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Das Leiden des Priesters.

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. Nachdem Abt Bernhard am folgenden Tage im Wendenberg'schen Hause Trost gespendet und Hülfe geleistet so viel er vermochte, auch die Gebete für die Verstorbene gelesen hatte, ging er Abends ermüdet und in ernster Stimmung nach der Pfarre zu Liethorp, wo keine leichte Aufgabe seiner wartete.

Die Nachricht von Catharinens Hingang hat den Priester schon erreicht und begreiflich tief gebeugt. Sein Zimmer war dunkel und das Kaminfeuer fast erloschen, als der Abt kam; schweigend legte dieser neue Holzscheite auf die Kohlen, zündete Licht an, wodurch die Unwohnlichkeit des kleinen Gemachs einem gewissen Behagen zu weichen begann, und wandte sich erst jetzt an den Priester, der ihn hatte gewähren lassen, ohne selbst hülfreich zu sein. Im Ton innigen Mitleids sagte er:

»Sie hat ausgelitten, hat überwunden!«

»Ausgelitten und überwunden!« wiederholte der Priester tief bewegt. »Mein Gott, wie gern hätte ich mein Leben hingegeben, wär's möglich gewesen ihr Leben damit zu erhalten! O Herr, du strafst mich hart und schwer!« rief er plötzlich verzweifelt aus. »Wißt Ihr, mein Bruder, was ich gelitten?« fuhr er nach kurzer Pause fort; »ahnt Ihr was ich empfand, als Eure ernste Antwort es mir gestern gewiß machte, Catharina habe Euch gebeichtet? Ihr seid der Einzige, dem ich vertraue und deshalb sollt Ihr nun auch meine Beichte hören.«

»Besinnt Euch darüber noch, Bruder,« ermahnte der Abt, »wartet bis morgen, vielleicht reut's Euch sonst gesprochen zu haben.«

»Nein, nein! ein einziges Mal nur laßt mich Euch Alles sagen; – es ist zu viel geschehen, seit Ihr mit der Gräfin nach der Residenz gezogen seid. Ach, als ich Euch erst kennen lernte, und auf Eurem edlen Antlitz die Reinheit Eurer Seele sich wiederspiegeln sah, da verurtheilte auch mich mein Gewissen noch nicht,« sagte der Priester mit gesenktem Blick, »und mit inniger Sympathie ergriff ich die Freundeshand, die Ihr mir reichtet. So war es einst – so ist es nicht mehr! Der Prior von Engelthal suchte später meine Freundschaft, aber – Gott sei's geklagt! – anstatt mir beizustehen in den Kämpfen des Lebens, rief er Gewalten in meiner Seele wach, deren Vorhandensein ich mir selbst kaum bewußt war. Er beklagte meine Armuth, regte das Verlangen nach Reichthum und Unabhängigkeit in mir an und trat endlich mit einer Sache hervor, der ich, angeblich im Interesse der heiligen Kirche, dienen solle gegen klingenden Lohn, eine Sache, welche der Bischof von Luik durchaus billige; nur Gehorsam verlange man von mir, ohne mich für die Folgen derselben verantwortlich zu machen. Ich ging darauf ein, gerieth unter den verführerischen Einfluß des Geldes und wurde, was ich jetzt bin: – ein Werkzeug Johanns von Baiern!«

»So habe ich mich also nicht getäuscht!« rief der Abt entrüstet aus; »o, mein Bruder, Ihr habt einen harten Dienst erwählt!«

»Hört mich weiter,« bat der Priester. »Mein Herr bezahlte mich reichlich, jeder Dienst trug mir Gold ein und ich blieb nicht mehr arm – doch mit der Gewissensruhe war es aus, denn das Bewußtsein, auf unredlichen Wegen zu wandeln, quälte mich Tag und Nacht. Endlich nun verlangte der Kirchenfürst etwas von mir, wogegen mein ganzes Herz sich sträubte: ich sollte Wendenbergs bewegen für ihre Tochter Aufnahme unter die jungen Damen der Gräfin zu suchen; die Mutter war diesem Vorschlag nur allzu geneigt, und hättet Ihr Euch nicht so entschieden gegen die Sache erklärt, das unschuldige Kind wäre vielleicht unbewußt Ueberträgerin der Vorgänge bei Hofe geworden – denn ich sollte die Mutter veranlassen, ihr gewisse Fragen vorzulegen und deren Beantwortung gehörigen Ortes mittheilen; immer aufs Neue mußte ich, auf Befehl meiner Vorgesetzten, jene Sache anregen und befürworten, that's auch, doch mit großem Widerstreben – – ach, ich liebte Catharina und sie zu sehen war meine Lebensfreude!«

»Armer Freund!« unterbrach ihn der Abt, »wie weit vergaßt Ihr Euch!«

»Seit ich angefangen Geld, viel Geld zu verdienen,« fuhr der Priester fort, »wurde mein Verlangen danach immer größer; was ich gesammelt vergrub ich, aus Angst vor Dieben, und bewahrte den Schein der Armuth, um nicht um Gaben angesprochen zu werden. Doch ach! ein anderes Begehren war noch heftiger in mir. Eines Tages, nicht lange nach der Einäscherung Engelthals, kam Catharina zu mir, jetzt als Gunst zu erbitten, was sie früher beharrlich geweigert, um auf diese Weise für den Unterhalt der Mutter sorgen zu können.«

»Sprecht nicht davon, ich weiß Alles,« bat der Abt.

»Nein, mein Bruder, hört mich an und beklagt mich. Habt Ihr je geliebt? wißt Ihr, was es heißt, zu lieben? Seht, als Catharina so in ihrer ganzen Lieblichkeit bittend vor mir stand, da wurde es mir erst klar, wie schwer unser Gelübde uns drücken kann, da empfand ich, was es ist, Allem zu entsagen. Was ich monatelang gelitten, stand plötzlich klar vor meiner Seele, ich zitterte unter Catharinen's Blick und suchte ihn doch immer wieder. Ich mußte sprechen – es war ein seliger Augenblick, als ich ihr mein Herz erschloß, es war ein Augenblick höchsten Jammers, als sie mich voll Verachtung von sich stieß!«

Der Abt hatte das Haupt gesenkt. In lebendigen Farben war ihm geschildert, was er selbst empfunden und gelitten; durfte er eine Schwäche verurtheilen, die auch ihn so heiße Kämpfe gekostet?

Der Priester schwieg, ermüdet in seinen Sessel zurücksinkend, begann jedoch nach einer Weile aufs Neue: »O, daß ich diese schreckliche Stunde auslöschen könnte aus meinem Leben! Jede Sünde straft sich selbst,« fuhr er fort, »und bis zu meinem letzten Athemzuge wird diese mich strafen und schrecken, wird allen Frieden mir nehmen.«

»Aber Einer hat unsere Sünde gesühnt,« sagte der Abt ernst.

»So glaubte ich als Kind,« klagte Jener wehmüthig lächelnd, »als ich ein Mann wurde, wich dieser Glaube; ich strebte nach Idealen, aber irdische Bande zogen mich herab, ich habe mich zerarbeitet im Ringen nach Frieden – doch vergebens! – Vergebens!« wiederholte er laut und schmerzlich. »Hätte ich jetzt nur ein einziges Mal noch Catharina sehen und in ihrem brechenden Auge Vergebung lesen dürfen – nicht eine Vergebung, welche die letzte Beichte fordert, sondern diejenige, welche ein gläubiges, geheiligtes Herz bereit ist, auch dem ärgsten Feinde zu schenken; aber ach! – es ist Alles vorbei, Alles!«

»Catharina hat Euch vergeben!« sprach der Abt tröstend, »sie hat eben in dem Sinne Euch vergeben, in dem Ihr es wünscht, hat mich gebeten Euch zu sagen, wie innig Leid sie um Euch getragen und Euch aus vollem Herzen verziehen habe.«

»Ist es möglich?« rief der Priester leidenschaftlich aus; »o, Catharina ist eine Heilige und soll fortan meine Heilige bleiben!«

»Hättet Ihr Eure Aufgabe besser erkannt und ernstlicher um den Beistand der Heiligen gefleht,« versetzte der Abt, »Ihr wäret so tief nicht gesunken.«

Der Priester antwortete nicht; in Nachsinnen verloren, schien er fast vergessen zu haben, daß ein Gast ihm gegenüber saß; aber dieser brach das Schweigen endlich und begann, um Jenen auf andere Gedanken zu bringen, vom Dienst der heiligen Kirche zu reden.

»Was sprechet Ihr noch von meinem Hirtenamt, nun Ihr wißt, wer ich bin?« versetzte der Priester. »Ein Werkzeug des gefürchteten Bischofs, habe ich monatelang die Ketten geschleppt, die mich an den Dienst der heiligen Kirche binden, habe meine Gemeinde zum Guten ermahnt, während ich selbst das Böse that, habe von der Furcht Gottes zu ihr gesprochen und kannte selbst nur Menschenfurcht; ich lehrte sie wie man gegen die Sünde kämpft und schloß die Augen vor der Gefahr, in der meine eigne Seele schwebte, ich betete an Sterbebetten und dachte nicht daran, daß auch meine Stunde kommen werde, sondern lebte nach den Gelüsten meines Herzens. Denkt nicht, ich sei dabei glücklich gewesen – o, nein! friedelos jagten mich Leidenschaften, jagte mich der Durst nach Geld; – aber ich hoffe,« setzte er nach einer Pause seufzend hinzu, »der Kirchenfürst, der meine Dienste so reichlich gelohnt, wird mir einst für Alles Absolution ertheilen und damit meinen Frieden zurückgeben.«

»Glaubt das nicht,« entgegnete der Abt kopfschüttelnd, »der Bischof ist nur ein Mensch, ein Geistlicher wie Ihr, und Keiner kann Sünden vergeben, außer Gott.«

»Das ist die Sprache eines Freigeistes!« sagte der Priester ängstlich, indem er beide Ohren zuhielt, »eine Sprache, die ich nicht anhören darf.«

»Ihr dürft und müßt sie hören, mein Bruder. Nicht die Sprache eines Freigeistes ist es, sondern die Sprache eines freien Herzens, das, zu Gott geschaffen, außer Ihm nicht leben kann. Hört mich ruhig an und beugt Euch nicht vor Priester und Mönch, beugt Euch vor Gott, der allein Sünde vergeben und auch Euch von aller Missethat reinigen kann.«

Der Priester schüttelte bedenklich den Kopf und sah den Abt mitleidsvoll an. »Wie seltsam redet Ihr,« sagte er, »welche Trugbilder schafft Eure Phantasie, die, wie so manches Andere, in nichts zusammensinken werden.«

»Nennt es wie Ihr wollt, mein Bruder, für mich ist es Wirklichkeit. Mag das immer wachsende Sittenverderbniß menschliche Absolution als nothwendig erscheinen lassen, vor Gott gilt nur die, welche durch das Blut Christi erworben ist, und wer darin seine Stärke gefunden, der schwankt nicht mehr unter Kämpfen und Gefahren, noch weicht er zurück vor den heiligen Pflichten, welche die Kirche auferlegt. Und ist es nicht schön,« fuhr der Abt in gehobener Stimmung fort, »einen Priester, von höherer Kraft erfüllt, im Dienst der Kirche wirken zu sehen? Ist es nicht herrlich, vor Augen zu haben, wie er dem höchsten Ideal, der christlichen Liebe, nachstrebt? So stand es einst um Euch, mein Bruder, als ich Euch kennen lernte und einen Wiederhall meines eignen Herzens in dem Euren zu finden meinte – und ich hoffe zu Gott, so wird es bald wieder werden.«

Der Priester war ernst und aufmerksam jedem Worte des Abtes gefolgt. Er fühlte einem Manne gegenüber zu stehen, der, groß und edel von Charakter, ihn verurtheilen mußte und ihm dennoch die Freundeshand bot, um ihn auf den rechten Weg zurückzuführen. Sollte er der freundlich lockenden Stimme folgen, oder auf der einmal betretenen Bahn weiter gehen? Ein gewaltiger Kampf erhob sich in seiner Seele – was mochte das Ende desselben sein?

Mit ernstem Antlitz, die Hände über die Brust gekreuzt, schritt der Abt in dem kleinen Zimmer auf und ab, von Zeit zu Zeit einen Blick auf den Priester werfend, der gesenkten Hauptes in seinem Sessel saß. Endlich brach er das Schweigen; er blieb vor ihm stehen, freundlich sprechend: »Ich will Euch sagen, mein Bruder, was Ihr wart und was Ihr werden könnt. Ihr wart ein Werkzeug des Bischofs von Luik – aber Ihr seid es nicht mehr; ich weiß, Ihr werdet diese Fesseln von Euch werfen, weiß, daß Ihr schon im Begriff steht Euch seiner Gewalt zu entziehen. Ihr wart ein Heuchler vor Gott und Menschen – aber Ihr seid es nicht mehr; Ihr ließet mich einen Blick in Euer reuevolles Herz thun, und jetzt stehe ich vor Euch im Namen des Höchsten, der durch meinen Mund zu Euch spricht: ›Tritt ab von der Ungerechtigkeit und wandle auf neuen Wegen.‹ Was Ihr werden könnt? Ein Kind Gottes, ein Verehrer der Heiligen, ein rechter Diener der Kirche, durch Ueberwindung der eignen Schwachheit geschickt geworden, die Schwachheit seiner Gemeinde mitzutragen und sie zu stärken. Und ist das nicht eine schöne Aufgabe? Euer Geheimniß kennt Keiner außer mir, und ich will es mit in's Grab nehmen; so könnt Ihr vor Gott Euch über Eure Sünde demüthigen, ohne daß Eure Gemeinde erfährt, wie tief Ihr gefallen seid. Werft denn den Mantel der Heuchelei und Sünde von Euch, ehe es zu spät ist; noch stehet Ihr in einem segensreichen Wirkungskreis; erfaßt Eure Pflichten mit neuem Eifer, mit ganzer Treue und ein Leben voll Liebe und Frieden wird Euer Lohn sein.«

Athemlos fast, mit leuchtenden Augen hatte der Priester jedem Wort des Abtes gelauscht. »Auch für mich gäbe es also noch Frieden?« flüsterte er, die dargebotene Hand des Freundes mit Wärme erfassend.

»Gewiß, mein Bruder; und zögert nicht, zu dieser seligen Gewißheit zu gelangen. Ueberwindet alle Schwachheit, zerbrecht alle sündigen Ketten und herrlich ist die Aufgabe, die Eurer wartet; – denn ich halte die Zeit für nahe, da die Ernte groß ist, der Arbeiter aber wenig sein werden. Muß es nicht köstlich sein, das Volk aus seinem Schlaf, aus seiner Unwissenheit aufzurütteln? Vieles könnte besser werden, wollten nur die Priester ernstlich dazu mitwirken.«

»Und Ihr haltet eine Aenderung wirklich für nothwendig?« fragte der Priester.

»Gewiß! müßt Ihr's nicht selbst einräumen, daß die Sitten verderbt, Zucht und Einigkeit gewichen sind? Ueberall, selbst in unsern Klöstern, herrscht Zwiespalt; Principien streiten wider Principien, Weltlust und Sünde durchdringt Alles und nur eine gründliche Erneuerung bis in's Herz der Mutterkirche vermag Wandel zu schaffen –«

»So meint Ihr,« unterbrach der Priester den Abt plötzlich mit Heftigkeit; »aber ich sehe nicht ein, daß das Volk dumm und unwissend ist! Was brauchen denn unsere Kinder mehr zu wissen, als daß Gott im Himmel für die Seinen sorgt, und auf Erden der Papst die Sünde vergibt? Ist nicht ein unwissendes Volk auch ein gehorsames Volk, und gibt es für das Ansehn der Geistlichen etwas Gefährlicheres als sogenannte Neuerungen?«

»Ihr sprecht aus, was Viele vor Euch gedacht haben,« erwiderte der Abt, »aber die Berechtigung solcher Ansichten ist mir sehr zweifelhaft. Ich meinestheils werde nicht rasten, bis einige grobe Mißbräuche unserer Kirche hinweggethan sind; zunächst die Bestechungen, welche edle, aber schwache Naturen zu erbärmlichen Werkzeugen herabwürdigen. Bruder, Ihr habt viel gut zu machen und hier thut sich ein weites Feld des Wirkens für Euch auf, in dem Ihr ernstlich gegen Mißstände, gegen eigne und Anderer Sünde kämpfend, manche schöne, friedevolle Stunde genießen könnt.«

»Ich will's erwägen, was Ihr mir gesagt, will's treu erwägen,« versprach der Priester, indem er plötzlich von seinem Sessel aufstand. »Aber jetzt laßt uns zur Ruhe gehen,« bat er, »es ist spät geworden –«

»Und Ihr seid erschöpft,« versetzte der Abt. »Doch gebt mir zuvor noch das Versprechen, mit allem Ernst nach Heilung Eures Seelenschadens streben zu wollen.«

Der Priester reichte ihm mit Wärme die Hand und Jener fügte hinzu: »Die heilige Mutter Gottes segne Eure Selbstprüfung und helfe Euch zu erneuter Uebergabe Eures Herzens!«

Die beiden Männer trennten sich in ernster Stimmung, doch unter sehr verschiedenen Empfindungen. Der Eine war von Mitleid und Schmerz über die Schwachheit des Bruders erfüllt, den Andern drückten Schuldgefühl und Reue über eigne Sünden; der Eine trug das Bewußtsein treuer Pflichterfüllung in sich, der Andere die Anklagen eines laut redenden Gewissens. – Beide jedoch verbunden durch das Band, das Kraft und Schwachheit vereint: das Band innerer Sympathie.

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