Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Ein schwerer Kampf.

.

. Herr von Arkel hatte seinen Kammerdiener fortgeschickt und ging mit hastigen Schritten im Zimmer auf und ab. Sein Gesichtsausdruck war ernst, doch nicht finster, in seiner Hand hielt er den Degen, erst so kurz wieder sein Eigenthum. »Ich muß fort von hier,« sagte er zu sich selbst, »weit fort! – Wie hat mich früher danach verlangt, wie dringend wünschte ich zu den Meinen zurückkehren zu können, um mich wieder an ihre Spitze zu stellen. Und jetzt? Nein – Jacoba hat sich nicht getäuscht – keine größere Strafe könnte mich treffen, als diese Freiheit, die mich von ihr entfernt. Wie schön sie war, wie muthig – wie bezaubernd in ihrer Unschuld! – Doch fort, fort mit solchen Gedanken – fort liebliches Bild, das sich mir in's Herz geschlichen!« Er ließ das Haupt auf die Brust sinken. »Von hier gehen,« flüsterte er, »nun ich meinte sie gefunden zu haben – aber ich muß,« fügte er heftig hinzu, als spräche er nicht mehr mit sich selbst, sondern mit einem Andern, »ich muß nach Dordrecht, muß meine Freunde für sie gewinnen –« und etwas ruhiger fragte er nach einer Pause: »wird es mir gelingen?«

Einen Augenblick setzte er sich, wie ermüdet von diesem Kampf mit dem verborgenen Feind seiner Ruhe, in seinem eigenen Herzen geboren; dann ging er wieder umher und sagte: »Arkel ist mächtig und sein Einfluß war einst groß; aber steht nicht mein eigner Vater mir entgegen, der mir seit Jahren vorhält, das Recht sei nicht auf Seiten der Gräfin, und unterstützt nicht Herr Jan von Egmont, einst mein vertrauter Freund, ihn in dieser Ueberzeugung? O ich weiß, Beide sind jetzt aufs Engste verbunden und, auf ihr gutes Recht sich verlassend, bereiten sie sich zum Kampf. Würde ich ihnen entgegentreten, ihnen sagen – von der Großmuth der Gräfin – sie würden lächeln, spottend die Achseln zucken – und wehe, wehe! die Schmach ertrüge ich nicht!« – und rascher, wie von Leidenschaften gejagt, lief er hin und her. »Sie würden zweifeln an ihr, an meiner Gräfin – und wehe ihnen, versuchten sie den leisesten Tadel auf sie zu werfen! – Ich will vor ihnen knieen,« fuhr er heftig erregt fort, »will sie flehentlich bitten, von dem eingeschlagenen Wege umzukehren – sich ihrer fürstlichen Macht wieder zu unterwerfen und es muß gelingen –« und als belebe ihn dieser Gedanke aufs Neue, setzte er voll Begeisterung hinzu: »ja, es muß gelingen, denn meine Kraft ruht – in meiner Liebe! –«

Leises Klopfen an der Thür schreckte ihn aus seinen Träumereien; ein Kammerdiener meldete, daß die Gräfin ihn erwarte. Eilig folgte er demselben durch die vielen Gänge, die nach einem Seitenflügel des gräflichen Burgschlosses führten, in welchem die Gemächer der Fürstin sich befanden. Er trat in ihr Privatzimmer, die Thür schloß sich hinter ihm und Herr von Arkel stand der jungen Frau, die sich auf einer der Sitzbänke niedergelassen, allein gegenüber.

Manchem wäre solch eine Begegnung nicht leicht gewesen, diese Beiden aber waren sichtlich froh, daß ihnen noch Gelegenheit gegeben war, über Vieles mit einander zu reden. Die Gräfin war bleich, doch lag ein seelenvoller Ausdruck auf ihrem Antlitz und die niedergeschlagenen Augen verbargen ihre innere Bewegung nur theilweise, während die sichtliche Hast, in der der junge Mann ihr nahte und vor ihr kniete, sie genugsam überzeugte, er wisse nicht nur was in ihrer Seele vorging, sondern kämpfe auch und leide unter der drückenden Gewalt des Parteihasses. Mit der ihr eignen Geisteskraft aber verstand es die Gräfin das augenblickliche Schmerzgefühl zurückzudrängen und mit schwacher Stimme, die jedoch bald Festigkeit gewann, sagte sie:

»Ihr kommt um mir Lebewohl zu sagen, edler Herr, und ich möchte Euch nicht reisen lassen, ohne noch ein Abschiedswort zu Euch zu sprechen; – – zugleich aber muß ich Euch warnen. Die Edlen, meine Edlen, sind aufgebracht gegen Euch, und augenblicklich vielleicht auch gegen mich. Hütet Euch vor ihnen, ihr Zorn wird gewaltig sein, bis Ihr durch Thaten Euch ihres Vertrauens werth gezeigt.«

Der Edelmann schlug voll Ehrerbietung die Augen zu der Fürstin auf. »Ein neuer Beweis Eurer Gunst,« erwiderte er ernst, »wie werde ich je im Stande sein für so viel Gnade genugsam zu danken?«

»Dadurch,« fiel ihm Jacoba rasch in's Wort, »daß Ihr das große Vertrauen, welches ich in Euch setze, nicht zu Schanden macht.«

»Euer Vertrauen zu Schanden machen?« rief Herr von Arkel leidenschaftlich aus, »o Gräfin! eher schlüge ich mir beide Hände ab, eher fluchte ich mir selber, ehe ich mich wieder unter Eure Feinde schaarte!«

»Nicht zu kühn, junger Mann!« versetzte die Gräfin besänftigend; »ich weiß, Ihr meint es jetzt ehrlich, doch unsere Feinde sind mächtig, unserer Gegner sind viele, und Mancher trägt äußerlich den Mantel der Freundschaft, um ihn abzuwerfen, sobald sich das Glück von uns abwendet. Offener Kampf wartet unser, und die Wahl kann Euch schwer werden.«

»Nein, Gräfin, das kann sie nicht. Ich will den Meinen muthig entgegentreten, ihnen von Eurer Gnade, von Eurer Großmuth sagen –«

»Ich weiß es, daß Euch der Muth nicht fehlt,« unterbrach ihn die Fürstin; »aber Euch gegenüber steht Euer Herr Vater mit seinem mächtigen Anhang, steht Herr von Egmont, Euer treuster Freund.«

»Aber was ist ihre Macht im Vergleich zu der meinen, Gräfin? Seht, dies Herz blieb unerschrocken, drohte der tödtliche Stahl oder war ich im Kriegsgewühl von feindlichen Speeren umringt – sollte es sich vor einem Kampf fürchten, welcher nicht mit äußeren Waffen geführt, nur dem den Sieg verleiht, der stark ist im Bewußtsein der – doch nein! es darf das Wort noch nicht ausgesprochen werden hier, wo eine milde Hand mir die Freiheit schenkt, damit ich meinen Namen, meine Ehre, vor Allem aber Euer Vertrauen wieder gewinne. Wohlan denn, Gräfin, ich will nach Dordrecht eilen, will mit meinen Freunden sprechen, will thun, was ich nur vermag, um hernach zurückzukehren und zu hoffen« – und voll Leidenschaft ruhte, indem er so sprach, sein Blick auf der schönen jungen Frau.

Jacoba schlug die Augen nieder, wie um ihr Empfinden, ihr innerliches Ringen zu verbergen; doch ließ sie es zu, daß der junge Edelmann ihre beiden Hände ergriff, während er fortfuhr:

»Gräfin, so gewiß wie Eure Gnade mir heute eine sonderliche Gunst erwiesen, so gewiß fühle ich, daß Augenblicke kommen müssen, die tief in mein Leben eingreifen. Laßt mich denn ein ermuthigendes Wort hören und ich werde nimmer schwanken, ruft mich die Pflicht.«

Die Gräfin senkte das Haupt und schwieg.

»Haben Ew. Gnaden keine Antwort für mich?« fragte er zögernd, »habe ich Euch weh gethan? oder darf ich hoffen, daß einst, wenn meine Freiheit mir neue Lorbeeren gebracht, sich die Gräfin derselben freuen wird?«

Ein leises »Ihr dürft hoffen!« glitt langsam über Jacobas Lippen; einem Hauch gleich war die Antwort und doch von so mächtiger Wirkung. Ungestüm pochte des Jünglings Herz, und mit feurigen Küssen bedeckte er die kleine Hand, die sie ihm nicht entzog. Dann noch einmal, wie zum Abschied, den Blick auf die Gräfin richtend, wandte Wilhelm von Arkel sich der Saalthür zu, und mit einem bedeutungsvollen »Lebt wohl! ich zähle die Tage bis zu unserm Wiedersehn!« verließ er das Gemach.

»Zählt er die Tage – ich werde die Stunden zählen,« sagte die Gräfin, als sie sich allein sah und an's Fenster trat, um noch einen Gruß von dem Abreisenden zu erhalten, wenn er am Schloß vorüberreiten würde. –

Mehr als einmal war in diesen Blättern von feindlichen Parteien die Rede, die unter bildlichem Namen aufgeführt wurden. Sei es uns gestattet dem Leser in wenig Worten die Ursache eines Kampfes in's Gedächtniß zu rufen, der jahrelang Volk gegen Volk, Bürger gegen Bürger feindlich erregte.

Schon im Beginn der letzten Hälfte des vierzehnten Jahrhunderts wurde die Erbfolge in der Regierung ein Zankapfel, um den zwei Parteien mit Waffen kämpften. Wilhelm IV., Graf von Holland, Zeeland und Hennegau, starb, ohne Kinder, Brüder oder Neffen zu hinterlassen und diese Thatsache, im Verein mit der Unmöglichkeit, daß Frauen die Regierung eines Mannlehns übernahmen, reichte hin, in den beiden erstgenannten Grafschaften große Uneinigkeiten hervorzurufen, da sich dieselben entschieden gegen die Herrschaft Margarethens, einer Schwester des Verstorbenen, erklärten, die dem Kaiser Ludwig von Baiern vermählt, ihren Gemahl zu bewegen suchte, sie nicht allein mit der Grafschaft Hennegau zu belehnen, welche als weibliches Lehngut, ihre Rechtmäßigkeit anerkannte, sondern auch mit Holland und Zeeland. Aber solches lag keineswegs im Plan des deutschen Kaisers, der, während sein ältester Sohn, durch Heirath mit einer Tochter des polnischen Königs Casimir, Aussicht auf die Krone von Polen hatte, seinem jüngeren Sohn Wilhelm das Recht zuerkannte als Graf die Regierung in den genannten drei Provinzen zu übernehmen. Margaretha, eine herrschsüchtige Frau, wußte indessen diesen Plan zu durchkreuzen und während sie selbst die Regierung antrat, anerkannte sie ihren Sohn als Stellvertreter in beiden Lehen; daß Wilhelm damit durchaus nicht einverstanden war, ist begreiflich und nicht selten verwünschte er die Schwäche seines Vaters, der, unter Schändung allen Lehnrechts, in den Wunsch seiner kühnen Gemahlin gewilligt.

Durch Gunsterweisungen mancher Art suchte nun Margaretha gleich nach ihrem Regierungsantritt sich viele der Edlen verbindlich zu machen, welches ihr völlig gelang, und als nach ihrem Abgang Wilhelm an ihre Stelle trat – (sie beschloß nämlich nach dem Tode ihres Gemahls, aus Furcht, der neue Kaiser werde ihr das Recht der Gräfin streitig machen, zu Gunsten ihres Sohnes abzudanken) – sah er sich nicht nur in seinen Rechten und Freiheiten beschränkt, sondern erfuhr nicht selten gar Widersetzlichkeiten. Viele der Edlen aber, früher durch sie aus ihren Staaten vertrieben, kehrten jetzt dahin zurück, schlossen sich ihrem Sohn an, und es wurde ein Vertrag vereinbart, in welchem Margaretha allen weiteren Rechten entsagte, während Jener als Graf Wilhelm V. in dieselben eintrat.

Von der Zeit an nun bildeten sich zwei Parteien im Lande, die Partei der Mutter, oder der Hoek'schen, und die der Kabeljauischen, der Anhänger Wilhelms. Erstere, mehr die vertheidigende, trug als Sinnbild rothe Hüte, letztere graue Mützen.

Einige nehmen an, die Benennung der Kabeljauischen sei dem Gebrauch zuzuschreiben, daß die Kleidung derjenigen, welche zur Hofhaltung eines Fürsten gehörten, aus den Farben seines Wappens zusammengestellt war. Nun waren die Farben des bairischen Wappens blau und weiß, in schiefen Vierecken, Fischschuppen ähnlich, weshalb Wilhelms Anhänger den Spottnamen »Kabeljauische« erhielten, die zu Margarethens Partei gehörenden aber »Hoeken,« Fischangeln, womit man jenen Fisch fängt, genannt wurden. Andere erklären den Ursprung jener Benennung folgendermaßen:

Bei Gelegenheit eines Gastmahls holländischer Edlen wurde scherzweise die Frage aufgeworfen: ob eigentlich der Kabeljau den Angelhaken, oder der Angelhaken den Kabeljau finge? Herr von Arkel, von Egmont und Andere behaupteten das Eine, Wassenaar und seine Freunde das Andere. Aus Scherz wurde Ernst, und sofort legten die Freunde Margarethens, zu denen auch Egmont gehörte, sich ihren Namen bei. Wie dem auch sei, gewiß ist, daß diese Spaltungen nur zeitweilig unter der trefflichen Regierung Herzog Albrechts, dem man während Wilhelms Erkrankung als Präsidenten, später als Grafen gehuldigt hatte, aufhörten, sich aber mit erneuter Gewalt geltend machten, als nach dessen Tode Wilhelm VI. die Regierung antrat, welcher, soviel möglich, die Hoek'sche Partei begünstigte, Hoek'schen Edlen die städtischen Aemter vertraute und bei seinem Ableben die Zusage von seinen Unterthanen erhielt, seine Tochter Jacoba auch als Gräfin von Holland und Zeeland anerkennen zu wollen. – Doch nun zurück zu unserer Geschichte.

Wir ließen die Gräfin allein, nachdem Arkel sie verlassen hatte; lange währte diese Einsamkeit jedoch nicht, denn ein leises Klopfen an der Thür gab kund, daß Jemand Einlaß begehre und bald saß Jungfrau Aleide an der Seite ihrer fürstlichen Freundin, die sich in großer Aufregung befand. Die Jungfrau fragte nicht nach der Ursache derselben, sie vermuthete sie jedoch; Jacoba aber ehrte das zarte Schweigen und vertraute sich Aleide freiwillig. Nein, getäuscht hatte diese sich nicht, sie sah es sofort an dem etwas ernsten Lächeln, welches die Lippen der Gräfin umgab, während sie ihr Mittheilungen machte und mit mehr als gewöhnlicher Erregung fragte:

»Aleide, werdet Ihr mich nicht ungern bald in's Kriegsgetümmel begleiten?«

»Wie denn, Gräfin? Habt Ihr wirklich die Absicht selbst mit in den Kampf zu ziehen? fragte Jene überrascht.

»Weshalb nicht? Es würde mir unehrenvoll erscheinen zurückzubleiben, wenn die Regimenter fortziehen; zu Hoffesten fehlt es in solchen Zeiten natürlich an Lust, und lang und bang muß die Zeit sein, theilen wir nicht selbst die Gefahr auf dem Schlachtfelde, wo unsere Gegenwart so nöthig ist. Ich ziehe jedenfalls mit und Brederode, der unsere Flotte befehligt, trägt kein Bedenken mich an Bord zu haben, falls mein Gefolge nicht zu groß ist.«

»So begleite ich Euch, Gräfin!«

»Brav gesprochen, Aleide! wer weiß, vielleicht könnt Ihr dort den Verwundeten als Liebesschwester dienen. O wie gerne möchte auch ich das! aber ach! der Fürstin wehrt man solches; kaum streckt sie die Hand aus zu Hülfeleistungen, und schon eilt man, ihr die Mühen abzunehmen.«

»Das hat Herr Arkel, dem Ihr die Freiheit gegeben Euch gewiß nicht gesagt.«

Jacoba erröthete, doch antwortete sie nicht und Aleide fuhr fort: »Wißt, liebe Gräfin, daß ich Euren Muth heute Morgen bewundert habe, und Viele mit mir.«

Die Gräfin lächelte ein wenig, und Jene begann abermals:

»Selbst den stolzen Graf Brederode, obgleich voll Zorn über Euren Beschluß, hörte ich zu Heemstede sagen: ›Bei Gott! solch eine Frau ist würdig unsere Fürstin zu sein!‹«

»Hat er das gesagt?« rief die Gräfin freudig überrascht aus; »glaubte ich doch, er werde fortan auch zu meinen Feinden gehören.«

»Eine edle That kann nur unedle Naturen zu Feinden machen,« versetzte Aleide; »Graf Brederode aber wird Euch nimmer gram sein darum; zürnt er Herrn Arkel auch, Eure Handlungsweise ist in seinen Augen edel und groß.«

»Und die andern Edlen?«

»Sie urtheilen verschieden; – doch macht Euch keine Sorgen, meine Jacoba; zeigt Arkel sich Eures Vertrauens werth, so wird Keiner ihm seine Hochachtung vorenthalten.«

»Möchtet Ihr Recht haben!« sagte die Gräfin mit leisem Seufzen. »Doch nun, Aleide, geht und sendet den Abt zu mir.«

Aleide fand den Abt in der Bibliothek, ein Zimmer, so genannt, weil der Priester sich gewöhnlich darin aufhielt und es seinem Geschmack und seinen Bedürfnissen entsprechend eingerichtet war. Dort konnte er ungehindert arbeiten und beten, und die kostbaren, meist mit eigner Hand geschriebenen Werke, welche sich auf dem Bücherbort befanden, zeugten von den ernsten und tiefen Studien, denen Abt Bernhard sich hingab. Als Jungfrau Aleide zu ihm eintrat, überraschte es sie, daß sein Antlitz bleicher und abgefallener als gewöhnlich war und so augenscheinlich zwang er sich zu einem Lächeln, daß sie unwillkürlich ausrief:

»Ehrwürden, Ihr seid krank! Ihr müßt den Leibarzt der Gräfin rufen lassen!«

»Krank bin ich nicht,« erwiderte er, »wenigstens nicht so krank, daß ich der Hülfe eines Arztes bedürfte.«

»Nicht krank? Ihr seht so elend aus, und in den letzten Tagen fehlte Euch schon alle Heiterkeit. Sicher, mein Vater, Ihr seid krank oder habt ein heimliches Leid.« –

»Und wäre das so?« fragte der Abt ernst.

»Nun, so sagt's doch! Für Ersteres bedürft Ihr eines Arztes, für Letzteres die Hülfe Eurer Freunde.«

»Beides kann mir nichts nützen. Es ist ein Leid, meine Tochter, das nur im Stillen mit Gott kann getragen werden; geschieht das aber, so läutert es den Schmerz und heiligt das Herz.«

»Ist das, so mögen Gott und die Heiligen Euch gnädig sein und Euch bald wieder genesen lassen,« sagte Aleide unschuldig und verließ das Zimmer, nachdem sie ihn nochmals an die Bitte der Gräfin sich zu ihr zu verfügen, erinnert.

»So mögen Gott und die Heiligen Euch gnädig sein!« wiederholte der Abt leise. »Ach, so lange schon habe ich sie angerufen und gefleht, sie möchten mir helfen und immer noch dauert der innere Kampf fort. Und doch – ist er nicht gut für mich? Wie viel kostet es mich den einzigen Gedanken nur zu verbannen, den Gedanken an das Unmögliche – – – doch nein, nein, nein, es muß sein! – fort du liebliches Traumbild meiner Seele, fort!« und sein Antlitz mit beiden Händen bedeckend, flehte er: »Heilige Mutter Gottes, gebenedeiet sei dein Name! Bitte für mich bei deinem Sohn, daß er mir gnädig sei, mich schütze vor der List des Feindes und mich stärke zu meinem inneren Kampf. Lamm Gottes, das die Sünde der Welt hinwegnimmt, erbarme dich meiner!« dann bekreuzte der Abt sich und begab sich langsamen Schrittes nach den Zimmern seiner Gebieterin.

Inzwischen war Aleide Eggert zu ihren Freundinnen zurückgeeilt, die im großen Speisesaal unter Lachen und Plaudern mit Handarbeit beschäftigt waren. Um wen sich die Unterhaltung drehte? Um wen anders als um den neuen Günstling, der unbewußt die jungen Damen sofort für sich eingenommen hatte.

»Wie kühn war der Blick seiner Augen!« rief eine derselben aus; »wie edel seine Haltung als er sich der Gräfin näherte,« eine andere, während eine dritte meinte, es sei gar nicht zu bewundern, daß die Gräfin sich solch einen Günstling ersehen.

Wir sehen, es ist in höheren Kreisen nicht anders als in geringeren: überall sind Abwesende Gegenstand der Unterhaltung; doch, zur Ehre dieser Jungfrauen sei's gesagt, man hörte weder spottende noch tadelnde Aeußerungen, die jugendlichen Gefährtinnen waren der Gräfin so innig verbunden, hatten sie so lieb, daß wenn eine derselben sich je auch nur im Scherz eine unpassende Bemerkung über die fürstliche Frau oder ihre Angelegenheiten würde erlaubt haben, es Mißstimmung unter allen hervorgerufen hätte, und deshalb kam nicht der geringste Argwohn in Aleide auf, als sie bei ihrem Eintritt ein Lächeln um die Lippen der jungen Damen schweben sah; sie setzte sich zu ihnen und stimmte herzlich ein in die allgemeine Heiterkeit. Die vertraute Freundin Jacoba's war der Liebling dieses Kreises; sie ließ die bevorzugte Stellung, die sie der Gräfin gegenüber einnahm, niemals fühlen, hatte aber auch nie Veranlassung sich über Mißgunst und Zurückhaltung von Seiten ihrer Freundinnen zu beklagen.

Als die Gräfin zur Tafel erschien, war sie ernster als je und verhielt sich, gegen ihre Gewohnheit, fast schweigend. Beim Nachtisch wurde die Ankunft eines Boten gemeldet, der eilig um Audienz bat. Die Gräfin ließ ihn vor sich führen.

»Woher kommt Ihr?« fragte sie in raschem, fast heftigem Ton, nachdem ihm auf ihr Geheiß ein Becher mit Wein gereicht war.

»Aus Vlaardingen, Ew. Gnaden. Es steht traurig dort; Bürger streiten wider Bürger, und Söhne eines Hauses wider einander. Zwietracht herrscht in der ganzen Stadt und Aufstand gegen die Obrigkeit, die, zur Fahne der Kabeljauischen übergehend, die Stadt ohne Widerstand der Gegenpartei übergab. Ew. Gnaden wollen deshalb eilig Hülfe senden, und bei der Gnade des Allmächtigen! es wird nicht vergeblich sein.«

»Schon stehen wir im Begriff die nöthigen Maßregeln dazu zu nehmen, junger Mann,« sprach die Gräfin laut; »kehrt deshalb, sobald Ihr Euch ausgeruht, schleunigst zurück und sagt meinen getreuen Unterthanen und Eurem Befehlshaber, daß wir nicht zögern werden Euch auf dem Fuße zu folgen. Eure Kunde bestärkt mich nur in dem Vornehmen rasch zu handeln.«

In diesem Augenblick trat Graf Brederode unangemeldet in den Speisesaal, verbeugte sich tief vor der Gräfin und fragte hastig: »Ew. Gnaden empfingen Nachrichten aus Vlaardingen?«

»Freilich; der Bote ist von unserm Commandanten geschickt, uns zu rascher Hülfe aufzufordern.«

»Wer sandte Euch?« fragte Brederode Jenen barsch.

Der junge Mann zögerte und trat einen Schritt zurück, wie getroffen von dem Blitzstrahl des Auges, das auf ihn gerichtet war.

»Ihr schweigt?« fuhr der Graf fort; »erlaubt mir denn, Gräfin, zu fragen, ob Ew. Gnaden diesem Manne irgend welche Zusage machten?«

»Allerdings, edler Herr; unterhandeln wir doch schon über die Zurüstungen.«

Der Graf runzelte die Stirn und sagte leise und nur für sie verständlich zur Gräfin: »Es war nicht bedachtsam, Ew. Gnaden, einem Unbekannten unsere Pläne kund zu thun; ich bitte Euch deshalb mir augenblickliches Handeln in Eurem Interesse gestatten zu wollen.«

Die Gräfin sah ihn verwundert an und nickte zustimmend.

»So nehme ich diesen Boten in Eurem Namen gefangen,« sprach Brederode, »den nicht unser tapferer Commandant, sondern der Bischof von Luik gesandt haben wird, um, von dem Stand der Dinge unterrichtet, schändlichen Verrath zu begehen.«

Der junge Mann war leichenblaß geworden. »Ihr lügt!« rief er zornig aus, »Ihr lügt!«

»Lüge ich denn auch, wenn ich sage, daß Ihr derselbe seid, der vor kaum einer halben Stunde mit Herrn von Druten vorüberging und daß dieser Euch den Eingang in's Schloß wies,« fragte Brederode streng, »während man denkt, jener Edelmann sei in Dordrecht? Lüge ich denn auch, wenn ich behaupte, daß schon der Gedanke, entlarvt zu werden, Euch das Blut in den Adern erstarren macht? Reicht mir Euren Degen, junger Mann, und folgt mir ohne erst eine Scene zu machen, die in Gegenwart von Frauen ungeziemend wäre.«

»Nein,« sprach jetzt die Gräfin zu dem Boten gewandt, »bleibt hier. Ich bin keine schwache Frau; verantwortet Euch, so Ihr könnt, ob Eurer Sendung.«

Mit einem Ausdruck des Zorns in seinen Mienen und in ungehaltenem Tone, sagte jetzt Graf Brederode zu Jenem:

»Nun, sprecht denn, habe ich mich getäuscht?«

»Nicht darin, daß ich mit Herrn von Druten sprach.«

»Ha! und was führte denn sein frommes Herz plötzlich hierher?« fragte der Graf weiter.

»Ihr fragt mehr als ich weiß und als es meine Sache angeht,« erwiderte der junge Mann ausweichend. »Jener Edelmann traf mich auf dem Wege – übrigens weiß ich nichts von ihm.«

»Aber doch von hundert Goldstücken, die er Euch eingehändigt?«

Eine fahle Blässe überzog das Antlitz des Boten.

»Sprecht, junger Mann,« befahl die Gräfin, »hat Herr Brederode Recht?«

»Ew. Gnaden,« stammelte Jener, »das Geld wurde mir für Herrn Heemstede zugestellt.«

»Fürwahr, ein großer Name, den Ihr auf die Lippen nehmt!« versetzte die Gräfin. »Man rufe den Edelmann.«

Sofort verließ einer der Kammerdiener den Saal. Die Gräfin sprach leise mit ihren Jungfrauen und Brederode bewachte den Gefangenen.

Auf Aller Antlitz war die Spannung sichtbar, mit der man nach der Saalthür blickte, durch welche Herr Heemstede kommen mußte, um durch seine Erklärung der Sache ein Ende zu machen. Endlich trat er ein, der greise Staatsmann und Commandant der Landmacht. In seinem Blick lag Befremdung, Befremdung über die seltsame Forderung, und mit hastigem Schritt vor die Gräfin tretend, fragte er:

»Was befehlen Ew. Gnaden?«

»Wir befehlen nicht, edler Herr, wir bitten nur, Ihr wollet uns mittheilen, in welcher Beziehung Ihr zu Herrn von Druten steht, dem dieser Mann als Bote an Euch dient.«

Der Commandant sah den jungen Mann, der zitternd vor ihm stand, erstaunt an.

»Heemstede und Druten,« sprach der Greis, »sind unvereinbare Namen, Ew. Gnaden –«

»Und doch hat sich dieser auf Euch berufen,« unterbrach Brederode Jenen.

»Auf mich? Und in wiefern denn? Sprecht es hier aus, junger Mann, vor meiner Gebieterin habe ich kein Geheimniß.«

Der Bote antwortete nicht und Brederode sagte an seiner Statt: »Er hat Euch Gelder einzuhändigen, wenigstens sagte er das vorhin; zu welchem Zweck versteht Ihr vielleicht besser als wir.«

»Keineswegs!« entgegnete Heemstede rasch, »es ist mir ein völliges Räthsel und sicher steckt Verrath dahinter! Nehmt den Mann gefangen, Ew. Gnaden, es ist ein Spion.«

Brederode lächelte. »Ich konnte schon nicht glauben unser edler Heemsteede werde mit Druten gemeinsame Sache machen,« sagte er, »und Ew. Gnaden überzeugen sich nun, daß ich Recht hatte.«

»Ja, Ihr hattet Recht, Graf,« rief die Fürstin erregt aus; »Jesus! Maria! Es ist zu arg, müssen wir in unsern eignen Gemächern Spione vermuthen! Er ist Euer Gefangener, Brederode.«

Triumphirend führte der Edelmann selbst den Boten hinaus, wo Diener bereit standen, und wollte schon in den Saal zurückkehren, als sein scharfes Auge eine Waffe bei Jenem entdeckte, die nicht völlig in einer Tasche seines Wammses verborgen war.

»Wozu dieser Dolch?« fragte er hastig.

»Ich trage ihn immer bei mir,« war die bebende Antwort.

»Ein gefährliches Spielzeug, das wir nicht in ungeübten Händen lassen!« sagte der Graf, nahm dem Gefangenen die Waffe und übergab ihn den Dienern, damit sie ihn in sicheren Gewahrsam nach dem Thurm brächten.

Als Brederode zurückkam begrüßte ihn die Gräfin herzlich; »Ihr habt uns heute vor einem großen Unglück bewahrt,« sagte sie, »ich danke Euch.«

»Ich muß mich noch bei Ew. Gnaden entschuldigen,« entgegnete der Graf, »vorhin so ungerufen hier eingedrungen zu sein; aber ich sah den Schelm in Drutens Begleitung, folgte ihnen nach dem Schloßthor, sah ihn zögern, endlich hineingehen und glaubte ihm folgen zu müssen, um Schlimmes zu verhüten.«

»Keine Entschuldigung!« fiel ihm Jacoba in's Wort, »Ihr habt damit etwas gethan, das uns Euch lebenslänglich zu Dank verpflichtet.«

Brederode lächelte. »Von Herrn von Druten, Gräfin, erwarte ich niemals etwas Gutes und schöpfte gleich Argwohn, als ich ihn mit dem Boten zusammen sah. Erst kürzlich suchte er mich zum Verrath zu bewegen, nun wollte er bei Heemstede ein Gleiches thun, doch erst dann, wenn es dem Boten nicht gelungen wäre, etwas zu erspähen; – ich vermuthe das wenigstens aus dem Verhalten und den Antworten desselben, die deutlich beweisen, der Schelm sei der Aufgabe eines Spions noch nicht gewachsen; möglich, daß Druten gerade ihn dazu erwählt, weil er glaubte, sein unschuldiges Wesen werde Euch täuschen.«

»Was ihm ohne Euer Hinzukommen nur zu gut gelungen wäre,« entgegnete die Gräfin.

»Ja, Ew. Gnaden, vielleicht hat meine Dazwischenkunft Euch gar vor dem Aergsten behütet, denn dies fand ich bei ihm,« und Brederode zeigte den Dolch.

Jacoba wurde todtenblaß und zitterte an allen Gliedern.

»Dringt denn selbst der Mord in unsere Zimmer! sind wir denn nirgends mehr sicher!« rief sie ängstlich aus.

»Sicher seid Ihr in Eurem Schloß und überall, so lange Brederode über Euch wacht, und bei meiner Ehre, Gräfin, Ihr könnt Euch auf meinen Arm verlassen!«

»Dessen sind wir gewiß, mein Freund,« entgegnete die Fürstin; »wir bauen fest auf Eure Treue und Anhänglichkeit. Doch kommt jetzt, vergessen wir diesen unangenehmen Vorgang; die Gräfin darf nicht die Schwäche der Frau kennen, ihr geziemt Muth und Selbstbeherrschung! Setzt Euch, meine Herrn, und laßt mich hören, welche Vorkehrungen Ihr bereits getroffen und wer unsere Gesandten nach Hennegau und Friesland sind.«

Brederode, in Jacoba's Gunst sich sicher fühlend, ließ sich in dem ihm von ihr angewiesenen Sessel nieder, Heemstede lehnte an denselben und während Beide sich in ihre Pläne zum Besten des Landes und Volkes vertieften, lauschte die Gräfin mit dem ganzen Ernst, der zu erkennen gab, wie richtig sie ihre Würde und die großen damit verbundenen Pflichten aufzufassen verstand.

.


 << zurück weiter >>