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Fürstin und Frau.

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. In dem Privatgemach der Gräfin war die niedrige Sitzbank nahe an den Kamin geschoben, und ein gedämpftes Licht, wie es den Burgzimmern damals eigen, fiel auf die junge Frau, die auf jener ruhte. Die kleinen rautenförmigen, in Blei gefaßten Fensterscheiben hinderten nicht nur das Eindringen der vollen Sonnenstrahlen, sie warfen auch hin und wieder Schatten, denen das lodernde Kaminfeuer gelbliche Färbung gab. Behagliche Wärme war im Zimmer verbreitet, und man vergaß, daß es draußen kalt war, bitter kalt.

Halb hinter den Fenstervorhängen verborgen, fern genug, um von einer geheimen Unterredung nichts zu vernehmen, doch nah genug, um über Ehre und guten Namen der Gräfin zu wachen, auf den die im Argen liegende Welt nur allzu gern einen Makel zu werfen bemüht war, stand der edle Abt Bernhard, das Haupt an den hohen Fensterbogen gelehnt.

In der Haltung eines Büßenden, dem jedoch Stolz und Mannesadel aus den Augen leuchteten, sprach Herr Wilhelm von Arkel mit der Gräfin. Noch war ihm der Stempel überstandener Leiden aufgedrückt, und das bleiche, von Schwäche und Mattigkeit zeugende Antlitz mußte wohl das tiefste Mitgefühl der hohen Frau wecken, die jetzt mit einer Stimme, der sie kaum die nöthige Festigkeit zu geben vermochte, zu ihm sagte:

»Aber, Herr Arkel, Ihr seid noch krank! Setzt Euch, man sieht's Euch an, wie kraftlos Ihr Euch fühlt.«

»Ich kann nicht genesen, meine Gebieterin, so lange nicht die schwere Last von mir genommen ist, die mich wochenlang gedrückt hat,« erwiderte der junge Mann; »meine äußerliche Wunde ist zwar geheilt, ich bedarf nur noch der Stärkung, – aber innerlich leide ich große Schmerzen.«

»Aber, nicht wahr, durch eigne Schuld?« fragte Jacoba, »die eine Folge ist Eures Wankelmuthes,« setzte sie hinzu.

»Nennt es wie Ihr wollt, Gräfin, aber laßt mich sprechen, laßt mich Euch sagen, wie ich gelitten.«

Der Abt hatte längst den Blick von jenen Beiden abgewandt; er las in seinem Gebetbuch, nach Kraft ringend für diese schwere Stunde, vielleicht die schwerste seines Lebens.

»Laßt mich Euch sagen,« fuhr Herr von Arkel fort, »von dem Schmerz, der mich gefoltert seit dem Tage, an dem Ihr mir meine Freiheit zurückgabt; – ich kam nach Gorkum, wurde mit Jubel von den Meinen empfangen, die mich noch ihrer Sache zugethan glaubten; als ich meinem Vater mich vertraute, wandte er mir den Rücken, nannte mich verrätherisch und feige und beschwor mich, um seinetwillen nicht meiner Partei untreu zu werden. O mein Gott, was habe ich in jener Zeit gelitten, wie schmachtete ich nach nur einem ermuthigenden Wort! Mein Vater verachtete mich, meine Freunde, Egmont nicht ausgeschlossen, zogen sich von mir zurück; ich vermochte nichts über sie, vermochte nichts für Euch, und Gott allein weiß es, mit welch entsetzlichen Gedanken ich mich damals trug, mit Gedanken des Selbstmords, von denen mich nur die Gewißheit zurückhielt, solche That werde mich in Euren Augen erniedrigen. Unerwartet ließ mich damals Johann von Baiern zu sich entbieten und in welcher Gemüthsverfassung ging ich zu ihm! Ich wußte Se. Eminenz durch meinen Vater von Allem unterrichtet und waffnete mich durch äußere Ruhe gegen seine Ueberredungskraft; lange sprach ich mit dem Bischof, ohne daß es ihm gelang mich zu überzeugen, als plötzlich Herr von Druten gemeldet wurde, der aus der Residenz kam und über Eure Maßnahmen unterrichtet schien.«

»Der Verräther!« zürnte die Gräfin; »er war es, der schon vor dem Verlust Vlaardingens mir von Eurem freundschaftlichen Verhältniß zum Bischof berichten ließ und mir später selbst mittheilte, er habe Euch bei Sr. Eminenz getroffen.«

»So ist es,« entgegnete Arkel, »ob aber unser Begegnen dort Zufall oder Absicht war, kann ich nicht sagen; gewiß ist, daß der Kirchenfürst nicht das Geringste zu Eurem Nachtheil sprach, ja, er verwies es Druten ernstlich, als dieser sich eine ungeziemende Bemerkung über Euch erlaubte. Und vielleicht war das der Grund, weshalb ich den Worten des Bischofs, die mir aus voller Ueberzeugung gesprochen schienen, so großes Gewicht beilegte. Hört zunächst was Druten mir sagte, den ich damals noch nicht als Verräther kannte, obwohl ich einigen Argwohn gegen ihn hegte: er versicherte, meiner Befreiung durch Euch hätten die unedelsten Motive zum Grunde gelegen und behauptete gar, diese Motive zu kennen. Die Gräfin, so sagte er, wolle durch Bevorzugung vor den andern Edlen, mich deren Haß und Rache preisgeben und würde die Letzte sein, meine Ermordung zu hindern. Nur die Gegenwart des Bischofs hielt mich ab, handgemein mit Druten zu werden, dem ich vorwarf, daß er ein Lügner sei.«

»Ihr glaubtet ihm also nicht?« fragte Jacoba leise.

»Nimmermehr!« versicherte Arkel, »nimmermehr glaube ich solches von meiner edlen Gräfin.«

»Gott sei Dank!« flüsterte die junge Frau.

»Als Druten sich entfernt,« fuhr Jener fort, »nahm der Bischof unser Gespräch wieder auf. Gräfin, man muß die Ueberredungsgabe des Bischofs kennen, um zu wissen, wie schwer man ihr widersteht; er wußte mich von meiner eignen Schwachheit zu überzeugen, sprach von Euch, so wie ich selbst Euch kennen lernte, als von der edlen Fürstin, die jede Schwachheit des Mannes verabscheue – ach, er gewann es über mich! Jetzt aber begann erst der schwerste Kampf! – ich hatte geschwankt zwischen Liebe und Pflicht, die Pflicht hatte gesiegt, und fest entschlossen ihr zu folgen, trug ich eine Hölle im Herzen.«

Dem Abt wurde es zu beklommen – er schlüpfte durch eine Glasthür in's Freie.

»Habe ich mich getäuscht, Gräfin, in Euch getäuscht?« begann Herr von Arkel wieder; »ich habe furchtbar gelitten, als ich die Waffen gegen Euch führen mußte, ich habe mich in den heißesten Kampf gestürzt – aber Kugeln und Schwertstreiche trafen mich nicht. Nur ein Gedanke noch beherrschte und tröstete mich, der Gedanke, es sei leichter Euren Zorn als Eure Verachtung zu ertragen, denn verachten, Gräfin, verachten könnt Ihr mich nicht, nun Ihr alle Umstände kennt und wißt wie gewaltig der Streit in mir war. Urtheilt nicht als Fürstin, urtheilt als Frau! Euer Zorn stürzt mich in die Nacht des Elends, Eure Vergebung erhebt mich in einen Himmel. Nur Eines bitte ich von Euch: gebt mir wieder Hoffnung, eine Hoffnung, die freundliches Licht über meinen Schmerz breitet, und ich werde geduldig warten bis Ihr sprecht: ›es ist genug‹;« – sich auf die Kniee werfend sah Arkel flehend zu Jacoba auf, als hoffe er durch einen verzeihenden Blick ermuthigt zu werden. Aber die junge Frau senkte ihr Haupt immer tiefer und sagte leise:

»Und habe ich denn nicht gelitten? Als Ihr fortgingt und nichts von Euch hören ließet, als ich Euch im Schloß Eures Vaters wähnte, und Druten mir sein Zusammentreffen mit Euch bei dem Kirchenfürsten berichtete, als Eure unerklärliche Handlungsweise Euch mir als Verräther erscheinen ließ – habe ich denn da nicht gelitten?«

»Und doch vermochtet Ihr selbst mit in den Kampf zu ziehen,« fragte der junge Edelmann, »konntet freudig Eurer Pflicht und Eurem Beruf folgen?«

»Nein, Arkel, nicht freudig! Beruf und Pflicht zu erfüllen wurde mir schwer, denn sie führten mich in die Nähe des anscheinend Treulosen, dem ich zu begegnen wünschte und fürchtete; das Kriegsgetümmel zerstreute wohl meine Gedanken – mein Leid verminderte es nicht.«

»Aber ich war Euch nicht treulos,« versicherte Arkel leise, während seine bleichen Wangen sich färbten.

»Das seh' ich jetzt wohl ein,« unterbrach ihn Jacoba; »wolltet Ihr Euren Vater nicht verlassen, Eurer Partei nicht untreu werden, so mußtet Ihr gegen mich kämpfen. Es war Schwäche von mir, daß ich Euch in diesen voraussichtlichen Kampf führte, ich hätte Euch Eure Freiheit nicht in Kriegs-, sondern in Friedenszeiten zurückgeben müssen; aber ich wußte, Ihr wart mir ergeben und dachte nicht an Eure sonstigen Verpflichtungen; – die Schuld ist mein.«

»O nein, Gräfin, sprecht nicht so – mir gehört die ganze Schuld! Leidenschaftlich erregt, schwor ich Euch, was ich nicht halten zu können hätte wissen müssen. Vergebt, daß ich meiner Liebe zu viel zutraute – ja, meiner Liebe,« fuhr Arkel immer dringender fort; – »wendet Ihr Euch von mir ab, nun ich das gewichtige Wort gesprochen, das schon an jenem Tage beim Abschied mir auf den Lippen schwebte? Jetzt bin ich nicht mehr ein Gefangener, dem Ihr die Freiheit geschenkt, ich bin Wilhelm von Arkel, der um Euer Herz wirbt. Mein Vater bedarf meines Armes nicht mehr, meine Partei ist gezwungen die Eure zu sein, meinen Freunden habe ich geschworen nach dem Frieden auf Eurer Seite zu stehen. Gräfin, der Uebermuth der Edlen ist groß, aber größer ist meine Ergebenheit für Euch und sie wird unerschütterlich sein, auch wenn Ihr mir jede andere Hoffnung nehmen müßt.«

Der junge Edelmann hielt inne, als wartete er auf eine Erwiderung – als aber Jacoba beharrlich schwieg, das Haupt in die Hand gestützt, erhob er sich rasch und sagte traurig:

»Ich habe also vergebens mich zu rechtfertigen, vergebens Euch zum Herzen zu sprechen gesucht – Ihr verachtet, Ihr verstoßt mich! So lebt denn wohl, Gräfin, und werdet wieder froh und glücklich – wenn ich nicht mehr bin!«

Er wandte sich der Thür zu und Jacoba sah ihm ängstlich nach; noch einmal blickte er zurück – was war's denn, das ihn plötzlich hielt, ihn umkehren, abermals vor ihr knieen hieß? was war's, das ihm plötzlich den Muth gab, ihre kleine Hand zu erfassen und mit Küssen zu bedecken? – Wir wissen es nicht. Im Menschenherzen liegen tausend goldene Fäden, welche Seelen auf's Innigste mit einander verbinden, die leise und geheimnißvoll auch hier ein festes Band gewoben. Jacoba lehnte ihr Haupt an Arkels Brust und ließ es geschehen, daß er ihr tief in die Augen sah.

In diesem Augenblick wurden die Vorhänge der Glasthür zurückgeschlagen, und der Abt trat herein, unbemerkt von jenen Beiden, die nur einander sahen. Bleich war das Antlitz des jungen Geistlichen und ein düsterer Zug lag um seinen Mund, tiefer Ernst auf seiner edlen Stirn.

»Gräfin,« sagte er leise, »vergebt, wenn ich störe, doch habt Ihr befohlen rechtzeitig an das Diner erinnert zu werden und Eure Edlen sind bereits versammelt.«

»Habt Dank, Ehrwürden; doch freut Euch erst unseres Glückes!« und Arkels Arm nehmend, trat sie zu ihm:

»Der Segen unserer heiligen Kirche besiegele Euren Bund!« sprach Abt Bernhard feierlich und breitete die Hände über Beider Haupt.

Jacoba mußte, bevor sie zur Tafel erschien, noch einige Veränderungen in ihrer Toilette vornehmen lassen, und die beiden Herren bittend, ihre Rückkehr hier zu erwarten, verließ sie, mit weniger festen Schritten als ihr sonst eigen, das Gemach.

Arkel ließ sich ermüdet in einen Sessel nieder und der Abt sagte freundlich zu ihm gewandt: »Seht Ihr, wie sich erfüllt hat, was ich Euch einst prophezeihte: daß Ihr mehr werden könntet, als ein Günstling der hohen Frau.«

»Ja, mein Vater, für mich wart Ihr der beste Prophet, ihr seid Ihr der treuste Freund und Beichtvater,« erwiderte der junge Mann.

»Ich werde stets thun, was ich vermag, das Glück der edlen Frau zu fördern,« versicherte der Geistliche; »bisher habe ich über ihre Angelegenheiten gewacht, jetzt aber wird bald der Priester vor dem Gemahl zurücktreten.«

»Aber Ihr werdet doch am Hofe bleiben?« fragte Arkel; »die Gräfin wird auch nach ihrer Vermählung des treuen Führers und Priesters bedürfen.«

»Meine Absicht ist es nicht, fortzugehen, doch handeln vielleicht Andere für mich. Ihr wißt, wir Priester stehen unter hohem Befehl.«

»Vor dem selbstverständlich unsere eigene Interessen zurücktreten,« erwiderte Herr von Arkel; »doch wollen wir hoffen, daß solches fern liegt« – und als jetzt die Gräfin zurückkehrte, stand er auf, um sie nach dem Eßsaal zu führen.

»Ihr begleitet uns doch, lieber Abt?« fragte Jacoba.

»Ew. Gnaden entschuldigen mich – es warten viele Kranke, und die Pflicht geht Allem vor,« war die bittende Antwort des edlen Mannes, der sich von dieser Pflicht selbst überzeugen zu wollen schien. Sich darauf mit freundlichem Gruß von dem fürstlichen Paar verabschiedend, blickte er ihnen noch einen Augenblick nach ehe er sich auf sein einsames Zimmer zurückzog. »Die Pflicht geht Allem vor,« wiederholte er leise; – »nun, ich habe das meinige gethan; Gott und die Heiligen mögen sie schützen!«

Für Jacoba begann jetzt eine Reihe glücklicher Tage; immer mehr lernte sie Arkel als den edlen, liebenswürdigen jungen Mann kennen, der stolz auf Geburt und alten Adel, es nicht minder auf einen freien Geist war, der, wie der ihrige, sich weder durch Drohungen, noch durch Verfolgungen binden ließ. Zu einem solchen Manne lernte Jacoba mit der innigsten Hochschätzung aufsehen, und der Sonnenschein einer freudevollen Zukunft verscheuchte alle Nebel schmerzvoller Erinnerungen. Arkel aber fühlte sich nicht weniger beglückt; denn nicht nach der Grafenkrone, sondern nach der Hand seiner Jacoba verlangte ihn, und die freudige Gewißheit dieß Verlangen bald erfüllt zu sehen, half ihm die Nachwehen seiner Krankheit rasch überwinden.

Unter dem Sonnenschein ihres Glückes nun spürten die Verlobten nichts von dem Haß der holländischen und hennegauischen Edlen, der sich in geschlossenen Kreisen freilich unverholen genug aussprach; ein Festmahl folgte dem andern auf Befehl der Gräfin, theils weil sie fühlte, sich mehr dem allgemeinen, als dem eignen Interesse hingeben zu müssen, theils weil ihr dadurch Gelegenheit gegeben war Arkel öfter zu sehen und zu sprechen. Begreiflich wurde ihr Verkehr mit dem Abt seltener, um so mehr, da dieser die Gelegenheit zu einer Unterredung mit der Gräfin nur dann suchte, wenn die Pflicht es gebot; anfangs wunderte sich die junge Frau über seine Zurückhaltung, gewöhnte sich jedoch bald daran und schrieb sie seinen überhäuften Geschäften zu. Uebrigens blieb Jacoba für ihn ein offenes Buch, in dessen Blättern sein Auge lesen durfte, und ungetheilt schenkte sie ihm ihr volles Vertrauen.

So nahte das Ende des Februar und damit der Tag, an welchem die Gräfin gelobt hatte, ihre weiteren Pläne zum Heil ihrer Unterthanen bekannt zu machen. Seit dem blutigen Gefecht bei Gorkum blieb der Friede unter den Parteien äußerlich zwar aufrecht erhalten; – was waren indessen die fortdauernden politischen Verwickelungen anders, als immer neue Kundgebungen der Feindschaft zwischen Adel und Frauenregierung, an denen auch der Bürgerstand sich beteiligte? Nur zeitweilig durch den Sieg bezwungen, der das Recht dem Stärkeren zuerkennt, warf die Gegenpartei stets neuen Brandstoff in den immer noch unterminirten Boden, weshalb die Gräfin es als Nothwendigkeit erkannte, zur Sicherung des Friedens eine entschiedene Stellung einzunehmen und dadurch den Widersetzlichkeiten Herrn Johann's von Baiern ein Ende zu machen. Die Edlen, welche der Sache Jacoba's zugethan waren, drangen immer mehr auf Erwählung eines Gemahls für sie, damit sie unter den Bedrängnissen einer Regierung, für Frauenhände zu schwer, kräftig gestützt werde und hatten dabei ein Auge auf den Herzog von Brabant geworfen, einen jungen Edelmann, zwar kaum den Kinderschuhen entwachsen, dennoch, nach ihrer Meinung, durchaus befähigt das Scepter über ein dreifaches Reich zu führen. Allein die Gräfin durchschaute den Plan. Durch ihre Verbindung mit dem minorennen Jüngling sollte die Regierung nicht aus ihren Händen in die seinigen, sondern in die Hände der Edlen gelegt werden. Sie hielt ihre Verlobung mit Herrn von Arkel deshalb noch geheim und zögerte trotz allen Drängens, den Gesandten von Brabant zu empfangen. Endlich ließ sich die Sache indessen nicht mehr hinausschieben, und wurde diesem gestattet einer Versammlung aller Edlen beizuwohnen, nach derselben dann in einer Privataudienz der Gräfin den Zweck seiner Sendung kund zu thun; doch hatte Jacoba die Absicht vor Schluß jener Versammlung durch Vorstellung Herrn von Arkels, als ihres erwählten Gemahls, die Pläne des brabanter Hofes und ihrer Edlen zu durchkreuzen und damit zu nichte zu machen.


Der obengenannte Tag war angebrochen. Die Edlen aller drei Staaten der Gräfin, mit ihnen der Abt, hatten sich allmälig im großen Audienzsaal versammelt, und Alle, theils von allgemeinen, theils von privaten Interessen erfüllt, harrten verlangend des Erscheinens ihrer Gebieterin.

»Sagt, Herr Abt, Ihr denkt doch nicht daran den Hof zu verlassen?« so hörte sich dieser plötzlich von Herrn van der Burg angeredet.

»Den Hof verlassen?« war die überraschte Antwort, »ich bitt' Euch, werther Herr, wie kommt Ihr darauf?«

»Nun, mag sein, daß es nur Gerücht ist; man sagt Ihr hättet einen Befehl erhalten Euch nach Rom zu begeben.«

»Ei, wer gibt in jetzigen Zeiten etwas auf ein Gerücht,« versetzte der Geistliche, verhehlte sich selbst bei aller angenommenen Ruhe jedoch nicht, dasselbe könne sich wohl bewahrheiten. »Auf Ehrenwort,« fügte er hinzu, »mir ist bis jetzt keine solche Nachricht zugegangen, und Gott verhüte, daß es geschehe; nach Rom zu gehen würde mir sehr schwer werden.«

»Ihr würdet also gehen, verlangte man es?«

»Wir Priester stehen unter hohem Befehl, dem wir, soweit es unser Gewissen zuläßt, Gehorsam schuldig sind.« –

»Seid auf Eurer Hut, Ehrwürden,« warnte Herr van der Burg, »Ihr habt einen Feind, der Alles aufbietet Euch von hier fortzutreiben.«

»Ich weiß das längst,« entgegnete der Abt, »doch ist mir neu, daß auch Andere es wissen.«

»Monseigneur pflegt nicht gern zu schweigen,« bemerkte Jener, »wo es nicht eben sein ausschließliches Interesse gilt.«

»Darin habt Ihr Recht; doch fürchte ich, in dieser Angelegenheit steht eben sein ausschließliches Interesse im Vordergrund; was indessen Euren Rath betrifft, auf der Hut zu sein, so vermag ich nichts gegen den Bischof; – er kann mich stürzen und ich muß schweigen.«

»Der elende Heuchler!« rief van der Burg aus.

»Sprecht so nicht von ihm, werther Herr,« bat der Geistliche; »er muß, wie wir Alle, von Worten und Thaten einst vor Gott Rechenschaft ablegen, – überlassen wir es denn auch Gott, ihn zu richten.«

»Brav gesprochen, Herr Abt. Doch Eines bitt' ich Euch: seid Ihr genöthigt diesen Hof zu verlassen, so seht mich als Euren Freund und mein Haus als das Eure an. Ich weiß was zwischen Monseigneur und Euch vorgefallen ist; einer meiner Freunde, der mit dem Bischof zu sprechen hatte, mußte gerade während Eurer Unterredung mit Sr. Eminenz im Vorzimmer warten und wurde dadurch unsichtbarer Zeuge derselben; er hat fast wörtlich Alles gehört und ein alter Haß gegen Herrn Johann ließ ihn nicht davon schweigen. Ihr aber habt durch Euer edles Verhalten dabei nicht nur mein Herz, sondern Vieler Herzen gewonnen, die Euch zugethan bleiben; – vergeßt das nicht!«

»Habt Dank, edler Herr; Eure Worte thun mir innig wohl. Ich will's Euch nicht verhehlen, daß seit jenem Tage ein schwerer Druck auf mir liegt, weil beständig ein drohendes Schwert über meinem Haupte schwebt; mein Gewissen spricht mich jedoch frei und Gott der Herr wird's versehen!«

»Wer so glaubt wird nicht zu Schanden werden,« versetzte Herr van der Burg und drückte dem Abt mit Wärme die Hand.

»Ei Herr Geheimsecretair,« rief plötzlich Herr von Heemstede auf diesen zutretend, im Scherz aus, »Ihr seid ja genugsam von den Plänen und Absichten unserer Gräfin unterrichtet, theilt uns doch ein wenig davon mit, daß wir uns dagegen waffnen können!«

»Gegen Frauen uns waffnen?« versetzte lachend einer der andern Edelleute – »es gibt nur eine Waffe gegen sie, die Waffe –«

»Des Verraths,« ergänzte der Geheimsecretair; »nein, mein Herr, Ihr müßt noch etwas Geduld haben, bis –«

»Ist es denn wahr,« unterbrach ein anderer Höfling Herrn van der Burg, »daß Arkel uns als Günstling unserer Gräfin vorgestellt werden soll?«

»Als ihr Verlobter!« riefen einige der andern Herren dazwischen.

»O sagt's uns, ist Arkel der Bräutigam Jacoba's?«

So fragten und sprachen viele Stimmen durcheinander, eine Antwort unmöglich machend, als wieder eine der Seitenthüren, durch welche die Edlen zu kommen pflegten, geöffnet wurde, und ein Hofdiener meldete: »der Herr Gesandte von Brabant!«

Eine stattliche Erscheinung, trat dieser jetzt in den Saal, wie es damals gebräuchlich, in die Farben des Hofes gekleidet, dem er diente, und dadurch von den holländischen Edlen in ihrer einfachen, bescheidenen Tracht gewaltig abstechend. Seine dunkeln Augen, das rabenschwarze Haar, die gelbliche Gesichtsfarbe, verriethen sofort, dieser anziehende Fremde habe, wenngleich in Brabant erzogen, unter südlichem Himmel das Licht der Welt erblickt. Einen Augenblick verstummte das laute und flüsternde Geplauder der Versammelten, während Aller Blicke sich auf den Gesandten richteten; gleich darauf trat jedoch einer der Hofmarschälle auf ihn zu, begrüßte ihn Namens der Fürstin und der anwesenden Edlen und stellte sich selbst ihm vor, womit dann die Bekanntschaft angeknüpft war. Von allen Seiten wurde nun dem Fremden das Wohlwollen, das diesen gastfreien, gräflichen Hof auszeichnete, entgegengebracht und Manche ließen sich in ein Gespräch mit ihm ein, bis endlich die Flügelthüren sich öffneten und die Gräfin, von Herrn von Arkel geführt, von ihren Hofdamen gefolgt, auf der Schwelle derselben erschien.

Von Glück strahlend durchschritt die junge Frau fest und stolz den Saal, nahm ihren Sitz ein, hinter welchen Arkel sich stellte und hieß die Versammlung willkommen. Sie trug ein schwarzes, reich mit Perlen verziertes Sammetkleid, das in breiten Falten herabfiel, vorn jedoch ein blauseidenes, kostbar gesticktes Unterkleid sichtbar lassend; trotz dieser etwas schwerfälligen Toilette erschien Jacoba anmuthiger als je und selbst das, in unserer Zeit unzulässige Häubchen, gab ihr ein so feines, verständiges Ansehen, das mehr Beifall fand, als heut' zu Tage mancher Lockenkopf.

Arkel trug die Farben der Gräfin in weiten Beinkleidern von schwarz und blauem Sammet mit Diamanten besetzt im Wamms und dem halb über die Schulter geschlagenen spanischen Mantel, unter dem kostbare goldene Ketten, ein Geschenk Sr. Heiligkeit Martinus V., zum Vorschein kamen. Auf den Schuhen glänzten Schnallen von den edelsten Juwelen und auf dem Griff seines Degens war der Namenszug seiner Gebieterin gravirt.

Begreiflich war der allgemeine leise Ausruf, als die Fürstin an Arkels Arm erschien: »Welch ein schönes Paar!« und kaum brauchte der Gesandte von Brabant noch zu fragen:

» Comment se nomme ce jeune homme?« Blick und Haltung der Gräfin gaben die unzweideutige Antwort: »Bald mein Gemahl!«

Ehe die Edlen der hohen Frau nahten, ließ sie den Gesandten zu sich entbieten und wies ihn nach wohlwollender Begrüßung mit den Worten an Arkel: » Mon ami désire de faire votre connaissance,« worauf sie zu diesem gewandt hinzufügte: » Monsieur l'ambassadeur de Brabant est étranger, cela vous donne des obligations. Je vous permets une demie-heure.«

Arkel verneigte sich und führte den Gesandten nach einem entfernteren Platz des Audienzsaales, um sich ungehinderter mit ihm unterhalten zu können.

Zunächst trat Herr von Heemstede zu der Gräfin, um die hohen Befehle Ihrer Gnaden in Sachen der Seemacht zu vernehmen und seine schriftlichen Concessionen in Bezug auf die finanziellen Angelegenheiten der Flotte ihr zu übergeben; viele der andern Edelleute folgten mit verschiedenen Anliegen, endlich der Abt, der kurz aber laut sagte:

»Ew. Gnaden wollen mir nicht zürnen, daß ich wiederum auf Eure Gefangenen zurückzukommen wage. Bei Auswechselung derselben wird Herr Wilhelm van der Houve, für den ich mich früher schon verwandt, Eurer Beachtung entgangen sein; jetzt muß ich noch einmal für den Armen bitten, der Eurer Gnade werth ist. Seine Braut ist sehr krank und ich erflehe es von Ew. Gnaden als eine hohe Gunst, die Freilassung dieses jungen Mannes verfügen zu wollen, damit er den Seinen zurückgegeben werde.«

»Wir wollen es überlegen, Ehrwürden,« entgegnete die Gräfin; »Eure Bitte aber dünkt uns etwas mal à propos.«

» Mal à propos?« versetzte der Abt, »wenn die Braut vielleicht sterbend ist, und ein Wort aus Eurem Munde ihr noch eine letzte Wohlthat gewähren kann? O Gräfin, so spricht nicht Euer Herz! Bei Eurem eignen Glück, bei Eurer Seelen Seligkeit beschwör' ich Euch: macht den jungen Mann nicht unglücklich, gebt ihm die Freiheit!« –

»Genug, Herr Abt! wir werden es überlegen.«

Der Geistliche verstand den Wink und zog sich zurück, aber in seiner Seele war ein gewaltiger Unwille erregt; er begriff die Gräfin nicht – was konnte dieser Eigenheit zum Grunde liegen? etwa ein tief eingewurzelter Haß gegen den Gefangenen – oder hatte das eigne Glück sie fühllos gemacht für Anderer Leid? Um jedoch das Mögliche für die ihm so werthe Familie Wendenberg zu thun, wagte Abt Bernhard Herrn Arkel in seinem Gespräch mit dem Gesandten zu unterbrechen.

»Habt Ihr vernommen, Herr von Arkel,« begann er leise, auf diesen zutretend, »welche Bitte ich die Ehre hatte an Ihre Gnaden, die Gräfin zu richten?«

»Allerdings, Ehrwürden, und Ihr habt durch Euren Eifer ein kleines Feuer angezündet; doch wird die Gräfin bei ruhigem Nachdenken schon einsehen, daß dieser Eifer, ist er gleich ein wenig unzeitig, Berücksichtigung verdient.«

»Meint Ihr das wirklich, edler Herr, und wollt Ihr Euren Einfluß geltend machen in der Sache? O, Ihr thätet damit ein gutes Werk, das sicher nicht unbelohnt bliebe.«

»Was ich kann, will ich thun, Ehrwürden; doch habt Ihr den Augenblick für Eure Bitte nicht günstig gewählt – vertrauliche Angelegenheiten dürfen nicht im Beisein Anderer verhandelt werden.«

»Ich glaubte nicht, daß die Angelegenheiten der Gefangenen als solche angesehen würden,« versetzte der Abt.

»Wie man will!« entgegnete Arkel. »Willigt man aber in die Freilassung eines Einzelnen, so handelt man jedenfalls ungerecht gegen die Andern. Was möchte nur Herr von Vernenburg von einer Regentin denken, die, wie es üblich, zuerst Mann gegen Mann ausgewechselt und hernach auf Fürsprache diesem und jenem die Freiheit gibt? was würde er von einer Fürstin halten, die ihm verweigert, was sie einem Fähndrich gewährt? Doch, Ehrwürden, ich will thun, was ich vermag, die Gräfin zu bewegen, daß der junge Mann auf Ehrenwort kurze Zeit entlassen wird, um seine Braut zu besuchen – seid Ihr damit zufrieden?«

»Ich muß schon, weil ich sehe, es wird nicht mehr zu erreichen sein und hoffe, erlauchter Herr, die Gräfin wird Eurer Bitte Gehör geben.«

In diesem Augenblick winkte Jacoba Arkel zu sich, der nach leichter Verbeugung gegen den Gesandten zu ihr eilte und sich an ihre Seite stellte.

Die Fürstin erhob sich und während sie noch größer erschien durch den Muth, der sie beseelte, während ihr leuchtendes Auge von reinen und edlen Empfindungen der Seele zeugte, begann sie mit anfangs leiser und zitternder Stimme, die jedoch bald Klarheit und Festigkeit gewann:

»Laßt mich Euch, meine hier versammelten Edlen und Freunde, jetzt denjenigen vorstellen, der bald mit mir seine Dienste dem Lande und Euren Interessen widmen wird. Herr von Arkel, einst schon von meinem Herrn Vater selig mir zum Gemahl bestimmt – doch möge er selbst sprechen, der nicht zu Euch kommt, um sich über Euch zu stellen, sondern Euch Allen als Freund die Hand reicht, bittend, Ihr wollet durch Eure Ergebenheit und Freundschaft ihm helfen und beistehen in der schwierigen Aufgabe meiner so traurig zerrissenen Staaten.«

Sie schwieg und lautlose Stille herrschte im Audienzsaal, bis Herr von Arkel, hoch aufgerichtet, Entschlossenheit im Blick und sichtlich ergriffen, zu den Versammelten sprach:

»Meine Freunde, denn nur als solche wünsche ich Euch zu betrachten, Eure Gräfin hat mich berufen, über einen gewichtigen Schritt Euch Rechenschaft zu geben. Jahre sind vergangen seit der Herr Vater der Gräfin uns für einander bestimmte; unsere Häuser wurden damals jedoch durch ein trauriges Zerwürfniß getrennt und jenes Uebereinkommen aufgehoben. Was ich, ohne die Gräfin persönlich zu kennen, nicht beklagte, wurde mir, als ich später ihr Gefangener war und mehrfach Gelegenheit hatte, sie zu sehen, zu einem tiefen Schmerz. Sie gab mir, wie Ihr wißt, meine Freiheit zurück und ich brauche Euch nicht zu sagen, was ich gelitten unter Eurem Haß, von dem ich mich verfolgt wußte, während ich durch Pflichten gegen meine Partei und meinen Vater einerseits gebunden war, andererseits durch meine Hingabe an die Gräfin; – vielleicht haben Manche unter Euch gleich schwere Proben zu bestehen gehabt und erfahren, wie unter denselben der männliche Charakter reift und erstarkt.«

Dunkle Röthe färbte seine Stirn, als er den Blick auf Jacoba richtete, die seinen Worten beifällig lauschte. Die fortdauernde Stille im Saal nöthigte ihn jedoch das Wort abermals zu ergreifen.

»Meine Freunde,« begann er aufs Neue, »äußerlich herrscht Friede in den Grenzen – doch von wie langer Dauer wird er sein? Alle Gemüther sind in Aufruhr, und schon verkünden drohende Wolken nahen Sturm. Ist denn da eine Frauenhand stark genug den Zügel der Regierung zu halten, über Unterthanen zu herrschen, die untereinander uneins geworden? Die Gräfin selbst begehrt eine Stütze und Ihr Alle wißt jetzt wer die Ehre, wer das hohe Vorrecht genießen soll, der theuern Fürstin als Gemahl zu huldigen, wer bald, nicht an ihren Platz sich stellen, aber ihr Beistand sein wird. Ist diese Aufgabe, dieser Beruf die Verwirklichung meiner schönsten Träume, so sind mir damit auch große Pflichten auferlegt. Ich werde nichts unterlassen, was mir zu thun obliegt und dazu helfe mir der allmächtige Gott! Ihr aber entzieht mir Eurerseits nicht Eure Achtung und Euer Vertrauen.«

Andächtig hatte die ganze Versammlung der Rede Arkels gelauscht, und wieder unterbrach Keiner die Stille, als er schwieg.

War das ein Zeichen der Unzufriedenheit oder der Bestürzung?

Da trat plötzlich der Abt vor die Gräfin und sagte laut und vernehmlich:

»Die heilige Kirche schütze, ihr Segen kröne, ihr Licht erleuchte, ihre Gemeinschaft heilige den Bund, den Ihr geschlossen!« und als habe dies Wort die Zungen gelös't, ertönte es plötzlich aus Aller Mund:

»Es lebe unsere Gräfin! es lebe Arkel!«

Wie weit wirklich die Herzen der Edlen in den Ruf einstimmten, steht uns nicht zu, zu beurtheilen; gewiß ist jedoch, daß Alle damit das klügste Theil erwählten, sich jetzt öffentlich auf Arkel's Seite zu stellen.

Als die Gräfin sich später nach dem Gesandten von Brabant erkundigte, war er verschwunden; er hatte unter dem jubelnden Zuruf der Edlen, den Audienzsaal in aller Stille verlassen.

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