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Bischof und Abt.

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. Ich vermag also nichts über Euch? Wißt Ihr denn aber auch, daß ich Macht habe, Euch zu zwingen?« so fragte der Bischof von Luik den von ihm entbotenen Abt Bernhard in strengem Ton, als er nach wiederholten Versuchen, ihn für seine Zwecke und Pläne zu gewinnen, seine Absichten an der strengen Gewissenhaftigkeit desselben scheitern sah.

Abt Bernhard stand in gebeugter Haltung vor dem Kirchenfürsten, und nachdenkender Ernst prägte sich in seinen Gesichtszügen aus.

»Eminenz,« entgegnete er leise, »ich weiß, Ihr könnt mich meines Amtes entsetzen, mich in Jammer und Elend bringen, mich aber zwingen, etwas zu sagen, was der Gräfin zum Schaden gereicht, könnt Ihr nicht.«

Der Bischof zog die Augenbrauen zusammen, biß sich auf die Lippen, um seine Selbstbeherrschung zu bewahren und sagte: »Ihr geht, meiner Ansicht nach, darin zu weit, mein Herr; schätzt Ihr es denn so gering im Dienst der heiligen Kirche zu stehen?«

»Eminenz,« versetzte der Abt, »war nicht bisher all mein Thun und Denken meinem heiligen Amt geweiht? Was Ihr aber jetzt von mir fordert, das vermag ich nicht, es würde mich in meinen eignen Augen herabsetzen.«

»Und was schadet denn das?« rief der Bischof aus, »erhöht es Euch nur im Dienst der Kirche. Wißt Ihr nicht, daß Ihr Eurem Vorgesetzten blindlings zu gehorchen habt?«

Der Abt schwieg und senkte sein Haupt noch tiefer.

»Antwortet, mein Herr!« gebot der Kirchenfürst.

»Ihre Gewalt lehrt uns, daß wir blinden Gehorsam zu leisten haben,« versetzte Jener.

»Ihre Gewalt? Das klingt zweideutig! Aber sagt, achtet Ihr es denn für nichts, wenn Se. Heiligkeit Martinus V. Euch durch meinen Mund seiner höchsten Gnade versichert, wenn –«

»Wenn ich die Gräfin verrathe, ihr Vertrauen mißbrauche, das Beichtgeheimniß verletze, um ihre Länder in Eure Hände zu liefern,« war die kühne Antwort des Abtes, jetzt mit erhobenem Haupt gesprochen. »Aber Se. Heiligkeit kann das nicht verlangen, es sei denn, daß er durch falsche Vorstellungen oder durch Betrug irre geleitet wäre; – und ertheilte Se. Heiligkeit mir jene Befehle mit eignem Munde, ich müßte dennoch einer andern, einer inneren Stimme gehorchen, die laut von mir fordert, meiner Pflicht und Ueberzeugung treu zu bleiben.«

Abt Bernhardts eben noch so ehrerbietig gesenktes Antlitz leuchtete jetzt von innerem Feuer, und als spüre er gar nicht, welch ein Sturm sich in der Seele des Kirchenfürsten erhob, begann er nach kurzem Schweigen abermals:

»Monseigneur! über der Macht des heiligen Stellvertreters Christi zu Rom steht die Macht Gottes, und lieber arm und elend vor der Welt, lieber meines herrlichen Amtes entsetzt, als meinen Pflichten gegen Gott untreu sein.«

»Ihr habt es gesagt!« rief der Bischof zornig aus, »so entfernt Euch denn aus meiner Gegenwart, elender Mönch, der Ihr glaubt durch erheuchelte Tugend Gewalt über mich auszuüben; – aber Ihr irrt! Was ich zum Heil der Kirche von Euch verlangte, würde Euch zu immer höheren Ehren geführt haben – jetzt werdet Ihr unglücklich durch eigne Schuld.«

»Wer sich ein gutes Gewissen bewahrt, braucht kein Unglück zu fürchten,« entgegnete der Abt ruhig; »mag mir denn mein Amt genommen werden, ich überlasse mich vertrauensvoll der Führung Gottes.«

»Wir sprechen uns wieder!« versetzte der Kirchenfürst rasch und winkte ihm mit der Hand sich zu entfernen.

Der Geistliche verbeugte sich und verließ sofort das Zimmer, sobald er aber im Freien war, rief er aufathmend aus: »Gott sei's gedankt, es ist vorüber! – zum Verräther werden – und an ihr! Nimmermehr! – Aber mein Loos ist jetzt entschieden, ich weiß, ich bin ein verlorener Mann,« sagte er leise, fügte jedoch rasch hinzu: »besser das, als ehrlos handeln und Schaden nehmen an meiner Seele; Menschen können wohl meinen Leib tödten, aber meine Seele können sie nicht verderben!« Dann bestieg er eilig sein Pferd und ließ bald den Wohnort des Bischofs weit hinter sich.

Hätte der Abt noch einen Blick zurückwerfen können, in das Gemach, das er soeben verlassen, es wäre keineswegs ermuthigend für ihn gewesen. Herr Johann von Baiern befand sich noch allein in demselben; nachlässig stützte er sein Haupt in die Hand und murmelte verdrießlich zwischen den Zähnen: »Mißglückt, mißglückt!« und seinen Zorn nicht mehr bezwingend, fügte er mit wüthender Stimme hinzu: »mißglückt durch einen elenden Mönch! Druten, meine beste Stütze in diesen bedenklichen Zeiten, ist nicht mehr, Arkel dient mir nicht länger – jetzt habe ich Keinen in Jacoba's Umgebung, der mich von Allem, was sie thut und vor hat, unterrichtet, und diese letzte Zuflucht, die ich nahm, war nutzlos, selbst Drohungen prallten ab an der erheuchelten Gleichgültigkeit des erbärmlichen Abtes gegen meine Gunst; – meine letzte Zuflucht? O nein! noch bleiben mir geheime Zugänge zu Jacoba's Hofhaltung, die nur mein Auge entdeckt –« und auf leises Flöten erschien ein Kammerdiener, den der Bischof fragte:

»Ist Niemand für mich gekommen?«

»Ein Edelmann wartet im kleinen Saal,« meldete Jener, »und gerade als Ew. Eminenz mich riefen, kam Einer, der um sofortige Audienz bat.«

»So laßt diesen eintreten und ersucht den Edelmann wieder zu kommen oder zu warten, wie's ihm beliebt, weil ich augenblicklich Geschäfte habe.«

Der Kammerdiener gehorchte; gleich darauf erschien ein Herr, den der Kirchenfürst auf's Freundschaftlichste empfing und der sehr vertraut mit ihm zu sein schien.

»Ist's gelungen?« fragte der Bischof hastig, sobald die Thür sich wieder geschlossen und der Unbekannte Platz genommen hatte.

»Völlig, mein Freund! Engelthal ist eingeäschert und die Brüderschaft von Hab und Gut beraubt; jetzt ist kräftige Geldunterstützung nöthig,« berichtete der Fremde lachend.

»Nun, die soll ihnen werden, wenden sie sich nur an den rechten Mann um Beistand. Aber habt Ihr das Feuer gesehen?«

»Allerdings; ich wagte mich ziemlich in die Nähe desselben, um die Männer zu bezahlen, die glücklicherweise schon außer dem Bereich aller Nachspürungen sind; überdies können sie uns nicht verrathen, denn meine Verkleidung und dieser Schnurrbart ließen den Herzog von –«

»Still, still! sprecht Euren Namen nicht aus, die Wände haben Ohren,« warnte der Bischof; »laßt mich Euch jetzt aber meine weiteren Pläne mittheilen, ich weiß, Ihr helft mir, wo Ihr könnt.«

»Verlaßt Euch darauf, werther Herr. Vermuthlich war Euer Abt bei Euch, ich sah ihn von hier weggehen.«

» Mein Abt!« versetzte der Kirchenfürst lachend, »wollte Gott, er wär's, so würde ich ihn gezwungen haben zu thun, was ich will! Aber leider ist er der Abt der Gräfin und ein unbestechbarer Abt dazu – doch soll er gestürzt werden!«

»Nichts leichter als das,« entgegnete der Fremde; »Ihr braucht nur an Se. Heiligkeit zu schreiben, es sei nothwendig, den Abt nach Rom zu berufen und zur Rechenschaft zu ziehen, weil er das einfältige Volk gegen den päpstlichen Stuhl aufwiegle.«

»Vortrefflich!« versetzte der Bischof zustimmend, »denselben Plan hatte auch ich und es muß alsdann dafür gesorgt werden, daß einer unserer Getreuen in seine Stelle tritt, einer der Mönche von Engelthal oder der Prior selbst, der sich in seiner Noth schon an uns wenden wird, um eine Summe zum Wiederaufbau des Klosters zu erbitten. Und die soll er haben, thut er sein Mögliches bei der Gräfin, – meinetwegen mag er auch gegen uns zeugen, ist's nöthig.«

»Gewiß, so wird es das Beste sein,« sagte Jener. »Natürlich zieht der Prior den Aufenthalt am Hofe dem armseligen Leben in der Klosterzelle vor und ist er erst dort, so bedarfs Eurerseits nur geringer Gunsterweisungen ihn Euch zu verpflichten; ich übernehme es gern, in dieser Weise auf ihn zu wirken.«

»Wird mir erwünscht sein, mein Freund; doch wagt dabei nicht zu viel für Euch selbst. Fürwahr, Mancher wüßte sicher gern, wer das Ruder in der Hand hält, wer die Ereignisse und Geschicke lenkt! ha, ha, ha!« sagte der Kirchenfürst mit augenscheinlicher Genugthuung, und darauf seinen Diener rufend, befahl er Wein zu bringen, während er, zu seinem Freund gewandt, leise hinzusetzte: »wir müssen doch auf unsere guten Unternehmungen trinken! Hernach werde ich gleich an Se. Heiligkeit schreiben, und Ihr müßt einen vertrauten Boten ausfindig machen, der die Briefe nach Rom bringt.«

Am folgenden Tage war in der Kathedrale zu Dordrecht eine große Menge zusammengeströmt; das » Dies iræ« erscholl durch die weiten Hallen und in stiller Andacht harrte die Gemeinde des erbauenden Wortes.

Die kräftige Gestalt in das weiße Meßgewand gehüllt, kniete der Diener der Kirche am Altar; tief beugte er sein Haupt, wie ergriffen von dem feierlichen Chorgesang und von der heiligen Stille, die nach dem » quid sum miser tunc Dicturus« im Gotteshause herrschte.

Wir kennen den Mann und begreifen, daß Aller Augen auf ihn gerichtet waren, als er, sobald der letzte Ton der Orgel verhallte, die Kanzel bestieg und, wie von höherer Kraft beseelt, zu reden begann. Aber ist das wirklich derselbe, der vor kaum vierundzwanzig Stunden einen ihm untergeordneten Priester in eignem Interesse zur Gewissenlosigkeit verleiten wollte, der jetzt zu treuer Pflichterfüllung und Gehorsam gegen Gott ermahnt? Ja, es ist der Bischof von Luik, der gefürchtete Mann, in diesem Augenblick der einfache begeisterte Priester, anscheinend ein Seelenhirte in des Wortes schönstem Sinn.

Im Menschenherzen sind viele Geheimnisse und Räthsel, die man nicht selten vergeblich zu lösen sucht; Charaktere, die unter dem Schein der Frömmigkeit und geistlicher Würde, Leidenschaften und Sünden verbergen, deren mögliche Enthüllung sie zittern macht, ihnen jedoch so zur andern Natur geworden sind, daß sie das Böse derselben kaum mehr als solches erkennen; eine Sünde treibt sie zur andern, dient es zur Erreichung ihrer Zwecke, welche, obgleich nicht auf sittlicher Grundlage ruhend, äußerlich von Principien zeugen, die dem Herzen keineswegs wirklich eigen sind.

So ungefähr verhielt es sich mit dem Bischof Johann von Baiern, der nur aus Ehrsucht nach der gräflichen Würde trachtete und kein Mittel scheute, um sie für sich zu gewinnen; der von dem Glauben an eine höhere Führung sich losgesagt, und das Bischofskleid abzulegen wünschte, um von einer Zucht und einem Dienst frei zu werden, der ihm lästig war; dieser Johann von Baiern mußte, so lange die Erfüllung seiner Zukunftspläne noch in weiter Ferne lag, so lange päpstliche Gewalt ihn seiner Bischofswürde noch nicht enthoben, sein Amt verrichten, als hänge das Leben seiner Seele davon ab. Er mußte glänzen, – war's nicht durch Pracht der Hofhaltung und Ritterkleidung, so durch seine Rednergabe, die, wie er selbst wußte, eine seltene war. Oeffnete sich sein Mund zum Reden, so war er des Einflusses auf seine Zuhörer gewiß, gewiß ihrer ungeteilten Andacht, und der Kampf, der in ihm vorging als er zum ersten Mal zu seiner Gemeinde sprach, ohne selbst erfahren zu haben, was er ihr verkündigte, war längst einer völligen Gleichgültigkeit gewichen; seine Begabung ließ ihn nie im Stich – was schadete es der Gemeinde, ob er ein Priester war dem Herzen oder nur dem Gelübde nach?

Und dennoch wurde sein Herz zuweilen beunruhigt, wenn es von der Wahrheit wie von einem Pfeil getroffen wurde, oder wenn plötzlich der Schleier der Heuchelei vor seinen Augen zerriß und ihm das Bild seines Lebens und Strebens in einer Welt ohne Gott zeigte; – aber er suchte sich dann auf's Neue mit dem Gedanken an eine Zukunft zu trösten, die ihm Freiheit geben werde, Freiheit in seinen Grundsätzen, Freiheit für seinen Namen, seine Ehre, sein Recht zu streiten, Freiheit, um sich Lorbeeren der Liebe und des Glückes zu erwerben. Und dieser Gedanke begleitete ihn auch während er sein Amt versah; war seine Seele gleich von Haß und Bitterkeit erfüllt, für seine Gemeinde hatte er nur Worte der Liebe und des Friedens.

Sobald er geendet, ertönte die Orgel wieder und unter dem » Benedicti vos a Domino« erhob sich die Gemeinde und empfing stehend den priesterlichen Segen.

Der Bischof begab sich in die Sakristei, wo ihn noch Viele aufsuchten, um ihm Lebewohl zu sagen, bevor er nach Luik zurückkehrte. Ein selbstzufriedenes Lächeln spielte um seine Lippen bei jedem Wort der Anerkennung und Bewunderung, das man zu ihm sprach; denn seine Zuhörer, unter denen die Edelsten des Landes sich befanden, waren seiner Predigt mit Andacht gefolgt. Aber er wies allen Ruhm von sich ab, wies auf Den hin, der ihm die Worte gegeben, wohl wissend, durch seine Bescheidenheit noch mehr Lob zu erndten – und als endlich Alle die Sakristei verlassen, bestieg auch er sein Pferd, um nach Hause zu reiten. »Wüßten's diese Frommen, wer ich bin!« murmelte er leise; »aber, Gottlob! die Pflicht ist einmal wieder gethan.« Dann drückte er seinem Roß die Sporen ein, das, gallopirend, bald Alle weit zurück ließ, welche in Ergebenheit und Verehrung dem Reiter nachblickten, dem großen Bischof Johann von Baiern.

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