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In die Romantik

.Nun stieg ich hinauf. Die Abendsonne leuchtete mir.

Der Waldweg war nicht allzu breit, und die Buchenkronen so mächtig, daß sie sich über mir schlossen zu einem langen Bogengange.

Ich ging langsam. Es war nicht, um in Stimmung zu kommen, die war da, als das letzte Wort der harmlos-neugierigen Männer da unten an meinem Ohr kaum verklungen war.

So wie man durch einen Kirchengang langsam schreitet oder durch einen alten Korridor behutsam geht, so ging ich. Und ich wehrte meiner Phantasie nicht. Meine Seele kann sich wandeln; sie kann an einem Tage jung und alt sein. Immer, wenn ich Menschen sehe, ist sie alt; und immer, wenn die Bäume über mir rauschen, ist sie jung.

Ein Schauern überkam mich in dem Halbdunkel. Ich fühlte mich auf einmal allein – fern von allen – verlassen – O du süße, süße Kinderfurcht, dich möchte ich noch einmal genießen!

Ich schloß die Augen. Da wurden alte Traumbilder vor mir lebendig.

Frau Dolores kam, eine schöne, blonde Frau – Sie schaute mich an mit wehen Augen und fuhr mir mit weißer Hand prüfend durch die Haare.

Nein, auch ich war nicht – er! Da ging sie zur Quelle. Das Wasser rann, und ihre Tränen rannen.

Frau Dolores, was weinst du? Weinst du um Männertreue? Eben weil du weinst, kommt er nicht wieder. Glaube mir, Frau Dolores! Ich kenne die Menschen – ach, so unglückselig genau; ich bin ein kluges Weltkind von draußen. Weil du weinst, kommt er nicht wieder – arme Dolores! Wenn du lachtest, würde er vielleicht kommen. Im Gehölz klang Saitenton. Da saß er – Wolfram mit der Harfe.

Die Augen irrten ihm nach der Quelle zu Dolores. Seine schönsten Lieder sang er –

Verlorene Schönheit! Frau Dolores wird dich nicht hören, Wolfram. Wenn du sie lachen sehen willst, geh, – suche den andern! Singe ihm Heimatlieder, bis ihm das Herz springt vor Heimweh, und dann führe ihn zu ihr!

Da wirst du sie jubeln hören. – Und du schleiche dich fort in die Welt –

Aber der werbende Saitenton klingt weiter – Herr Wolfram ist nur ein Mensch –

Ein Knecht kommt vorbei. Er ist schön wie ein Held. Die Kühnheit wohnt auf seiner Stirn, der Trotz auf seinen Lippen, die Kraft in seinen Fäusten. Und in seinen Augen sind Gedanken.

Hüte dich Burgherr, der ist gefährlich!

Der Knecht schlägt mit seinen Fäusten gegen einen Stein. Die Hände bluten ihm, aber der Stein bleibt ganz. – Und aus tausend solchen Steinen ist die Burgmauer gebaut! – Unüberwindlich!

Da gräbt der Knecht verzweifelnd die blutenden Hände in die weichen Locken und stürmt hinunter ins Tal in seine elende Hütte –

Ich betrachte den Stein, an den er geschlagen hat. Jahrhunderte lang werden seine Wassertröpflein drüber rinnen, wenn es taut oder gewittert. Und dann wird der Stein mürbe sein und zerfallen.

Denk' an deine Urkinder, schöner Knecht, und werde froh! –

Ein Mönch kommt des Weges. Einen Rosenkranz hält er in der Hand, und die Perlen gleiten langsam, und die Lippen zucken dazu –

Jetzt weiß ich nicht, ist der von ehedem oder von heut – träume ich noch, oder bin ich schon wach –

Nach Frau Dolores schaue ich aus, nach Wolfram, nach dem Knechte –

Da stehe ich dicht vor der Burg.

Hoch ragt das in seinem Verfall noch stattliche Bauwerk vor mir auf.

Die Burgmauer umschließt noch den ganzen Hof; freilich zeigt ihr oberer Rand zahllose Lücken, und hin und wieder reicht eine von diesen Lücken bis auf die Sohle. Aber das Hauptgebäude scheint gut erhalten zu sein, und ebenso der hohe sechseckige Turm. Das Abendgold liegt auf den Fenstern, und die Butzenscheiben glänzen in ihrer bleiernen Umrahmung wie Riesenrubine in Altsilberfassung.

Das Hauptgebäude hat drei Stockwerke. Bis über das zweite hinauf rankt blau-grüner Efeu. Auch die kleine gotische Pforte in der Burgmauer ist ganz von Efeu umwuchert. Unten im tiefen Burggraben liegt rotes Laub, und zwischen den Holzstämmen, aus denen die Brücke gezimmert ist, wächst Moos.

Zögernd setze ich meinen Fuß darauf. Das Herz pocht mir plötzlich sehr laut. Die ungewohnte Romantik faßt mich an, und der Gedanke, da hineinzugehen zu fremden Leuten in das sonderbare Haus und dort Heimatrecht zu begehren, regt mich auf.

Wenn jetzt der Türmer bliese und ein langhaariger Diener käme, mich nach Wunsch und Begehr, Namen und Weg zu fragen, ich würde mich kaum wundern. Da geht die Pforte auf, und ein Mann erscheint. Er ist schwarz gekleidet, sein weißes Vorhemd und sein langer Rock sind tadellos, aber ganz altmodisch. Er mag ein Fünfziger sein oder Sechziger; ein grauer Bart fällt ihm auf die Brust herab, und auch seine halblangen Haare sind ergraut.

»Guten Abend,« sagt er ernstfreundlich. »Sie sind der Herr aus der Stadt, den wir erwarten?«

»Ja, mein Herr! Und Sie sind wohl der Gebieter dieser Burg, Herr Waldhofer? Da empfehle ich mich bald Ihrer Gunst und Gastfreundschaft.«

Er lächelte kaum merklich.

»Seien Sie willkommen,« sagte er und machte eine einladende Handbewegung. Ich trat in den geräumigen Hof. Herr Waldhofer ging mir so rasch voran, daß ich nicht viel Zeit hatte, mich umzusehen. Wir traten in einen dämmrigen Hausflur und bald darauf in ein geräumiges, niederes Zimmer.

Die ganze Einrichtung verriet die Gaststube; aber die schweren Tische und Stühle waren altdeutsch, und an den Wänden waren viele Geweihe angebracht und eine Anzahl ausgestopfter Vögel.

»Seien Sie nochmals willkommen, Herr Doktor!«

»Ich danke Ihnen, Herr Waldhofer!«

»Sie wünschen etwas zu essen?«

»Nein, ich danke; Herr Sternitzke hat mich von der Bahn abgeholt, und da Hab' ich etwas bei ihm zu mir genommen.« »Jawohl! Darf ich Ihnen ein Glas Wein anbieten?«

»Ich bitte darum!«

Er ging hinaus. Ich habe mich von Jugend auf eines ausgezeichneten Gehörs zu erfreuen gehabt. So kam es, daß ich eine melodische Frauenstimme in schmerzlichem Tonfall draußen sagen hörte: »Nichts? Oh, oh, meine schönen Rebhühner!«

Ei, das war schade! Mit geringer Dankbarkeit dachte ich an die von Herrn Sternitzke gekochten Eier und an die vom Oberförster geschnittenen, fürchterlich dicken Brotstullen zurück. Aber satt war ich, das stand bombenfest. Waldhofer kam zurück. Er stellte zwei Gläser auf den Tisch und goß ein. Dann hob er sein Glas und sagte: »Auf einen glücklichen Winter!«

Ich war überrascht von den Umgangsformen dieses Mannes. Es war kein Wunder, wenn er Franz Sternitzke als etwas übermäßig Feines vorkam.

Waldhofer setzte sich mir gegenüber. Er schaute mir aufmerksam ins Gesicht, ohne daß ich doch das lästige Gefühl hatte, gemustert zu werden.

»Ihre Sachen sind vorgestern hier angekommen,« sagte er; »ich habe sie in Ihren Zimmern bereits untergebracht.«

»Ich mache Ihnen viele Scherereien, nicht wahr?«

»Nein! Der Herr Baron hat für alles gesorgt, und ich habe mich lediglich an seine Anordnungen gehalten.«

»Der Herr Baron will mir sehr wohl, und ebenso die Frau Baronin.«

Waldhofer nickte und sah in sein Glas.

»Ich habe oben im zweiten Stock zwei Gastzimmer für meinen Sohn einrichten lassen, wenn er mal zu den Ferien kam. Sie sind bescheiden möbliert, aber doch so, wie wir's jetzt gewöhnt sind. Ich hätte sie Ihnen abgetreten; denn mein Sohn braucht sie nicht mehr. Aber Sie suchen ja wohl die Romantik.«

»Jawohl! Das heißt, ich bin mir über meine Stellung zur Romantik selber nicht recht klar.«

Waldhofer sah mir voll ins Gesicht.

»Die Menschen sind jetzt noch weit von ihr. Aber wenn sie noch weiter sein werden, kehren sie zu ihr zurück. Es geht alles im Kreise.«

Ich erschrak beinahe, als er das so sagte.

»Sie beschäftigen sich mit der Kunst, Herr Waldhofer?« fragte ich mit Respekt.

»Ein wenig. Der Winter ist lang hier oben.« Und er lenkte ab.

»Herr Sternitzke ist ein lustiger Mann, nicht wahr?«

»Ja, wie es scheint, eine naive, brave Haut – ebenso der Oberförster.«

»Ah, den kennen Sie auch schon? Das freut mich! Sie werden die beiden brauchen, wenn wir erst hier im Gebirge eingeschneit sind; dann ist es sehr einsam.«

Und er sprach vom Winter im Gebirge. Ich hatte bald heraus, daß mein Wirt ein gebildeter Mann sei, vielleicht noch etwas mehr. Mich nach dem Zwecke meines Herkommens zu fragen, fiel ihm offenbar gar nicht ein. Da hielt ich's für geboten, mich von selbst ihm gegenüber auszusprechen.

Ich sprach von meiner Großstadtflucht, von meiner Einsamkeitssehnsucht. Ich wisse sie mir selber nicht recht zu erklären; denn eine so recht trübe, herbe Erfahrung hätte ich gar nicht gemacht. Die Summe kleiner Unannehmlichkeiten sei es wohl, die mich zur Flucht getrieben, vielleicht sei es auch bloß Abwechselungssucht, daß ich aus dem Großstadtwinter in den Waldwinter floh.

»Im Grunde werden's die Liebe zur Natur und die Jugend sein,« sagte Waldhofer.

Da klopfte es an die Tür. Gleich darauf erschien ein Mädchen mit einer Lampe. Das milchhelle Licht bestrahlte das rotwangige, entzückend frische Gesicht einer vielleicht Achtzehnjährigen.

»Meine Tochter Ingeborg,« sagte Herr Waldhofer, »da unser Gast!«

Ich sprang auf und machte meine Verneigung. Das Mädchen stellte das Licht auf den Tisch. Etwas verwirrt, aber mit einem reizenden Augenaufblitzen, reichte es mir die Hand. »Guten Abend und schön willkommen auf dem Waldhofe! Gott, das ist aber weit bis zu uns?«

»Sehr weit, mein Fräulein! Aber ich wäre ganz gern auch noch von viel weiter hergekommen.« »Ja – a? Das freut mich! Es ist aber auch sehr hübsch auf dem Waldhofe, überhaupt im Sommer – den Winter mag ich gar nicht so gern leiden –«

»Nein, denn der sperrt unruhige Leute in die Stube,« sagte Waldhofer.

Das Kind lachte glücklich und fing gleich zutraulich an zu plaudern.

»Mein Vater sagt, ich war' ein wildes Ding – aber das bin ich schon lange nicht mehr. Ich war doch auch in der Pension, auch in der großen Stadt, Herr Doktor, ja! Damals mit Walter! Du, sieh doch mal, Vater, nicht wahr, er – er ist unserem Walter ähnlich?«

»Laß, Ingeborg, laß das!« »Nein, Sie – Sie sind aber wirklich dem Walter ähnlich, sehr sogar, der hat auch solche Augen gehabt, der hat –«

»Aber so laß doch sein, Ingeborg!«

Waldhofer ging nach dem Fenster hin. Ingeborgs Augen wurden traurig.

»Walter war mein einziger Bruder, Herr Doktor. Er war auch Doktor, ein junger Arzt, und da hat er sich an einem kranken Kinde angesteckt und ist gestorben. Mit 26 Jahren! Denken Sie mal!«

»O, mein gnädiges Fräulein, das tut mir leid, das tut mir herzlich leid!«

»Das ist doch keine Unterhaltung für den ersten Abend, Ingeborg,« sagte Waldhofer, blieb aber am Fenster stehen.

Ingeborg faßte sich rasch.

»Ich wollte Sie ja bloß ein bißchen aufklären, Herr Doktor, wenn Sie doch mal jetzt im Hause wohnen, nicht wahr? Außer Vater und mir sind nur noch die alten Baumannleute da. Der alte Baumann hackt im Winter Holz, und im Sommer bekommt er eine schwarze Jacke angezogen und muß den Oberkellner spielen. Ist das nicht lustig?«

»Sehr lustig!«

Während sie sämtliche Fenster schloß, plauderte sie immer munter weiter.

»Ja, im Winter kommen beinahe gar keine Gäste zu uns. Die Dorfleute gehen alle zum Sternitzke, weil der so hübsche Witze macht. – Aber im Sommer! Da ist manchmal der ganze Hof voll! Der alte Baumann und das Mädchen, das wir halten, rennen sich halbtot. Ich darf keinen Gast bedienen. Das leidet der Vater nicht. Und ich möchte doch so gern mal mit einem Dutzend Biergläser laufen und sagen: »Bitte, meine Herrschaften!«

»Ja, und dir dann ein Trinkgeld geben lassen.«

»O pfui, Papa, das wird keiner machen. Sie werden schon sehen, daß ich ein Fräulein bin. Der Herr hat's auch gleich gesehen und mir einen so tiefen Diener gemacht, als ich kam.«

»Aber Ingeborg!«

»Ich geh' schon Papa! Gute Nacht, Herr Doktor!«

Und sie war draußen. Aber sie guckte noch einmal zur Tür herein.

»Was furchtbar Schlimmes muß ich Ihnen noch sagen: Morgen zum zweiten Frühstück kriegen Sie gewärmte Rebhühner!«

Klapp war die Tür zu.

»Die wird's hier oben nicht verderben,« dachte ich.

»Sie ist ein Kind, das gern plaudert, Herr Doktor,« sagte Waldhofer wie zur Entschuldigung, »und ich bin so ein finsterer Mensch, der ein bißchen Frohsinn um sich braucht.«

»O, Herr Waldhofer, etwas Herzerfrischenderes hätte ich mir gar nicht wünschen können.«

Wir saßen noch ein Weilchen zusammen und plauderten.

Da sagte der Wirt: »Ist es Ihnen gefällig, jetzt nach Ihren Zimmern zu gehen?«

Wir gingen hinauf. Ich war schon durch viele Ruinen gewandert: in Österreich, in Thüringen, am Rhein, in Schlesien; aber nie hatte mich solch ein Schauer ergriffen wie jetzt, da ich die schmale Treppe hinaufstieg.

Die Wand am Treppenaufgang war mit alten Bildern behangen. Geharnischte Männer, Frauengesichter mit großen, runden Augen, dazwischen mal ein Herzog, ein Bischof, ein dickes Kindergesicht. Vor einem kleinen Bilde blieb ich stehen.

»Sebastian Brant?« fragte ich.

»Ja,« erwiderte Waldhofer; »ich besitze eine Handschrift des ›Narrenschiffes‹. Wenn Sie mal Einsicht nehmen wollen? – Bitte, hier ist Ihr Zimmer!«

Er öffnete eine schwere Tür. Wir traten in einen Saal. Die Lampe, die Waldhofer trug, reichte bei weitem nicht aus, den Raum genügend zu erleuchten. Zunächst bemerkte ich nichts als eine mächtige Tafel, um die eine Reihe riesiger Lehnstühle standen. Über der Tafel hing eine Art Kronleuchter, der aus einem einzigen riesigen Geweih gefertigt schien.

»Der alte Bankettsaal,« bemerkte Waldhofer. »Der Herr Baron hat ihn ausdrücklich zu Ihrem Wohn- und Arbeitszimmer bestimmt und die nötigen Mittel bewilligt, ihn instand zu setzen. Die Fenster schließen luftdicht, der Tisch, die Stühle und die Schränke sind gebrauchsfertig, und der Ofen ist erst gesetzt.«

Er zeigte mir einen riesigen altdeutschen Kachelofen.

»Er ist beinahe ein Kunstwerk, er sieht doch aus, als ob er zweihundert Jahre alt wäre. Sehen Sie mal dieses zerbröckelte Sims, diesen fürchterlichen Sprung, und da fehlen doch anscheinend zwei Kacheln, die Tür scheint sich auch kaum in den Angeln zu halten, dabei heizt er vortrefflich.«

Mir war plötzlich ganz beklommen.

»Ja, aber, aber die Kosten, die Kosten,« stammelte ich; »ich hab ja gar nicht daran gedacht, daß das alles so viel Umstände und entsetzliche Kosten machen wird.«

»Beruhigen Sie sich,« unterbrach mich Waldhofer, »der Baron ist reich, der kann für einen jungen Künstler schon mal was tun. Und er tut es ja auch für seine Burg. Sie sind Schriftsteller, nicht wahr?«

»Jawohl!«

»Ich habe gehört, daß manche von den Herren ein sehr großes Arbeitszimmer lieben, und manche ein recht kleines. Ich hab an beide Fälle gedacht. Hier« – er öffnete eine Tapetentür dicht neben dem Ofen – »Hab ich ein kleines Turmzimmer instand gesetzt, geheizt wird es vom Ofen mit.«

»Aber, Herr Waldhofer, Sie sind ja ein prächtiger Herr -«

Darauf gab er nicht acht.

»Dort drüben liegt Ihr Schlafzimmer – bitte, wenn es Ihnen gefällig ist –«

Wir traten in einen zweiten, mittelgroßen Raum. Ein großes Himmelbett gewahrte ich, einen alten Tisch, auf dem eine riesige irdene Waschschüssel und ein ebensolcher Krug stand, einen Schrank, ein paar Stühle und einen Diwan, mit einem grauen Felle überdeckt. In einer Ecke stand der Ofen, in demselben Stile gehalten wie der im Bankettsaal, nur kleiner.

Ganz überwältigt sank ich auf einen der Reisekörbe, die ich geschickt hatte, und sagte: »Also, das hier wäre die einzige Stilwidrigkeit in diesem romantischen Idyll: diese Körbe und ich.«

Waldhofer lächelte.

»Sie werden sich in den Stil hineinleben! – Wenn Sie heut noch auszupacken wünschen, darf ich Ihnen wohl den Baumann heraufschicken?«

»Ach ja, bitte, ich brauche doch so manches –« »Dann wünsche ich gute Nacht!«

Er ging. Ich sank wieder auf den Reisekorb und stützte den Kopf auf beide Hände. Ich starrte das riesige Himmelbett, das sich vor mir aufbaute, stumpfsinnig an, ohne einen bestimmten Gedanken. Ich hatte nur die Empfindung, daß ich mich in einer ganz ungeheuerlichen Situation befinde, in einer Situation, die ich mir selbst geschaffen und die nun doch anders auf mich wirkte, als ich gedacht hatte.

Die Tür in den Bankettsaal stand offen. Da war mir's, als ob mich ein Unbehagen von dort anfiele. Es war so finster da draußen; nur ein Stuhl ragte hoch auf in dem matten Lichtscheine, den meine Lampe hinauswarf. Ich ging hin und schloß die Tür.

Dann versuchte ich zu lächeln. Ich fürchtete mich wohl gar? Das wäre ja noch schöner! Ich trat an das Bett heran. Die Bettstelle wies alte, hübsche Holzschnitzereien auf, das Bettzeug aber war ganz modisch und, wie es schien, vorzüglich.

Ich würde wohl gut schlafen; ich war ja weit gereist. Da, ein langsamer, schlürfender Schritt draußen – ein leises Pusten und Schnauben – dann ein heimliches Klopfen – die Tür geht sacht auf – ein grauer Menschenkopf streckt sich herein –

»Womit kann ich dienen?«

Das war nun der echte Kellnerton.

»Ah, Sie sind wohl Herr Baumann?«

»Wenn Sie befehlen – ja! Ich bin Herr Baumann.«

»Sie werden so freundlich sein, mir den Korb auspacken zu helfen und diese Kiste öffnen.«

»Ganz wie der Herr befehlen!«

Und er schnitt eine rechtwinklige Kellnerverneigung und stürzte sich dann mit der Energie eines Athleten auf meine Kiste. Mittels eines Meißels und eines Hammers begann er sie zu öffnen. Dazu sprach er in einzelnen Absätzen:

»Wollen sich der Herr nur einen Augenblick gedulden – werde gleich so weit sein – wird alles prompt besorgt werden – können sich der Herr ganz darauf verlassen – werden sehr zufrieden sein – sehr schönes Wetter heute gewesen – Barometer seit vorgestern gestiegen – wart, du Beest, krach – so – bitte gehorsamst!«

Die Kiste war offen.

»Sie sind Oberkellner, nicht wahr, Herr Baumann?« fragte ich.

»Wenn der Herr befehlen, ja – das heißt nur im Sommer, wenn's dem Herrn weiter nichts verschlägt.«

Nein, es verschlüge mir nichts weiter, versicherte ich und begann mit Baumann auszupacken. Ich wies ihn an, die Sachen vorläufig in irgendeinen Schrank, auf dem Diwan, auf einem Stuhl oder draußen im Bankettsaal auf dem Tische zu plazieren, und er schob von einem Orte zum andern, als ob er hundert Gäste zu bedienen hätte.

»Sagen Sie mal, was führen Sie denn so alles?« fragte ich, um etwas mit ihm zu reden.

»Lager, Pilsener, Kulmbacher, Selter, diverse Limonaden, Rhein-, Ungar-, italienische, französische, spanische Weine, Wiener Würstchen, kalten Aufschnitt, Sol-Eier, Hammel-, Rinds-, Kalbs-, Schweinebraten – nicht zu fett – Kopfsalat –«

»Gut, gut, Herr Baumann; ich frage ja bloß mal so.«

»Ja, wenn der Herr etwas zu speisen wünschen; gebratene Rebhühner sind sehr zu empfehlen –«

»Danke, die bekomme ich morgen gewärmt.«

Herr Baumann machte ein erschrockenes Gesicht.

»Ge – gewärmt, sagen der Herr?« stotterte er.

»Gewärmt, sagte ich! – Ich esse Gewärmtes mit Leidenschaft.«

Baumann schüttelte ganz fassungslos den Kopf. Im übrigen war ich mit seiner Dienstfertigkeit sehr zufrieden und spendierte ihm, ehe ich ihn entließ, ein Markstück. Das ließ er, ohne es zu betrachten, mit einer geschickten Handbewegung in die Hosentasche gleiten, ergriff seinen Meißel und Hammer und machte eine Verbeugung von staunenswertem Umfang.

»Danke gehorsamst! Beehren mich der Herr wieder!« Und er war draußen.

Der alte Kerl in der Barchentjacke hatte mir mit seiner Kellnerhöflichkeit die ganze Romantik verpfuscht. Aber ich war ihm nicht einmal böse. Ich fühlte mich behaglicher jetzt. Dort auf dem Diwan lag mein Schlafrock, brüderlich vereint mit meiner Gitarre; neben dem irdenen Waschgeschirr lag mein elegantes Reise-Necessaire, und neben der mittelalterlichen Bettstelle standen meine dunkelroten Schlafschuhe.

Ich hatte die fröhliche Hoffnung, daß ich hier heimisch werden könne. Und in dieser Hoffnung ging ich schlafen. Es war 3/4 9!

Ich war weit auf der Bahn gefahren, und die Bahnfahrt strengt mich an; ich hatte zwei Stunden lang auf Sternitzkes Droschke gesessen, und das war auch nicht gerade erholend; ich lag in einem tadellosen Bette, also ist es gar nicht so unwahrscheinlich, wenn ich sage, daß ich, ein Großstadtmensch, schon gegen &frac12; 11 Uhr einschlief.

Freilich war's ein unruhiger Schlaf.

Herr Baumann kam, machte eine riskant aussehende Verneigung, ergriff meine Gitarre und sang mir unter einer schauerlichen Begleitung seine Sommer-Speisekarte vor.

Franz Sternitzke kam auf seinem Fuchse angeritten, sprang ab, fühlte mir den Puls und meinte, ich sei schrecklich nervös und müsse zurück nach der Großstadt.

Dann änderte sich das Bild, verzerrte sich. Die Seele flog zurück –

Im Pferdelehnwagen saß ich; ich zankte mit meinem Verleger. Ich wollte ihm eben eine mächtige Brandrede halten, da – kam der Oberförster, wetzte ein riesiges Brotmesser, setzte es mir auf die Brust und sagte, ich wäre ein elender Spion und müsse augenblicklich sterben.

Ja, und der Wasserkrug! Der vermaulte sich gegen das Necessaire, und gerade wollte er es mit Wasser bespritzen, da kam der Ritter Balduin aus dem Bankettsaale, oh, ein fürchterlicher Mensch, er kämmte sich mit meinem Kamm die roten Haare – und dann bekam er einen Totenschädel – und band sich meine Bartbinde über den zahnlosen Mund – und gräßlich! – er zog meinen Schlafrock und meine Schuhe an, legte sich auf den Diwan und richtete die hohlen Totenaugen unverwandt auf mich –

Da sank auch die Decke des Himmelbettes auf mich herab – langsam – langsam – um mich zu ersticken – und das Gerippe lachte.

In Todesangst erwachte ich. Ein mattes, ungewisses Licht fiel durch die beiden Fenster. Von der einen Wand sah ein Menschenantlitz auf mich herab – der Spuk hielt an. Nach einer Weile erst war ich klar.

Ich richtete mich im Bette auf und besann mich.

Dann sprang ich aus dem Bette, riß mit einem Ruck den Schlafrock vom Diwan und zog ihn an. Auch die Schuhe suchte ich hervor. Dann öffnete ich das Fenster. Der Mond schien draußen und die goldenen Sterne. Zu meinen Füßen rauschte der Wald. Ein blauer Berg grüßte herüber, und unten im Tale, im Dämmerscheine, lagen Menschenhäuser.

Ich atmete tief auf. Ja, das waren beruhigende Eindrücke.

Nun konnte ich schlafen.


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