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Die Finsterniss nimmt zu.

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. Kurze Zeit war seit der Einäscherung Engelthals vergangen; man begann den Schutt wegzuräumen und an einen Wiederaufbau des Klosters zu denken, doch gingen die Geldmittel dazu bis jetzt nur spärlich ein. Die Bewohner der ringsum liegenden Dörfer waren bereit, sich selbst das Nöthigste für jenen Zweck abzusparen, doch konnte, was sie aufzutreiben vermochten, weitaus nicht reichen, und die armen obdachlosen Mönche irrten, Gaben sammelnd, umher. Wer die Brandstifter und Plünderer gewesen, hatte man bis jetzt nicht herausgebracht; vermuthlich waren sie schon über die Grenzen des Landes hinaus, wo der Arm der Gerechtigkeit sie nicht mehr erreichen konnte.

Im Wendenbergschen Hause herrschte tiefe Trauer, denn überall vermißte man den theuren, so plötzlich heimgegangenen Gatten und Vater; Catharinens Augen wurden nicht trocken und vergebens suchte die Mutter, den eignen Schmerz bezwingend, sie zu trösten und aufzurichten. Der Priester von Liethorp kam häufig zu ihnen und seine ermuthigenden Worte thaten Frau Griete stets wohl, fast mehr noch die Freundschaft, die er ihrer Tochter erwies; auch Catharinen war sein Kommen lieb, weil sie indessen fortgehen konnte, um in der freien Natur allein zu sein mit ihren trüben Gedanken. Daß sie dabei häufig den Kirchhof aufsuchte und am Grabe ihres Vaters weilte, ist begreiflich; kam sie dann wieder nach Hause, so war der Priester gewöhnlich schon weggegangen, einen Gruß für sie zurücklassend. Von ihrem Eintritt in den Dienst der Gräfin war längst nicht mehr die Rede gewesen – indessen trat, unter den obwaltenden Umständen, der Jungfrau selbst als Nothwendigkeit entgegen, was ihr bisher so fern gelegen. Mit dem Tode des Vaters hatte nämlich auch seine Besoldung aufgehört, und keine Aussicht auf eine kleine Pension war für die Mutter vorhanden; als bei Prüfung der Rechnungsbücher sich dazu ergab, der Vater habe dem Kloster eine bedeutende Summe geliehen und nicht zurückerhalten, sah Catharina ein, es sei ihre Pflicht der Mutter beizustehen und wie vermöchte sie das besser als im Dienst der Gräfin, der einträglicher sein würde als die mühvolle, meist so schlecht bezahlte Nadelarbeit? Auf ihren einsamen Spaziergängen überlegte sie täglich das Für und Wider jener Sache, zu der sie sich kaum kräftig genug fühlte; – die letzten schweren Monate hatten ihre Gesundheit heftig erschüttert. Aber was sollte aus der Mutter werden, wenn sie, der körperlichen Schwäche nachgebend, die Hände in den Schooß legte? Zwar hatte sie Wilhelm versprochen nicht zur Gräfin zu gehen – würde er nicht aber jetzt der Erste sein, den Schritt, zur Hülfe und Unterstützung der Mutter gethan, zu billigen? Und was den Priester betraf, so war er so oft auf jenen Vorschlag zurückgekommen, daß sie sich überzeugt hielt ihren Wunsch durch seine Verwendung zu erreichen; endlich wirkte auch der Gedanke noch mit, sie könne, zur Umgebung der Gräfin gehörend, vielleicht die Befreiung ihres Verlobten ermöglichen und damit würde alle Noth ihr Ende erreicht haben. Sie beschloß also sobald möglich mit der Mutter zu Rath zu gehen, nach ihrer Einsicht zu handeln und, falls sie es für richtig halte, die Sache unverzüglich in's Werk zu setzen.

Mit dieser Absicht kehrte sie vom Abendspaziergang zurück; ihre Wangen waren frisch geröthet und Frau Griete freute sich des augenscheinlichen Wohlseins ihres Kindes; hätte sie jedoch geahnt, das belebtere Aussehen sei nur eine Folge innerer Erregung, durch Kampf und Ueberwindung hervorgerufen, sie würde eher betrübt als froh darüber gewesen sein; aber davon schwieg Catharina, weshalb sollte sie der Mutter Schmerz bereiten? Zu ihren Füßen sitzend sprach sie mit kindlicher Vertraulichkeit, legte ihre finanziellen Verhältnisse ihr dar und erwähnte in zartester Weise, wie sie die Sorge für Alles ganz allein auf ihre Schultern nehme.

Frau Griete hörte ihr schweigend zu; sie griff nicht nach ihrem Rosenkranz, versenkte sich nicht in Nachdenken – sie empfand, gerührten Herzens, nur die Liebe ihres Kindes und gab ihre völlige Zustimmung für den Schritt.

Nach einigen Tagen schon sehen wir Catharina auf dem Wege nach dem Pfarrhause zu Liethorp, um mit dem Priester zu berathen, wie ihr Gesuch bei der Gräfin am besten einzukleiden sei. Sie fand ihn bei ihrem Eintritt im Gespräch mit dem Prior von Engelthal, der jedoch sofort aufstand und sich entfernte. Die ernst-geheimnißvolle Miene, der seltsame Blick, mit dem der Prior sie beim Aussprechen des Segensgrußes angesehen, hatten der Jungfrau eine gewisse Angst eingejagt und sie mußte sich nach seinem Fortgehen erst sammeln, bevor sie auf die freundliche Frage des Priesters, was sie zu ihm führe, antworten und ihre Bitte ihm einfach und natürlich vortragen konnte.

O, daß sie es nimmer gethan hätte!

Die Augenbrauen des Mannes zogen sich, während sie sprach, fast krampfartig zusammen, seine Augen glühten, und mit hastigen Schritten ging er in dem kleinen Zimmer auf und ab. Als sie schwieg, blieb er plötzlich vor ihr stehen. »Catharina,« sagte er sanft und freundlich, »Ihr wißt nicht was Ihr begehrt; das Hofleben taugt nicht für Euch, Ihr seid dazu nicht kräftig genug; bleibt bei Eurer Mutter und sucht in anderer Weise für Euren Unterhalt zu sorgen.«

»Und das sagt Ihr, mein Vater, der Ihr vor wenig Wochen noch mich fast gezwungen habt jenen Dienst nachzusuchen? Fürwahr, es müssen besondere Gründe sein, die Eure Ansichten so plötzlich änderten!«

»Es mag Euch befremdlich erscheinen, meine Tochter, doch ist es so: was ich früher dringend für Euch wünschte, das widerrathe ich jetzt ernstlich, denn –« (und sichtlich kämpfte er mit einem Gefühl, das stärker war als er) – »denn Eure Mutter bedarf Eurer Pflege mehr denn je. Bleibt bei ihr.«

»Ich kann es nicht, mein Vater! wir müssen ja leben – leben und leiden,« fügte sie hinzu, »und Letzteres möchte ich von der Mutter so viel wie möglich fern halten.«

Der Priester durchmaß wieder das Zimmer mit großen Schritten, anscheinend in ernste Gedanken versunken und die Jungfrau fuhr fort: »Wollt Ihr in meinem Namen an den ehrwürdigen Abt Bernhard schreiben? Mir scheint, er könnte am besten meine Bitte der Gräfin vortragen.«

»Ich schreiben?« stieß der Priester plötzlich hervor, »Catharina, wißt Ihr was Ihr von mir verlangt? ich schreiben – damit Euer Unglück bewirken und – das meine! Ja, seht mich nicht so befremdet an, nun Ihr es wißt, Catharina; mein Unglück hab' ich gesagt und wiederhole es, – denn geht Ihr – so gehe ich zu Grunde! zu Grunde!« setzte er leidenschaftlich hinzu und zog die Hand des geängstigten Mädchens vom Thürgriff ab, den es schon erfaßt hatte um fort zu eilen. »Bleibt, bleibt!« rief er aus, »und hört mich an, denn jetzt ist es heraus und Ihr sollt wissen, wie ich gelitten, wie ich leide um Euch!«

Catharina suchte wieder fortzukommen, aber er vertrat ihr den Weg. »Gelitten um Euch,« wiederholte er, »ach nein! mehr als das. Jeder Tag, jede Stunde war nur ein Kampf für mich, bei dem ich das Unterliegen voraussah. O habt Mitleid mit mir, Catharina, stoßt mich nicht zurück!«

Voll Verachtung wandte die Jungfrau sich von ihm ab.

»Seid Ihr ein Diener Gottes,« fragte sie, »ein Mann, der durch Selbstzucht, Reinheit und Streben nach der Vollkommenheit uns armen irrenden Schafen ein Vorbild sein soll?«

»Nein,« versetzte er, »jetzt bin ich nur ein Mensch, schwach wie jeder andere, mit menschlichen Empfindungen und einem Herzen, das sich nach Liebe sehnt.«

Catharina wandte sich wieder der Thür zu. »Bleibt, bleibt,« fuhr der Priester hastig fort, nicht mehr im Stande sich zu beherrschen, »Ihr sollt es wissen, wie ich gekämpft habe Tag und Nacht, wie öde mein Leben ist, fern von Euch! Jetzt wißt Ihr Alles, mein ganzes Herz liegt offen vor Euch und Ihr – Catharina, verachtet Ihr mich?« und flehend streckte er die Hände aus nach der erschreckten Jungfrau.

Aengstlich wich sie zurück. »Rührt mich nicht an!« sprach sie in gebietendem Ton, »denkt daran, daß ich die verlobte Braut Herrn Wilhelms van der Houve bin. Ihr vergeßt Euch, mein Herr, doch wahrlich, ich vergesse mich nicht, noch den, dem mein ganzes Herz gehört. Wehrt mir den Ausgang nicht, oder ich werde es ewig bereuen, jemals Achtung vor Euch gehabt zu haben!«

»So verachtet Ihr mich!« rief der Priester zornig aus, »Eure kalte Tugend stößt mich in die Nacht des Elends hinab! Ihr verachtet mein Herz – Catharina, wißt Ihr, was das sagt?«

»Ich weiß nur, daß Ihr pflichtvergessen seid, mein Herr, und einst, erwacht ein edleres, besseres Gefühl in Euch, jedes jetzt gesprochene Wort bitter bereuen werdet.«

»Nein, bei St. Michael! ich lasse Euch nicht fort,« entgegnete er hastig, die Jungfrau abermals zurückhaltend, »ehe Ihr mir vergeben habt und mir Hoffnung macht, daß ich Euch wiedersehen werde!«

»Was ich vermag, mein Herr, das werde ich thun, Euch nimmer wieder zu begegnen, werde zu vergessen suchen, was ich hier erlebt und es begraben in dem Herzen dessen, der bald mein Gatte sein wird.«

»Das ist zu viel!« stieß der Priester hervor und wollte Catharinen wieder nahen, wich aber zurück vor ihrem durchdringenden Blick und stand wie erstarrt, als sie mit heiligem Ernst sprach:

»Wißt Ihr, mein Herr, was Ihr jetzt seid? Ein Feigling seid Ihr, der dem Kampf ausweicht, ein Heuchler, der das Evangelium verkündigt, ohne selbst seine Kraft zu kennen, ein Schwächling, der sich nicht scheut, zu thun, was er an Andern richtet, ein Meineidiger, der –« sie konnte nicht fortfahren, denn plötzlich umfaßte der Priester sie mit starken Armen; eine erschreckliche Wuth war über ihn gekommen, während ihm die volle Wahrheit in's Gesicht geschleudert wurde und er sich nur durch Rache zu vertheidigen wußte.

»Darf ich Euch denn nicht nahen,« rief er laut aus, »so soll wenigstens er es auch nicht wieder!« und mit aller Kraft schleuderte er die halb Ohnmächtige von sich, daß ihr Kopf hart gegen die Wand prallte; dann stürzte er aus dem Zimmer, dessen Wände noch nimmer solche Schreckensscenen gesehen.

Stundenlang irrte er umher, das Herz von Bitterkeit, Rachsucht, Liebe und Haß erfüllt. Erst gegen Abend kehrte er zurück und fand das Zimmer leer. Catharina mußte also wieder zum Bewußtsein gekommen und im Stande gewesen sein nach Hause zu gehen. Würde sie schweigen, würde sie sich rächen an ihm? Das waren Fragen, die ihn unaufhörlich ängstigten und durch nichts vermochte er seine Gedanken von ihnen abzulenken.

Wirklich war Catharina bald wieder zu sich gekommen und eine schwache Erinnerung an etwas Entsetzliches, das sie in diesen Zustand gebracht, tauchte in ihr auf. Allmählich wurde das Schreckbild klarer und stand in der Gestalt des furchtbaren Mannes vor ihr, mit dem sie gekämpft hatte. Hastig richtete sie sich auf; ihr Kopf war schwer und sie fühlte sich todesmüde und matt. Aber fort mußte sie, fort von dieser Schreckensstätte, an der sie bald den Tod gefunden – und alle Kraft zusammennehmend, versuchte sie zu gehen. Die frische Luft that ihr wohl, die Kälte empfand sie nicht und jeder Schritt brachte sie ihrem Hause näher – aber immer langsamer ging sie, immer langsamer – armes Kind! sie war so elend, so krank!

Frau Griete erschrak nicht wenig bei ihrem Anblick; sie suchte sie zu erwärmen, wandte Alles an um ihr Ruhe zu verschaffen – doch vergebens; auch nicht die leiseste Röthe färbte wieder Catharinens bleiche Wangen.

»Sorge dich nicht, liebe Mutter,« bat sie, »der Priester« – und gewaltsam zwang sie sich, ihn zu nennen – »widerrieth mein Vorhaben und das hat mich verstimmt; doch wird er wohl darüber an Abt Bernhard schreiben.«

»Ist das die alleinige Ursache deines Unwohlseins, mein Kind?« fragte Frau Griete, nur halb befriedigt.

»Mißversteht mich nicht, liebe Mutter, wenn ich über Weiteres schweige bis ich kräftiger bin; ich will's Euch nicht verhehlen, mir ist heut' etwas begegnet, das ich nicht zum zweiten Mal erleben möchte; aber jetzt ist's vorüber, und Ihr braucht nicht um mich zu sorgen.«

Frau Griete fragte nicht weiter, so schwer es ihr wurde; sie schwieg, und als sie später bemerkte, wie ängstlich ihr Kind es vermied über den Priester von Liethorp zu sprechen, sah sie ein, es walte hier ein Geheimniß, das sie zwar gern enthüllt hätte, doch hielt sie, um Catharinens willen, jegliche Frage zurück.

So vergingen die Tage in Liebe und Leid, in Fürchten und Hoffen. Der Priester ließ sich nicht sehen bei Wendenbergs, mit übergroßem Beschäftigtsein in seiner Gemeinde sich entschuldigend. Ob sein Herz zur Ruhe gekommen, danach fragen wir jetzt nicht; Thatsachen aber wie die hier berichtete, waren in jenen dunklen Zeiten vor der Reformation nicht selten, und wie das Sittenverderbniß in die Klöster und Abteien gedrungen, so wirkte es auch auf Priester und Geistliche außerhalb derselben zurück, wo nicht wahrhaft edles, höheres Streben eine Schutzwehr dagegen bot. So wurde die Kirche und ihr Ansehn immer mehr untergraben, ihr Einfluß zum Guten immer geringer und stets lauter und dringender das Bedürfniß nach ihrer gründlichen Erneuerung.

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