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Erster Theil.


Ein Abend auf Trilingen.

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. Es war im Jahre unseres Herrn 1417. – In jener Zeit, als das Licht noch nicht auf dem Leuchter brannte, als noch die Nacht des Irrthums und Aberglaubens die Kirche umhüllte, als ein allgemeines Sittenverderbniß auch in die Geistlichkeit gedrungen und die Nothwendigkeit einer Erneuerung, einer Reformation der Kirche selbst von Manchen empfunden wurde, die äußerlich ihre Unfehlbarkeit vertheidigten – in jener Zeit wurde die Kunde laut, daß nicht nur im Auslande sondern auch in den Niederlanden noch Männer zu finden seien voll Glauben und brünstiger Liebe, die sich nicht scheuen würden die Irrlehren der Kirchen anzulasten und den Aberglauben ihrer Diener zu bekämpfen.

Schon hatte der Prediger Wiclif in England seine Stimme erhoben und das angenehme Jahr des Herrn laut verkündigt, schon war in Böhmen ein Reformator aufgestanden; – in dem einfachen Gewande eines christlichen Priesters hatte Johann Huß seinen Fuß auf eine Bahn gesetzt, die ihn, von seinem Glauben zeugend, dem Märtyrertode entgegenführte und in den Niederlanden fühlte man dasselbe Verlangen, das die fremden Brüder beseelte. Damit ist nicht gesagt, daß nicht Leben und Wandel Mancher von ganz anderer Gesinnung Zeugniß gaben, als sie aus Irrthum und Aberglauben hervorzugehen pflegt. Und nicht nur hie und da in den Klöstern und unter der Geistlichkeit, auch in der Welt draußen harrte man sehnend des Tages, an welchem das Jubeljahr der geläuterten Kirche anbrechen würde.

Hierüber nun unterhielten sich jene beiden Männer, die im Frühling des genannten Jahres sich auf der Heerstraße zwischen dem kleinen Liethorp und Hoogmade befanden, eine Straße, die von dort weiter durch die Rheinlande führte. Der eine derselben trug den schwarzen Mantel der Dominikaner-Geistlichen; er stand in voller Manneskraft und wäre nicht die Dämmerung schon zu tief herabgesunken, wir würden ein feuriges Auge bemerkt haben, das mit seiner stolzen Haltung und seinen lebhaften Gebärden im Einklang stand.

Der andere war in der Uniform eines Fähndrichs in Kabeljauischem Diese Bezeichnung erklärt sich im Verlauf der Erzählung. Anm. d. Uebers. Dienst, doch deckte kein Helm sein edles Haupt und statt des schweren Harnisches trug er ein Wamms von rautenförmig gewebtem Tuchstoff. Er schien jünger zu sein als sein Gefährte und sprach in einem Ton der Ehrerbietung zu diesem, der nicht allein durch die Priesterwürde, sondern vor Allem durch den Edelsinn und die geistige Ueberlegenheit desselben hervorgerufen wurde.

Und wahrlich, Herr Wilhelm van der Houve täuschte sich nicht in ihm, denn befand sich Einer all dem weltlichen Hofe der jungen Landesgräfin Jacoba, dessen Thaten mit seinen Principien übereinstimmten, so war es der Abt Bernhard, ihr Beichtvater.

»Es ist lange her,« sagte der Geistliche, nach einer Pause in der Unterredung auch den Gedanken eine andere Richtung gebend, »es ist lange her, seit ich so offen mit Euch sprechen durfte.«

»Auch mir wurde die Zeit lang danach, Ehrwürden,« erwiderte Herr Wilhelm; »Ihr wißt, wie nöthig mir oft Euer Wort und Freundesrath ist. Wir leben in schweren Zeiten.«

»Freilich, schwer und dunkel sind sie. Doch, Lieber, es erscheint mir zuweilen seltsam, daß Ihr, zur Gegenpartei der Gräfin gehörend, gerade mich zu Eurem Freund erwählt habt.«

»Das ist so seltsam nicht. Ihr wißt ja, ich diene meiner Partei wie und weil mein Vater und Großvater es thaten; – wer aber im Recht ist, darüber streite ich lieber nicht; der Soldat hat nur zu gehorchen.«

Der Geistliche antwortete nicht sogleich, als er aber das Wort wieder nahm, klang seine Stimme sehr ernst. »Gehorchen,« versetzte er, »gehorchen müssen auch wir Diener der Kirche; ich weiß aber wie schwer das sein kann, wenn eigne Ueberzeugung den Forderungen, die man an uns stellt, widerspricht – – doch nein, ich will nicht fortfahren, will nicht Gedanken hervorrufen, die unterdrückt werden müssen – so will es ein hoher Befehl.«

Der Fähndrich sah zu ihm auf und sagte leise: »Wir stehen Beide unter hohem Befehl, jedoch in ganz verschiedener Weise; wir dürfen nicht darüber urtheilen – sprechen wir deshalb von etwas Anderem. Erzählt nur ein wenig von der Lebensweise Eurer schönen Gebieterin.«

»Die ist einfach genug, so lange Teilingen der Aufenthalt unserer Gräfin bleibt; doch, fürchte ich, diese Stille währt nicht mehr lange. Die Trauerzeit ist bald abgelaufen und damit die Zeit zu Spiel und Gesang wieder gekommen; der Hof kehrt alsdann zu dem alten Sitz zurück –«

»Worauf Ihr Euch wohl nicht freut,« unterbrach der Fähndrich den Abt.

»Wie könnte ich das! Das Landleben ist so herrlich, die Frühlingsluft so erfrischend, die Vögel singen so lieblich und der Wald hüllt sich in neuen Blätterschmuck, durch den sanfte Winde rauschen, nur von dem murmelnden Bächlein übertönt.«

»Da haben wir wieder die Dichterseele, die auf Adlersschwingen emporsteigt, dem Morgen entgegen!« scherzte der Fähndrich; – »doch hört! die Abendglocke läutet und ruft mich heim, wo meine Catharine mich erwartet.«

Der Geistliche entblößte sein Haupt, flüsterte sein »Ave Maria« und reichte dann dem jungen Manne die Hand. »Erwartet man Euch, so darf ich Euch nicht aufhalten; – lebt wohl, auf Wiedersehn!« und raschen Schrittes schlug er einen Seitenweg ein, der zum Schloß führte.

Wir eilen ihm voraus und wenden uns dem kleinen, seitwärts vom Schloß gelegenen Teich zu, wo im Schatten einer hohen Eiche eine Dame sitzt; gegen die Etiquette ist Gräfin Jacoba ohne Begleitung; die kühle Abendluft hat sie hinausgelockt, drinnen war es so lebhaft, so unruhig und das junge Herz hat nicht selten das Bedürfniß der Einsamkeit. Dort darf sie denken, dort Frau sein mit weiblichem Empfinden, dort umringt sie nicht der Kreis ihrer Damen, noch ein Gefolge ihrer Edlen, welche die Schwäche in einer Fürstin nicht dulden dürfen. Die Bilder der Vergangenheit treten ihr dort aufs Neue vor die Seele und, sich in sie versenkend, fühlt sie sich gestärkt, um wieder zu einem Leben zurückzukehren, das sie ruft und ihre besten Kräfte fordert.

Jacoba sinnt.

Sie sieht sich in die Jahre ihrer Kindheit zurückversetzt, als noch eine jüngere Schwester ihre Freuden und ihre Spiele theilte; doch genoß sie nicht lange dieses Glück. Eines Tages wurde das Haus geschlossen, man sagte ihr das Schwesterchen sei weggegangen, wohin, das begriff sie nicht und fragte sie ihre Mutter danach, so erhielt sie eine Antwort, die ihrem kindlichen Verlangen nicht genügte. Das war ihr erstes Leid, ein Kindesleid, doch tief empfunden und nie vergessen.

Damals fühlte Jacoba sich einsam, doch so einsam nicht als später, da auf Befehl ihrer Mutter, die für ein jugendliches Gemüth so wenig Verständniß besaß, sich die Pforten eines Klosters ihr erschlossen, wo sie freilich mit einer, ihrem Rang und Herkommen angemessenen Auszeichnung behandelt und bedient wurde, aber doch die Freiheit verlor, die Freiheit, an die ihr unabhängiger Geist sich gewöhnt und die er nicht mehr entbehren konnte. Erst nach Verlauf von zwei Jahren verließ sie das Kloster, um sich zu vermählen; – man ließ dem vierzehnjährigen Kinde keine Wahl, doch durfte sie als Gemahlin des Dauphin von Frankreich sich glücklich achten.

Als solche besuchte sie mit ihrem Gemahl Holland und Hennegau und folgte ihm später nach dem Hofe seines Vaters, wo man sie aufs Glänzendste empfing. Das waren glückliche Tage für die Dauphine Dauphine. Die Geschichte sagt, daß die Gräfin Jacoba von Baiern mit vierzehn Jahren dem Herzog von Touraine, zweitem Sohn von Karl VI., Königs von Frankreich, vermählt, durch den Tod des ältesten Bruders desselben, Aussicht auf die französische Krone hatte, welche jedoch vernichtet wurde, als ihr Gemahl nach kurzer glücklicher Ehe von zwei Jahren, nach dem Bericht einiger Geschichtschreiber, an Vergiftung starb. gewesen! Im vollen Besitz ihrer Jugend und Schönheit brachte sie die Zeit sorglos hin, während ihr Gemahl jedem ihrer Wünsche zuvorkam. Aber der Tod hielt seinen Einzug in's Schloß, der Herzog von Touraine fiel von Mörderhänden und tiefer Schmerz beugte fortan das Haupt der jungen Wittwe.

Auch um den Tod ihres Vaters war die liebliche Gestalt der Gräfin in Trauerkleider gehüllt; schon zwei Monate nach dem Tode ihres Gemahls wurde Graf Wilhelm VI. zu Grabe getragen, nach dessen Ableben sie rechtmäßige Regentin von Zeeland, Holland und Hennegau wurde – eine dreifache Krone auf einem so jugendlichen Haupt! Ist es ein Wunder, daß dieses Haupt sich oft beugt und in der Einsamkeit Kraft zu gewinnen sucht zum Tragen einer so schweren Last?

Jacoba sinnt.

Sie sieht die Zeit herannahen, daß sie von ihrem lieben Teilingen Schloß Teilingen war ein altes Jagdschloß in den Rheinlanden und später, nach Abdankung der Gräfin, ihr beständiger Aufenthalt. ( Kok. Beschrijving van het huis te Teilingen.), wo sie die erste Trauerzeit zugebracht, scheiden muß und weiß, daß mit dem Ablegen der Trauer neue Sorgen ihrer warten; sie erkennt, daß diese Sorgen mehr Kraft und Muth erfordern, als einer Frau eigen zu sein pflegen, daß sie wohl den Frohsinn und die Lebenslust zu rauben vermögen, ohne die sie nicht sein kann.

Da klingt die Betglocke freundlich durch die Abendluft. Jacoba hört sie und erhebt sich langsam. Sie hat um diese Stunde ihren Beichtvater zu sich beschieden und vielleicht wartet er schon auf sie. Den Weg zum Schloß zurückgehend, bemerkt sie in der Nähe desselben eine ungewohnte Lebendigkeit; die Bedienten führen Pferde am Zügel; es scheint Besuch gekommen zu sein und schon tritt ein Höfling ihr ehrerbietig mit der Meldung entgegen:

»Ew. Gnaden, Se. Eminenz der Bischof von Luik ist gekommen und bittet um eine Unterredung.«

»Laßt den großen Saal erleuchten,« befahl die Gräfin, »in wenig Augenblicken werde ich bereit sein zu empfangen.« Damit eilte sie weiter um sich für die Toilette den Händen ihrer Kammerzofen zu überlassen und fand, indem sie das Vorgemach durchschritt, den Abt dort ihrer wartend. In sichtlicher Hast nahte sie ihm und sagte: »Wie leid ist's mir, mein Vater, heut' Abend nicht mit Euch plaudern zu können! Ihr habt wohl gehört wer angekommen ist?«

»Freilich, und kam nur Ew. Gnaden zu warnen. Wohl weiß ich, an Klugheit fehlt's Euch nicht – aber der Bischof ist ein unhöflicher Mann und Euch nicht gewogen.«

»Ich weiß es,« erwiderte die Gräfin ernst, »doch vertraut mir, Euer Beichtkind ist nur schwach, wenn kein anderes als Euer treues Auge es sieht; – für ihn bin ich die Gräfin! Die Einsamkeit blieb nicht fruchtlos für mich.«

»So bedürft Ihr meiner heute Abend nicht mehr, meine Tochter,« – und mit freundlichem Gruß verließ der Abt das Zimmer.

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