Arthur Kahane
Willkommen und Abschied
Arthur Kahane

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12.

Die stillen Abende zu dritt kamen.

Otto Moser war jetzt viel außer Hause. Es kam ihm ganz willkommen, die gepriesene Stille seiner vier Wände mit dem lauten Gesellschaftstreiben unten im Orte, im Café, in den Villen der Nachbarschaft, bei den zahlreichen Gelegenheiten, Unternehmungen und Veranstaltungen der stets zu Festlichkeiten bereiten Sommerfreude zu vertauschen, bei denen er sich sehr wohl und in seinem Element fühlte. Nun, da er seine Damen chaperonniert wußte, war sein galantes Gewissen leicht beruhigt und er ließ die kleine Gesellschaft mit einem allabendlich sich wiederholenden, halb verlegenen: »Kinder, für heute entschuldigt ihr mich noch. Ihr wißt ja, ich muß leider . . .« allein.

Und sie verbrachten die Abende zu dritt.

Die Tage vergingen Florentin mit Warten. Mit Warten auf den Abend. Er und Blanche vermieden es, untertags einander allein zu begegnen, gingen einander, soweit dies unauffällig möglich war, beinahe aus dem Wege; und wenn der Zufall sie zusammenführte und es gar nicht anders ging, dann sprachen sie schnell und hastig irgend etwas Sachliches, über gleichgültige Gegenstände, beide bemüht, die Unterredung möglichst abzukürzen, und beide bemüht, dies Bemühen zu verschleiern, beide mit gesenkten Köpfen und ängstlich vermeidend, einander ins Auge zu sehen. Es war, als scheuten sie das Licht der Sonne und brauchten sie den Abend und die Anwesenheit des Dritten, um, ganz leise und wie von ferne, die Stimme des eigenen Inneren vernehmen zu dürfen, die 153 sie nur in dieser Dämpfung zu ertragen vermeinten. Aber in der allzu grellen Deutlichkeit des Tages und des Alleinseins fürchteten sie sich, allem Mut und allen Entschlüssen zu Trotz, und fürchteten sich vor dieser Stimme ihres Inneren, sie könnte plötzlich, gegen ihren Willen, aus ihnen herausbrechen und sie überraschen. Und darum warteten sie auf die stillen Abende zu dritt.

Und darum fürchtete sich Florentin vor dem Alleinsein mit sich selbst. Er floh sich selbst. Jetzt, da er wußte, daß sein Schicksal bevorstand und er es kannte und seine Unentrinnbarkeit spürte und irgendwo, im Dunkel seines Bewußtseins, sein Entschluß festlag, vertrug sein Inneres nichts als dieses eine. Aber dieses eine auch nur in seiner Ganzheit. Seine Leidenschaft war Wille geworden, und nur so konnte er ihr ins Auge sehen. Nicht als Traum und nicht als Wünschen: sich von ihr, wie von einer kosenden Sehnsucht tragen zu lassen, weich umschmeichelt, von seiner Phantasie in zärtlichen Einzelheiten gebadet, von lockenden Bildern der Verführung umspielt, war ihm unmöglich, unerträglich geworden. Nicht sich verlieren, sich gewinnen wollte er: und darum entzog er sich den Stunden des Alleinseins, die ihn vor die Wahl zwischen einer unerträglichen Leere und einem noch unerträglicheren Erfülltsein stellten.

Und suchte Sibyl. Irgend etwas zog ihn, tagsüber, immer wieder zu dem Mädchen, drängte ihn zu ihr, als könnte er damit einen Teil einer Schuld abtragen. Als läge eine Buße in dem seltsamen, fast schmerzlichen Gefühl, aus Bewunderung und Mitleid gemischt, mit dem er es ansah, wie wunderbar sich diese Mädchenblüte zu entfalten begann. Wie in ihrer herben und undurchsichtigen Natur Stolz und Zurückhaltung mit einer aufkeimenden Leidenschaft kämpften, und durch diese erst recht wuchsen und bewußt wurden, und wie sich dieser Kampf hinter einem leichten Schleier von Wehmut abspielte, durch den die innere Kraft und Heiterkeit ihres hellen Wesens durchbrachen, und wie in diesem Kampf Reichtum und Fülle aufbrachen, ihre Augen das große 154 Staunen über die Wunder der Natur lernten, sie die unerschöpfliche Liebe ihres Herzens zu verschwenden suchte, an Tiere, Blumen und Steine, und in ihr das Verstehen zu erwachen begann für alle Schönheit des Lebens und seiner Wirklichkeiten. So ging er mit ihr tagelang durch die Wälder und in die Berge, ganz allein, manchmal nur von den beiden Hunden begleitet, und sie vergaßen sich selbst, ganz dem Schauen hingegeben. Und wenn sie sprachen, dann sprachen sie von Blanche, von der Sibyl nie zu reden, Florentin nie zu hören ermüdete.

So vergingen die Tage. Und dann gab es die stillen Abende, zu dritt.

An einem kleinen, runden Tischchen, beim guten Schimmer der Abendlampe, saßen die drei Menschen, eng aneinandergerückt. Jeder von ihnen fühlte sein ganzes Wesen von einer grenzenlosen, kaum mehr zu ertragen großen Liebe für die beiden anderen erfüllt. Jeder von ihnen spürte in jedem Moment, daß diese beiden anderen ihm das Liebste, ihm das einzige Liebe waren, was er auf der Welt besaß. Die schlafende, schweigende Welt da draußen war ihnen versunken, galt ihnen nichts, sie spürten nur sich und einander. Jeder von ihnen trug ein Dunkles, ein Geheimnis in sich: Schuld, Gewißheit, Ahnung, jeder ein anderes, aber jeder bemüht, es vor den anderen ängstlich zu hüten, die anderen davor zu bewahren. Und aus dieser Ängstlichkeit wuchs eine unendliche Zartheit und Rücksicht, mit der sie einander behandelten. Was in diesen drei Herzen an Güte und Freundlichkeit vorhanden war, strömte über, ergoß sich über den Tisch, umfing den Anderen. Das Unentrinnbare, das große Schicksal war nicht aufzuhalten: das wußten zwei von ihnen mit grausamer Klarheit, spürte das dritte in der dunklen Ahnung seines kindlichen Gemütes. Aber das Häßliche, die kleinen Nadelstiche, die Kränkung konnten sie einander ersparen. Und dieses gütige Bemühen verklärte ihr Beisammensein, vergeistigte ihre Unterhaltung. Wie von selbst schied nicht bloß Erwähnung des Gemeinen, schied alles 155 Gewöhnliche und Alltägliche aus. Sie fanden sich in einer reinen, selbstlosen Sphäre der Schönheit, ohne daß das Gespräch an persönlicher Färbung und Herzlichkeit einbüßte. Wovon immer sie sprachen, von Dingen der Kunst, von geliebten Büchern oder Bildern, oder von großen Menschen, immer vibrierte darin das Fluidum persönlichster Anteilnahme aneinander. Jedes Thema wurde ihnen dadurch beziehungsreich und seelenvoll. Es war, als drängte es sie, einander alle Schätze ihrer Bildung, ihrer seelischen Kultur, ihres Inneren wie ein letztes Angebinde, ein kostbares Vermächtnis zu schenken. Manchmal brachte Frau Blanche, die immer neue Akkorde anzuschlagen wußte und es verstand, mit unmerkbarer Hand den Gesprächen immer neue Wendungen in ungefährliche Gebiete zu geben, die eine oder andere ihrer Sammlungen mit; dann saßen sie, beim Schatten der Lampe, die Köpfe zusammengesteckt, eng beieinander, und wenn sie einander die köstlichen Gegenstände zureichten, so geschah dies mit einer so behutsamen Sorgfalt, als wollten sie die Stelle, auf der das Auge der Sammlerin geruht, die ihre Finger berührt hatten, mit zärtlichen Augen und Fingern liebkosen. Aber ängstlich vermieden sie, Florentin und Blanche, jede körperliche Berührung, nie streifte des einen Kleid das des anderen, kaum, daß ihre Blicke einander zu begegnen wagten, und unsichtbar nur, durch die dicke Hecke des Gesprächs hindurch, fühlten sie die heimliche Zärtlichkeit der Worte wie Berührung streichelnder Finger.

Fragen der künftigen Lebensgestaltung behandelten sie ganz selten nur, und nur mit einem ängstlichen Streifen von weitem, als enthielten sie einen Feuerstoff, den die nächste Stunde zur Entladung bringen könnte.

So verbrachten sie, zwischen Furcht und Erwartung, aber ganz der Stunde und ihrem Inhalt hingegeben, die stillen, reichen Abende zu dritt. 156

 


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