Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Zweites Kapitel.

Die verschiedenen Messen an Bord. – Der Kommandant. – Die Deckoffiziere. – Der Nimbus des Achterdecks. – Die Hobelbank. – Der unverständliche Brief und die verzweifelte Großmutter. – Die erlogene Beförderung. – Der Gallions-Inspektor und seine Tätigkeit. – Die Masten. – Die Stengen. – Die Topps. – Schwindelfrei muß man sein. – »Festhalten!« – »Enter auf!« – Um die Pütting. – Auf dem Mars. – Um die Sahling. – »Dreimal über den Topp!« – Abgestürzt.


Die Messen sind eine eigentümliche Einrichtung auf den Kriegsschiffen. Es gibt eine Offiziermesse, eine Kadettenmesse und eine Deckoffiziermesse. Die Messe ist für diese drei Kategorien von Vorgesetzten auf dem Schiffe der gemeinsame Wohn- und Eßraum. Bei den Kadetten dient die Messe auch noch für den Unterricht.

Man muß nicht glauben, daß es sich um großartig eingerichtete, saalartige Zimmer handelt. Wie alle Räume auf einem Kriegsschiff, besonders auf einem Schulschiff, sind auch die Messen beengt. Sind alle berechtigten Teilhaber der Messe zusammen, z. B. beim Essen, so sitzt man schon so eng, daß man sich kaum bewegen kann. Der Dienst bringt es indes mit sich, daß immer nur ein Teil der Meßangehörigen, selbst zur Hauptmahlzeit, wirklich am Tische Platz nimmt. Die anderen Teilhaber müssen entweder nachexerzieren, das heißt, es wird ihnen nachträglich Essen serviert, oder sie müssen, wie der Navigationsoffizier, vor den anderen Messemitgliedern essen.

Vor allem muß aber der Landratten-Ansicht entgegengetreten werden, daß diese Messen Orte sind des Vergnügens und der ungeheuerlichsten Heiterkeit. Es gibt auf dem Schiffe so viel zu tun, daß die Stunden höchst selten sind, in denen man sich einmal in der Messe ungebundener Fröhlichkeit und Heiterkeit hingeben kann. Der Dienst ist zu ernst, er erfordert zu sehr die beste und letzte Kraft jedes einzelnen Offiziers und Mannes auf dem Schiff, als daß man daran denken könnte, wie das so die Landratte glaubt, täglich großartige Feste zu feiern.

Den Hauptgenuß von der Offiziersmesse haben noch die »Badegäste«. Mit diesem Namen bezeichnet man diejenigen Mitglieder der Offiziersmesse, welche keinen eigentlichen Schiffsdienst tun, also die Ärzte, der Prediger, der Zahlmeister, der Offizier von der Marine-Infanterie und der Maschinen-Oberingenieur, letzterer wenigstens, wenn die Maschine nicht unter Dampf ist. Auf dem Schulschiff aber ist die Maschine höchst selten im Gange. Das Schiff ist als Segelschiff eingerichtet, und Kadetten, Schiffsjungen und Matrosen sollen den Dienst auf dem Segelschiff kennen lernen. Die Schiffsschraube ist zum Heben eingerichtet, so daß sie während der Fahrt nicht hindert, und nur im Notfälle, wenn man einem Sturme entgehen will oder wenn man infolge eines Befehls von Berlin her rasch einen Hafen erreichen muß, wird die Schraube heruntergelassen und wird gedampft. Die »Badegäste« brauchen also nicht zu jedem Dienst anzutreten. Der Zahlmeister hat in seinem Bureau zu tun, die Ärzte sind nur für den Fall eines Unglücks oder einer schweren Erkrankung in Anspruch genommen, nachdem sie ihren Lazarettdienst am Vormittag versehen haben, und der Offizier von der Marine-Infanterie überwacht die infanteristische Ausbildung der Kadetten und erteilt ihnen auch gleichzeitig Unterricht. Ebenso ist der Prediger Lehrer für die Schiffsjungen, indem er ihnen Unterricht in Deutsch, Geographie und Geschichte gibt.

Den Namen »Badegäste« haben die anderen Offiziere diesen Mitgliedern der Messe beigelegt, weil die Herren im allgemeinen ein recht bequemes Leben führen und der Aufenthalt an Bord für sie dasselbe bedeutet, wie das Leben in einem Badeorte.

Die Messen sind keineswegs luxuriös eingerichtet. Der Staat liefert das Mobiliar, er liefert auch das Geschirr und die Gebrauchsgegenstände. Für Teppiche, Vorhänge, Bilder und sonstige Ausschmückungsgegenstände aber haben die Mitglieder der Messe selber zu sorgen, das müssen sie aus ihrer Tasche bezahlen.

Wer sich in der Messe aufhält, ist mit Rücksicht auf seine anderen Kameraden an ein ganz bestimmtes Verhalten gebunden. So darf niemand singen oder pfeifen. Ist ein Klavier in der Messe, so darf dieses nur mit Bewilligung sämtlicher anderer Anwesenden gespielt werden und nur von Leuten, die wirklich etwas vom Klavierspielen verstehen. Beschäftigen sich Kameraden mit Lesen oder vielleicht mit Schachspiel, so ist es Pflicht der anderen, sich möglichst still zu verhalten und nur im Flüstertöne zu sprechen. Während der gemeinsamen Mahlzeiten darf über das Essen nicht gesprochen werden, schon um zu verhindern, daß gewisse Mitglieder der Messe, Charaktere, die man überall in der ganzen Welt findet, ihrer schlechten Laune durch Schimpfen auf das Essen Luft machen. Gespräche über Politik, Religion und über den Dienst sind bei den gemeinsamen Mahlzeiten ebenfalls ausgeschlossen, damit nicht unnütze Streitigkeiten und Fachsimpelei entstehen.

Man wird es begreifen, daß, wenn die Mitglieder einer Messe monatelang zusammen gefahren sind, ihnen der Gesprächsstoff schließlich ausgeht. Besonders wenn man lange keine Briefe oder Zeitungen aus der Heimat bekommen hat und alle mitgenommenen Bücher durchgelesen sind, wird es recht langweilig und einförmig in den Messen, und die Landratte, die da glaubt, die Messe sei ein Ort, in dem der Quell des Vergnügens ununterbrochen sprudelt, würde sich gewaltig enttäuscht fühlen und würde so rasch wie möglich aus der Offiziersmesse flüchten.

Die Messen haben einen ganz besonders wichtigen Zweck an Bord, außer dem, gemeinsame Speise- und Wohnräume zu sein: sie ermöglichen den Abschluß der verschiedenen Berufskreise der Besatzung. Deshalb thront und haust zum Beispiel der Kommandant allein in seiner Wohnung und kommt nur in die Offiziersmesse, wenn er besonders von den Offizieren eingeladen wird, was auf See höchstens alle vierzehn Tage einmal vorkommt.

Der Kommandant des Schiffes hat einen sehr verantwortungsvollen Posten. Kaiser und Reich vertrauen ihm ein Schiff an, das mit dem Inventar und der Bewaffnung viele Millionen wert ist. Ihm ist das Leben von fast fünfhundert Personen anvertraut, er hat die Ehre der Flagge zu wahren und die Interessen seines Vaterlandes in allen fremden Häfen wahrzunehmen. Er ist die höchste Autorität an Bord, und wenn er auch nicht gerade »Herr über Leben und Tod« ist, wie sich die Binnenländer schaudernd erzählen, so hat er doch große Rechte, und in gewissen Augenblicken ist er eben Alleinbeherrscher des Schiffes, der sich nur dem Kaiser und dem Reichsmarineamt gegenüber zu verantworten hat. Der Kommandant hat sehr viel geistige Arbeit, er ist auch übermäßig mit Schreibwerk belastet, trotzdem er ein ganzes Bureau, an dessen Spitze der Adjutant steht, zur Verfügung hat. Er muß eine Menge Berichte und Eingaben selbst ausarbeiten, er muß manchmal stundenlang nachdenken über das, was er in gewissen Augenblicken zu tun hat oder im nächsten Hafen zu tun haben wird. Er ist ein älterer Herr und bedarf der Ruhe. Er hat endlich auch Pflichten der Repräsentation. Er verkörpert im fremden Hafen gegenüber den dort wohnenden Deutschen und den Angehörigen des fremden Staates den Kaiser und das Deutsche Reich. Er muß daher auch Räumlichkeiten haben, wo er eventuell hochstehende Persönlichkeiten in den fremden Häfen empfangen kann, und deshalb hat er ein Wohn- und ein Arbeitszimmer, einen Salon und ein Schlafzimmer, die im Batteriedeck liegen, und zwar im Hinterteil des Schiffes, im Heck. In den an der äußeren Bordwand liegenden Räumlichkeiten sind besonders große Fenster eingelassen. Gewöhnlich zieht sich außenbords rund um das Heck noch ein Balkon, eine kleine Galerie hin, auf der es sich bei ruhiger See ganz prächtig sitzt oder auf der man hin und her gehen kann. Der Kommandant hat seinen eigenen Koch und seine eigenen Vorratsräume.

Wären die Offiziere fortwährend mit dem Kommandanten zusammen, so würde sich ein höchst ungemütliches Leben entwickeln. So sind sie kameradschaftlich unter sich in der Messe. Der erste Offizier, dem Range nach der Dienstälteste, ist natürlich die erste Persönlichkeit in der Messe, aber soweit es sich um Essen und Trinken handelt, steht er doch unter dem freigewählten Meßvorstand, der über das, was gekocht und verabreicht wird, entscheidet. In der Messe ist auch der erste Offizier lediglich Kamerad, und gewöhnlich verstehen es diese Herren, in der Messe vollkommen den Vorgesetzten abzustreifen, so daß die Offiziere ganz unter sich sind. Sie können dann scherzen, sie können reden, was sie wollen, ohne fürchten zu müssen, einen Vorgesetzten zu verletzen.

Wären die Kadetten nun gezwungen, in der Offiziersmesse zu verkehren, so würde das für sie auch eine Last sein, die schließlich unerträglich würde. Sie säßen immerfort mit ihren Vorgesetzten zusammen, dürften kein Wort sprechen, würden verlegen, weil jedermann sie beobachtet und jeder ihre Handbewegungen kontrolliert, und so war es durchaus nötig, auch für sie einen besonderen Aufenthaltsraum, nämlich die Messe, zu schaffen, der wir später noch einen Besuch machen werden, um zu sehen, wie lustig es dort zugeht. Natürlich – Um allen Irrtümern vorzubeugen – sind diese Zeiten der Lustigkeit auch in der Kadettenmesse verhältnismäßig selten.

Die Deckoffiziere nehmen eine eigentümliche Stellung zwischen Offizieren und Unteroffizieren ein. Sie gehen aus dem Unteroffiziersstande hervor und die meisten von ihnen sind als Schiffsjungen in die Marine eingetreten. Die tausend Schiffsjungen, die man jetzt jährlich einstellt, sollen ja zukünftige Unteroffiziere und Deckoffiziere werden. Natürlich dauert es eine sehr lange Zeit, ehe man sich vom Schiffsjungen bis zum Deckoffizier heraufgedient hat. Beim Bootsmannspersonal muß man mindestens achtzehn Jahre warten, ehe man es bis zum Deckoffizier bringt. Beim Feuerwerkerpersonal dauert es elf, beim Torpedopersonal zwölf und beim Materialienverwalterpersonal zehn Jahre. Die Deckoffiziere bilden eigentlich den Stab des ersten Offiziers und auf dem Schulschiff ist eine Hauptperson der Bootsmann. Er ist wirklich die rechte Hand des ersten Offiziers; er sorgt mit seinen Maaten, das heißt mit den Unteroffizieren und den ihm zugeteilten Mannschaften für das äußere Aussehen des Schiffes, für die Takelage, die Anker und die Ketten, für den Wasservorrat, das Reinigungsgeschirr, und da er die Ordnung auf dem Oberdeck aufrecht zu erhalten hat, ist er der Verwalter des Oberdecks.

Der Steuermann mit seinen Maaten ist der Gehilfe des Navigationsoffiziers. Er verwaltet die nautischen Instrumente, alle Apparate, die für wissenschaftliche und praktische Messungen aus dem Schiffe nötig sind, er ist als Verwalter der Seekarten und nautischen Bücher ein Stück Bibliothekar. Er ist verantwortlich für die Sicherheit der Steuerungseinrichtungen, und seine Maaten gehen Wache am Rad, ganz gleich, ob mit der Hand- oder mit der Dampfsteuerung das Schiff gelenkt wird.

Der Feuerwerker ist verantwortlich für die Brauchbarkeit der Artillerie und der Handwaffen. Er überwacht die Munitionskammern und alle Sicherheitsmaßregeln, die beim Umgang mit Sprengstoffen zu beobachten sind. Er ist der Deckoffizier des Batteriedecks.

Der Zimmermann mit seinen Maaten spielt besonders auf dem Schulschiff, das noch zum Teile aus Holz besteht und sich dadurch wesentlich von den nur aus Eisen gebauten modernen Panzerschiffen unterscheidet, eine große Rolle. Er ist verantwortlich für den ganzen Schiffsrumpf, bestehe derselbe nun aus Holz oder Eisen. Unter seiner Obhut stehen die Masten und Raaen, die Pumpen, die Boote, die Möbel.

Über die Dienstobliegenheiten des Stabswachtmeisters sind wir bereits unterrichtet.

Der Materialienverwalter hat die Aufsicht über das gesamte im Schiff untergebrachte Material, das in den Lasten und in den sogenannten Hellegats untergebracht ist und das wir später noch genauer kennen lernen werden.

Zu den Deckoffizieren gehören die Maschinisten, von denen drei auf der »Moltke« vorhanden find. Diese haben andern Dienst, als die sonstigen Deckoffiziere, welche vor allem Verwalter sind und niemals Wache gehen, außer wenn das Schiff im Hafen liegt. Die Maschinisten aber gehen in der Maschine Wache, um dort die Heizer zu kontrollieren, den Gang der Maschine zu überwachen und die notwendigen Anordnungen für das an den Maschinen stehende Personal zu geben.

Wir befinden uns also in der Deckoffiziers-Messe und nehmen dort einen Trunk zu uns, den natürlich die Deckoffiziere, wenn sie ihn bestellen, bezahlen müssen.

Wir erfahren hier, daß die Unteroffiziere keine besondere Messe haben. Auf den neuen, großen Panzerschiffen, wo viel Raum vorhanden ist, wird ihnen ein gemeinsamer Speiseraum angewiesen, besonders denjenigen Unteroffizieren, die nicht beständig mit den Mannschaften zu tun haben. Sonst aber leben die Unteroffiziere mit den Mannschaften zusammen.

Die Messe der Mannschaften ist das Oberdeck, wo sie sich während der freien Zeit aufhalten dürfen und das ihnen fast ganz zur Verfügung steht. Nur der hintere Teil des Decks, das sogenannte Achterdeck, darf von Mannschaften, Unteroffizieren, Deckoffizieren und Kadetten nur in dienstlicher Eigenschaft betreten werden. Ungerufen darf niemand von diesen Mitgliedern der Schiffsbesatzung das Achterdeck betreten, und kommt er dahin auf den Ruf eines Offiziers, so hat dies in militärischer Haltung zu geschehen. Das Achterdeck ist gewissermaßen der geheiligte Teil des Schiffsbodens, und selbst der Offizier, der dieses Achterdeck betritt, grüßt es durch Anlegen der Hand an die Mütze.

Das hohe Ansehen, das das Achterdeck genießt, ist auf vergangene Zeiten in der Marine zurückzuführen. Damals gab es für die Offiziere noch keine Messe, sie hielten sich meist auf dem Achterdeck auf, das eventuell mit einem Sonnensegel zum Schutz gegen Sonne und Regen überspannt war. Sie sollten von den Mannschaften getrennt werden. Dann aber war das Achterdeck in früheren Zeiten, als nicht Landeskinder, sondern gepreßte und mit Gewalt zum Dienst gezwungene Leute Matrosen auf den Kriegsschiffen waren, der Raum, auf den sich die Offiziere zurückzogen und verteidigten, wenn eine Meuterei im Schiffe ausbrach. Um aber die Mannschaft daran zu gewöhnen, daß dieses Achterdeck ein Ort sei, der nur den Offizieren zustände und den sie niemals betreten dürften, wollten sie sich nicht der Meuterei schuldig machen, umgab man das Achterdeck mit einem gewissen Nimbus von Ehrung, ja mit einer Art Heiligenschein.

Während der Freizeit auf dem Oberdeck halten sich aber auch die Unteroffiziere wiederum von den Mannschaften getrennt, schon deshalb, damit die Mannschaften ganz und gar unter sich sind, damit sie sich auch einmal nach Herzenslust ausschimpfen können, selbst über die Vorgesetzten, ohne daß sie sich strafbar machen. Durch das enge Zusammenleben auf dem Schiffe, wo man fortwährend Schulter an Schulter sich bewegt, entsteht bei Offizieren und Mannschaften leicht Ärger und Verbitterung über den Dienst oder über die Behandlung und eine gewisse Nervosität, von welcher, Gott sei Dank, Offiziere und Mannschaften im Landheere keine Ahnung haben. Letzteren ist immer wieder Gelegenheit geboten, wenigstens in der Freizeit aus den Kasernen herauszukommen, sich im Freien, in den Straßen, unter dem Publikum, das heißt unter anderen Menschen zu bewegen, während auf dem Schiffe Offiziere und Mannschaften wie die Gefangenen sitzen und sich beim besten Willen nicht ausweichen können.

Eine Art von Messe, die aber durchaus nicht offiziell ist, haben die Maate, die an der sogenannten »Hobelbank« der Zimmermannsmaate sich versammeln. Es ist das eine Arbeitskammer, wo sich gewöhnlich die Unteroffiziere zusammenfinden, um einen gelehrten oder interessanten »Plausch« miteinander zu halten. Auch wir werden als ungesehene Gäste an diesen Hobelbank-Versammlungen teilnehmen und hoffentlich manch interessante und ergötzliche Szene dort erleben.

Der Materialienverwalter und der Steuermann, die einen Augenblick mit uns in der Deckoffiziersmesse sitzen, erzählen sich eine lustige Geschichte von den Schiffsjungen. Da ist ein verzweifelter Brief eines alten Großmütterchens aus der Provinz an das Kommando der Schifssjungen-Abteilung gekommen und das Kommando hat den Brief an den Kommandanten des Schiffes weitergegeben. Das alte Großmütterchen fragt verzweifelt an, ob ihr Franz verrückt geworden sei. Er hat ihr nämlich einen Brief geschrieben, den sie absolut nicht versteht. In dem Briefe kommt in der Tat eine Stelle vor, welche die gute alte Frau, die vom Leben so gar nichts versteht und vom Schiff und seinen Einrichtungen keine Ahnung hat, sehr geängstigt haben muß. Ihr Enkel Franz hat nämlich vor dem guten Großmütterchen renommieren wollen. Er kam sich ganz großartig vor, als er ihr gegenüber mit fremden Ausdrücken prunken konnte, und so befindet sich in dem Briefe eine Stelle, die zum Schrecken des Großmütterchens lautet:

»Luv zum Wenden! Los Vorschoten! Auf Halsen! Brambulins! Hol steif! Rund achter! Vorbrassen! Hol steif! Rund vor! Beim Wind vor! Hol steif Luvbrassen und Toppnanten! Bulins aus!«

Diese unverständlichen Ausdrücke sind die Segelkommandos für das Wenden, wenn das Schiff aus seiner bisherigen Fahrt in die entgegengesetzte übergehen will. Der Schiffsjunge Franz Schwersenzke ist ein sehr zum Renommieren und Großtuen geneigter Bengel und wir werden noch öfter Gelegenheit haben, uns mit ihm zu befassen. Ihm haben selbst diese Kommandos mit den fremden Ausdrücken imponiert und er hat sie einfach mitten in den Brief an seine alte Großmutter gesetzt.

Aus dem Briefe aber hat man noch etwas anderes erfahren. Die alte Großmutter schreibt nämlich: »Soviel ich bisher gehört habe, geht es meinem Enkel ja bei Ihnen recht gut. Er ist ja sogar wegen seiner guten Führung zum Ober-Bramraa-Gast ernannt worden.« Durch diese Stelle des Briefes kommt ein neuer Schwindel des Herrn Franz Schwersenzke zu Tage. Als einer der Schiffsjungen, die die Ober-Bramraa zu bedienen haben, hat er es fertig bekommen, bei seiner alten Großmutter den Glauben zu erwecken, das Wort »Ober« in der Bezeichnung »Ober-Bramraa-Gast« bedeute eine besondere Beförderung und Auszeichnung.

Solche Großmannssucht kommt aber nicht nur bei den Schiffsjungen, sondern auch manchmal bei den Matrosen vor. Besonders die Herren »Gallions-Inspektoren« haben Neigung, diesen Titel als Beförderung und Auszeichnung bei ihren Angehörigen im Binnenlande gelten zu lassen.

Wir wollen die Gelegenheit benützen, um uns hier über etwas zu unterrichten, was vielleicht nicht ganz salonmäßig ist, aber doch nun einmal zu den Einrichtungen eines Schiffes gehört. Es wird auf dem Schiffe nicht nur gegessen, sondern auch verdaut, und es müssen natürlich Räume vorhanden sein, um gewisse Bedürfnisse zu verrichten. Diese befinden sich im Gallion, das heißt im Vorderteil des Schiffs am Bug, dort, wo außen das Gallionbildnis zu sehen ist; auf der »Moltke« die Büste des berühmten Feldmarschalls. Wenn das Schiff nämlich in Fahrt ist, dann rauscht das Seewasser bis hoch an das Gallionbildnis heran und reinigt dadurch ganz selbsttätig die Schiffswände und das Innere der Bedürfnisanstalten. Wenn der Seemann einen gewissen Ort aufsuchen muß, so sagt er: »er steigt ins Gallion«. Natürlich muß auch hier die denkbar größte Sauberkeit und Ordnung herrschen und es wird stets ein Mann mit der besonderen Aufsicht über die Gallionseinrichtungen beauftragt. Dieser Mann hat den Leuten gegenüber, die das Gallion benützen, die Stellung eines Vorgesetzten und muß höllisch aufpassen, denn sowohl der Bootsmann wie der erste Offizier sehen ihm scharf auf die Finger. Bei den Mannschaften führt dieser Mann den ironischen Spitznamen »Parfümke«, offiziell aber heißt er Gallions-Inspektor, und wenn das Schiffskommando einen Brief für den betreffenden Matrosen empfängt und die Adresse des Briefes lautet: »An den Kaiserlichen Gallionsinspektor auf S. M. S. X, Herrn So und So«, so lacht man und weiß, daß Parfümke mit seinem Titel in der Heimat gewaltig renommiert hat und daß seine Angehörigen in dem einsamen Gebirgsdorf oder in dem Dörflein an der russischen Grenze glauben, ihr liebes Familienmitglied habe es ganz herrlich weit und zu einem hohen Posten in der Marine gebracht, während seine Beschäftigung doch eine keineswegs salonfähige ist.

Aber wir haben uns nun genügend lange in der Deckoffiziersmesse aufgehalten: wir wollen auf Deck und einmal auf den Mast hinaufsteigen. Diese Expedition ist dringend nötig, um dir, lieber junger Leser, einmal klar zu machen, was das Entern in der Takelage bedeutet. Vielleicht wirst du, der du bis jetzt ein begeisterter »Seemann« bist, ganz anders über die Sache denken, wenn wir vom Mast wieder auf das Deck heruntergestiegen sind.

Betrachten wir die drei Masten genauer. Der Unterteil der Masten auf dem Schulschiffe besteht aus Eisen. Die beiden Stengen, die Mars- und die Bram-Stenge, sind aus Holz. Die Masten gehen durch kreisrunde Öffnungen der verschiedenen Decke bis zu dem tiefsten Boden des Schiffes, zu dem sogenannten Kielschwein, und liegen dort mit ihrem Fuß in der Mastspur. In den Öffnungen der Decke werden die Masten durch Holzkeile festgehalten. Über den Öffnungen befinden sich sogenannte Mastkragen aus geteertem Segeltuch, um das Durchlaufen von Wasser zu verhindern. Der oberste Teil des Mastes, die Spitze, heißt der Topp. Die Topps werden aber anders bezeichnet als die Masten selbst. Wie wir wissen, heißen die Masten: Fockmast, Hauptmast und Kreuzmast. Die Topps heißen aber: Vortopp, Großtopp und Kreuztopp. Die Masten und das Bugspriet werden durch straff gespannte Drahttaue festgehalten. Das gesamte Tauwerk an Bord, sei es aus Draht, sei es aus Manila-Hanf hergestellt, heißt Gut, und zwar unterscheidet man nach der Bestimmung »stehendes Gut« und »laufendes Gut«. Das stehende Gut dient dazu, die Masten und das Bugspriet mit seiner Zutakelung festzuhalten; das laufende Gut dient dazu, die Raaen und die daran befestigten Segel sowohl horizontal wie vertikal zu bewegen. Es dient ferner dazu, die Boote, die in den Davits hängen, hinunterzulassen und heraufzuziehen.

Wir wollen uns mit diesen Angaben über das Tauwerk und Gut begnügen, um nicht Verwirrung in den Köpfen der jungen Leser zu verursachen. Sie mögen es sich aber gesagt sein lassen, daß das Kapitel »Tauwerk und Blöcke« eine wahre Wissenschaft ist, und daß der Verfasser überzeugt ist, der jugendliche Leser, der ihn ungesehen auf das Schiff begleitet, würde vor Schreck und Entsetzen über Bord springen, wenn er ihn nur mit fünf Dutzend Namen bombardieren würde, welche doch der Schiffsjunge alle kennen muß. Jedes Tau und jedes Ende (letzteres ist der Name für die Taue des laufenden Gutes) muß der junge Seemann nicht nur mit Namen bezeichnen, sondern auch auf das korrekteste gebrauchen können. Schon der Unterschied von Hanftauwerk, Drahttauwerk, Manila-Tauwerk und Flachstauwerk beweist, wie viele Arten Taue es an Bord gibt, und wenn man erfährt, daß das Hanftauwerk wieder unterschieden wird in Trossenschlag, Wantschlag und Kabelschlag, daß es vierschäftigen Wantschlag und neunschäftigen Kabelschlag, daß es rechts und links geschlagenes Tauwerk gibt, so möge das genügen, um bei unseren jungen Lesern Schrecken und Entsetzen hervorzurufen.

Aber nicht nur die Namen und den Gebrauch der Taue und Enden muß der junge Seemann wissen, sondern auch die Behandlung und Konservierung; er muß es verstehen, sie zu verarbeiten, zu spleißen, aufzuwickeln und wieder zusammenzuflechten. Entsetzliche Träume haben für manchen armen Schiffsjungen und Kadetten die »Blöcke« gebracht, durch welche das Tauwerk des laufenden Gutes hindurchgeht, und welche ungefähr dasselbe sind, wie Rollen und Flaschenzüge an Land. Gräßliches Albdrücken haben solchen armen Schiffsjungen und Kadetten die Klump-, Flach-, Fuß-, Schulter-, Violin-, Lot-, Zwillings-, Pupp-, Refftalljen- und Jungfern-Blöcke verursacht. Wer keinen anschlägigen Kopf hat, der quält sich monatelang allein mit den verteufelten Tauenden und Blöcken herum, und wenn es ihm nicht gelingt, sich mit diesen Dingen vollkommen vertraut zu machen, fällt er beim nächsten Examen sicher durch.

Das Lernen hört also auf dem Schiff nicht auf; beim Kadetten schon gar nicht, der bleibt Schüler und muß ununterbrochen lernen, ob er an Land oder auf dem Schiffe ist. Aber auch der Schiffsjunge muß gewaltig viel in seinen Kopf hineinzubringen suchen und mancher hat mit Schmerzen daran gedacht, daß er es auf der Schulbank, von der er davonlief und auf der er es nicht mehr aushalten wollte, doch viel besser gehabt hat, als bei dem Lernstoff, den er als Schiffsjunge bewältigen mußte.

Sieh da hinauf zum Topp des Hauptmastes, Landratte! Bist du schwindelfrei? Das ist eine wichtige Frage, auf deren Beantwortung hin sich jeder junge Mensch prüfen sollte, der zur Marine geht. Wer auf dem Turnplatz den Klettermast besteigen kann, der ist noch nicht schwindelfrei. Es handelt sich darum, oben an dem Topp des Mastes sich festzuhalten, wenn das Schiff nach rechts und links rollt und die Mastspitze in wilder Fahrt beständig einen Bogen von fünfzig bis sechzig Metern nach rechts oder links beschreibt, und das in heulendem Sturm und Wolkenbruch, umzuckt von den knatternden, prasselnden, blendenden Blitzen der Gewitternacht.

Bleibst du dann auch schwindelfrei, Landratte?! Wehe, wenn du es nicht bist! Dann wirst du in der ersten schweren Sturmnacht von Mast oder Raa stürzen und unrettbar verloren sein, denn keine menschliche Gewalt kann dich aus den Fluten retten! Du wirst Gott danken, wenn ein mitleidiger Haifisch dich schleunigst entzweibeißt und frißt. Wie mancher arme Schiffsjunge und Kadett mußte die Karriere, der er sich freudigen Herzens widmen wollte, wieder aufgeben, weil er an Schwindel litt. Fast von jeder Crew (sprich Kru) werden Schiffsjungen und Kadetten als unbrauchbar ausgeschieden, weil sie die Schwindelanfälle auf Masten und Raaen nicht überwinden können. Crew heißt Mannschaft oder Jahrgang; so heißt zum Beispiel die gesamte Besatzung eines Bootes die Crew des Bootes; aber auch alle Leute von einem Dienstjahrgang werden mit dem Gesamtnamen Crew bezeichnet.

Die jetzt noch lebenden Seeoffiziere von der Kadetten-Crew, die im Frühjahr 1885 eintrat und auf die »Niobe«, das alte, jetzt längst ausrangierte Schulschiff kam, werden sich noch der unglaublich komischen Szene mit einem Kadetten erinnern, der frisch von Land auf das Schiff stieg und als er erfuhr, daß er täglich mehrmals bis zum Topp des Mastes hinaufklettern müsse, sofort erklärte, darauf lasse er sich unter keinen Umständen ein und er wolle sofort verabschiedet werden. Man ließ den Unglücklichen, der den komischen Namen Thaler führte, natürlich laufen, und die gesamte Kadetten-Crew sang ihm höhnisch nach:

»Thaler, Thaler, du mußt wandern!«

Mit welchen Begriffen war wohl dieser Kadett, der doch aus gebildeten Kreisen stammte, auf das Schiff und in seinen freiwillig erwählten Beruf gegangen! Welch törichte Ansichten hat man heute noch selbst in gebildeten Kreisen über die Anforderungen des Seedienstes und über die Aufgaben des schweren seemännischen Berufes! Nun, lieber junger Leser, wenn du dies Buch zu Ende gelesen haben wirst, sollst du wenigstens nicht mehr falsche Ansichten in dieser Beziehung haben.

Wir wollen also hinauf auf den Mast. Nun merke dir vor allem die Lehre, die den Kadetten und Schiffsjungen zuerst und immer wieder eingeprägt wird: »Festhalten! Festhalten wie mit Teufelsklauen!« (Die Teufelsklaue ist ein eisernes Instrument zum Festhalten, das vielfach an Bord der Schiffe gebraucht wird.) Wenn du dich nicht festhältst in jedem Augenblick, so bist du verloren. Du wirst von der Raa oder vom Mast herunterstürzen und einen schrecklichen Tod erleiden, wenn du auf das Deck aufschlägst. Also noch einmal: »Festhalten wie mit Teufelsklauen!« Dem Schiffsjungen wird es beim Eintritt schon gesagt, daß in dem Augenblick, in dem er in die Takelage steigt, jeder einzelne Finger ein Angelhaken sein muß; ja, man gibt ihm sogar den humoristischen Rat, er solle sich an gefährlichen Stellen selbst mit den Augenlidern am Tauwerk festzuhalten suchen. Also nochmals und zum dritten Male:

»Festhalten! Festhalten unter allen Umständen!«

Jetzt schwingen wir uns auf die Reling und steigen auf den strickleiterartigen Webeleinen, die in den Wanten horizontal gezogen sind, zum Mars, der ersten Plattform in der Masthöhe, hinauf. Wir steigen außenbords der Wanten hinauf, damit wir nicht mit dem Rücken nach unten hängen, denn die Wanten gehen ja schräg nach oben bis unterhalb des Marses.

Langsam und vorsichtig steigen, keine Übereilung! Nur durch lange Übung kommt zu der Sicherheit auch die Fixigkeit. So, nun sind wir unter dem viereckigen, wagerechten Podium, das an der Vereinigung von Untermast und Marsstenge angebracht ist und auf welcher die große Plattform, der sogenannte Mars, ruht, den der Laie törichterweise »Mastkorb« nennt, obgleich er mit einem Korbe nicht die geringste Ähnlichkeit hat. Jetzt kommt die erste Schwierigkeit, und zwar keine kleine. Wir müssen um die sogenannte »Pütting« herum, indem wir auf einer schrägen Strickleiter, mit dem Rücken nach unten hängend, bis an den Rand der Plattform steigen und uns dann auf diese hinaufschwingen.

Die Augen zugemacht und ja nicht hinunter gesehen, denn sonst wird man schwindlig und stürzt unfehlbar ab. Wenn man so in der Luft auf dem Rücken liegt und nach unten sieht, wird einem ganz bösartig schlecht zu Mute. Wenn Schiffsjungen und Kadetten zum ersten Male diesen gefährlichen Weg um die Pütting machen, steht dort oben ein Maat, der ihnen beim Festhalten und Herumschwingen mit energischen Griffen und guten Ratschlägen Hilfe leistet.

Nun sind wir glücklich und nicht ohne etwas Herzklopfen bis auf die erste Plattform, auf den Mars, gelangt. Vom Rande des Mars aus führen neue Wanten hinauf zu der zweiten Plattform, bis zu der Sahling, welche an der Stelle sitzt, wo Mars- und Bramstenge zusammenstoßen. Es hilft nichts, wir müssen auch dort hinauf und wieder auf der gefährlichen Strickleiter mit dem Kopfe nach unten hängend um die Sahling herum. Nun sind wir an der Bramraa und wollen für heute darauf verzichten, an der senkrechten Strickleiter, der sogenannten Jakobsleiter, die bis zum Topp führt, hinaufzusteigen.

Sehen wir uns von oben ein wenig um. Wir befinden uns turmhoch über dem Wasser und ungefähr hundertzehn Fuß über dem Schiffsdeck. Wer von hier hinuntersegelt, landet mit zerschmetterten Knochen auf dem Deck und es ist ein Glück für ihn, wenn er gleich tot ist. Die Bram-Raa führt weit hinaus ins Freie. Sie ist rechtwinkelig zum Maste befestigt, und bei den verschiedenen Arbeiten müssen Schiffsjungen, Matrosen und Kadetten bis an die »Nocken«, das heißt bis an das äußerste Ende der Raa, hinausgehen und müssen dort, nur mit den Füßen auf ein dünnes, schwebendes Tau sich stützend, Arbeiten verrichten. Frage dich, angehender Seemann, ob du auch an dieser Stelle, wenn du dort stundenlang zu hantieren hättest, schwindelfrei bleiben würdest, besonders wenn das Schiff etwas unruhig ist. Auch der Sturz ins Wasser von der Raa-Nock hinunter ist keine Kleinigkeit. Fällt man unglücklich, so bricht man das Genick, und im günstigen Falle nimmt man ein sehr unangenehmes kaltes Bad, das ebenfalls verhängnisvoll werden kann.

Welch weiten Blick wir hier haben! Nicht nur über das große Dreieck der Kieler Föhrde und über den ganzen Hafen, über die Schleusenwerke von Holtenau, wo der Eingang des Nordostseekanals, in die Kieler Föhrde sich befindet, über den Leuchtturm von Friedrichsort bei Laboe, über den Leuchtturm von Bülk, sondern auch über die ganze Stadt Kiel und über die umliegenden Höhen, von denen die schönste die mit Buchen bewachsene Düsterbrooker Höhe ist, blicken wir hinweg! Der Kieler Hafen ist einer der schönsten in der ganzen Welt!

Nun wollen wir wieder hinuntersteigen, und das ist auch nicht leicht, besonders nicht an den Stellen, die schon beim Aufstieg unangenehm waren.

Langsam, langsam und festhalten! Vergessen wir das nicht. Wenn das Schiff erst sechs Wochen in Fahrt ist, dann gehen Schiffsjungen und Kadetten etwas schneller, sie »entern über den Topp«, das heißt vom Deck bis zur Mastspitze und wieder herunter, gewöhnlich in drei Minuten, und das gilt noch nicht einmal für eine großartige Leistung. Das Entern über den Topp wird zum Sport und ein wichtiges Erziehungsmittel. Vor dem Frühstück, gleich nachdem angetreten ist, müssen Kadetten und Schiffsjungen dreimal über den Topp entern, bloß damit sie sich etwas Bewegung machen und ordentlichen Appetit bekommen, trotzdem eine Verschärfung des Bären- und Wolfshungers, den die jungen Leute entwickeln, durchaus nicht nötig ist. Dreimal über den Topp geht es als Strafe bei dem kleinsten Vergehen und der kleinsten Unbedachtsamkeit. Wer sein Taschenmesser irgendwo in der Batterie, im Zwischendeck oder im Oberdeck liegen gelassen hat, wer irgend eine Kleinigkeit mitzubringen vergessen hat, entert dreimal über den Topp. Wer sich an falscher Stelle der Reling aufhält, geht dreimal über den Topp. Wie es ein Backbord und ein Steuerbord gibt, so gibt es auf See ein Luvbord und ein Leebord. Die Seite, woher der Wind kommt, heißt die Luvseite, die andere heißt die Leeseite. An der Luvseite dürfen sich nur Offiziere, Fähnriche zur See und Deckoffiziere aufhalten, alle anderen Mannschaften haben an der Leeseite sich aufzuhalten, wenn sie nicht dienstlich an der Luvseite beschäftigt sind. Wer das verpaßt, geht – wie bereits erwähnt – dreimal über den Topp.

Diese beständige Übung im Entern macht aber auch dafür Kadetten und Schiffsjungen, sowie die jungen Matrosen, so gelenkig und geschmeidig, daß sie so werden, wie es die Erziehung bei ihnen erreichen will: »fix wie die Windhunde und zähe wie Leder«.

So, nun sind wir glücklich wieder unten auf Deck angelangt und sehen zu der Höhe des Hauptmastes empor, die ungefähr 140 Fuß beträgt. Danken wir Gott, daß wir nicht hinuntergefallen sind, nicht einmal ins Wasser. Wenn ein Mann oben von der Raa ins Wasser stürzt und glücklich gerettet wird, dann gibt es immer eine komische Szene, er muß nämlich, triefend wie er ist, sobald er an Deck kommt, auf die Kommandobrücke hinaufsteigen und sich beim Wachhabenden vorschriftsmäßig mit den Worten präsentieren:

»Melde mich gehorsamst an Deck!«

Unser Bild »Segelmanöver« gibt einen ungefähren Begriff, wie es auf Mast und Raaen aussieht.


 << zurück weiter >>