wichtiger Beratung beim Kommandanten.

Im Batteriedeck drängen die dienstfreien Mannschaften unauffällig nach einer Stelle hin, wo neben einer Batteriepforte Warnke steht und sich wieder einmal mit einem seiner Kameraden zankt. Warnke wird immer heftiger und seine Bemerkungen immer beleidigender. Plötzlich wird Warnke von hinten eine Presenning, wie wir wissen, ein großes Stück Segeltuch, über den Kopf geworfen. Dann packen ihn zwanzig Hände mit dem sicheren Griff von eisernen Zangen. Im nächsten Augenblick ist Warnke über eine Kanone gezogen und zwanzig Mann mit »Tamps«, mit kurzen Tauenden, treten an und bearbeiten sein Hinterteil in der rücksichtslosesten Weise. Dazu singen sämtliche Mannschaften in der Batterie ein Lied, gewöhnlich: »Wir winden dir den Jungfernkranz«.

Jedermann an Bord von den älteren Mannschaften, von den Deckoffizieren und Maaten, weiß, was dieser Gesang bedeutet. Niemand läßt sich sehen, und die Vorgesetzten Warnkes, die den Gesang vernehmen, schmunzeln nur.

Der Gesang des Liedes dauert heute auffallend lang, so daß dem ersten Offizier und dem Kommandanten, die zusammensitzen, schon etwas bange wird. Die Exekution, die an Warnke von den Kameraden vollzogen wird, scheint eine sehr gründliche und exemplarische zu sein.

Als sich Warnke in dem Batteriedeck aus der Presenning herauswickelt, weil man ihn losgelassen hat, ist er ganz allein, niemand ist in der Nähe zu sehen. Aber er ist dermaßen zerschlagen, daß er sich nicht bewegen kann.

Der Feuerwerker findet ihn und macht dem Arzte Meldung. Warnke kommt ins Lazarett, und der Arzt sagt nach der Untersuchung:

»Sie sind ein ungeschickter Kerl, Warnke, ich weiß, Sie sind gefallen und haben sich etwas stark gestoßen. Bleiben Sie auf dem Bauche liegen, wir werden Ihnen etwas kalte Umschläge machen. In ein paar Tagen ist die Sache besser.«

Die Meldung, daß Warnke gefallen sei und sich stark gestoßen habe, kommt auch an den ersten Offizier und an den Kommandanten.

Auch Warnke ist ganz und gar mit dieser Auffassung des Vorfalls, der ihn betroffen hat, einverstanden. Er bleibt wohlgezählte vier Tage bei schmalster Kost im Lazarett, und als er dann herauskommt, ist er vollkommen verwandelt. Er hat eingesehen, wie töricht es ist, als einzelner Mensch den Kampf gegen vierhundert andere aufzunehmen. Er sieht ein, daß er mit Trotz und, Eigensinn nicht durchkommt, er begreift, daß er Rücksicht auf Vorgesetzte und Kameraden zu nehmen hat, und schon nach acht Tagen melden die Maate den Deckoffizieren und diese dem ersten Offizier, daß Warnke deutliche Spuren von Besserung zeigt.

Von jetzt an nimmt man auf Warnke Rücksicht. Man sieht ihm manches nach, was man früher streng bestraft hätte, besonders, wenn sich herausstellt, daß er nicht aus böser Absicht gefehlt hat.

So wird bei Warnke sich wahrscheinlich das zeigen, was schon bei Hunderten von Leuten, denen von ihren Kameraden »etwas gesungen« wurde, sich ergeben hat: sie werden nämlich nach der Exekution nicht nur brauchbare, sondern oft sehr gute und tüchtige Leute.

Wem aber diese Strafen hart, vielleicht grausam vorkommen, der sei darauf aufmerksam gemacht, daß in früherer Zeit bei der Marine noch viel schlimmere Strafen verhängt wurden. Die deutsche Marine besteht ja erst seit kurzer Zeit, werfen wir aber einen Rückblick auf die Strafen in der englischen Marine, die schon seit vielen Jahrhunderten besteht und die das Muster für alle anderen Marinen der Welt geworden ist.

Die englische Marine bestand nicht aus Landeskindern, die ihre Dienstpflicht erfüllten, sondern aus Menschen, die zum großen Teil »gepreßt«, das heißt mit Gewalt zu Matrosen gemacht worden waren. Das Pressen der Seeleute war in England in vergangenen Jahrhunderten eine noch viel schlimmere Maßregel, als das gewaltsame Anwerben der Soldaten an Land. Während die Werber, die herumzogen, um für die Landarmee Rekruten zu gewinnen, Listen anwendeten, um junge Leute zur Annahme des Handgeldes zu veranlassen, während sie im ausgiebigsten Maße das Mittel brauchten, die jungen Leute betrunken zu machen, um ihnen dann das Handgeld aufzunötigen, begnügten sich die Leute, welche das Pressen der Matrosen für die englische Marine besorgten, nicht mit List, sondern gingen zu brutaler Gewalt über. Es wurden Männer nachts auf der Straße größerer Städte überfallen, gebunden an Bord der Schiffe gebracht und gezwungen, als Matrosen zu dienen. Daß unter diesen »Gepreßten« Meuterei, Widersetzlichkeit und Bosheit an der Tagesordnung waren, ist eigentlich selbstverständlich. Die Disziplin konnte gegenüber diesen mit Gewalt zu Seeleuten gemachten, sehr oft verzweifelten Menschen nur durch die höchste Grausamkeit aufrecht erhalten werden. Bei dem geringsten Vergehen wurde der Delinquent ausgepeitscht, und zwar mit einem Instrument, welches den Namen »die neunschwänzige Katze« führte. Es bestand aus einem Stock, an dem neun mit Knoten versehene Lederriemen befestigt waren. Der Delinquent erhielt Schlingen um die beiden Handgelenke, wurde an der Raa hochgeheißt und sein nackter Körper dann gräßlich geschlagen.

Es sind noch keine fünfzig Jahre her, seit die neunschwänzige Katze für immer in der englischen Marine beseitigt worden ist, ja sie darf unter gewissen Verhältnissen sogar heute noch angewendet werden. Eine alte englische Matrosen-Anekdote berichtet folgendes:

Der Matrose eines Kriegsschiffes war zu schwerer Peitschenstrafe verurteilt worden. Der Kommandant des Schiffes hatte eine krankhafte Abneigung gegen Katzen, die durch Vererbung bei ihm entstanden war. Bevor der Matrose die fürchterliche Strafe aushalten sollte, bat er um die Erlaubnis, den Kommandanten sprechen zu dürfen. Diese wurde ihm gewährt, und als »Jan Maat« vor dem Kommandanten stand, sagte er ihm:

»Gestrenger Herr, Sie haben eine unüberwindliche Abneigung gegen jede Katze, die Sie sehen!«

»Das ist richtig, aber was soll das?«

»Herr, eine solche Katze hat immer nur einen Schwanz, und Sie, der tapfere Kommandant dieses Schiffes, fürchten sich vor ihr. Begreifen Sie nun, wie sehr ich mich vor einer Katze mit neun Schwänzen fürchte, und welche Abneigung ich gegen diese Katze habe?«'

Die Anekdote erzählt, der Kommandant habe gelacht und dem Matrosen die Strafe geschenkt.

Der Matrose wurde in dieser Anekdote »Jan Maat« genannt. Es ist das neben »Jack Tar« die übliche Bezeichnung für den Matrosen, die heute noch in der Kriegsmarine aller Länder angewendet wird. »Jan Maat« heißt wörtlich »Johannes Gehilfe« und stammt wahrscheinlich aus dem Holländischen, obgleich »Jan« als Abkürzung, für »Johann« auch im Englischen vorkommt. »Jack Tar« heißt »Jakob Teer« und ist eine humoristische Bezeichnung für den englischen Matrosen, der ja sehr viel mit Teer zu tun hat. Mit Teer, allerdings nicht mit dem schwarzen Steinkohlenteer, sondern mit dem braunen, aus dem Safte der Birke gewonnenen Teer machte in früheren Zeiten der Matrose das Tauwerk aus Hanf haltbar und schmiert er heute noch die Masten und Stengen. Der englische Name »Jack Tar« ist im Deutschen in einer unerhörten Weise in »Teerjacke« verballhornt worden, und leider ist diese unsinnige Bezeichnung anscheinend aus der deutschen Sprache nicht mehr auszurotten.

Selbst das »Kielholen« hat als Strafe in Wirklichkeit in den alten Marinen, sowohl in der englischen, als in der spanischen und holländischen, bestanden. Der Verurteilte wurde über Bord geworfen und an einem Tau unter dem Kiel des Schiffes an der andern Seite hindurch gezogen. In den meisten Fällen war diese Bestrafung gleich der Todesstrafe, denn gewöhnlich wurde der Delinquent zu dreimaligem Kielholen verurteilt, und beim dritten Male ging ihm gewöhnlich die Luft aus und er erstickte, respektive ertrank.

Auch die Strafen gegen die Kadetten waren und sind in der englischen Marine sehr streng. Der Kadett führt dort den Namen »Midshipman« (wörtlich übersetzt »Mittschiffsmann«, der Mann, der in der Mitte des Schiffes Dienst tut), und die humoristische Abkürzung in der englischen Marine lautet »Middy«. Man erzählt von einem noch jetzt lebenden englischen Admiral, der einen Middy ertappte, als er, auf dem Achterdeck stehend, die Hände in die Hosentasche steckte. Das war in den Augen des damaligen Schiffskommandanten eine derart grobe Achtungsverletzung gegen das Achterdeck, daß er dem Midshipman befahl:

»Gehen Sie sofort zum Schneider und lassen Sie sich sämtliche Taschen zunähen.«

In der Tat mußte sich der unglückliche Middy sämtliche Taschen seines Anzuges zunähen lassen und tagelang zum Spott seiner Kameraden und der Matrosen herumlaufen, bis auf Bitten der Offiziere der Kommandant ihn begnadigte.

Ein anderer Kommandant steckte die Middies, die irgendetwas begangen hatten, auf vier Stunden auf den Mars, und jedesmal, wenn die Schiffsglocke glaste, was alle halbe Stunde geschieht, mußte der Delinquent so laut, daß man es über das ganze Schiff hörte, seinen Namen und das, was er verbrochen hatte, ausschreien.

Daß auf den Schiffen der alten englischen Marine die Todesstrafe gegen Offiziere und Mannschaften schon wegen verhältnismäßig geringer Vergehen vollstreckt wurde, war bei der Grausamkeit der Marinegesetze selbstverständlich. –

Es wurde soeben des Schneiders Erwähnung getan, der dem englischen Kadetten die Taschen zunähen mußte. Auch unsere Schulschiffe haben Schneider mit sich, und Admiral R. von Werner widmet dem Bordschneider folgende humoristische Schilderung:

»Das Zeug gut flicken zu können, ist auch ein Lehrgegenstand, und würdevoll schreitet Mittwoch und Sonnabend der Schiffsschneider zwischen den Zöglingen einher, um sie in die Geheimnisse der Kappnaht, des Saumes und der Hinterstiche einzuweihen und auch ein Privatissimum im Strumpfstopfen zu erteilen. In diesen Stunden fühlt er seine Wichtigkeit und wird mit seiner Existenz etwas ausgesöhnt, denn solch ein armes Schneiderlein hat an Bord keine beneidenswerte Stellung und führt eigentlich ein Nomadenleben. Er ist beständig auf Ausguck, wo er ein Plätzchen erspähen kann, um ungestört die Nadel zu rühren und die Schere zu schwingen. Überall wird er verjagt und muß von neuem fort. Jetzt scheint er einen ruhigen Winkel an einer Batteriepforte gefunden zu haben, aber wie lange wird es dauern, dann kommt der Zimmermann zurück und jagt ihn abermals fort. Der Leimtopf und die auf Deck liegenden Hobelspäne deuten darauf hin, daß er zeitweilig seine Arbeitsstätte verlassen hat und jeden Augenblick wieder erscheinen kann. Armes Schneiderlein! Er ist nicht einmal freiwillig an Bord gekommen – man hat ihn einfach eingezogen, in Matrosenuniform gesteckt und ihn an Bord kommandiert, wo ihm alles neu ist und er nicht ›vorn‹ und ›hinten‹ im Schiff unterscheiden kann. Aber er ist ein mutiger Geist und erträgt alles Ungemach mit Heroismus. Wenn er Urlaub erhält, beansprucht er auf der Herberge den vornehmsten Platz, staut dort zum Staunen der übrigen Gesellen ein mächtiges Stück Kautabak hinter den letzten Backenzahn an Steuerbord und sagt, wenn er von sich spricht, ebenso wie die eben eingetretenen Schiffsjungen: ›Wir Seeleute!‹

Tapferes Schneiderlein! Wer weiß, vielleicht begegnen wir ihm später noch einmal als Derfflinger zur See.«


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