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Die Liebe

.Das sonnige Herbstwetter hielt an, und mein Heimatgefühl wurde stärker von Tag zu Tag. Das ganze Dorf war ich schon durchwandert von einem Ende zum andern, den Wald studierte ich alle Tage, und die Menschen meines Idylles wurden mir immer lieber.

Am meisten Ingeborg.

Ich war damals 28 Jahre alt, eine lebhafte Natur mit ihrem Teil Phantasie und Begeisterungsfähigkeit, dazu hatte ich in nicht gerade obskuren Verhältnissen einen beträchtlichen Teil meines Lebens in der Großstadt zugebracht – – mit einem Worte, verliebt war ich schon oft gewesen.

Natürlich, wie überall, gab es auch dabei ernste und leichte Fälle. Die leichten Fälle entziehen sich jeglicher Statistik, aber die schweren Fälle habe ich gebucht – im ganzen neun!

Sechs davon fielen in die Blütezeit vom 17. bis 21. Lebensjahre. In dieser glorreichen Zeit tiefster, menschlicher Weisheit ist natürlich der Liebeskonsum der stärkste. Meine damaligen »Bräute« waren sämtlich älter als ich; ja Nummer 4 zählte annähernd dreißig Jahre. Nummer 3 war eine Komtesse, und alles, was mir von ihrer Seite an Liebe geworden ist, bestand darin, daß sie mir siebenmal zugenickt hatte, wenn sie im Wagen vorbeifuhr und ich sie ehrfürchtig grüßte. Trotzdem gehört auch sie zu den schweren Fällen; denn auch über sie ist im Tagebuch dick unterstrichen bemerkt, daß sie die einzige wahre, echte Liebe meines Lebens sei, daß »diese oder keine andere mein werden müsse« und daß ich »ohne sie nicht leben könne«. Wie's aber manchmal so wunderbar im Leben geht: ich lebe schließlich doch ohne sie.

Auf das 22., 23. und 24. Lebensjahr entfiel je eine »Braut«. Der Keimboden meiner »Liebe« war damals entweder die Kurpromenade oder der Ballsaal. Bis zu einem Verlobungsring habe ich's freilich nie gebracht. Die ersten sechs Bräute waren mir »untreu« geworden, und den letzten dreien bin ich aus dem Garne gegangen.

Und nach dem 24. Lebensjahr war eine große Pause. »Eine allgemeine Gefühlsdürre« war bei mir eingetreten, wie sich mein jüngerer Cousin sehr schön ausdrückte. Der brave Mann, der immer noch liebte, zürnte mir. Er schimpfte über meine »Skepsis«, die mich um alles Glück bringen würde. Überlegen müsse man eben beim Heiraten nichts, denn sonst kam's gar nicht dazu.

Der holde Jüngeling ist jetzt auch noch unvermählt. Die »prophezeite Glücklosigkeit« war übrigens in dieser liebeleeren Zeit bei mir ganz erträglich. Ich arbeitete, kam vorwärts in meinem Berufe und war im übrigen ein munteres Huhn. Und die schweren Bedenken meines klugen Vetters, ich würde am Ende »unfehlbar einmal sitzen bleiben«, machten mir wenig schlaflose Nächte.

Nun tauchte dieses Ingeborg-Gesicht an meinem Horizonte auf!

Wer durch einen reichen, bunten Garten geht, dem fällt's schließlich nicht so schwer, keine von diesen gepflegten Blumen zu pflücken; und sei's bloß darum, weil er nicht weiß, welche; aber wer auf stiller Heide eine seltene Blume findet, der wird sie pflücken wollen, um sie der Einsamkeit zu entreißen und sich.

Ich kann ehrlich sagen, daß ich erschrak, als ich an die Möglichkeit einer solchen Liebe dachte. Die Zeit der Torheiten lag hinter mir; was nun kam, war ernst.

Die Schönheit dieses taufrischen Kindes entzückte mich; ihr herzfröhliches Wesen offenbarte sich mir täglich aufs neue, und ihre tiefe Unschuld rührte mich.

Wie ein Morgenhauch ging es von ihr aus, wie ein Morgenhauch, der rein und frisch und duftig und sonnenklar uns tausend Hoffnungen erweckt.

Wie das wohltut, doppelt wohl dem, der viele Nächte in parfümierter Luft geatmet hat!

Du vermutest nichts weiter von ihr weg als die Sünde! Und die sollte ich lieben?

Die Sorge kam, die mit der echten Liebe kommt. Und die Sorge fragt.

Wenn du sie liebst und es dir nicht gelingt, sie zu gewinnen, wirst du in diesem »Waldwinter« deine Jugend begraben? Wirst du mit erfrorener Kraft zurückflüchten dahin, woher du geflohen bist? Und was sagt deine Muse dazu, der du in Treuen dich verlobt hast? Wird sie alt werden in einem Winter?

Und wenn du sie nicht lieben kannst, nicht mit echter, bräutlicher, ewiger Liebe? Wirst du leichthin, weil es deiner Jugend gefällt, ein Herz aus seinem Frieden schrecken, einen solchen Morgenschimmer trüben?

Ingeborg – eine Nummer 10?

Wie mich der Gedanke beleidigte, wie gemein er mir vorkam!

Und ich war auf der Wacht! Aber Stunden kamen, wo das Gefühl allen Sorgen Hohn sprach. Warum konnten wir uns nicht beide lieben, warum konnte sie nicht mein sein, warum sollte mir nicht in diesem Waldwinter ein Frühling erblühen?

Wunderlich nur, daß eine aufquellende Herzensseligkeit auf solche Fragen nicht folgte.

War ich schon so alt? War die Zeit der himmelstürmenden Freude bei mir schon vorbei? –

Ingeborg blieb sich immer gleich gegen mich. Sie hatte offenbar nicht übermäßigen Respekt vor mir, sondern übte ganz lustig an mir ihre Schelmereien. Aber sie hatte auch keine bange Mädchenscheu. Nur wenn ich einmal ihre Hand länger hielt, als ich sollte, drohte sie mir mit der anderen.

Da geschah folgendes. Baumann ging wieder einmal nach Wasser, und Ingeborg trollte neben ihm her. Ich stand oben am Fenster und betrachtete sie. Und da geschah es, daß ich wieder mein altes Mittel anwenden, die Augen schließen und die Hände ballen mußte.

Als ich aufblickte, schaute mir Waldhofer ins Gesicht. Er stand drüben im entgegengesetzten Hause auch an einem offenen Fenster. Einen Augenblick sah er mir ernst in die Augen, dann nickte er leise mit dem Kopf und schloß das Fenster.

Die Geschichte regte mich ein wenig auf, aber ich bemerkte den ganzen Tag über keine Veränderung an Waldhofer. Am folgenden Tag lud er mich ein, einen Gang durch die Burg mit ihm zu machen. Er sagte mir, daß er im Sommer fast immer den Fremdenführer spiele. Er könne es nicht leiden, wenn irgendein dienstbarer Geist sein Sprüchlein auswendig lerne und dann in jedem Zimmer sein Gesetzchen herleiere. Es müsse doch auch auf den Bildungsgrad der Leute Rücksicht genommen werden. Etwas anderes sei es, wenn ein gebildeter Mann sich an einer alten Täfelung erfreuen oder über ein Bild Aufschluß erhalten wolle, oder wenn ein Mütterlein aus der Umgegend nach der »Burg« ihre große »Sommerreise mache« und sich dann an den Folterwerkzeugen oder dem Burgverließ die Seele mit interessantem Gruseln zu füllen begehre. Er suche dafür zu sorgen, daß jedes auf seine Rechnung komme, und bemühe sich auch, einfache Leute für weniger blutige Geschichten zu gewinnen. Dazu böten ihm eine Reihe von Sagen und Historien, die sich an die Burg knüpften, den gewünschten Stoff.

Ich bat ihn, mir einiges von seinem Legendenreichtum mitzuteilen.

»Das meiste hat kein Interesse für Sie,« sagte er, »und was mir wertvoll erschien, habe ich so oft erzählt und vor allen Dingen so oft im Geiste selbst erwogen, daß ich fürchte, ich weiche von der ursprünglichen Form bedenklich ab.«

Ich wiederhole meine Bitte, und er versprach mir etwas zu erzählen.

Im Hauptgebäude war noch ein Jagdzimmer, eine alte Kanzlei, ein Gesellschaftszimmer und die Burgkapelle erhalten.

Die Kapelle war ein kleiner Raum, rechts und links ein gotisches Fenster, zwischen beiden der Altar. Ein sehr dunkles Bild stellte die heilige Mutter Anna mit dem Marienkinde dar, die Kanonentafeln waren geschrieben. An den Wänden standen hohe Kirchenstühle.

Die Ruhe der Verwaisung, die über den anderen Räumen lag, herrschte hier nicht. In einer alten silbernen Lampe, die von der Decke hing, brannte eine rote Flamme, das ewige Licht.

Wo es brennt, ist kein Tod; dort waltet eine lebendige, liebende Menschenhand, die sich für Gott bemüht.

Ein paar Augenblicke lehnte ich mich an einen der hohen Kirchenstühle und schaute in das rote Licht. Ohne ihn anzuschauen, merkte ich, daß Waldhofer die Hände faltete zu einem Gebet. Und da ging auch meine Seele, indem die Augen immer an dem roten Schein hingen, das hochheilige Vaterunser durch.

Ein paar Augenblicke brauchte Waldhofer länger als ich. Was hat er mehr gesprochen? Ich ahnte es – »Gib ihm die ewige Ruhe!«

Schweigend gingen wir hinaus.

Das Seitenhaus, das rechtwinklig an das Hauptgebäude stieß, umfaßte früher die Kemnaten der Frauen. Ein paar Räume waren jetzt ganz leer. Der Putz war von den Wänden gefallen, viele Fenster waren schadhaft, hie und da pfiff der Wind durch die Mauern. Verhallt das frohe Kinderlachen, verweht die Seufzer aus schönem Frauenmunde, verwüstet das Haus der Liebe!

Da traten wir in ein sehr wohlerhaltenes Gemach; es war sicher der am reichsten ausgestattete Raum in der ganzen Burg. Gewebte Tapeten deckten die Wände, Möbel mit verziertem Holz und prächtigen alten Stickereien auf den Überzügen, ein alter, kompliziert eingerichteter Toilettenschrank, an dem ein Nürnberger Meister jahrelang gearbeitet hatte, das alles gab auch jetzt noch dem Gemach einen Anstrich weicher Vornehmheit.

»Das Zimmer der blonden Gertraud,« sagte Waldhofer. »Wer ist die blonde Gertraud?« fragte ich.

»Wenn es Ihnen recht ist, erzähle ich Ihnen jetzt eine von unseren Historien, die von der Gertraud. Sie können sich ganz ruhig auf einen der Sessel setzen, sie sind noch haltbar.«

Ich nahm Platz, und Waldhofer lehnte sich an den alten kostbaren Schrank. Er hatte eine wohltuende Stimme und erzählte gut.

»In alter Zeit lebte Graf Richard auf der Burg. Sein Vater war ein Wüstling gewesen, der den größten Teil seines Vermögens vergeudet hatte und bei seinem Tode seinem jungen Sohne eine zerrüttete Wirtschaft hinterließ. Aber Graf Richard war ganz der Mann, einem verfallenen Hause wieder aufzuhelfen. Er wußte Geld zu verschaffen durch die Vögte von den Bauern, und durch die Kriegsknechte von den Städten und umwohnenden Nachbarn. Er hatte Spürer in Prag und an den schlesischen Herzogshöfen, und je nachdem es sein Vorteil erheischte, hielt er es mit den Böhmen oder mit den Piasten. So hob sich sein Ansehen und sein Reichtum.

Da geschah es, daß Graf Richard die schöne, blonde Frau Hildegund heimführte, die ihm nach Jahresfrist ein Töchterlein schenkte, Gertraud. Der Graf, der auf einen Sohn gehofft hatte, war unzufrieden und ließ es Mutter und Kind entgelten. Als aber die junge Frau gar kränkelte und heilkundige Leute sagten, sie würde nie wieder eines Kindleins genesen, faßte der Mann, dessen ganzes Sinnen und Trachten auf die Wiederaufrichtung des Glanzes seines Hauses gerichtet war, eine sinnlose Wut. Er schrieb an den Bischof um die Erlaubnis, seine Frau zu entlassen, er schickte nach Rom mit demselben Begehren. Als ihm seine Bitten abgeschlagen wurden, faßte ihn die Raserei. Er verwandelte die Burgkapelle in einen Trinksaal, fiel über ein paar Klöster her und plünderte sie aus; sein Weib Hildegunde und ihr Töchterlein Gertraud stieß er aus dem Hause.

Dann suchte er die blühendste und gesündeste Magd aus dem Tale und heiratete sie.

Die gebar ihm an einem Tage zwei gesunde Söhne. Der Graf feierte sieben Tage und sieben Nächte glänzende Feste und sah die Erfüllung aller seiner Wünsche vor Augen. Nachdem aber die Knaben über das zarteste Kindesalter hinaus waren, jagte er auch seine zweite Frau, die er immer als Magd gering geachtet hatte, aus dem Hause. Er wollte einzig der Erziehung seiner Söhne und der Ausgestaltung seines Hauses leben.

In dieser Gegend war damals ein altes, hochangesehenes Kloster, an das sich der Graf nicht hätte wagen dürfen, ohne die Rache des ganzen Landes auf sich zu laden. In den Bann dieses Klosterfriedens war Hildegunde mit ihrem Töchterlein Gertraud gezogen. Das Kind war nun schon drei Jahre alt und war so schön, wie seine Mutter gewesen war, als sie noch jung und glücklich war. Mutter und Kind wohnten in einer Hütte im Walde.

Da klopfte es spät am Abend an die Tür. Hanna stand draußen, des Grafen zweite Frau – die Magd. Als sie Hildegunde sah, fiel sie nieder mit dem Gesicht auf den Boden. Die andere stand stolz vor ihr.

»Du Dirne, was willst du?«

Und sie schüttelte die verzweifelten Hände ab, die nach ihren Füßen tasteten. Mit unbewegtem Gesicht hörte sie das Bekenntnis der anderen, und als jene sich wand über den Verrat, der an ihrem Frauenherzen geübt ward, das sie erfahren – lächelte Hildegund.

»Es ist dir kein Unrecht geschehen,« sagte sie.

Da erhob sich die andere. Demütig sagte sie: »Ich wollte büßen – ich wollte Euch als Magd dienen – Frau – Frau Gräfin – ich wollte Euch helfen, wenn Ihr Euch rächen wollt –«

Frau Hildegund besann sich.

»Ich brauchte eine bessere Magd als du bist – aber ich hab keine – geh dort in den Stall, Hanna Seidelmann, und bleib hier!«

Damit ging sie in die Hütte. Hanna setzte sich unter einen Baum. Es war tiefe Nacht und fing an zu regnen. Frau Hildegund wachte bis zum Morgen. Eine Schrift hing an der Wand: »Seid sanftmütig und demütig von Herzen!« Die zerriß sie. Die letzte schöne Linie in ihrem Antlitz verschwand. Und ihre Augen blitzten kalt und rachefroh.

Viele Jahre vergingen. Hildegund war alt und häßlich. Sie hatte eine wahnwitzige Liebe zu ihrem Kinde, aber noch eine viel stärkere Sehnsucht, gerächt zu werden. Hanna diente als Magd. Sie war immer fleißig. Nur manchmal schlich sie fort, die beiden jungen Rittersöhne zu sehen, wenn sie durch den Wald zogen.

Dann war Hildegund grausam zu ihr. Die beiden Bastarde waren die Diebe an dem Leben ihres Kindes.

Da geschah es, daß sich die beiden jungen Ritter in dem Wald verirrten, in dem die blonde Gertraud lebte. Sie sahen das liebliche, wunderschöne Mädchen und entbrannten beide in heißer Liebe zu ihr.

Nun tat Hildegund ihr Rachewerk. Sie ließ die Jünglinge wiederkommen, immer wieder, bis ihre Leidenschaft wuchs ins Riesenhafte. Die arme Hanna ward indes weit fortgeschickt.

Und einmal, als beide Ritter wieder zusammen eingetroffen waren und ihre Augen feindseliger und feindseliger wurden, gab ihnen Hildegund Wein. Dann schickte sie die Rasenden fort. Und das war arg; denn sie trugen ihre Waffen.

Als Hanna am Abend heimging durch den Wald, fand sie ihre beiden Söhne verblutend am Boden.

Und sie, die sie an einem Tag geboren und nun an einem Tage sterben sah, sie erwachte. Ein paar Leute fanden sich, die die Toten nach der Burg schafften, und sie ging mit. Der Graf sah seine Söhne, brüllte auf wie ein Tier, er sah das Weib und hieb es mit einem Schlage zu Boden. »Graf – Herr Graf – ich war's nicht! – Hildegund war's! – Rächet uns!«

Und Hanna starb.

Finsternis im Gemüte, saß der Graf auf seiner Burg, Wochen und Monate. Er grübelte auf Rache. Hingehen und sie erschlagen – das war nichts – das war zu wenig. Er konnte es auch nicht, er konnte sie nicht mehr sehen. Wenn er sie recht treffen wollte, mußte es durch ihr Kind geschehen.

Da kam ihm ein Gedanke, der ihn begeisterte und die Finsternis aus seiner Seele auf eine Weile scheuchte.

Er wollte ihr Gertraud nehmen, wollte das schöne Mädchen zu sich nehmen aufs Schloß. Dann wollte er für sie den stolzesten, schönsten Freier suchen im Lande.

So würde Hildegund verwaisen – in der Einsamkeit sterben, und er würde vielleicht das Werk seines Lebens doch noch einem seiner Nachkommen vererben können.

Dieser Plan sollte bald ausgeführt werden. Ein schlauer Jude war dem Grafen zu Diensten. Eines Tages, als Hildegund nicht im Hause war, klopfte der Jude bei Gertraud an.

Er zeigte ihr Perlen und schöne Ringe und reiches Geschmeide und fragte, ob sie nicht etwas kaufen wolle. Gertraud, der die herrlichen Dinge über die Maßen gefielen, sagte, das könne sie nicht, denn sie sei arm.

»Ei,« sagte der Jude, »das ist arg! Ein so wunderschönes Fräulein dürfte nicht arm sein.«

Das schmeichelte dem Kinde, und sie sagte, sie wäre auch wirklich eines Grafen Tochter, aber ihr Vater habe sie verstoßen. Da lächelte der Jude pfiffig.

»Nicht verstoßen,« sagte er, »der Herr Graf ist ein guter Herr, ein gütiger Herr, der Herr Graf denkt viel an seine schöne Tochter Gertraud.«

Und als das Mädchen ungläubig den Kopf schüttelte, fuhr er fort:

»Der Herr Graf liebt seine schöne Tochter Gertraud, das hat er gesagt zum armen Samuel. »Samuel«, hat der Herr Graf gesagt, »Samuel, geh in den Wald zu meiner schönen Tochter Gertraud und zeige ihr deine Waren und laß sie auswählen, was sie will, und komm wieder und hol' dir dein Geld!«

Gertraud regte sich auf, aber sie wollte nichts auswählen; denn sie dachte an den Zorn der Mutter. Aber der Jude hielt immer wieder seinen Kasten hin und wendete ihn in der Sonne, daß das Gold und die edlen Steine blitzten und gleißten, und dann steckte er bloß wie zur Probe einen Ring an Gertrauds Finger und ging bald darauf fort.

Gertraud behielt den Ring und verheimlichte ihn vor der Mutter. Nur in einsamen Augenblicken steckte sie ihn an den Finger und freute sich seines Glanzes.

Der Jude kam wieder. Er sprach abermals viele betörende Worte von der Liebe des Grafen zu seiner Tochter. Und als er ging, ließ er eine Perlenschnur und ein Diadem für Gertrauds Haare zurück.

Im stillen Waldgrunde schmückte sich das eitle Kind, und die klare Felsenquelle zeigte ihm, wie schön es sei.

Immer wieder kam der Jude. Von seidenen Kleidern sprach er, von einem wunderbaren Zimmer, das in der Burg auf Gertraud harrte, von vielen Dienerinnen, von Glanz und Macht.

Da ging eines Abends die junge Gertraud mit dem Juden fort. Er führte sie nach der Burg. Der Graf, berauscht von der Schönheit seines Kindes, wollte sie in seine Arme schließen, und als sie sich wehrte, war er dennoch froh.

Und er führte sie in dieses Zimmer hier. Gertraud fand ein inniges Gefallen an dem Reichtum, der sie umgab, und war bald heimisch. In stillen Nächten nur, wenn das Käuzchen draußen schrie, glaubte sie, die Mutter rufe nach ihr, und verbarg den Kopf tief in ihren Kissen.

Frau Hildegund aber saß wie ein Bild aus Stein in ihrer einsamen Hütte am erkalteten Herde.

Doch das Herz war nicht ganz tot. Es blieb das Mutter- Herz, so lange noch ein paar Tröpflein Blut darin klopften. Sie sann und sann. –

Da zog ein Spielmann durch den Wald mit klingender Laute. Es war ein junger, herrlicher Spielmann. Und das Weib sprang auf. Flehend sank die stolze Frau dem jungen Wanderer zu Füßen. Der wunderte sich und trat in ihre Hütte.

Dort rief sie seine Jugend, seinen Edelsinn an. Ihr Kind sei verzaubert durch die Macht des Goldes, nun solle er es erlösen, sonst sei er kein Ritter und kein Sänger, sondern ein elender Stümper.

Der Spielmann willigte ein. Er tat einen Schwur in Frau Hildegunds blasse Hand, daß er sich vom Gold und Gut des Grafen nicht betören lassen würde, daß er nicht auch seine Hand danach strecken werde.

Und der Spielmann zog mit seiner Laute nach der Burg. Dort war Freude und Leben. Schöne, junge Ritter warben um Gertrauds Hand. Der Spielmann war willkommen.

Da geschah es, als er spielte und sang, daß die Liebe in Gertrauds Herz zog, die Liebe zum Spielmann.

In einer Nacht floh sie mit ihm. Es war eine wunderbare Nacht. Als sie an einen Kreuzweg kamen, machte sie halt. Sie wollte zur Mutter.

Er aber, der das Leben liebte, die Freiheit, den Frohsinn, wollte bei der vergrämten, schuldbeladenen Frau im Walde nicht wohnen. Er wollte hinaus in die Welt. Und er fragte sie, wen sie wähle: den Vater, die Mutter oder ihn. Da wählte sie ihn, und sie zog mit ihm in die Welt für immer.

Nach vielen, vielen Jahren, als sie beide steinalt waren, begegneten sich einmal der Graf und Hildegund im Walde. Sie blieben stehen, sahen sich an und lachten. – Es war ein häßliches, altes Lachen. Aber wie sie sich weiter ansahen, wurden sie traurig. Und in dieser Traurigkeit ging ein jedes seines Weges.« –

Waldhofer hatte geendet. Ich erhob mich. Der Schlußvers des Nibelungenliedes fiel mir ein; ich sagte ihn vor mich hin:

»Herrlichkeit und Ehre, das lag nun alles tot,
Die Leute waren alle in Jammer und in Not,
Mit Leide ward geendet die hohe Festeszeit,
Wie stets aufs allerletzte die Freude bringet Leid.«

»Die Freude ja,« sagte Waldhofer, »die Freude und die Liebe, die nicht das rechte Maß hat – ein zu kleines oder ein zu großes. – Es ist eine harte Geschichte, ohne eine versöhnliche Note.«

»Ja,« antwortete ich, »weil sie auf dem Motiv der Rache aufgebaut ist. Die Rache scheint so recht eine Weibersache zu sein!«

»Es gehört viel beleidigtes Gemüt dazu und wenig Wille, deshalb!« sagte Waldhofer. »Das Frauenbild in Ihrer Schlafstube soll übrigens ein Bild der Frau Hildegund sein.«

»Ah! Der wehe, bittere Zug in dem Gesichte der Frau ist mir bald am ersten Tage aufgefallen.«

Er lächelte.

»Sie wissen schon, verbürgen kann ich mich für nichts. Die Burg ist vor nicht ganz zweihundert Jahren gründlich renoviert worden, und vieles ist jedenfalls unecht.«

»Interessant bleibt mir's aber,« sagte ich, und Waldhofer führte mich weiter.

In dem letzten Gebäude interessierte mich besonders das Gerichtszimmer mit hohen Stühlen und einem grünbedeckten Tisch und einer kleinen Tür, die durch einen Gang nach dem Verließ führte.

»Hu, ein unfreundlicher Raum,« sagte ich. »Es ist fürchterlich, an die alten, grausamen Urteile zu denken.«

Waldhofer sah mich an.

»Vieles ist übertrieben,« sagte er. »Die Menschen waren zu allen Zeiten Menschen; nur einzelne Bestien gab's immer unter ihnen, manchmal mehr, manchmal weniger. Als mich mein Sohn das letztemal besuchte, standen wir auch hier. Er kam als Vorstadtarzt viel mit dem untersten Proletariat zusammen. Da sagte er: ›Solche Leute, die zu ewigem Verließ verurteilt sind, gibt's jetzt noch viel, meist Weiber, und zwar Witwen. Sie wohnen in elenden Kellerlöchern, an den Arbeitsstuhl geschmiedet den ganzen Tag. Und Sonne und Mond sehen sie selten. So verdienen sie sich Wasser und Brot. Der Unterschied ist gegen früher meist der, daß sie für ihre Kerker Miete bezahlen müssen.‹«

»Ist es so schlimm?« fragte ich.

Er sah mich freundlich an.

»Ich weiß es nicht,« sagte Waldhofer; »ich habe nie in der Großstadt gelebt. Aber ich dachte, Sie müßten das wissen. Wenn jemand in diese Armuthöhlen steigen soll, so meine ich, müßten es an erster Stelle Geistliche, Ärzte und Schriftsteller sein. Denn das sind doch die, die den Heiland am besten verstehen müßten. Der Schriftsteller hat eine hohe Kanzel und eine laute Stimme.«

Ich ward ein wenig rot.

»Ich bin noch jung,« sagte ich.

Er sah mich freundlich an.

»Ich will nicht sagen, daß mein Sohn ganz recht hatte. Aber er war noch jung, und seiner glühenden Menschenliebe fehlte noch die Ruhe und Milde. Aber das eine denke ich doch: eine Zeit wird kommen, da wird eines von unseren jetzigen Mietshäusern als Ruine gezeigt werden, wie diese alte Burg, und dann werden die Menschen mit Frösteln und Schaudern in den Kellerlöchern stehen und daran denken, daß dort Menschen gehaust haben. Sie werden uns Barbaren nennen und werden doch halt auch ihre stummen Winkel der Qual haben.«

»Herr Waldhofer, ich verehre Sie!«

»Warum? Wer manchmal allein ist mit sich selbst und ein wenig guten Willen hat, kommt von selber auf die Dinge. Und der Lehrmeister ist Christus!«

Er trat ans Fenster und erwiderte einen Gruß.

Auch ich sah hinab in den Hof. Da ging eben Hartwig, der junge Bauer, in die Wirtsstube.

»Sehen Sie,« sagte Waldhofer, »das ist auch ein Unglücklicher. Er ist jung, schön, gesund. Von Jugend an wohnt er im Walde. Und der Krieger und Jäger steckt doch von Natur in jedem starken Deutschen, namentlich in den Gebirgskindern. Da wildert dieser Bursche. Ob seine Richter daran denken werden, wenn sie mit der Hand nach der Kerkertür zeigen werden? Ich glaube nicht!«

Ingeborg trat ins Hauptportal; sie sah uns und winkte. Waldhofer wandte sich wieder zu mir.

»Sie können's schon wissen – der Hartwig liebt die Ingeborg; vielleicht weiß sie's gar nicht mal genau – ich weiß es, ich weiß alles, was sich auf das Kind bezieht, ich muß es ja wissen. Sie fürchtet sich vor ihm – sie wird nie seine Liebe erwidern, das ist sein Unglück. Eine glückliche Liebe könnte ihn retten, eine verfehlte wird seinen Untergang beschleunigen. Kommen Sie – es führt hier eine Treppe nach dem Hofe. Gehen Sie vorsichtig!«

Hartwig saß in der Wirtsstube, und Baumann bediente ihn, aber ohne seine gewohnte Höflichkeit. Die reservierte er lediglich für Fremde. Der junge Bauer kam meinem Wirte mit großer Ehrerbietung entgegen; mich aber betrachtete er wieder mit finsterem Gesichte.

Er traute mir nicht, er war eifersüchtig. Das wußte ich jetzt.

Waldhofer setzte sich zu Hartwig und sprach mit ihm wie ein väterlicher Freund. Von seinem schönen Gute sprach er, von seiner Kraft, seiner Gesundheit und der glücklichen Zukunft, die er auf dem Gute haben könne.

Er suchte Lichtpunkte in dem Leben dieses jungen Mannes; er wollte ihn sein Glück suchen lassen auf der heimischen Scholle.

Ob es gelang? Ich glaubte es nicht.

Ich verabschiedete mich und machte einen Gang durch den Wald.

Die letzten Nächte waren kalt gewesen, da war das Laub massenhaft von den Bäumen gefallen. Die meisten waren schon ganz kahl.

Ich ging bis an den Waldrand. Wenig Schritte von mir entfernt lag die Schule. Der Nachmittagsunterricht war noch nicht aus. Da sangen die Kinder nach der süßen, wehmütigen Weise des alten Liedes: »Morgen muß ich fort von hier«:

»Näher rückt die trübe Zeit,
Und ich fühl's mit Beben,
Schwinden muß die Herrlichkeit,
Sterbe junges Leben!«

Ich wanderte zurück. Eine Krähe saß müde auf einem Ast. Von Zeit zu Zeit hob sie den Kopf nach dem grauen Herbsthimmel.

Der Hunger wird kommen! –

Da rauschte es im Laube, und Hartwig stand vor mir. Ich ging ihm mit ein paar freundlichen Worten entgegen. Er war blutrot und sehr verlegen. Auf meine Anrede vermochte er kaum zu antworten. Da ging ich weiter. Plötzlich hörte ich ihn.

»Herr Doktor –!«

Ich wandte mich um. Er stand vielleicht hundert Schritte weit den Berg hinab.

»Ich – ich wollte Ihnen bloß was sagen – die – die – Sie wissen schon – die will ich!« Und er ging mit raschen Schritten fort, ehe ich antworten konnte.


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