Johannes Kirschweng
Der Schäferkarren
Johannes Kirschweng

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Nach dieser seltsamen Nacht der Heiligen und der Sünder ging ein strahlender Tag über der Erde auf. Es wurde ein Tag der Tiere, wie der verflossene ein Tag der Menschen gewesen war. Es fiel dem Schäfer, diesem Schäfer aus Zufall, ein, dass er seine Herde nicht einmal gezählt hatte bis jetzt. Er erschrak ein bisschen darüber. Dreiundsiebzig Tiere waren ihm anvertraut worden. Wie, wenn es jetzt weniger wären! Er gab sich daran, zu zählen und sah, dass es keine leichte Sache war. Das drängte sich durcheinander und lief und sprang und legte sich nieder. Das war so verschieden, wie eine Herde Menschen, willig und störrisch, träg und übermütig, traurig und ausgelassen. Und es gab auch Hass und Liebe und Zueinanderwollen und Gegeneinanderstossen, und eine Art von Humor und eine Art von Spott. Ein alter Widder, der fast etwas wie den Ansatz zu einem grauen Bärtchen trug, wandelte mit ungemeiner Würde durch die Herde. Dort beschnupperte er mit herablassender Zärtlichkeit ein weibliches Tier. Dort stiess er verachtungsvoll einen jüngeren Rivalen an, und wenn der ihm nicht eilig aus dem Weg ging, krachten die Köpfe aufeinander. Ein älteres Mutterschaf ging daher wie eine Matrone, die alle guten und bösen Erfahrungen hinter sich hat und über die Torheiten der Jugend nur noch lächeln kann. Es lächelte auch, auf eine etwas leidvolle und müde Manier und ab und zu stiess es ein verhaltenes Blöken aus, als wenn es sagen wolle: »Ach du lieber Gott, ach du lieber, lieber Gott.«

Die Jugend grinste zu dieser kummervollen 121 Matronenüberlegenheit und stiess sich und drängte sich und sprang durcheinander und fand, dass dieser sonnige Tag im späten Jahr eine ausgezeichnete Sache sei.

Sie blökten voller Lust und Vergnügtheit. Aber das Blöken der Erfahrenen und Weisen klang dagegen, und es schien Remigius, man könne es auf keine Weise anders übersetzen als:

Weihnachten im Klee, Ostern im Schnee, – oder: die Schafe, die am Morgen blöken, holt am Abend der Metzger.

Plötzlich war der alte Widder neben ihm, stiess ihn leise in die Seite, als wenn er eine dienstliche Meldung machen wolle, und dann blieb er an seiner Seite und begleitete ihn genau so, wie in der versunkenen Zeit der Feldwebel den Hauptmann begleitet hatte, der seine Kompanie besichtigte, respektvoll und doch zutraulich und jedenfalls in der Haltung einer gemeinsamen Überlegenheit gegenüber dem »sturen Haufen«. Zuweilen brummte er verhalten vor sich hin, als wenn er einen seiner Untergebenen deutlich genug auf seine schlappe Haltung und seine ungepflegte Montur hinweisen wolle, ohne doch den »Chef« allzu sehr aufmerksam zu machen. Ein anderes Mal durchzuckte es ihn offensichtlich, sich ungezwungener, sozusagen natürlicher, zu benehmen. Aber er vergass nicht ein einziges Mal die Würde und Feierlichkeit der Stunde. Dienst war eben Dienst. Er blieb an Remigius Seite. Nur dass er ab und zu nach dem Karren hinzublicken schien:

»Ist denn die Besichtigung immer noch nicht zu Ende. Schliesslich hat man ja auch noch ein Privatleben!« 122

Remigius war es genau, als wenn er durch märchenhafte Geschehnisse Chef der Kompanie geworden sei, in der er doch fünf Jahre hindurch immer nur Schütze und dann Obergefreiter Wolf gewesen war, und als ob ihm voller Ergebenheit der Feldwebel Cliever zur Seite gehe, der ihn doch, weiss Gott, Jahre hindurch behandelt hatte, als wenn er dümmer und träger und nichtswürdiger sei, als irgendeiner in der grossen und berühmten Armee. Es kam ihn an, ihm auf die Schulter zu klopfen und zu sagen: »Schon gut, Cliever, lassen Sie nur.«

Aber da blökte der Feldwebel Cliever so wahrhaft schafsmässig und benahm sich zuguterletzt doch noch so ungezwungen, dass Remigius nicht mehr dazu kam, diese verspätete Genugtuung zu erleben, oder diesen verspäteten Beweis seiner überlegenen Menschlichkeit zu liefern, oder wie immer man es nennen mochte. Er war im Zählen bis fünfundzwanzig gekommen. Aber jetzt wusste er plötzlich nicht mehr, ob es fünfundzwanzig oder sechsundzwanzig gewesen waren, und so musste er wohl oder übel wieder von neuem beginnen. Er kam bis auf zweiundvierzig. Da machte ein junges Böcklein solche Kapriolen, dass er wieder durcheinander geriet und wieder anfangen musste. Das wiederfuhr ihm noch einige Male, und der ganze Morgen verging, bis er glücklich zu Ende gezählt hatte. Glücklich? Er brachte die Zahl dreiundsiebzig nie heraus. Es blieben vierundsiebzig, wie er auch zählte, und es dauerte eine Zeitlang, bis er auf den Gedanken kam, die Herde könne sich entgegen der Voraussicht ihres Herrn und Meisters in diesen Tagen vermehrt haben. Aber sie hatte 123 es wirklich getan. Bei ihrer Jugend befand sich ein Tierlein, dem auch der Unerfahrene schliesslich und zuguterletzt ansehen konnte, dass es noch keine acht Tage alt war. So zart und milchig und unschuldig gab es sich noch. Er schalt sich einen schlechten Schafsvater, da ein so wichtiges Ereignis seiner Herde, wenn schon ohne sein Zutun und seine Hilfe – was hätte er auch schon tun und helfen können – so auch ohne seine Aufmerksamkeit und seine guten Wünsche Wirklichkeit geworden war. Aber das junge, so unversehens ins Leben gesprungene Wesen, litt offenbar in keiner Weise darunter, sondern sprang so vergnügt durch die Welt, dass Remigius wohl erkannte, dieses Leben hier vor ihm folgte seinen eigenen, unabhängigen, unantastbaren Gesetzen, deren Verwirklichung von keinem menschlichen Wohlwollen gefördert oder vom Fehlen menschlichen Wohlwollens beeinträchtigt werden konnte. Gutes, unschuldiges Leben war es, ohne Schuld und ohne Verbrechen, verbunden mit dem Urbrunnen des Lebens, warmes, zärtlich zu liebendes Leben, vor dem man still und gut wurde.

Er nahm das Lämmchen auf den Arm, wie er da unten sein Nichtchen genommen hatte, und jener geheimnisvolle Grund von Mütterlichkeit, der in allen wirklichen Menschen lebendig ist, auch in den Männern, wurde in ihm angerührt und blühte auf und trug die Frucht zartester Freude. Es war wahrhaftig nicht nur eine Ausflucht, Schäfer zu sein, Hirte der Herde, Hüter lebendigen Lebens. Es war ein echtes Glück, so echt wie eines sein konnte auf dieser dunklen und geheimnisvollen Erde, und wem es geschenkt 124 wurde, der gehörte bei allem, was er zu tragen hatte, zu den Auserwählten, denen sich das Leben reicher schenkte als der Menge. Als er das Tier so dahertrug, drängte sich seine Mutter an ihn und verlangte leise klagend nach ihrem Jungen, aber nicht ungeduldig, sondern voller Vertrauen und Einverständnis. Er liess es zur Erde nieder, und es begann sogleich zu trinken. Die Erde war immer noch fruchtbar, voller Milch und voll aller Süssigkeit. Er atmete dann den Ruch der Herde ein, diesen schweren, wolligen, schweissigen Geruch der lebendigen Erde, und er wünschte aus ganzer Seele, dass es an diesem Tage nichts anderes mehr gäbe. Es gab nichts anderes mehr. Es sei denn das Schreien der drei Habichte, die hoch am klaren Himmel schwebten und ab und zu schrille Rufe ausstiessen, als wenn die Stille dieses gesegneten Tages in ihnen überfliesse und in tönenden Tropfen in alles Blau und Gold und Braun der herbstlichen Welt sinke.

Und das Land war noch da, das weite, schweigende Land. Ein Bauer oder ein Bergmann oder ein Hüttenarbeiter ist nicht sehr geneigt, sich in Bewunderung einer einfachen, aber grossen Landschaft zu ergehen. Alpenberge wird er vielleicht bewundern und das Meer, aber nicht die vertrauten, leicht gewellten Hochebenen, auf denen sein tägliches Brot reift. Heute aber strahlte dieses demütige Land ein so mächtiges, herzbezwingendes Licht aus, dass keines seiner Kinder hätte unbewegt bleiben können, und Remigius war ein Sohn dieses Landes, der sich in langen, bitteren Jahren vergeblich nach ihm gesehnt hatte, der sein Bild klar und leuchtend und oft genug brennend durch die 125 fremdesten Steppen getragen hatte. An nichts wird eine Liebe tiefer als an einer langen, ungestillten Sehnsucht. Der einsame Beobachter entdeckte da einen Baum, den er noch nie gesehen hatte. Eine Buche, die aussah, als wenn sie von einem längst untergegangenen Urwald übriggeblieben wäre. Sie hatte schon einen guten Teil ihrer Blätter verloren, und so sah man ihr gewaltiges Geäst sich in den blassen Himmel hineinzeichnen. Remigius hatte von den mächtigen Liedern früherer Völker gehört, die mit fast unzähligen Versen einfache und doch wunderbare Schicksale besangen. Dieser Baum mit seinem riesigen Stamm, mit seinen paar weitausladenden Ästen und seinem unzähligen Gezweig schien so ein Lied in den Himmel hineinzuschreiben, damit jeder es lesen und immer wieder lesen und in sein Herz und in sein Leben hineinnehmen könne.

Dort sah er in den Ackergebreiten eine Mulde, zu der sich die Felder leise hinsenkten. Eine Schlehenhecke wuchs in ihrem Grund. In dem klaren Licht sah man das betaute Blau ihrer Früchte schimmern. Diese Mulde war so, als wenn man sich in ihr verbergen und sicher sein könne. Als wenn man sich da niederstrecken und das Gesicht in dem dürren, aber immer noch duftenden Kraut des vergangenen Jahres kühlen könne. Ein Vogel würde dann in der Hecke sitzen und singen, ein einfaches, helles, brüderliches Lied, wie von einer Hirtenflöte gespielt. Was aber von aussen etwa gegen diese Geborgenheit sich anwagte, würde von den Dornen der Hecke wie von treuen Wächtern zurückgehalten.

Er sah im zartgoldenen Licht dieses Tages die 126 Kapelle wie zum ersten Male. Er sah, wie er es noch nie gesehen hatte, dass sein Land ein gutes und frommes Land war, trotz allem, trotz aller tollen Gelage, die es in guten Zeiten begangen hatte, trotz aller wilden Triebhaftigkeit, der es sich immer wieder überliess. Es war ein gutes und frommes Land. Seine Frömmigkeit war wie sein Brot, nicht zu dunkel und nicht zu hell, nicht sehr gewürzt und in alten überkommenen Formen gebacken. Und diese Frömmigkeit hatte in der Kapelle Gestalt angenommen seit unvordenkbarer Zeit. Hierher kamen die Männer und Frauen, wenn sie ganz sie selber waren, ohne Rausch und ohne Überschwang, und dann falteten sie die Hände, an denen noch die schwere Erde des Landes klebte, und erhoben ihre Stimmen, mit denen sie einander gerade noch über die Äcker zugerufen oder ihrem Vieh Hüh oder Hott befohlen hatten. Es war ein Heiligtum, zu dem vielleicht alle hundert Jahre einmal ein Bischof kam und alle Jahre einmal der Pfarrer. Das heisst, bis auf den letzten, den Remigius im Bergdorf kennengelernt hatte. Der war selber ein Sohn des Landes und hing an seinem demütigen Heiligtum. Von ihm hiess es, er mache sich in jedem Wetter auf, um es zu grüssen, in strömendem Regen und im schneidenden Wind und wohl auch einmal in den dunkelsten Stunden der Nacht. Aber sonst war es ganz und gar ein Heiligtum des Volkes, seines wortlosen Glaubens und seiner unerschütterlichen Liebe. Remigius war lange Jahre nicht zu ihm hingepilgert, eigentlich seit den Kinderjahren nicht, in denen er den Weg mit seiner Mutter gemacht hatte. Jetzt begegnete er ihm wieder als ein 127 Heimkehrer aus den grossen Schrecken, und er wusste mit einemmal, dass hier eine der Quellen floss, aus denen seine Heimat lebte. Da er aber solchermassen ihrem Glauben und ihrer Frömmigkeit nachsann, geschah es ihm auch, dass er fast mit den Augen des Leibes zwischen den Tieren seiner Herde jenen gehen sah, der sich selber einen Hirten genannt hat, den guten Hirten. Auch das war etwas Neues: Denn dieser Hirte schwebte jetzt nicht in Weihrauchwolken und nicht in Wolken von Rosen- und Lilienduft, sondern er schritt fest und sicher daher durch den warmen und strengen Tiergeruch der Herde. Er war ein leibhaftiger Sohn dieser Erde, genährt von ihrem Fleisch und Blut, von allen ihren süssen und herben Früchten, Er liebte sie und sie liebte ihn, und er war der grosse und gute Bruder all ihrer Kinder. Remigius dachte bei sich, dass die Portale aller Kirchen weit geöffnet sein müssten, damit der Ruch der Äcker und Wiesen zu ihnen hineindränge oder vielleicht auch der Qualm der Fabrikschlote und der Bergwerke und Staub- und Schweiss-Schwaden der harten Arbeit des Landes. Dann würde er, dem das Land mit seinem Leid und seiner Mühsal, mit seinem Schmutz auch, gehört, dann würde er lebendiger und grösser und mächtiger in ihnen erscheinen. Er lachte über sich selber. Es waren ja keine Dinge, die ihn angingen. Er verstand auch nichts davon, und er hatte sich eigentlich noch nie Gedanken darum gemacht. Aber man konnte wohl nicht Schäfer sein, und nicht in der grossen Einsamkeit dieses Landes leben, ohne dass einem Gedanken aller Art wie Sommerwolken durch die Seele zogen.

Es waren darunter viele Gedanken an Tote, 128 zumal an solche, die schon lange gegangen waren. Sein Vater stand ihm plötzlich vor der Seele mit seinem gutmütigen Lächeln, seinem gelegentlichen Aufbrausen und seiner jungenhaften Begeisterung für ein neues Lied, das sie im Gesangverein einstudierten. Er war vor fünfundzwanzig Jahren tödlich verunglückt, auf dem gleichen Werk und fast an der gleichen Arbeitsstelle, an der Remigius bis zum Kriege gestanden hatte. Die Toten leben vielfältig weiter. Aber in unserem Bewusstsein sinken sie im Laufe der Jahre tiefer und tiefer, bis die Dunkelheit auch die geliebtesten Antlitze auslöscht. Aber plötzlich leuchten sie auf, und die Dunkelheit scheint ihre Züge erfrischt und belebt, herzlicher und inniger gemacht zu haben.

So war es jetzt mit dem Antlitz des Vaters. Es war da und blickte den Sohn voller Liebe an. Aber auch die Gesichter der Grosseltern tauchten auf. Auch das des Muttervaters tauchte auf, obwohl Remigius es im Leben nie gesehen hatte, und die Gesichter von Tanten und Oheimen, von Nachbarn und Nachbarinnen. Alles lebte und war ihm nahe und gehörte zu ihm und gehörte zu diesem Land und seiner Stille.

Man sagt, dass die Tiere einen geheimnisvollen Sinn für die Gegenwart des jenseitigen Lebens haben. Von Hunden und Pferden sagt man es zwar zumeist, aber warum sollten ihn nicht auch die Schafe haben, die mehr als jene unter dem Himmel Gottes leben. Remigius jedenfalls schien es, als wenn sich über die sonst so drängende und stossende Herde eine feierliche und fast erwartungsvolle Ruhe herabgesenkt habe.

Als ihn der scharfe Schrei eines Habichts aus 129 seinen Träumen und aus der Gesellschaft der Dahingeschiedenen herausriss, da war es, als wenn auch die Herde aus einem Bann entlassen werde. Sie wogte durcheinander und begann mit doppeltem Eifer zu grasen. Am Nachmittag ging ein heftiger Regen nieder und Remigius zog sich in sein Häuslein zurück, in seinen Schäferkarren. Ab und zu geht einem doch einmal ein Traum in Erfüllung. Wie hatte er da unten danach verlangt, in das Kärrlein eingehen zu können, das er geschnitzt hatte. Jetzt war es auf geheimnisvolle Weise gross geworden, um ihm das zu gewähren. Er sass darin auf dem harten, schmalen Lager, rauchte seine Pfeife und hörte den Regen auf das Blechdach trommeln. Langsam erhob es sich aus dem Trommeln wie ein einförmiges, schwermütiges Lied und er lauschte ihm lange. Es war das Lied so vieler russischer Tage und Nächte, das Heimwehlied der Kriegsjahre, aber auch ein Lied der Erinnerung an die Kinderzeit. Wenn damals der Regen niederrauschte, sagte die Mutter: »Wie gut, dass wir im Trockenen sitzen, wie gut, dass auch die armen Leute ein Dach über dem Kopf haben.« Und dann begann sie zu erzählen von der alten Zeit, ihrer Not und ihrem Hunger, aber auch von ihren Vergnügtheiten und Ausgelassenheiten, und dann holte sie wohl, um das Behagen zu vermehren, eine Handvoll getrockneter Zwetschen und Äpfelschnitze herbei, die sie lustig mit ihnen kaute. Das würde ihr auch gefallen haben, in der Schäferkarre zu sitzen und sie würde von diesem Land, seiner Kapelle und seiner Heiligen noch mehr gewusst haben, als ein halbes Dutzend Professoren und ebensoviel geistliche Herren. 130

Der Schäfer hatte auf einem Wandbrett ein paar alte Kalender liegen:

Das Niedschiff
Kalender für das christliche Landvolk
Lothringens.

Auf dem Titelblatt sah man das Flüsschen Nied, das sich gemächlich zwischen Kopfweiden und Erlen durch das Land bringt, wie einen Strom daherfliessen. Auf seinen Wogen schwamm ein buntes Schiff, beladen mit blaukitteligen Bauern, mit Pfarrern und Nonnen, mit Müllern, Bäckern und Metzgern und mit allem, was das Land hervorbringt: Schinken, Würsten, Äpfeln, Birnen, Trauben, Mirabellen. Links und rechts von dem Schiff streckten mächtige Hechte ihre spitzen Mäuler in die Luft und blinzelten mit spöttischen Augen nach ein paar Anglern, die am Ufer standen.

Im Innern war der Kalender nicht weniger vergnüglich. Es gab darin Ratschläge für Landleute:

»Wie man beim Räuchern der Schinken dem Buchenholz dürres Gehölz von Johannisbeersträuchern hinzufügen solle.«

»Wie dem Gemaisch von Mirabellen, aus dem man das Lebenswasser brennt, ein Gemäss Ebereschen hinzuzufügen sei, was einen absonderlich feinen Geschmack hervorbringt.«

Zu diesem letzteren Ratschlag freilich las Remigius in einem späteren Jahrgang die zornige Erwiderung eines Brenners, der schrieb:

»Ein Branntweinbrenner ist kein Alchimist und unsere goldenen und rotgetüpfelten Mirabellen verdienen nicht, mit Vogelfrass vermengt und vermakelt zu werden.«131

Ferner:

»Wie man der Hühnerläuse mit Asche von Erlenholz Herr wird.«

Und vieles andere dieser schlichten, behäbigen und urväterlichen Art. Die Erzählungen darin waren nicht anders. Eine hiess:

Von dem Gefrässigen,
dem der Appetit verging.

Es wurde darin von einem Korbmacher berichtet, der so gefrässig war, dass er ein ganzes, grosses Brot auf einen Sitz vertilgte, ohne zu fragen, ob denn auch für die sechs Kinder noch etwas übrig bleibe. Keine vorwurfsvollen Blicke und kein Weinen und kein bescheidenes Bitten der Frau half. Er frass und frass und frass, solange es Brot gab. »Wer arbeitet, muss auch essen«, sagte er. Die Frau fragte den alten Pfarrer um Rat. Er lachte und gab ihn ihr. Der gefrässige Korbmacher fand das nächste Mal in seinem Brot eine tote Maus und darauf ein paar Käfer und wieder einmal ein ganzes Büschel Haare. Daran verging ihm wahrhaftig seine Gefrässigkeit. Er säbelte sich jetzt vorsichtig sein Stück Brot ab, ass es ebenso vorsichtig, mit langsamen, bedächtigen Bissen und da er solchergestalt nicht mehr schlingen konnte, sättigte ihn das Genossene, ohne dass er ein Unmass vertilgen musste. Das Beste an der Geschichte aber war, dass der schreckliche Fresser es gar nicht mit einer wirklichen Maus und wirklichen Käfern zu tun hatte, sondern mit nachgemachten, die aus dem Naturalienkabinett des hochwürdigen Herrn stammten. »Man darf die Gottesgabe nicht mit totem Getier verschmutzen«, sagte er. Das Büschel Haare aber, das dem 132 Korbmacher einen besonderen Abscheu beigebracht hatte, war in Wirklichkeit ein Büschel Flachs, just von der Farbe, die das Haar der Korbmachersfrau hatte. Diese einfache, ja fast einfältige Geschichte war so schalkhaft erzählt, dass Remigius herzhaft dazu lachen musste. Er war immer ein grosser Leser gewesen und verstand genug von Büchern, um zu sagen, ob sie gut oder schlecht waren. Dies hier war ganz einfach eine Geschichte für den Schäferkarren, für eine Regenstunde und selber wie ein Stück Brot, das man ohne Gier, aber mit gutem Appetit essen konnte.


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