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Am stillen Herd

»Am stillen Herd in Winterszeit,
Wann Burg und Hof mir eingeschneit,
Wie einst der Lenz so lieblich lacht,
Und wie er bald wohl neu erwacht:
Ein altes Buch, vom Ahn vermacht,
Gab das mir oft zu lesen; –
Herr Walter von der Vogelweid'
Der ist mein Meister gewesen.«

So ganz allein bin ich mit meinen Gedanken und mit meinen Büchern. Draußen liegt mattes Licht auf den verschneiten Feldern und Wäldern; in meinem Bankettsaal rührt sich kein Laut.

Manchmal sehe ich hinunter in den Hof. An dem uralten Sims über den Kemenaten hängen lange Eiszapfen, der Lindenbaum im weißen Kleide träumt am alten Schloßbrunnen, die Burgmauer sieht aus wie eine Schanze von Schnee. Nur ein paar kleine, grüne Tannen schauen neugierig in die Einsamkeit des Hofes. Sie schauen und schauen in ihrem ewigen Träumen.

Es ist alles regungslos. Ein Rabe sitzt manchmal auf dem Turme mir gegenüber – minutenlang, ohne sich zu rühren. Dann stehe ich auch bewegungslos, und zuweilen ist mir's, als sei ein Bann über mich gekommen und über alles um mich.

Es war mir um diese Zeit möglich, vieles zu lesen und zu genießen, für das ich sonst gar keinen Geschmack hatte. Herrn Walters Lieder las ich: nicht seine Kampf- und Trutzsprüche – wie paßten die in meinen Frieden! Ich hatte nichts mit dem großen Verschlagenen und Vergrämten gemeinsam als die Freude an der Natur und an der Liebe. Aber wenn ich ihn irren sah, um Brot dienen, um eine Heimat bitten und schelten und wettern, hie treu und dort wankend, und immer, immer die Liebe preisend, dann fühlte ich, daß er reich war.

Ich las auch Eichendorff.

»Im Walde liegt verfallen
Der alten Helden Haus,
Doch aus den Toren und Hallen
Bricht jährlich der Frühling aus.«

Das klingt ganz wie Walter Stolzings Lied. Immer die Frühlingshoffnung! Immer der Glaube an ein Künftiges.

Zuweilen kam der Sturm in der Nacht und peitschte den Schnee von den Bäumen. Dann las ich Amadeus Hoffmann. Es war mir nicht darum, das große Erzählergenie zu bewundern; an seinem Grausen wollte ich mich erregen, von seinem Wahnsinnsfieber mich durchrütteln lassen, die Furcht vor den dunkeln, gespenstischen Gestalten seiner Phantasie sollte mir ein Gegengewicht liefern gegen den Frieden, der mich am Tage einlullte.

Da blieb alles kritische Gefühl weit fort; da saß ich oft mit furchtsamen, großen Augen vor dem Buche, wie ein Bauernbursche am dunkeln Winterabende bei seiner Gespenstergeschichte. Wenn nur ein leises Knistern an mein Ohr drang, zuckte ich zusammen, und manchmal hätte ich mich nicht wegrühren können von meinem Stuhle.

Auch ein Blick durchs Fenster konnte dann meine Furcht nur mehren. Durch die Schneewolken gedämpft fiel das Mondlicht auf die einsame, tote Burg wie auf ein zerfallenes Grabmonument, und dann schaute ich aus nach Schatten, nach Gestalten, die aus den Mauern heraustreten würden auf den fahl beleuchteten Hof.

Oft auch fiel all das von mir ab. Dann wollte ich fort. Das gestehe ich offen. Am öftesten geschah es, wenn ich die Zeitung gelesen hatte.

Wenn ich von einem neuen Buche las, wollte ich's haben, und wenn ich ein Bühnenwerk besprochen fand, wollte ich's sehen.

Ja, einmal bekam ich große Lust, auf der elektrischen Straßenbahn zu fahren. Ein sonderbarer Appetit. Aber ich hatte ihn und will ihn hier nicht verschweigen. Wenn mich in jener Zeit ein großstädtischer Freund besucht hätte, oder auch nur einer von den Schock-Bekannten – ich hätte mich unbändig gefreut.

Im Hause war ja freilich eine großstädtische Dame: Fräulein von Soden. Aber die sah ich selten. Sie war stundenlang am Tage abwesend. Entweder lief sie Schlittschuh unten auf dem See im Wolfsgrunde, oder sie machte weite Streifzüge auf ihren Schneeschuhen.

Mich gelüstete es auch sehr nach dem Wintersport; aber mein Gesundheitszustand gestattete mir noch keine größere Anstrengung.

Die Mahlzeiten bekam ich von Anfang an für mich allein aufgetragen. »Separierte Bedienung« nannte das Herr Baumann. Auch nach Fräulein von Sodens Ankunft war es so geblieben.

So sah ich die Hausgenossen meist nur des Abends ein Stündchen. Dann war's allerdings immer recht hübsch. Das Klavier war in die Wirtsstube heruntergeschafft worden und da gab es denn recht oft eine ganz gediegene Unterhaltung.

Fräulein von Soden spielte täglich – ganz ohne Sträuben und immer mit derselben Meisterschaft, aber auch immer nur ein oder zwei Nummern. Dann wurde vorgelesen. Selten etwas Modernes. Dagegen viel Romantik, Tieck, Chamisso, auch die liebe Meisternovelle »Aus dem Leben eines Taugenichts«.

Waldhofer war ein warmer Freund der Romantik, Ingeborg schwärmte für die bunten, goldenen, unmöglichen Menschen und ihre Schicksale, Fräulein von Soden hielt sich immer schweigsam, und ich interessierte mich wenigstens für die Sache.

Etwas Naturalistisches, Hart-Wahres würde mich störend berührt haben in dieser Umgebung.

Mit Ingeborg schien eine Wandlung vor sich gegangen zu sein. So übermütig wie früher war sie selten. Sie träumte oft für sich hin und sah immer mit einer schwärmerischen Liebe auf Marianne von Soden. Sie hatte eine tiefe Verehrung für das wenig ältere Mädchen. Mir war sie eine Zeitlang ausgewichen, nachdem mir Baumann den »Goliath« ohne den bewußten Zettel zurückgebracht hatte.

Auch in bezug auf Ingeborg war es in mir still geworden. Diese trüben, schneeigen Dezembertage waren überhaupt die stillste Zeit meines Waldwinters.

Manchmal kam auch der Oberförster. Wenn Fräulein von Soden spielte, hörte er andächtig zu. Vom Vorlesen hielt er nicht viel; und als er einmal eine grausig-wilde Novelle Hoffmanns hatte mitanhören müssen, kam er nicht mehr wieder. Wenigstens abends nicht.

Gespielt wurde auch manchmal, aber immer nur Brettspiele und dann vorzugsweise Schach. Es geschah dann allemal dasselbe.

Baumann brachte die zwei Bretter und setzte die Figuren auf. Viel mehr verstand er vom Schachspielen nicht; aber dieses eine verstand er gründlich.

Waldhofer spielte mit mir und Ingeborg mit Marianne von Soden. Waldhofer war mir bedeutend überlegen und machte mich selbst oft auf einen günstigen Zug aufmerksam; Ingeborg dagegen mußte sich gewaltig das Köpfchen zerbrechen, um eine Partie wenigstens auf zwanzig Züge ausdehnen zu können.

Es geschah zuweilen, daß Marianne, wenn ihre Partnerin über ihren nächsten Zug in tiefes Grübeln versank, unser Spiel beobachtete, und ich bemerkte ein paarmal, daß ein leises, spöttisches Zucken um ihren stolzen Mund ging, wenn ich nicht den vorteilhaftesten Zug tat. Ich sah aber auch, wie sie manchmal selber die unbegreiflichsten Fehler machte, und hörte nicht sehr lange danach die jubelnde Ingeborg »Matt« ansagen.

Oft betrachtete ich ihr Profil, wenn sie, leicht über den Tisch gebeugt, am Schachbrett saß und das Lampenlicht einen warmen Schimmer über ihre fast zu streng reinen Züge goß. Es lag etwas Gebietendes in ihrem Wesen; ich hatte das Gefühl, daß sie die Fürstin eines ganzen Volkes sein könne, aber nicht das Weib eines Mannes. Und wenn sie dennoch dazu fähig wäre, so würde der Mann an ihr alles gewinnen oder alles verlieren – wohl alles verlieren.

Mit dem Heimatsgefühl, das mich in der Burg ergriffen, hatte ich mich den Hausgenossen gegenüber einer gewissen Nachlässigkeit hingegeben. Das wurde anders, als Fräulein von Soden auftauchte. Es war so, als ob in ihrer Nähe irgendwelche laxe Form unmöglich sei; sie gehörte zu den Frauen, die durch ihre bloße Anwesenheit erziehen.

Summa Summarum: Liebenswürdig erschien mir Fräulein von Soden nicht; ja, ich glaube, ich hätte sie ohne Bedauern aus der Burg wieder abreisen sehen. Für strenge, kalte Frauenbilder habe ich nie geschwärmt. Im Weibe suchte ich immer das Nachgiebige, Milde, Weiche, Mütterliche. Über ein trotziges Weib muß ich lachen, oder es widert mich an, je nachdem ich es ernst nehme oder nicht.

Daß ich über Marianne von Soden nicht lachen konnte, und daß sie mich auch nicht anwiderte, das ärgerte mich. Zumal sie doch so jung war. Ihr ganzes Wesen erschien mir oft unnatürlich, krankhaft bei ihren zwanzig Jahren.

Sie war wohl etwas Besonderes. Aber was ging mich das schließlich an? Ich war kalt-höflich zu ihr, wie sie zu mir. Einmal, nach beendetem Spiel machte Ingeborg ein kluges Gesichtchen und sagte:

»Es wundert mich, daß es unter den Schachfiguren so viele Männer gibt und nur eine einzige Dame.« Marianne lächelte.

»Ja, du kleine Philosophin, im Leben ist es anders, da gibt es sehr viele Damen und nur selten einen Mann.«

Das klang feindselig, geradezu herausfordernd; denn ich hatte gar keine Ursache, anzunehmen, daß mich Fräulein Soden zu den Seltenheiten zählte.

Ich wandte mich an Ingeborg.

»Es braucht im Schachspiel nicht viele Damen zu geben, Fräulein Ingeborg; die eine besitzt so ausgezeichnete Eigenschaften, daß die Qualität die mangelnde Quantität wettmacht.«

Da sah mir Marianne das erstemal voll ins Gesicht.

»Und was ist die Bedingung für diese ausgezeichneten Qualitäten? – Die Bewegungsfreiheit nach allen Seiten. Die Schachfigur hat sie, das Weib des Lebens hat sie nicht.«

»Vielleicht ist es doch gut so, mein gnädiges Fräulein! Das Leben sagt kein »gardez« an, wenn Gefahr im Verzuge ist.«

Sie lachte geringschätzig.

»Das braucht's gar nicht! Das ›gardez‹ ist nur für die Schwachen. Wer stark und nur ein bißchen vorsichtig ist, braucht keine Warnung.«

»Sie haben eine große Meinung von Ihrem Geschlecht.«

Sie zuckte die Schultern.

»Eine größere schon als vor der Spezies Mann im allgemeinen. Aber ich denke, das ist eine unfruchtbare Unterhaltung. Wenn ein Mann über die Frauen urteilt, ist's ja doch immer falsch.«

»Dann dürften bisher die Frauen überhaupt noch nicht richtig beurteilt worden sein.«

Sie sah mich zornig an.

»Ah – weil es wohl neben dem männlichen Urteil ein anderes gar nicht gibt?«

»Das will ich nicht sagen. Aber objektiv beurteilen kann man doch nur eine Sache, mit der man selbst nicht identisch ist.«

»Dann gäbe es keine Selbstkritik.«

»Die gibt es nach meiner Meinung auch wirklich nicht. Jeder ist in sich und seine Sache zu verliebt. Am meisten die Frauen.«

Ich war unhöflich; aber ich wollte es sein. Marianne bezwang sich mit ersichtlicher Mühe.

»Sie sind wie die anderen.«

»Ich habe mich noch nie für etwas Besonderes gehalten, gnädiges Fräulein.«

»Sie haben gar keine Achtung vor den Frauen!«

Ich mußte lächeln. Jetzt erschien sie mir jung und auch echt weiblich. Denn so weit über das Ziel hinausschießen kann im Wortkampfe eben nur das Weib.

»Sie leiten für mich betrübliche Folgerungen aus meinen Worten ab, gnädiges Fräulein! Achtung habe ich vor den Frauen, sogar ein recht reichliches Maß.«

»Aber Sie halten sie den Männern nicht ebenbürtig, nicht gleichwertig.«

»Nein, das allerdings nicht!«

Ich fing an mich zu belustigen. Fräulein Marianne aber kam aus der Fassung. Gezwungen lachte sie auf.

»Womit wollen Sie denn diese bescheidene Behauptung beweisen?«

»Der Beweis könnte sehr lang werden.«

»Je länger ein Beweis ist, desto schwächer ist er.«

»Ich meine: ich könnte sehr viel zum Beweise anführen.«

»Zum Beispiel?«

»Zum Beispiel: die Unfähigkeit der Frauen zur großen Produktion in der Kunst.« »Ah, Sie wollen doch nicht sagen, daß es keine bedeutende Dichterin, Malerin, Bildhauerin gäbe?«

»Ich sage, daß die Frauen sehr Angenehmes geleistet haben, aber daß sie über die Nummer Zwei nicht hinauskommen.«

Sie war fürchterlich verärgert.

»So, und Sie? Sind Sie etwa eine Nummer Eins?«

»Aber gnädiges Fräulein, was ist das für ein Einwand! Ich denke, wir wollen doch sachlich bleiben?«

»Ich will Ihnen etwas sagen: Tausend und aber tausend Männer im Deutschen Reiche erhalten alljährlich die beste Ausbildung. Von den Millionen wird einer in seinem Fache in einem Jahrhundert eine Nummer ›Eins‹. Die anderen – du lieber Gott, die meisten dürften eine zweistellige Zahl nötig haben. Uns Frauen ist von Anbeginn an der Weg zu dem Brunnen der Weisheit verwehrt gewesen. Das ist die alte Barbarei, wie bei den Griechen und Römern, so jetzt bei den Deutschen. Und da stellt sich dieses robuste und nur darum in der Welt so ungerecht bevorzugte Geschlecht großspurig hin und fühlt sich groß, hie und da eine Nummer Eins zu haben, während wir uns mit dem zweiten Range begnügen müssen.«

»Wenn die Genialität an dem sogenannten Brunnen der Weisheit geschöpft werden kann, dann haben Sie ganz recht, gnädiges Fräulein.«

»Wenn der Herr Doktor belieben, so werden die kalbsledernen Halbstiefel besohlt werden müssen,« mischte sich Herr Baumann, der nach leisem Klopfen eingetreten war, in unsere Unterhaltung und wies das corpus delicti vor.

Sein Erscheinen wirkte wie eine Wohltat.

»Ja, natürlich, Baumann, nur immer zum Schuster! Da brauchen Sie gar nicht erst zu fragen. Das überlasse ich alles Ihrem Ermessen.«

»Dann werde ich die Absätze auch bald mitmachen lassen; denn die sind ein bißchen schief. Und dem gnädigen Fräulein seine Wintermütze sind immer noch nicht ganz fertig bei der Putzmacherin.«

»Ich brauche sie nicht so nötig, Baumann.«

»Ganz wie das gnädige Fräulein befehlen.«

»Ich möchte aber auch den Herrn Doktor erinnern, daß der andere Herr Doktor gesagt hat, der Herr Doktor sollen spätestens um zehn Uhr zu Bett gehen. Und es ist jetzt schon zehn Minuten darüber.«

»Richtig, Baumann, Sie haben recht – es ist zehn Minuten nach zehn! Ich komme augenblicklich. Baumann! Mein gnädiges Fräulein, ich bin sehr gern bereit, Ihnen ein anderes Mal Revanche zu geben.«

»Revanche? Sie glauben doch nicht, daß Sie für heute den Sieg davongetragen haben?«

»Das hoffte ich!«

Sie hatte wohl eine scharfe Erwiderung auf der Zunge, da mischte sich Waldhofer hinein.

»Die Partie ist remis,« entschied er. Er wußte wohl, daß ich die ganze Unterhaltung nicht ernst nahm. Da kam endlich auch die kleine Ingeborg zu Worte.

»Nein, Marianne, was hast du? Ich habe immer die Männer für viel klüger gehalten als uns.«

Marianne küßte sie auf die Stirn.

»Natürlich, Kind, dafür werden dich die Männer auch sehr lieben.«

Ich war in guter Laune; wie es schien, auch die anderen, ausgenommen Marianne.

»Baumann, was sagen Sie denn dazu?« so fragte ich. »Wer kann mehr, die Männer oder die Frauen?«

Baumann, dergestalt als höchste Instanz in einem Meinungsstreite angerufen, machte ein wichtiges Gesicht. Er drückte sich aber doch um eine klare Entscheidung vorsichtig herum. »Ich will mich nicht gerade überheben, Herr Doktor,« sagte er, »aber was mich und meine Alte anbelangt, da is kein Zweifel dran, wer mehr kann. Das bin ich!«

Alles lachte. Nur Fräulein von Soden war der Spaß gegen den Geschmack.

»Na, und warum sind unter den vielen Schachfiguren so viele Männer und nur eine einzige Dame?« fragte ich unbeirrt weiter.

Baumann lächelte schlau.

»Hm,« machte er, »weil eben die Männer mehr Zeit zum Spielen haben als die Weiber.«

Jetzt lächelte sogar Marianne.

In bester Stimmung ging ich in mein Schlafzimmer. Baumann brachte mir einen Nachttrunk und meldete mit besorgtem Gesicht, daß es nun wirklich schon in fünf Minuten halb elf wäre. Trotzdem blieb er stehen.

»Sollten der Herr Doktor doch mal mit dem Fräulein von Soden reden, daß sie nicht so lange liest in der Nacht.«

»Woher wissen Sie denn das, Baumann?«

»Ich geh in den Hof und guck zum Fenster hinauf, wenn der Herr Doktor nichts dagegen haben. Gestern war bis um halb zwei Licht.«

»Da tut es Ihnen wohl leid ums Petroleum?«

»Wenn der Herr Doktor gestatten, so bin ich nie geizig. Aber das Fräulein schadet ihrer Gesundheit. Sie hat schon dreiundeinhalb Pfund abgenommen bei uns.«

»Und das geht Ihrer Frau gegen die Küchenehre, nicht wahr? Das verstehe ich! Ja aber, lieber Freund, was kann ich dabei tun? Das Fräulein würde sich's wahrscheinlich gründlich verbitten, wenn ich ihr gute Lehren geben wollte.«

Baumann schüttelte den Kopf.

»Nein! Das Fräulein hat sehr großen Respekt vor dem Herrn Doktor.«

Ich lachte.

»Oho, Baumann, da täuschen Sie sich schauerlich!«

Baumann schüttelte abermals den Kopf.

»Ich täusche mich nicht; denn das Fräulein hat einmal zu Ingeborg gesagt: Der Herr Doktor seien wirklich der erste junge Mann, der ihr mal imponiert hätte.«

»So, so, Baumann! Es ist gut! Schlafen Sie wohl!«

In meiner alten Bettstelle lag ich noch lange wach. Fräulein von Soden fing mich doch an zu interessieren. Ich brachte es nicht fertig, sie – wie man im Deutschen so schön sagt – unter die Rubrik der emanzipierten Frauen zu registrieren, und ich sann nach.

Waldhofers kurze Andeutungen, die er gemacht, ehe er zu dem Begräbnis abreiste, fielen mir ein. Es lag irgendein tiefer Schatten über Mariannens Familie. Die verstorbene Frau hatte getrennt von ihrem Manne gelebt. Das mußte bitter sein für die Tochter. Und dann hatte sie eine Schwester, die sie nicht besuchen mochte. Sie suchte lieber das einsame Haus im Walde auf, um bei den Bekannten ein Heim zu finden. Sie war eine friedensuchende Seele wie ich, und doch eine ganz andere.

Ich fühlte, daß ich jedenfalls ein glücklicherer Mensch sei als jene. Und danach beschloß ich mich in Zukunft einzurichten.

Als die alte Uhr auf dem Burgturme die Mitternachtsstunde verkündete, war ich noch wach. –

Dezembertage! Da liegt draußen die Natur im ersten und darum im allertiefsten Schlummer. Nichts passierte, was die Stille dieser Tage gewaltsam durchbrochen hätte.

Da wurde das Unbedeutende bedeutend. Alltägliches ins Licht gerückt. Das Auge ward befähigt, die lieben Wunder im Mikrokosmos einer Häuslichkeit zu schauen und zu würdigen.

Wenn Frau Baumanns fleißige Finger Gänsefedern zerzupften, sah ich oft zu, und wenn ein kleiner Flaum aufflog und Ingeborg ihn emporblies zu immer größerer Höhe, folgte ich mit Behagen dem närrischen Spiele.

Weihnachten war nicht mehr fern. Da saß ich manchmal in der wohldurchwärmten Gast- und Wohnstube bei den jungen Mädchen, wenn ihre geschickten Hände arbeiteten für Christkindleins Magazine. Und dann empfand ich auch wieder etwas von dem Adventszauber der frohen Kindheit, und manchmal ging ich ans Klavier und spielte den Choral: »Tauet Himmel den Gerechten«, oder ich sang den kostbaren lateinischen Text, den ich immer besonders lieb gehabt habe, weil er mitten im Winternebel den Blick eröffnet auf einen Tag lichten Glanzes: »Ecce dominus veniet, et omnes sancti eius cum eo; et erit in die illa lux magna. Alleluja!«

Dann sangen die beiden Mädchen manchmal leise mit, und ich verfiel in Träumereien am Klavier. Weihnachtslieder spielte ich.

Ich habe immer gemerkt, daß wir dann alle drei rote Wangen hatten, auch Marianne. Wir waren noch jung, wir konnten uns noch erregen wie die Kinder. Das war ein großes Glück.

Nach und nach paßte sich auch Marianne mehr und mehr dem Familienkreise an. Es blieb zwar immer etwas Zurückhaltendes, beinahe Feierliches in ihrem Wesen; aber ein Teil der Strenge und Kälte wich einem weicheren Schimmer, der manchmal überging in eine milde Trauer. Ich suchte jetzt oft ihre Nähe und unterhielt mich gern mit dem klugen Mädchen.

In solcher Einsamkeit lernt man wieder, sich recht zu freuen. Jeden Donnerstag vormittag gab es unten im Dorfe frische Buttermilch, und jeden Sonnabend beim Fleischer frische Wellwurst. Das war ein Ereignis! Es ist nie vorgekommen, daß ich die Familienereignisse eines Donnerstags oder Sonnabends verpaßt hätte; ja, es hatte etwas Freudig-Erregendes, wenn Baumann mit der Blechkanne oder mit dem Deckelkörbchen abgeschickt wurde, um die kostbaren Genüsse herbeizuschaffen.

Ich hatte endlich auch durchgesetzt, daß ich mit Waldhofer und den beiden Mädchen zusammen speiste. Unsere Mahlzeit war meist einfach, aber immer ganz vorzüglich zubereitet, was ich zur Ehre der Frau Baumann besonders hervorhebe. Bei diesen Mahlzeiten herrschte immer ein angeregter, meist ein lustiger Ton. Ich bin ein Freund der leichten humoristischen Unterhaltung bei der Tafel und hasse alle Tischreden mühsamer Gelehrsamkeit oder angestrengten Witzes. Der Magen und die Seele zusammen geben ein schlechtes Gespann. Deshalb soll man die Seele ausspannen, wenn der Magen arbeiten muß und umgekehrt. Es kommt sonst nichts Rechtes dabei heraus.

Meine literarischen Arbeiten nahm ich in jener Zeit auch wieder auf und vervollständigte insonderheit die Notizen über meinen Winteraufenthalt auf der Burg. Aber ich legte oft mitten im Satze die Feder beiseite, wenn ich »unten« etwas Wichtiges witterte.

Für das kommende Weihnachtsfest wurde eine Krippe hergestellt. Die Oberleitung bei dem Kunstwerke hatte Baumann, der als Holzhacker in Holzarbeiten sehr bewandert war. Ich bekam die Kühe und Schafe auszuschneiden, durfte den Stern aufpappen und hatte die Genugtuung, daß auch einige meiner dekorativen Vorschläge von Baumann gewürdigt wurden.

Ein Fest fürs ganze Haus war's auch, wenn gebacken wurde. Wenn Baumann kunstverständig den Backofen heizte, war ich sicher mit den jungen Mädchen dabei. Ingeborg machte sich dann »nützlich« und trug an solchen Tagen ein leichtes, buntes Kattuntüchlein um den Kopf, das sie ganz allerliebst kleidete.

Ganz in der Nähe des Backofens lagen zwei Holzblöcke, ein großer und ein kleiner. Auf dem großen saßen die beiden Mädchen, auf dem kleinen saß ich, und dann schauten wir in die lodernde Glut und hörten auf das Knistern und Knacken der Scheite.

Für eine solche Gelegenheit habe ich einmal ein Märchen vom Backofen ersonnen und den Mädchen erzählt. Ich will's hier mit aufschreiben.

Es waren zwei Waldgeisterlein, die liebten sich. Froner, das Männlein, wohnte in einer Eiche, und Holde, das Weiblein, wohnte in einer Tanne. Weil sie sich liebten, zankten sie oft. Darüber zankten sie, ob die Menschen treu seien oder nicht. Froner sagte »nein«, und Holde sagte »ja!« – und Holde wollte immer recht haben. Da kam einmal in einer stillen Nacht die Baumgöttin und sagte zu Holde: »Zieh aus, Töchterlein; denn morgen früh kommt der junge Bäcker und hackt deinen Baum um. Zieh dort in die kleine Fichte, in der kannst du die nächsten hundert Jahre ruhig wohnen.«

Holde zog aus, aber sie ging nicht in die kleine Fichte, sondern spielte die ganze Nacht im Walde und schlief gegen morgen ein. Da kam der junge Bäcker mit seiner Axt. Er sah die Holde und fand, daß sie sehr schön sei. Am meisten gefielen ihm die Haare; denn sie waren aus Gold, und der Bäcker war geizig. Er weckte also die Waldtochter auf und sagte ihr, daß er sie sehr liebe, weil sie so schön sei, und sie solle nur seine Frau werden. Holde war ein eitles Ding. Sie fand es über die Maßen lustig, eine Menschenfrau werden zu können, dachte nicht an Froner und wurde des Bäckers Braut.

Da kroch der arme Froner aus seiner Eiche heraus und in die Tanne hinein, in das verlassene Haus seines treulosen, schönen Liebchens, und bald darauf hackte der Bäcker die Tanne um.

Am Tage feierte der Bäcker Hochzeit mit Holde. Aber gegen abend warf er alle Gäste aus dem Hause und sagte, nun müsse er backen, daß seine Kunden frisches Brot hätten am anderen Morgen. Holde fand es gar nicht hübsch, daß die Feier so rasch endete, und zog ihrem Gatten ein schmollendes Gesichtlein. Der aber sagte, nun solle sie nur kein faules Ding sein, sondern einen Arbeitskittel anziehen und ihm die Tanne zersägen helfen. Da erschrak die schöne Holde im tiefsten Herzen. Die Reue kam über sie, aber auch die Furcht, und so zog sie an ihrem Hochzeitsabend einen häßlichen Arbeitskittel an und ergriff mit zitternden, blassen Fingern die große Säge, um ihr trautes Waldhaus vernichten zu helfen.

Als sie den Wipfel abschnitten, hörte sie ein seines Stimmlein durch das Surren der Säge:

»O wehe, du böses Weib,
Was marterst du meinen grünen Leib?
Ich war doch ein lustiges Sommerhaus ,
Dein Auslugtürmlein jahrein, jahraus,
Nun willst du mich nicht mehr kennen,
Nun soll ich brennen!«

Und als sie ein Stückchen weiter sägten, klang wieder ein bittendes Stimmchen:

»Leg weg, was du in den Händen hast,
Ich bin ja des Eichhörnchens Schaukelast,
O Holde, du schneidest gar so sehr,
Eichhörnchen hat keine Wiege mehr!«

Und noch ein Stückchen weiter unten:

»Kohlmeislein hat sein Nest gebaut
Auf meinen Nadeln,
O Holde, du böse Menschenbraut,
Dich muß ich tadeln!«

Und dann zersägten sie den Stamm, da tönte Froners zürnende Stimme heraus aus dem Holze:

»Wehe, Wehe, ans Herz in der Brust
Dringt der scharfe Tod,
Wehe, Wehe, um Holdes Lust
Leide ich Not!
Froner wird in der Feuerglut
Heute noch sterben,
Holde, dich wird das Menschenblut
Morgen verderben!«

Da schrie das junge Weib laut auf und schleuderte die Säge beiseite. Die alte Liebe kam wieder. Hinein wollte sie in den Baum zu Froner.

Aber sie hatte schon einen Menschenleib und blieb schwer auf dem Stamme liegen.

Und als der Bäcker mit roher Hand nach ihr griff, da wollte sie fliehen, sich in den Wald retten. Aber ach, er war stärker – er band ihr die Hände.

Dann zersägte er allein den Stamm, spaltete das Holz und schleppte es zum Ofen.

Mit von Wahnsinn entsetzten Augen schaute ihm Holde zu. Als die Flammen auflohten, zerriß sie ihre Bande und stürzte zum Ofen. Das Feuer goß einen roten Schein über sie, und ihre goldenen Haare leuchteten auf.

Da wurden die Augen des Bäckers gierig, er griff in die schimmernden Locken und wollte sie abschneiden. In diesem Augenblicke scholl eine Stimme aus dem Ofen.

»Holde, hüte deine goldenen Haare!«

Froner war's, der in einem Scheite verbrannte.

Da griff das Weib hinein in die Glut, riß den lodernden Ast heraus, hob ihn hoch, hoch über das Haupt – das Scheit mit ihrem brennenden Liebsten – und schleuderte das Feuer in das hölzerne Haus.

Es starben alle – die Waldgeister und die Menschen.

Als ich dieses Märchen erzählte, hatte ich schöne Zuhörerinnen. Das Backfeuer warf einen roten Schein auf die jungen Mädchen und verschönte sie. Mein Märchen wurde gelobt, und dann wurde Ingeborg nach der Küche gerufen. Da war ich mit Marianne das erste Mal allein. Eine Weile sprachen wir nicht, nur auf das Knistern des Feuers hörten wir. Dann sagte sie:

»Die Menschenliebe bringt viel Leid.«

»Immer?«

»Immer! Schon deswegen, weil sie nicht bestehen kann.«

»Es tut mir leid um die gute Ingeborg.«

»Wieso um Ingeborg?«

»Sie wird heiraten. Meinen Bruder!«

Das traf mich. Ich konnte für den Augenblick nichts sagen; ich fühlte nur, daß Mariannens Augen fest auf mich gerichtet waren.

»Und das tut Ihnen leid?«

»Ja! Mein Bruder ist ein guter Mensch, wenigstens das, was man so nennt. Aber er hat auch andere schon geliebt. Wie alle! Ich hoffe, daß es äußerlich gut gehen wird.«

»Sie glauben an kein beständiges Glück, an keine Treue?«

»Nein! Dazu sind die Männer nicht fähig. Ingeborg sollte immer hier bleiben. Jetzt ist sie glücklich.«

»Aber sie würde es nicht immer sein. Da müßte sie ihren Vater immer haben und ewig jung bleiben. Und ich glaube doch, daß Sie alles viel zu dunkel sehen, gnädiges Fräulein. Ingeborg wird in der nächsten Zeit so viel Glück im Herzen tragen, daß es eigentlich ausreichend sein sollte für ein ganzes Leben.«

Da trat Marianne auf mich zu und sah mich prüfend an. Dabei wurde mir ganz beklommen. Sie hatte noch nie zuvor in einem wärmeren, persönlicheren Tone zu mir gesprochen. »Ich hoffe, daß ich Ihnen wegen Ingeborg nicht wehe getan habe,« sagte sie milde. »Ich wollte Sie nicht überraschen lassen, deshalb sagte ich es Ihnen. Die Verlobung ist schon zu Weihnachten.«

Wie war mir?

Es blieb still in der Seele, es zersprang da drinnen keine goldene Saite. – Ich hatte Ingeborg nicht geliebt – es war nur ein Spiel gewesen.

Das wußte ich nun.

Ich sah dem edlen Mädchen in die Augen.

»Ich habe Sie verstanden, und ich danke Ihnen! Nein, Sie haben mir nicht wehe getan! Ich bin mir ein wenig unklar gewesen und war überrascht jetzt, sonst nichts. Ich finde mich wieder und bin ganz ruhig. Und ich weiß jetzt auch, daß Sie ein warmes Herz haben.«

Sie lächelte ein wenig und reichte mir die Hand.

»Es freut mich, daß Sie mir das so sagen konnten, es freut mich wirklich um Ingeborgs und um Ihretwillen.«


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