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In einem Landhause.

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. Einige Tage sind vergangen. Der Regen ist in Strömen herabgefallen und hat Straßen und Wege fast ungangbar gemacht; wohl dem, der da zu Hause bleiben und die stillen Freuden des eignen Heims genießen darf! Solches pries auch die Familie, in die wir unsere Leser zunächst führen müssen, die Familie Wendenberg. Der Tisch ist nach dem Mittagsmahl abgeräumt, Teller und Schüsseln sind mit sorgsamer Hand wieder auf die an der Wand befindlichen Riege gestellt und ein junges Mädchen ist beschäftigt das blendend weiße Tischtuch zusammenzufalten, während sie ab und zu nach dem jungen Manne blickt, der, in der Fensternische sitzend, jeder ihrer Bewegungen folgt.

Neben dem Kamin, in welchem ein lustiges Feuer brennt, sitzt der Herr des Hauses; er ist bereits ergraut und man sieht es dem Manne an, daß mancher Sturm über das jetzt gebeugte Haupt hingegangen; doch leuchtet sein Auge freudig, wenn es in dem glücklichen kleinen Familienkreise umherschweift oder den Blick auf seine noch kräftige Gattin richtet, die mit ihm das Glück ihrer Kinder theilt; – ihrer Kinder, denn liebend haben sie auch den jungen Mann in's Herz geschlossen, der bald ihre einzige Tochter heirathen wird und es werth ist ihr liebes Kind die Seine zu nennen.

»Bist Du endlich fertig,« sagte Jener, nachdem die Schrankthüren geschlossen und der Tisch wieder an seinen Platz gestellt war; »komm' denn, setz' Dich zu mir an's Fenster und schenke mir den letzten Abend.«

»Den letzten Abend!« wiederholte das junge Mädchen leise; »ach Wilhelm, das ist ein hartes Wort. Wir müssen auf die Zukunft hoffen.«

»Gewiß, und thäte ich das nicht, der Muth würde mir fehlen, Dich morgen zu verlassen.«

»Morgen bist Du schon so fern!« seufzte Catharina.

»Klage nicht darüber, Liebste; freue Dich dankbar der herrlichen Tage, die wir mit einander verleben durften und blick' ein wenig voraus – ein paar Monate nur, so kehre ich zu Dir zurück.«

Fähndrich Wilhelm schien diesen Trost selbst nicht so recht lebhaft erfassen zu können, wenigstens sah er sehr ernst aus. Der alte Vater mochte wohl die trübe Stimmung der Verlobten wahrgenommen haben, denn er sagte in heiterm Ton: »Ei Kinder, welche Grillen! Als ich jung war, hab' ich länger um Eure Mutter freien müssen als Du Wilhelm um Catharina, aber das Leid war uns nicht zum Schaden.«

»Nun, es wird auch für uns eine bessere Zeit kommen,« versetzte Herr van der Houve Herr Wilhelm van der Houve, Fähndrich im Dienst des Bischofs Johann von Baiern, wurde, gleichwie sein Capitain, der Herr van Ilsendoore, bei Gorkum gefangen genommen. ( Kok. Vaderl. Woordenboek.) sichtlich ermuthigt. »Doch sieh,« fuhr er fort, »da kommt der Abt grade auf unser Haus zu – ich will ihm öffnen.«

Der Fähndrich eilte hinaus und kehrte nach wenig Augenblicken mit dem Abt Bernhard zurück, der allezeit ein willkommener Gast in der Familie war, sonderlich aber an diesem Abend, wo die etwas bedrückten Herzen der Aufrichtung bedurften.

»Ich komme, um Euch Lebewohl zu sagen,« begann der Geistliche nach freundlicher Begrüßung.

»So ist also die Abreise der Gräfin beschlossen?« fragte Frau Wendenberg.

»Freilich,« erwiderte der Abt, »sie war schon früher angesetzt, mußte aber des heftigen Regens wegen verschoben werden.«

»Was Euch höchst erwünscht war, Ehrwürden,« versetzte der Fähndrich lächelnd; »weil nun aber heut Abend zwei Scheidende unter uns sind,« fuhr er fort, »denn auch ich muß morgen zu meiner Compagnie zurück, so bleibt diese letzten Abendstunden hier und erfreut uns durch Euer Harfenspiel, das ich so oft schon rühmen hörte; es wird uns Allen zur Erheiterung dienen und unter Musik und Geplauder gedenken wir nicht der nahen Trennung.«

»Gern erfülle ich Euren Wunsch,« entgegnete der Abt, »nur muß ich zuvor ein Wörtchen mit Eurer Catharina sprechen – doch dürft Ihr's gern hören.« Und zu dem jungen Mädchen sich wendend, fragte er: »Habt Ihr meinen Vorschlag überlegt und einen Entschluß gefaßt?«

»Freilich, Ehrwürden, und Wilhelm billigt denselben: ich gehe nicht, Ihr sollt Euch nicht in mir geirrt haben.«

»Ich wußte wohl,« sagte der Abt, »daß Ihr nicht nach Ehre und hohen Dingen trachtet, verstehe aber nicht, was den Priester eigentlich bewogen haben kann, jenen Vorschlag, gleichsam als von Euch ausgehend, mir mitzutheilen und mich dadurch zur Unterstützung desselben verleiten zu wollen; mich dazu hergebend, hätte ich vielleicht zu Eurem Schaden mitgewirkt. Sagt aber, Catharina, wie nahm der Priester Eure Weigerung auf?«

»Das ist mir das Befremdlichste von Allem, mein Vater,« erwiderte das junge Mädchen; »er sagte nur, ich möchte mich doch noch recht darüber bedenken, sah aber aus, als sei ihm eine schwere Last von den Schultern genommen –«

»Oder darauf gelegt,« fiel die Mutter der Tochter in die Rede; »– ich für meinen Theil kann mich über Catharinens Entscheidung noch nicht beruhigen. Der Priester ist ein so frommer, heiliger Mann und wenn er sagt: ›Frau Wendenberg, es ist ein großes Opfer, aber es ist gut und nützlich Opfer zu bringen‹ – dann glaube ich was er sagt und möchte selbst mein Kind überreden, in den Vorschlag zu willigen.«

»Aber liebe Frau,« versetzte der Geistliche, »wir gehören doch nicht zu den stummen Creaturen, die einfach ihrem Treiber folgen! selbst der Priester würde nicht verlangen, daß Ihr, ohne Erwägung der Sache, darauf einginget.«

»Mag sein, Herr Abt,« entgegnete Frau Wendenberg, »doch schafft's dem Herzen Ruhe, dem Wort und der Ermahnung unsers Priesters zu folgen; Kampf mag es oft kosten, allein den dürfen wir nicht scheuen –«

»Aber liebe Mutter,« unterbrach Catharina sie, »es ist ja auch ein Priester, der uns den Schritt widerräth, zu dem jener mich fast überredet hätte. Fragt Ihr mich aber, wem ich am meisten vertraue, so – doch nein, lieber spreche ich es nicht aus, es könnte den Schein der Schmeichelei haben.«

Frau Wendenberg schwieg, und der Fähndrich, welcher dem Gespräch bisher schweigend zugehört, fragte den Abt jetzt leise: »Ehrwürden, errathet Ihr entfernt die Absicht, welche sich hinter jenem Plan verbirgt?«

»Bis jetzt nicht, edler Herr; doch glaubt mir, ich werde sie zu enthüllen suchen. Der Priester kommt entschieden wieder auf die Sache zurück und ich bin überzeugt, es steckt etwas dahinter.«

»Ihr traut ihm also nicht?«

»Ich kenne ihn nur wenig, rathe Euch aber, nicht zu gestatten, daß Eure Catharina auf seinen Vorschlag eingeht.«

»Nun, ich kenne ihn, Herr Abt,« versetzte Wilhelm, »und nicht eben von der günstigsten Seite. Laßt mich es Euch erzählen: Ich wanderte in diesen Tagen zuweilen im Walde umher, während Catharina im Haushalt beschäftigt, mich nicht begleiten konnte und verirrte mich dabei einmal – es war kurz nach Ostern. Lange lief ich umher, ohne den rechten Weg wieder finden zu können, als ich endlich ein Haus gewahr wurde und an dem Schilde: ›Zum grünen Busch‹ erkannte, daß es eine Herberge sei. Ich ging hinein mich nach dem Wege zu erkundigen und wurde von etwa zehn Mönchen so zu sagen überfallen, die in munterer Laune zechten und mir bei meinem Eintritt Willkommen zutranken. Von Eile getrieben suchte ich von den Männern, die mich in ihrer aufgeregten Stimmung durchaus halten wollten, loszukommen – aber nun hättet Ihr ihre Ausrufe und Verwünschungen hören sollen! – Einer zog mich gewaltsam in ihren Kreis, ein Anderer versuchte mich zum Trinken zu zwingen, ein Dritter zog gar sein Wamms aus, um es dem ›Heuchler‹ anzulegen. Ehrwürden, ich mußte sprechen, ich konnte, ich durfte nicht schweigen. Was ich sagte, weiß ich nicht, aber meine Seele empfand tiefen Schmerz darüber, von solchen Männern solche Worte zu hören! Alle Vorstellungen, die ich mir früher von dem Mönchsleben gemacht, verschwanden wie durch Zauberschlag und ich glaubte vor Zorn und Entrüstung ersticken zu müssen. Endlich riß ich mich los und wollte hinausstürzen, als ich auf der Schwelle von einem Manne erfaßt und zurückgehalten wurde, in welchem ich sofort den Priester von Liethorp erkannte. Einen Augenblick standen wir einander gegenüber – er sah mich mit seltsamem Blick an, ließ dann meine Hand los, und ich eilte fort.«

»Aber das beweist doch nichts gegen den Priester,« wandte Catharina ein als Wilhelm schwieg; »ich sprach das schon früher gegen dich aus; laß uns nun hören, was der Abt dazu sagt.«

»Ehrwürden, Catharina meint, der Priester sei, eben wie ich, durch Zufall in die Schänke gekommen,« versetzte der Fähndrich, »und freilich verstummte bei seinem Eintritt der Lärm plötzlich.«

Abt Bernhard überlegte eine Weile bevor er erwiderte: »In der That, junger Mann, Euer Zusammentreffen dort mit dem Priester beweist noch nichts gegen ihn; wäret Ihr geblieben, Ihr hättet vielleicht Ursache gehabt, Euch über sein edles Verhalten zu freuen – übrigens begreife ich, wie die Sache Euch erregte. Wehe, wehe, wehe über die, welche das Heilige entweihen! Aber es wird anders werden, dieses Sittenverderbniß kann nicht fortdauern. Wehe, wenn der Richter kommt zum Gericht – und Er wird kommen! Doch, mein Freund, bekümmert Euch nicht zu sehr über Leben und Thorheiten so Vieler, sondern seht auf das Beispiel derer, die heilig leben und aufrichtig wirken im Dienst der Kirche, ohne sich durch falsche Lehren verführen zu lassen; – es sind auch noch Manche, die mit Treue über ihre Heerde wachen und ihre Lichter brennend erhalten.«

»Was schwatzt ihr doch über Dinge, von denen ich nichts verstehe,« unterbrach Frau Griete Wendenberg plötzlich das Gespräch, »und vergesset darüber die Musik! Ei, liebe Catharina, bringe dem Abt einen Becher guten Weins, daß er hurtig unserm Wunsch genüge und die Harfe spiele.«

Die Jungfrau folgte dem Geheiß der Mutter, und bald funkelte das edle Getränk in den hohen Krügen. Abt Bernhard stand auf, nahm die Harfe von der Wand, und nachdem er die Saiten gestimmt, rauschten liebliche Töne durch das Gemach. War das derselbe einfache Mann, den wir vorhin sprechen hörten, der jetzt solche Töne dem Instrument entlockte?

Die ernsten dunklen Augen leuchteten von heiliger Begeisterung; auf der edlen Stirn, über die das volle Haupthaar herabfiel, stand die Künstlerseele geschrieben, und mit leisem Finger die Saiten rührend, entströmten ihnen volle Akkorde, daß Aller Herzen in frommen Schauern erbebten. Abt Bernhard übte seine Kunst im edelsten Sinn; er erbaute durch Töne, welche, erhebend, die Gedanken von irdischen Fesseln lösten. Catharina stand neben ihm; in ihren lichtblauen Augen glänzten Thränen, während sie mit angehaltenem Athem jeden Ton auffing. Das war Leben! Seele und warmes Empfinden lagen in dem Spiel. »O spielt noch weiter!« bat sie, als der letzte Akkord langsam erstarb.

Und wieder rauschten die herrlichen Klänge, wieder erhob sich die Seele des Künstlers – bald leise klagend, war's als versuche er im Spiel das Weh der Erde und das Weh eines Menschenherzens wiederzugeben; dann, als erhebe das Herz sich über alles Leid, tönte es plötzlich hoffnungsvoll durch die Saiten und löste sich endlich auf in ein Jubel- und Siegeslied.

Als es verhallt war, dauerte die athemlose Stille noch fort; der Künstler hielt seine Harfe im Arm und senkte das Haupt, das Haupt, über das kaum dreißig Sommer hingegangen und doch, trotz seiner Jugend, fühlte man, daß er schon viel Leid erfahren, dessen Erinnerung in seiner Seele wach geblieben.

Catharina hatte sich aus dem offenen Fenster gebeugt und kühlte ihre Wangen in der frischen Abendluft; so stand sie noch, nachdem der Abt schweigend seinen Platz verlassen und sich wieder zu ihren Eltern gesetzt hatte; der Fähndrich näherte sich ihr, umfaßte sie liebevoll und fragte leise:

»Catharina, mein Mädchen, weshalb so ernst?«

»Ach, Wilhelm, ich stehe noch ganz unter dem Eindruck der herrlichen Musik.«

Er lächelte. »Da möcht' ich doch wissen, welche Gedanken sie in diesem Köpfchen rege gemacht!«

Die Jungfrau sah ihn freundlich an und sagte: »Vielleicht den Gedanken, es sei zu beklagen, daß unser Abt ein Geistlicher geworden.«

»Sag' ihm das selbst, mein Bräutchen, und frag' ihn auch, ob er Deine Ansicht theilt.«

»Ei Wilhelm, du scherzest; wie dürfte ich den ehrwürdigen Abt so etwas fragen.«

»Er sieht auch schon ganz erschrocken aus,« erwiderte der Fähndrich lachend, und sich zu dem Abt wendend sagte er: »Ehrwürdiger Herr, wir möchten gern wissen, ob es Euch nimmer gereute das Ordenskleid angelegt zu haben?«

Der Geistliche sah ihn überrascht und fragend an und Wilhelm fuhr fort: »Wart Ihr, ein so bedeutender Musiker, stets gewiß, durch Euer priesterliches Wort Größeres wirken zu können, als durch Euer seltenes Talent?«

»Stets!« war die einfache Antwort.

»Stets? Ach, ich dachte eben, es sei ein Jammer, daß Ihr Geistlicher geworden,« rief Catharina offenherzig aus. Abt Bernhard erwiderte lächelnd: »Ist der Beruf eines Dieners der Kirche nicht köstlich? Müden, Verlassenen und Sterbenden die frohe Botschaft des Heils zu bringen, verirrte Schafe zur Heerde des Herrn zurückzuführen, giebt das dem Herzen nicht Frieden?«

»O gewiß!« versetzte die Jungfrau zustimmend; »aber ich denke, Ihr hättet das alles auch durch Eure Musik wirken können.«

»Wohl möglich,« entgegnete er, »aber, liebe Catharina, ich bin nicht todt für die Kunst, noch ist sie es für mich; mein Ordenskleid hindert mich nicht sie zu üben. Nein, nimmer noch hat meine Wahl mich gereut, aber ich danke Gott für eine Gabe, die ich zu Seiner Ehre gebrauchen darf.«

Darauf sich wieder zu Frau Griete wendend und das eben unterbrochene Gespräch wieder aufnehmend, versetzte er:

»Eure Ansichten über die Gräfin, meine Gebieterin, begreife ich, doch ganz zutreffend sind sie nicht, ja, ich darf Euch versichern, könntet Ihr die hohe Frau beobachten, wie es mir vergönnt ist, manches Eurer Vorurtheile würde leicht einer freundlicheren Gesinnung weichen.«

»Einer freundlicheren Gesinnung für die Gräfin? Verzeiht, Herr Abt, das glaube ich nicht.«

»Ihr seht sie nie, wie sie wirklich ist,« fuhr Jener fort, »so offen, so lebhaft, so natürlich, so voll Zartsinn; wahrlich, man muß die Gräfin kennen in ihrer ruhigen Entschiedenheit, in ihrem tiefen Bedürfniß verstanden zu werden, um sie lieb zu gewinnen; man muß sie in ihrer Umgebung beobachten, Freude und Schmerz ihres Volkes theilend, um sie so hoch zu schätzen wie sie es verdient. Ich hatte häufig Gelegenheit dazu und obwohl ich verstehe, daß Mancher – nur oberflächlich zu urtheilen im Stande – ihr diese Tugenden abspricht, so kann ich Euch doch versichern, daß sie dieselben besitzt und Keime zu allem Guten und Edlen in sich trägt –«

»Keime sagt Ihr!« fiel ihm der Hausherr in die Rede; »Keime können unentwickelt bleiben – die Gräfin ist noch so jung.«

»Ja, die Gräfin ist jung!« sagte der Abt in ernstem Ton, »doch hat der Schmerz sie früh gereift. Der Tod erst ihres Gemahls, dann ihres Vaters, war wohl geeignet einem Charakter wie dem ihrigen die Selbständigkeit zu geben, die Ihr, Frau Griete, an ihr mißbilligt, die aber durch das Wohlwollen, welches sie für ihre Freunde hegt, gemildert wird. Wie hätte ich sonst Rathgeber der hohen Frau werden können?«

»Darin habt Ihr Recht, Ehrwürden,« mischte sich der Fähndrich jetzt in das Gespräch, »doch scheint unsere schöne Gebieterin auch Eigenschaften zu besitzen, die Manchem für seine Ruhe gefährlich werden könnten; es liegt etwas so Feuriges, Leidenschaftliches in ihrem Blick.« –

Der Abt schwieg, aber Herr Wendenberg bemerkte: »Ich hörte einst sagen, daß es Frauen gibt, die, wie manche Blumen sich vor dem Sonnenlicht verschließen, ihre schönsten und besten Kräfte ihrem eignen Geschlecht verbergen, sie im Verkehr mit dem Herrn der Schöpfung aber zu entfalten wissen; – vielleicht gehört die Gräfin zu diesen.«

»Das thut sie nicht,« entgegnete Abt Bernhard lebhaft; »Ihr solltet nur sehen, welche Liebe und Hochachtung alle Hofdamen für sie haben! Aber ich sprach von den Kräften, die noch unbewußt in ihr schlummern und wiederhole es, sie können, von Freundesaugen überwacht, zu immer höherer Veredlung geführt werden, wenn nicht – doch wozu verlieren wir uns in die Zukunft, die dem Herrn gehört. Ich wache und bete für sie; Er aber, der der Wittwen Freund sein will, wird das Weitere thun – Sein Arm ist noch allmächtig.«

Frau Wendenberg machte ein Zeichen des Kreuzes, während ein leises »Amen« über ihre Lippen glitt.

Der Abt stand auf um zu gehen. Nach freundlichem Abschied, sonderlich von dem jungen Fähndrich, nach einem ermuthigenden Wort zu Catharina gesprochen, verließ er das freundliche Landhaus und sah sich bald allein auf dem Wege zum Schloß.

Allein! Ja, allein zu stehen war sein Loos. Jedes zarte Empfinden, welches das Herz erhebt und veredelt, mußte ihm fremd bleiben, selbst der Blick innigen Verständnisses durfte ihm nicht in die Seele dringen, nicht durfte die reinste Tochter des Himmels ihm nahen. »Hat es Euch nie gereut?« klang's ihm fort und fort in die Ohren. Nein, von Reue über den freiwillig erwählten Lebensberuf wußte er nichts zu sagen, aber einen Kampf hatte er gekämpft in mancher einsamen Stunde, in dem er nur durch eine höhere Kraft den Sieg gewann. Wohl kostete dieser Sieg ihn viele Opfer und forderte deren täglich noch – seit dem Augenblick aber, da er sich knieend dem Dienst der Kirche weihte, hatte er allen irdischen Hoffnungen entsagt, Frieden in der Ausübung seines Berufes und in dem Bewußtsein gesucht, Vielen zum Segen zu werden.

Nicht selten blutete sein Herz im Blick auf ein immer weiter greifendes Verderben, dem nichts entgegenzuwirken schien; hier – und voll Schmerz gedachte Abt Bernhard der Mittheilungen, die ihm heute Abend gemacht waren – hier waren Geistliche des Priesterrockes unwürdig, indem sie sich selbst schändeten und ihr heiliges Amt entweihten, dort Laien für eine Handvoll Geld unter die Tyrannei ihrer Gebieter erkauft; hier Klöster, aus denen Zucht und Ordnung verbannt schienen, dort Höfe, wo Ueppigkeit und sinnliche Genüsse die Herrschaft führten. Lange schon hatte der junge Abt sich in seinen Erwartungen hinsichtlich des Klosterlebens getäuscht gesehen und deshalb seine Ernennung zum Hofcaplan und Beichtvater der Gräfin, als eine besondere Gnade, freudig begrüßt. Weshalb er, der einfache Mann, zu so hoher Stellung berufen wurde, war Vielen, und auch ihm selbst ein Räthsel – gewiß aber ist, daß selten ein Geistlicher an einem so üppigen, weltlichen Hofe seine Wirksamkeit mit größerem Eifer aufgenommen, als Abt Bernhard, der schon im Beginn seiner neuen Würde sich von Schwierigkeiten überwältigt sah, die größtentheils aus Abneigung und Mißtrauen mancher Höflinge gegen ihn hervorgingen. Indessen fand er bald eine Stütze in der Gräfin selbst, die, von schmeichlerischen Edlen umgeben, deren Unterhalt ihrem reichen Geist nicht genügte, sich ihm zuwandte; anfangs freilich mehr in dem Bedürfniß nach Zerstreuung, später jedoch, weil sie diejenigen Eigenschaften in ihm erkannte, vor denen eine Frau sich beugt.

So gewann er allmälig das Vertrauen der Gräfin-Wittwe und je mehr seine Gebieterin sich ihm erschloß, desto tieferen Einblick gewann er in den Reichthum der in ihr ruhenden Geistesgaben, zu deren Entwickelung mitzuwirken sein heiliges Bestreben war – galt es doch nicht allein das Wohl der hohen Frau, sondern auch das Glück des Volkes zu fördern, dem er angehörte und das er liebte. Von solchem Streben beseelt aber durfte er von dem einmal betretenen Wege nicht umkehren; mit heiligem Ernst kämpfte er gegen die Schäden der Zeit, er mußte wirken wo er nur zu wirken vermochte, mußte ohne Ermüden gegen die Sünden Anderer wie gegen seine eigenen streiten und hoffend des Lichtes harren, das nicht fern sein konnte. – Unter solch ernsten Betrachtungen wanderte Abt Bernhard im stillen Mondschein heimwärts; hoch oben aber glänzten die Sterne und sprachen zu ihm von dem ewigen Vaterhause, wo der Friede nimmer gestört, wo die Ruhe nicht mehr vergeblich gesucht wird. –

Schon wenig Stunden danach brach ein herrlicher Frühlingsmorgen an. Das Laub der hohen Pappeln erglänzte in den Sonnenstrahlen und wie lauter Diamanten funkelte der bethaute Rasen. Arm in Arm wandelte das junge Paar, sich des gestrigen, so glücklich verlebten Abends erinnernd, einen schmalen Fußpfad lange auf und ab. Beider Herz war trübe gestimmt; sie sprachen nicht viel, denn die Trennungsstunde war nahe. Auf der Stirn des Fähndrichs lagen Wolken – kam das, weil sein Urlaub zu Ende war, oder machte es das Vorgefühl eines nahenden, ungekannten Leids? Catharina wußte es nicht, aber sie suchte ihr eignes Weh zurückzudrängen und ihren Verlobten zu ermuthigen, als er sie bewegt umfaßte und flüsternd fragte: »Catharina, nicht wahr, du bist ganz die Meine, jetzt und allezeit?«

Sie lächelte, strich ihm leise über die Wangen, fest und ruhig erwidernd: »Jetzt und allezeit, Wilhelm! – wie könnte es anders sein. Vertraue mir, deine Catharina ist nicht schwach;« und in ihrem Blick lag eine Zuversicht, die sich ihm mittheilte.

Plötzlich vernahmen sie Pferdegetrappel und nach einem Augenblick schon sprengte eine Amazone, von kleinem Gefolge begleitet, aus dem Walde kommend, die Heerstraße entlang. Die Verlobten erkennen, ausweichend, die Landesfrau und grüßen sie ehrerbietig. Die Gräfin erwidert ihren Gruß, hält an und läßt ihr Auge wohlgefällig auf der Jungfrau ruhen, die jetzt an sie herantritt und ihr einen Strauß frisch gepflückter Blumen bietet; sich zu ihren Gefährtinnen wendend, frägt die hohe Frau nach dem Namen des schönen Kindes. »Catharina Wendenberg,« ist die Antwort; aber seitwärts flüstert man ihr zu:

»Beachten Ew. Gnaden doch den Anzug ihres Bräutigams!«

Jetzt erst gewahrt Jacoba das Wamms von rautenförmig gewebtem Tuchstoff, wendet sich plötzlich ab, leise mit ihren Damen sprechend und drückt ihrem Pferd die Sporen ein.

»Wie unartig!« ruft der Fähndrich aus; »wahrlich, meine Catharina hätte freundlichere Begegnung verdient.«

Die Gräfin war schon fern – sie sah nichts von dem Zorn, den sie hervorgerufen, noch hörte sie wie das junge Mädchen sagte: »Jetzt verstehe ich, Wilhelm, daß Viele sie hassen. Wie stolz, wie hochmüthig sie ist! sieh, da liegen meine schönen Blumen zertreten!« und Thränen des Unwillens entströmten ihren Augen.

»Aber Catharina, meine Liebe, wie konntest du Anderes erwarten? Bedenke, daß ich die Farbe ihrer Gegner trage!«

»Ist denn das ein Grund freundliches Zuvorkommen in dieser Weise zurückzuweisen?« murrte Jene; »ist das christlich, ist das edel?«

»Weder das Eine noch das Andere, und deshalb hoffe ich, meine Catharina würde nie so handeln können! Doch, vergessen wir diesen kleinen Zwischenakt, gönne mir die wenigen Minuten unseres Zusammenseins noch ganz!«

Ach ja, nur wenige noch blieben ihnen! sie mußten schon nach Hause eilen und bald nach dem früh eingenommenen Mittagsmahl nahm der Fähndrich Abschied. Catharina bezwang sich um seinetwillen.

»Ist's möglich, so kehre ich bald zurück,« versicherte er hoffnungsvoll.

»Gott allein weiß wo und wie wir uns wiedersehen,« sprach die Jungfrau bebend; »ich fürchte, es kommen schwere Zeiten.«

Wilhelm hielt ihre Hand fest in der seinen und erwiderte: »Was schadet's; sind wir nur Eines des Andern gewiß – unsere Liebe wird den Kampf schon bestehen. Gott schütze dich! leb wohl, Catharina!«

Noch einmal drückte er sie an seine Brust, noch einmal sah er ihr in's Auge – riß sich dann rasch los und schon nach wenig Augenblicken verkündigte ihr der Hufschlag eines Pferdes, daß der Geliebte auf dem Wege nach Gorkum sei.

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