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Im Herbstnebel

.Der Herbst hatte dem Walde Wunden geschlagen, tausend und abertausend. Überall, wo sich ein Blattstiel vom Zweige gelöst hatte, war eine solche Wunde.

Ein Zucken ging durch den königlichen Wald, und ein leises mühselig unterdrücktes Wimmern zitterte von ihm herauf.

Da legte der allgütige Vater seinem schönen, kranken Kinde ein weiches, feuchtes Tüchlein auf die schmerzenden Glieder. Herbstnebel spann sich von Baum zu Baum, und durch sein seidenweiches Gewebe sickerten seine Wassertröpflein. Das tat dem Walde wohl, das kühlte sein Fieber, das würde ihm den Winterschlaf bringen und darauf die Heilung.

»Es sind ein Brief an den Herrn Doktor angekommen.«

»Ein Brief an mich, Baumann? Das ist ja nicht möglich.«

»Wenn's dem Herrn Doktor angenehm ist, so liegen der Brief im Arbeitszimmer auf dem Tische.«

»Aber woher ist er denn?«

Baumann legte die Hand aufs Herz.

»Ich bin nicht so frei gewesen, ihn aufzumachen, aber er ist sehr lang.«

»Da will ich doch gleich mal nachsehen.«

Neugierig stieg ich in mein Zimmer. Da lag wirklich ein Brief auf dem Tische. Er hatte das große Format der amtlichen Schriftstücke und war fünfmal versiegelt. Wer in aller Welt konnte denn meine Adresse erfahren haben? Ich entfaltete den großen Bogen und las:

»Freiherrliche Oberförsterei Steinwernersdorf.

Nachdem ich leider vom Herrn Baron veranlaßt bin, erteile ich hierdurch die gewünschte Jagdberechtigung in meinem Revier. Mit dem Hinzufügen, daß meine allerhöchsten Einwendungen erfolglos geblieben sind, ebenso die nervösen Anfälle. Womit ich sämtliche Verantwortlichkeiten, so aus dieser Berechtigung erwachsen, ablehne. Und den alten Weibern für diesen Winter das Holzsammeln verbiete. Wodurch natürlich nur die Armut und die Sozialdemokratie gestärkt werden wird.

Das erlegte Wild ist (falls solches vorkommen sollte) in der Oberförsterei binnen 12 Stunden abzuliefern bei Vermeidung der Veruntreuung. Ebenso ist das ganze Jagdgesetz inne zu halten und die Verordnungen, die ich sonst für das Revier getroffen habe. Widrigenfalls diese Berechtigung verfällt.

Steinwernersdorf, den 25. Oktober 1899.
Gezeichnet Heinrich Bernhard Gerstenberger,
Freiherrlicher Oberförster.«

Ich lachte. Das Schriftstück mochte dem alten Bären sauer geworden sein. Ich nahm das offene Schreiben in die Hand und ging hinab nach der Wirtsstube, um es Waldhofer zu zeigen.

Als ich die Tür öffnete – saß der Oberförster in der Stube. Der alte Knasterbart war also wirklich schon da, um zu beobachten, was für eine Wirkung seine Epistel auf mich geübt haben würde.

Ich bezwang mich und machte ein ernstes Gesicht. Die »Berechtigung« legte ich vor mich hin, entfaltete sie, stützte den Arm darauf und machte eine nachdenkliche Miene.

Der Herr Oberförster hustete. Er hustete ein zweites und drittes Mal. Das störte mich aber nicht. Ich las die »Berechtigung« immer wieder von Anfang, drehte sie hin und her, zuckte von Zeit zu Zeit die Achseln und machte immer bedenklichere Gesichter dazu. Da hielt es Herr Gerstenberger endlich nicht mehr aus.

»Was haben Sie denn eigentlich?« platzte er los.

»Ich? Ihr amtliches Schreiben habe ich!«

»Na, ja, ja, aber, ich meine, es ist doch nichts Besonderes dran an dem Schreiben.«

»Wie man's nimmt, Herr Oberförster!«

»Zum Deibel, was ist denn dabei zu nehmen?«

Ich erhob mich. »Es wundert mich, Herr Oberförster, daß in einem amtlichen Schriftstück von Stärkung der Sozialdemokratie die Rede ist.«

»Was? Sozialdemokratie? Stärkung? Is ja gar nich.«

»Ist sehr wohl, Herr Oberförster. Es ist sogar von einer amtlichen Maßnahme Ihrerseits die Rede, wodurch die Sozialdemokratie gestärkt werden soll.«

»Aha, verstehe! Passus von den alten Weibern! Aber das ist ja ganz anders gemeint!«

»Wie's gemeint ist, darauf kommt's in der Welt nie an, Herr Oberförster, sondern lediglich auf den Buchstaben! Und der Buchstabe steht hier! Ich vermute aber, daß Sie als Privatbeamter politisch keine Rücksichten zu nehmen haben.«

Er glotzte mich an.

»Ja – ich bin ja auch stellvertretender Amtsvorsteher,« sagte er betroffen. »Geben Sie mal den Wisch her!« »Ihr Schreiben? Bedaure, das gehört mir!«

»Ähä, Sie wollen, Sie sind ein – ähä – ähä – ich, ich muß mir einen Kognak holen.«

Er ging, und ich konnte endlich lachen. Dem guten Manne war schlecht geworden, ich war ihm »in den Magen gefallen«.

Als er wiederkam, sagte ich: »Ich bin bereit, Ihnen Ihr Schreiben zurückzustellen, Herr Oberförster, aber nur unter zwei Bedingungen.«

»Was für Bedingungen?«

»Erstens, Sie stellen mir einen neuen, kurzen Berechtigungsschein aus und zweitens, Sie geben auch in diesem Winter die unbeschränkte Erlaubnis zum Holzsammeln.«

»Ja, das geht nicht,« sagte der Oberförster, »da schießen Sie mir mal so 'ne alte Schachtel kaput, und dann haben wir die Bescherung.«

Ich wandte mich ab.

»Ja, dann bedaure ich, dann bleibt alles beim alten.«

Gerstenberger machte eine finstere Miene und ballte die Hand auf der Tischplatte. Politische Sorgen hatte er offenbar noch nicht gehabt. Plötzlich fragte er:

»Sagen Sie mal, haben Sie schon eine Flinte?«

»Büchse wollen Sie wohl sagen? Nein, hab' ich noch nicht.«

»Ja, Büchse! Es wundert mich, daß Sie das wissen; ich dachte, ›Flinte‹ verstünden Sie besser. Na, wo wollen Sie denn die Büchse hernehmen?«

»Ich werde mir eine aus der Stadt schicken lassen nebst der nötigen Munition.«

»Ähä!«

Nach einer Pause kam er auf mich zu. »Es wäre besser, wir vertrügen uns wieder – wir sind ja sonst ausgekommen, und daß Sie – daß Sie so ein greulicher Demokratenriecher sind, das – das glaub' ich nicht.« Ich sah ihm hell in die Augen.

»Also,« fuhr er fort, »geben Sie mal den blödsinnigen Wisch her, ich werd' einen neuen schreiben, und die alten Weiber – na, meinetwegen – der Himmel wird ein Einsehen haben. – Ja, und was ich sagen wollte – eine Büchse werd' ich Ihnen pumpen, eine tadellose Büchse!«

»Aber wollten Sie wirklich, Herr Oberförster? ... Das wäre ja sehr liebenswürdig; bitte, hier ist der Brief!«

»Danke –!«

Er seufzte schwer auf.

»Wenn man schon schreiben muß! – Ja, und Munition kriegen Sie natürlich auch bei mir; aber die müssen Sie mir bezahlen.«

»Das ist selbstverständlich! Ich bin Ihnen sehr dankbar!« Wir saßen zusammen und plauderten. Als er ging, war es &frac12; 11 Uhr vormittags.

Am Nachmittage hüllte sich der Himmel in immer trübere Wolken. Ich saß in meinem Arbeitszimmer und schrieb an meinem Epos. Aber die Arbeit wollte nicht vor sich gehen. Ich brauchte Frühlingsstimmung. Und draußen rann der Regen. Zuletzt fröstelte ich und wanderte in großen Schritten auf und ab.

Da klopfte es, und Baumann steckte nach seiner bekannten Art den Kopf ins Zimmer.

»Wenn der Herr Doktor nichts dagegen haben, so wird es schon recht kühl bei uns um diese Zeit.«

»Nein, Baumann, ich hab' gar nichts dagegen! Sie wollen wohl Feuer machen?« »Ja, Fräulein Ingeborg hat es gesagt, und da werd' ich mich beeilen, wenn's beliebt.«

Er beeilte sich, erschien bald mit Holz und Kohlen und fing in dem altertümlichen Ofen ein so unheimliches Rumoren an, daß ich trotz aller Dauerhaftigkeitserklärungen Waldhofers doch meine Bedenken hatte.

»Sagen Sie mal, Herr Ober,« sagte ich, während er so am Ofenloch kniete, »wo steckt denn eigentlich Ihre Frau? Die sehe ich ja gar nicht!«

Er sprang sofort auf, um eine Verneigung machen zu können.

»Steckt immer in der Küche, wenn der Herr Doktor die Güte haben; ist weiter keine empfehlenswerte Sehenswürdigkeit, wird sich aber sehr geehrt fühlen, wenn der Herr Doktor so freundlich sein wollen, mal Notiz zu nehmen.«

»Aber gewiß will ich Notiz nehmen; ich interessiere mich für alles, was zur Burg gehört.«

Herr Baumann machte eine sehr freudige Verneigung und waltete dann wieder seines Amtes am Ofen.

Als er ging, begegnete er Ingeborg vor der Tür. Ich hörte, wie das Mädchen eine Frage an ihn stellte. Er gab Antwort und mäßigte sich dann zu einem mir immerhin noch ganz vernehmbaren Flüsterton herab.

»Was Neues! Der Herr Doktor interessieren sich für meine Frau.«

»Oha, Baumann, nicht möglich!«

»Jawohl, er hat es selbst gesagt. Muß ich gleich der Alten erzählen!«

Und er stampfte die Treppe hinab. Als er fort war, öffnete ich die Tür, um Ingeborg zu sehen. Sie war aber schon fort. Schade, wenn ich sie gesehen hätte, würde mir die Maistimmung wohl gekommen sein!

Nun wanderte ich wieder auf und ab, starrte zuweilen in den rinnenden Regen hinaus oder befühlte den Ofen, dessen bemalte Kacheln nach und nach warm wurden.

Endlich saß ich wieder am Tische und schrieb. Ich fing eben an, in die richtige Stimmung zu kommen, da klopfte es. »Wenn der Herr Doktor jetzt mal Notiz nehmen wollten – meine Alte wäre oben!«

Er öffnete die Tür vollends, und herein kam eine etwa fünfzigjährige Frau von einer ganz respektablen Leibesfülle.

»Also, das ist sie,« sagte Baumann mit einem etwas peinlichen Lächeln.

Das gutmütige Gesicht der runden Dame glänzte in verlegen-freundlichem Schimmer, und ihre fleischigen Hände strichen beständig über die riesige »gedruckte« Schürze. »Das freut mich, Frau Baumann,« sagte ich und gab ihr die Hand. »Ich muß doch wenigstens meine Hausgenossen kennen lernen. Sie räumen mir wohl immer das Zimmer auf?«

»Sobald sich der Herr Doktor zum Frühstück bemüht haben,« antwortete Baumann.

»Schön, schön,« sagte ich; »werden Sie mir auch meine Wäsche besorgen? Das ist auch ein wichtiger Punkt.«

»Sehr wichtiger Punkt,« fiel Baumann ein; »können sich der Herr Doktor aber ganz auf meine Frau verlassen. Wäscht für mich, für Fräulein Ingeborg und für Herrn Waldhofer. Alles zur Zufriedenheit! Plättet auch ganz sauber – mit Glanz und ohne Glanz, wie der Herr Doktor belieben.«

Baumann behielt immer das Wort.

»Und wenn dem Herrn Doktor mal was fehlen sollten – Westenknopf oder so was – oder Schnupfen, Heiserkeit, verstauchter Fuß und so – brauchen sich der Herr Doktor nur an meine Frau zu bemühen. Besorgt alles!«

Ich freute mich im voraus dieser hilfreichen Gönnerin und entließ sie und ihren Gemahl aus dieser Vorstellungsaudienz in höchster Gnade. Erst als sie draußen waren, fiel mir ein, daß die Frau auch nicht einen einzigen Ton geredet hatte. Das hatte Baumann besorgt.

Es war schwer, in mein Epos zurückzufinden. Schließlich gelang es aber, und als der Abend hereinbrach, mehrte sich mein Behagen.

Eine mächtige Lampe brannte auf dem Tische, der Ofen strömte eine wohlige Wärme aus, ein gutes Glas Wein stand vor mir, und so saß ich, saß im alten Rittersaal, rauchte eine Zigarre und hörte mit Behagen den Regen an die alten Fenster schlagen. Es goß jetzt in Strömen. Ich wollte arbeiten bis zum Abendbrot und dann mit Waldhofer und Ingeborg plaudern. Auf einen solchen Abend freute ich mich mehr als auf die »genußreichste« hauptstädtische Soiree.

Da höre ich Schritte draußen und dann klopfte es. Wohl wieder Baumann! Nein, ein Grunzen und Schnauben ertönt, und dann tritt der Oberförster ein. Er ist pudelnaß und trägt zwei Gewehre auf dem Rücken.

»Guten Abend!« sagte er. »Entschuldigen Sie nur, daß ich mal in Ihre alte Räuberhöhle raufkomme! Ich komm' Sie zur Jagd abholen.«

»Zur Jagd? Heute?« »Na, was denn? Oder wollen Sie bis Johanni warten, ehe Sie mal auf den Anstand gehen?«

Ich durchschaute den alten Fuchs. Er hatte es absichtlich so spät werden lassen und das heutige Wetter gewählt, um mir die Jagd von Anfang an gründlich zu verleiden.

»Aber wir sehen ja gar nichts mehr im Walde,« wandte ich ein. Er lachte spöttisch.

»Pumpen Sie sich doch eine Laterne,« sagte er, »eine Laterne und einen Regenschirm; da soll'n Sie mal sehen, wie sich die Rehböcke wundern werden!«

Ich nahm's ihm nicht übel.

»Bitte, nehmen Sie eine Zigarre; ich mache mich schon zurecht!«

Dem wollte ich's beweisen. Ich zog im Schlafzimmer meinen dicksten Rock und meine festesten Schuhe an. Trotzdem lächelte Gerstenberger höhnisch, als er mich sah.

»Also bitte, da ist Ihre Büchse und da sind Patronen!«

Die Büchse schien gut zu sein, Patronen waren nur zwölf Stück.

Ich gestehe, daß ich mit Bedauern meine warme, heimliche Stube verließ. Es war Nacht. Zwar die Zeit war gar noch nicht so weit vorgeschritten, und es hätte sogar Mondschein sein müssen, aber der ganze Himmel hing voll Wolken.

Der kalte Regen traf mich ins Gesicht und durchweichte meine Kleider. Und der Weg, den mich Gerstenberger führte, war fürchterlich.

Es war einfach verrückt, jetzt in den Wald zu laufen. Sehen würden wir nicht eine Katze, davon war ich überzeugt. Aber um alles in der Welt wollte ich mir vor dem Oberförster keine Blöße geben. Wie finster der Wald war! Gleich schwarzen Gestalten standen rechts und links die Stämme, und die kahlen Äste knirschten über mir im Winde. Da blieb der Oberförster stehen.

»Glauben Sie an Gespenster?« fragte er leise und stockend.

»Nein,« sagte ich laut, »gar nicht!«

»Ähä!« machte er enttäuscht. Er hatte die löbliche Absicht gehabt, mir ein bißchen gruselig zu machen. Da verfiel die edle Seele auf eine andere Unterhaltung. Er erzählte von Wilddieben. Sein Vorgänger war erschossen worden. Auch in einer Herbstnacht war er mit Wilderern zusammengetroffen.

»Denken Sie sich eine Stelle weit ab vom Dorfe. Kein Mensch kommt dorthin. Und es ist Nacht. Der Wind braust und der Regen rinnt. Der Förster geht ganz allein. Da sieht er eine schwarze Gestalt. Ist's ein Baumstumpf oder ist's ein Mensch? Nein, es bewegt sich – es ist ein Mensch!

›Halt! Wer da?‹

Und der Förster hebt seine Büchse. Der Mann erschrickt, er ist verloren. Langsam, Schritt für Schritt, immer die Kugel auf das Menschenwild gerichtet, geht der Forstmann näher. Da kracht ein Schuß – vornüber fällt der Förster – der Kumpan des Wilderers hat ihn von hinten erschossen. – Die Kerle stehen mit bleichen Gesichtern bei der Leiche – dann fassen sie an. – Einen Holzstoß räumen sie beiseite – und türmen ihn wieder auf über dem Toten. Zu Hause warten Weib und Kind. – Nach langem, langem Suchen spürt ein Hund den Toten auf. – So etwas passiert im stillen Walde.«

»Und wer war der Mörder?« fragte ich. Da bleibt der Oberförster stehen und sieht mich an.

»Hartwigs Vater,« sagte er. »Hüten Sie sich vor Hartwig!«

Jetzt überkam mich wirklich ein Gruseln. Dieser Hartwig war ja schon mein Feind. Und er war auch ein Wilderer.

»Wann ist denn das gewesen?«

»Vor siebzehn Jahren! Hartwig wurde zum Tode verurteilt; aber da war gerade der jetzige Kronprinz geboren worden, und da hat der alte Kaiser den Mörder begnadigt. Zu lebenslänglichem Zuchthaus! Er sitzt noch jetzt, und sein Sohn wird bald bei ihm sitzen. Bei einem Wilderer nutzt nichts – keine Lehre. Und ich denke, ich werde etwas dabei zu tun haben – so oder so.«

Wir gingen schweigend eine ganze Weile weiter.

Dann blieb Gerstenberger wieder stehen.

»Wollen Sie nicht lieber die Jagd sein lassen?« fragte er.

»Wegen des Hartwig? Unter keinen Umständen! Daß er mir allerdings jetzt schon nicht grün ist, weiß ich.«

»Ja, wegen der Ingeborg! Das Mädel müßte blödsinnig sein! So einen Kerl! Aber der Alte – ich meine den Waldhofer – der müßte den Schubiack aus der Burg rausschmeißen, daß er Hals und Beine bräche.«

»Ich glaube, er sucht durch seinen Einfluß und Zuspruch den Hartwig auf bessere Wege zu bringen.«

»Jawohl, der! Der hätte Pfarrer werden sollen! Mich hat er auch schon mal auf bessere Wege bringen wollen. Nicht so viel Kognak soll ich saufen, sagt er. Und das nennt sich Gastwirt! Feiner Geschäftsmann, was?«

»Aber er ist Ihnen sehr gut, Herr Oberförster!«

»So! Bin ich ihm auch! Verknusen kann ich ihn nicht; aber zu ihm gehen tu ich immer wieder. Auch wegen des Mädels. Das ist ein Racker – hübsch, freundlich, ein bißchen schnippisch – ganz mein Fall!«

»Verheiratet sind Sie nicht?«

»Nee, glücklicherweise nich! Ich hab' früher mal die Sternitzken poussiert, wie sie noch 'n Mädel war, verstehn Sie, aber sie hat lieber den Sternitzke genommen – na, und seit der Zeit beneidet er mich.«

»Ja, aber eine gemütliche Häuslichkeit hat doch auch etwas für sich, nicht, Herr Oberförster?«

»Gemütlich – ja, da sitzt eben der Hase im Pfeffer! Gemütlich ist's eben meistens nicht. Na, sehn Sie mal, und eine Wirtin hab' ich ja auch. Viel besser wie die Sternitzken is sie auch nich, aber ich kann sie doch von Zeit zu Zeit mal rausschmeißen, und dann kommt sie gekrochen wie ein Hund und benimmt sich vier Wochen lang ganz passabel. Na, und die Elternfreuden! Die nassauere ich bei Sternitzken! Die Jungens kosten mich zum Jahrmarkte und zu Weihnachten 'n Heidengeld, und die Mädels, die lern' Gedichte zu meinem Geburtstage, in den' sie immer stecken bleiben, und ich muß ihnen partout, wenn ich mal hinkomme, die Zöppe flechten. Schreckliche Bande solche Kinder! Man kann so grob sein, wie man will, man wird sie nich los!« Ich mußte lachen, obwohl mir gar nicht danach zumute war. Es war sicher kein trockener Faden mehr an mir, und der Weg wurde so schauderhaft, daß ich aus dem Stolpern gar nicht mehr herauskam.

»Wie weit woll'n wir denn eigentlich noch?«

»Knappe halbe Stunde,« sagte Gerstenberger, »einen Rehbock Hab' ich auf dem Gicker.«

»Aber wir sehen doch gar nichts!«

»Ja, lieber Herr, bengalische Beleuchtung könn' Sie zu so was nich verlangen! Ich denke, wenn sich der Wind erhebt, kommt noch der Mond raus!«

Das waren erbauliche Aussichten. Mit Wehmut dachte ich an meinen gemütlichen Bankettsaal. Wenn ich jetzt hätte arbeiten können! Mir graute vor der ganzen Jägerei.

Endlich machten wir halt. Eine kleine Waldlücke war's, an die eine Wiese grenzte.

»Hier wechselt er,« sagte Gerstenberger.

»Ob er wohl heute kommt?« fragte ich.

»Ich glaube nicht,« sagte mein wohlwollender Führer. »Denken Sie mal bei dem Sauwetter! Da wird er wohl lieber zu Hause bleiben! Im übrigen müssen Sie jetzt still stehen wie ein Ast. Laden Sie mal erst Ihre Büchse!«

Ich biß mich auf die Lippen. Aber ausharren wollte ich, Gerstenberger zum Trotz, dem ja die Geschichte ebenso langweilig sein mußte wie mir.

Als ich so stand, fing mich an zu frieren; aber ich muckte nicht. Und siehe da – nach zehn Minuten kam der Mond, und nach abermals zehn Minuten – der Rehbock. Das Herz schlug mir, sonst regte sich keine Faser an mir. Ich war schon oft auf der Jagd gewesen, aber ich bekam das Jagdfieber aufs neue. Dem wollte ich's beweisen!

Das Tier kommt näher. Vorsichtig wendet es den Kopf – steht – lauscht – geht weiter – 40 Schritt entfernt – 30 – jetzt – es steht prachtvoll – ich hebe unhörbar die Büchse – nehme den Bock scharf aufs Korn – dicht hinters Schulterblatt – krach! – Der Rehbock springt auf und – läuft wohlbehalten davon. Ich schicke ihm den zweiten Schuß nach – umsonst!

»Bravo, bravo! Der hat seinen Schreck weg!« lacht der Oberförster laut auf. »Ich – ich – habe ihn wohl gefehlt?« stammle ich.

»Glaube auch,« lacht der Alte, »auf 30 Schritt, das ist keine Kleinigkeit! Der Schuß wird ungefähr rechtwinklig in jene alte Weide gegangen sein – ihi – ich – es ist um die Krämpfe zu kriegen.«

»Aber – das – das ist unmöglich – ich hab' ihn doch so scharf aufs Korn genommen – die Büchse –«

»Die Büchse? Sie machen's gerade wie ich als Schuljunge, wenn ich mal 'n Fehler gemacht hatte – da schob ich's auf die Feder. – Geben Sie mal her!«

Er nahm meine Büchse, lud sie und sagte:

»Ich bin sonst nicht für zweckloses Knallen; aber passen Sie mal auf – ich muß die Ehre meiner Büchse retten. Sie erlauben wohl!«

Er nahm mir ohne Umstände den Hut vom Kopfe, hing ihn an einen Baumstumpf, nahm ziemlich entfernt Aufstellung und schoß ab. Mein Hut war genau in der Mitte von der Kugel durchlöchert.

»Bitte sehr, so schießt die Büchse! Den Hut will ich gern ersetzen! Wollte Ihnen bloß zeigen, wie geschossen wird. – Na, so, und nun gehen wir heim! Dem Rehbock haben Sie eine solche Heidenangst eingejagt, daß er nicht wiederkommt.«

Tief verstimmt folgte ich dem Oberförster, der immer leise vor sich hin lachte. Ich war in miserabler Stimmung. Daß mir auch so etwas passieren konnte! Es war mir ganz unbegreiflich. Den Heimweg würzte mir der Forstmann damit, daß er mir von allerhand Jagdunglücken erzählte und behauptete, die meisten Jäger gingen am Gelenkrheumatismus »kaput«.

Ich schämte mich, nach Hause zu kommen. Aber ich beschloß, gute Miene zum bösen Spiel zu machen und nächstens die Scharte auszuwetzen.

Ich ging in mein Zimmer und kleidete mich um. Dabei ging mir natürlich die dumme Geschichte meines Fehlschusses nicht aus dem Sinn.

Da kam mir plötzlich ein Gedanke. Ich betrachtete die Patronen näher, die mir der Oberförster geliefert hatte, und untersuchte eine. Es waren Platzpatronen – blinde Dinger ohne Kugel –

Für den Augenblick wurde ich wütend. So erlaubte er sich, mich zu prellen? Aber ich beruhigte mich bald. Ich stieg hinab in die Gaststube. Da saß der Oberförster bei einem dampfenden Glase Grog und erzählte tränenlachend mein Abenteuer. Ich würde wohl jetzt die Jagd sein lassen, sagte er.

Ich ließ ihn reden und aß inzwischen mit wahrem Wolfshunger mein Abendbrot. Erst nachher sagte ich ruhig zu Waldhofer: »Ich muß dieser Tage einmal nach der Stadt. Ich will mir einen Jagdanzug kaufen und Patronen besorgen.«

»Patronen?« fragte Gerstenberger erstaunt. »Taugen Ihnen meine etwa nicht?«

»Nein, ich werde jetzt mal mit solchen versuchen, wo Kugeln drin sind; Ihre Platzpatronen können Sie wiederbekommen!«

Da wurde das Gesicht des alten Fuchses sehr lang. »Er hat's rausgekriegt,« keuchte er; »nun geb' ich's auf!«


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