Arthur Kahane
Willkommen und Abschied
Arthur Kahane

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

10.

»Bist du böse, kleines Muttchen?« fragte Billy. »Sei nicht böse, daß wir dich warten ließen, es war so schön. Und wir wußten nicht, daß du allein bist. Sonst wären wir früher gekommen. Glaubst du mir's? Wo ist denn Papa?«

»Aber Billy? Hast du vergessen? Heute ist doch der ›grand jour‹ in der Villa Lederer. Natürlich ist Papa dabei; er kommt spät und wir sollen nicht warten mit dem Nachtmahl. Heute ist der große Tag, die Saison ›bat son plein‹, Lederers haben fieberhaft gearbeitet und nichts fehlt, Tennisturnier, venezianische Nacht, Gartenfest, und Daisy wird wieder einmal bei Lampionbeleuchtung in die ›Welt‹ eingeführt. Was dazu gezählt werden will, muß zusehen. Der arme Papa! Ich beneide ihn nicht.«

»Weißt du, Muttchen, ich glaube, er fühlt sich ganz wohl dabei. Wenn er es auch bestreitet und die gesellschaftliche Pflicht vorschützt. ›Man ist eben nicht allein in der Welt und hat Pflichten. Glaubst du, mir macht es Vergnügen?‹ Und er wäre sehr gekränkt, wenn man ›ja‹ antwortete.«

»Darum tun wir's auch nicht und glauben es ihm und gönnen ihm sein Vergnügen. Freude ist ja so selten. Da kommt es auf das Worüber nicht an. Ich finde es rührend von Papa, wie gern er sich freut und wie leicht es ihm wird. Natürlich hat er uns auch mithaben wollen, und es war keine kleine Mühe, es ihm auszureden, und er war, glaube ich, diesmal ein wenig enttäuscht. Sonst ist es ihm mitunter ganz willkommen, in der Gesellschaft, namentlich hübscher Frauen, ein bißchen unbeobachtet zu sein, und 128 er fühlt sich freier und ungezwungener. Und ich lasse ihm die kleine Freiheit ganz gerne. Aber diesmal, glaube ich, hätte er gar zu gerne seinen neuen Bruder aufgeführt, auf den er nicht wenig stolz ist, und dazu braucht er Publikum. Und da habe ich denn ein klein wenig Vorsehung gespielt und dir das erspart, Florentin. Ich glaube, du bist mir deshalb nicht böse?«

Ein dankbarer Blick antwortete ihr.

»Weiß Gott, nein, Blanche. Ich glaube nicht, daß ich da hineinpasse.«

»Ich kann mir's ja auch nicht denken, daß einer zehn Jahre um die Welt reist, um bei Lederers venezianische Nächte zu feiern. Gerade bei Lederers. Denn, unter uns gesagt, ich stelle mir Orgien unter der Aufsicht der Frau Kommerzialrat nicht sehr orgiastisch vor. Auch wenn der Herr Bankdirektor Lederer selbst alle seine Orden umhängt, mehr als irgendein Doge je geträumt hat, und sie sich den dicksten Baron aus der Statthalterei, den Baron Miteis, als bacchantischen Vortänzer, mit Weinlaub im Haar, dazu eingeladen haben. Oder könnte dich die Flora Duschka, die, nebenbei bemerkt, trotz einer halben Million Mitgift bisher nicht anzubringen war, als thyrsusschwingende Mänade reizen?«

»Nein, Blanche, Mänaden mit einer halben Million Mitgift sind mir unsympathisch«, erwiderte Florentin, lachend.

»Siehst du?« sagte Frau Blanche. »Womit ich nicht gesagt haben will, daß ich dir nicht zutraue, fröhlich bis zur Ausgelassenheit zu sein. Und, unter Umständen, darüber. Hab' ich recht?«

Seltsam, daß die kluge, kleine Frau das erriet, während er doch das Gefühl hatte, in diesen letzten Tagen ungewöhnlich still, ja kopfhängerisch zu wirken, und all das, was in seiner Natur über die Stränge zu schlagen liebte, unterdrückt, ja eingebüßt zu haben.

Er sah sie an: »Woher weißt du? Anmerken habe ich mir das doch gewiß nicht lassen?«

129 »Ach nein, du stiller Mensch, versteckt hast du's. Aber deine Augen strafen dich Lügen. Und dann fühle ich, wie dich die Atmosphäre von Reichtum drückt. Du witterst, was ich die ›Melancholie der reichen Leute‹ zu nennen pflege, und sie stimmt dich herunter. Um so fröhlich zu sein, wie du fröhlich sein kannst, mußt du ganz du sein können, und das kannst du nur mit Menschen, die weder reich noch arm, sondern ganz sie sind. Und das wollen wir heute. Kinder, ist's euch recht?«

»Ach ja, goldiges Muttchen,« jauchzte Billy, »den heutigen Abend wollen wir recht ausnützen, wir drei!«

»Schön, Kinder, dann lade ich euch ein. Ich lasse für drei decken, und ihr seid heute meine Gäste. Venezianische Nacht bei Mosers. Bleibt eine Viertelstunde noch im Garten und laßt mich allein hinauf, meine geheimnisvollen Vorbereitungen treffen, und dann kommt nach und alle Räume des Palazzo Bianca Moserini sollen bereit sein, euch festlich zu empfangen.«

Und war, flink wie ein junges Mädchen, die Stiegen hinaufgerannt. Die beiden sahen ihr nach.

»Ist sie nicht goldig, mein Muttchen?« sagte Billy. »Du ahnst ja gar nicht, wie lustig sie sein kann.«

»Und so jung! Und so anmutig!« sagte Florentin.

»Und gescheit!« meinte Sibyl eifrig. »Sie ist gescheiter als alle anderen Menschen.«

»Ja, das ist sie«, bekräftigte Florentin. »Durch und durch sieht sie einem mit ihren hellen Augen, und man liegt aufgeblättert vor ihr da, aber man empfindet sich gar nicht beunruhigt und beobachtet, sondern wird sich selbst klar und fühlt sich verstanden, geschützt und ruhig.«

Und auf einmal blitzten die Lichter in sämtlichen Räumen auf, und das Haus strahlte, wirklich wie ein kleiner Palazzo, in festlichen. Glanze, auf den See und in die dunkle Nacht hinaus. Beide freuten sich an der Helligkeit und freuten sich über Muttchens Fröhlichkeit und freuten sich auf den Abend.

130 Sie gingen durch das hell erleuchtete Haus und fanden Blanche auf der Veranda. Diese schien verändert; ganz festlich sah sie aus. In einer Viertelstunde hatte die schnelle kleine Frau das Kunststück fertiggebracht. Allerdings mit den einfachsten Mitteln: die Lichter waren eingeschaltet, alle Fenster aufgezogen, die Türen in die Wohnung mit Tannenzweigen verhängt, der große Eßtisch in die Ecke gerückt und als Serviertisch verwendet, auf dem bereits die Speisen vorgerichtet standen; an seiner Stelle, in der Mitte des Raumes, ein kleines, rundes Tischchen, zierlich gedeckt, mit Rosenblättern und Tannennadeln bestreut, von drei tiefen Lehnstühlen umstanden, deren Lehnen mit Laub umhängt waren; Weinflaschen und Karaffen waren mit grünen Blättern umkränzt, vor jedem Besteck standen Wein- und Sektglas, auf jeder Serviette lag eine einzelne dunkelrote Rose.

Frau Blanche empfing sie. »Wir bedienen uns selbst«, erklärte sie. »Die Mädchen habe ich hinuntergeschickt. Ihnen ist der freie Abend ein Geschenk, und mir ist es so lieber. Ich habe sie recht gern, und sie haben mir auch sehr brav geholfen, aber in ganz schönen Stunden will ich nur in ganz liebe Gesichter sehen. Da stört mich alles Fremde: lieber die Speisen etwas kühler. Habe ich nicht recht gehabt?«

»Natürlich«, sagte Florentin lebhaft. »Fremde Menschen sind immer unangenehm.« Und auch Billy war derselben Meinung. »Alle fremden Leute sind unangenehm. Schon wie sie ausschauen! Und ich mag überhaupt nur euch zwei. Und Papa natürlich!« sagte sie.

Sie setzten sich zu Tisch und waren sehr vergnügt, in diesem Punkte so einig zu sein.

»Überhaupt«, begann Frau Blanche, »ist die Welt nur schön allein oder zu zweit oder höchstens zu dritt. Da kommen alle guten Sachen im Menschen heraus: Güte, Rücksicht, Takt. Man entwickelt sich aneinander empor, einer hilft dem anderen. Man gestattet sich die höchsten Maßstäbe und braucht keine 131 Konzessionen zu machen. Man richtet sich nach dem Besten: der Beste führt und der andere folgt willig: denn er fühlt sich wachsen. Man schämt sich vor den zwei oder vier vertrauten Augen seines Gefühls und seiner Begeisterung nicht. Man traut sich, ja es reizt, auch das Schlummernde und Tiefe aus seinem Wesen herauszuholen. Schon beim Quartett beginnt die Parteienbildung: gleich stehen zwei gegen zwei und der Kampf setzt ein: der Krieg, der für mich nicht der Vater, sondern der Totengräber aller Dinge ist, wenigstens aller guten Dinge. Wo mehrere beisammen sind, ist Krieg: Wettkampf, Konkurrenz, Eitelkeit, Herrschsucht, Vergewaltigung. Oder, was dasselbe ist: Verein, Gesellschaft, Publikum, Staat. Die Kriegseigenschaften gelten: Brutalität und List. Man schämt sich, anständig zu sein. Man schämt sich jedes besseren Gefühls, jedes edleren, jedes erhöhten Wortes. Man schraubt sich auf den schlechtesten herunter: damit der einen nur um Gottes willen nicht mißversteht oder sentimental oder lächerlich findet. Jedes Publikum hat die Seele des Schlechtesten. Darum kann man alles wirklich Schöne, kann man Kunst nur allein erleben. Publikum ist eigentlich von vornherein feindselig und stört immer. Mich wenigstens immer.«

Florentin sah sie mit großen, weitaufgerissenen Augen an. »Aber Blanche,« sagte er, »das ist ja wundervoll: du denkst ja genau so wie ich.«

Blanche errötete und Sibylla sagte triumphierend: »Habe ich dir nicht gesagt, daß Mutti immer die Gescheiteste ist?«

»Nein, Kinder, nicht gescheit, sondern nur anständig. Ich bin so furchtbar gern unter guten und anständigen Menschen. Ich glaube nicht, daß man rudelweise anständig bleiben kann. Stellt euch bitte die Gesellschaft bei Lederers vor! Wovon sprechen sie? vom Essen; die Frauen von Toiletten und von Dienstboten; die Männer von Geschäften und Politik; alle Klatsch und Medisance. Lauter kleine und häßliche Dinge. Was geht in den Seelen vor? Als junges Mädel habe ich mir immer gewünscht, 132 jener Student von Salamanka zu sein, und mir, wie der hilfreiche Asmodi die Häuser abdeckte, die Seelen abdecken zu lassen. Weiß Gott, seit ich die Menschen kenne, wünsche ich mir's nicht mehr. Zu klein und zu häßlich sind sie. Und zu klein und häßlich die Dinge, mit denen sie sich beschäftigen.«

»Ach ja, Muttchen, tu's doch!« bat Sibyl. »Spiel' uns doch den Asmodi vor! Wenn die Menschen noch so zuwider sind: wenn du von ihnen sprichst, wird es gleich nett und lustig.«

»Lustig?« meinte Frau Blanche, »lustig finde ich sie nicht.«

»Ich auch nicht«, sagte Florentin.

»Oder von einer traurigen, bösen Lustigkeit. Sie können nur lustig sein, wenn es auf Anderer Kosten geht.«

Florentin nickte. Er haßte diese Art Lustigkeit, diese bösen Humore der Mißgunst.

»Welche Wolke von Übelwollen und Niedertracht schlägt einem entgegen, wenn man in solch ein Zimmer tritt!«

Er hatte sie erlebt. Ihn hatte sie aus der Stadt weg, in die Welt vertrieben.

»Wieviel Haß, Neid, Eitelkeit, Eifersucht und Berechnung sitzt gepudert, dekolletiert, mit Ordenssternen übersät, an den Wänden, tuschelt an den Tischen, grinst hinter den Fächern, lächelt, witzelt, schmeichelt, flirtet und vergiftet die parfümierte Luft! Mit welcher Geringschätzung und inneren Mißachtung lorgnettieren sie einander, taxieren sie einander ab, auf Heller und Pfennig. die eine Clique die andere, die Aristokraten die reichgewordenen Bourgeois, die schäbig-eleganten Beamtenfamilien die aufgeblasen brillantenstolzen Finanzkreise! Sie machen einander den Hof, weil sie einander gegenseitig brauchen, und hinter dem Rücken der anderen kolportieren sie ihre boshaften Witze.«

Wundervoll! Genau so, aber genau so sah er, empfand er, haßte er die Bürgerlichkeit.

»Nicht ein gutes Gefühl, nicht eine anständige Regung gedeiht in dieser Atmosphäre, nicht ein wertvolles Wort, nicht ein 133 bedeutender Gedanke wagt sich hervor: unter Spott und Späßen wird alles im Keime erstickt, und einig sind sie nur im gemeinsamen Hasse gegen alles Schöpferische und Wertvolle.«

Er war paff. Es war verblüffend, wie diese Frau ihm aus der Seele sprach! Es war nicht zu glauben. Wie kam diese Frau in dieser Atmosphäre zu diesen Anschauungen, zu dieser Kühnheit und Freiheit? Sie sprach aus, was er erlebt hatte, sagte es so einfach und richtig hin, als ob sie es aus seinem Innersten hätte ablesen können.

Und sie schloß fast zornig: »Wenn es gegen die Qualität geht, erhebt sich sofort die Quantität, wird witzig und geistreich und bläst auf allen Humoren. Das ist ihre Lustigkeit!«

Sie war ganz erregt geworden und schilderte nun mit lebhafter Anschaulichkeit fast schauspielerisch die einzelnen Typen der Ledererschen Gesellschaft: den Herrn Bankdirektor selbst, der allen Gästen seines Hauses seine Sammlung von Bildern van Goghs zu zeigen pflegte, aber nie ohne genaue Angabe des Preises und den Zusatz: »Verstehen Sie, warum? Ich nicht.« Die sehr exklusive Frau Kommerzialrat, die auf die Anregung, eine berühmte gräfliche Dichterin einzuladen, naserümpfend antwortete: »Aber sie dichtet! In einer wirklich guten Familie dichtet man nicht. Wenigstens hier in Bielitz!« Sie konnte bei aller Vorliebe für die große Welt und trotz zwanzig Jahren Residenz an die geliebte Heimatstadt nicht vergessen. Und die äußerst etepetete Daisy, die sich schon als Kind gesträubt hatte, sich die »Iphigenie« in fünf Akten anzusehen, sie wisse von Papas Galerie her genau, was das zu bedeuten habe. Und den fast ebenso witzigen, wie gut angezogenen Baron von der Statthalterei, den die Legende als den Urheber des berühmten Ausspruches über eine reiche Erbin von fast nicht mehr zweifelhafter Herkunft bezeichnete: »Mein Gott! Damen dieser Art kann man ja heiraten, wenn man Geld braucht, aber verkehren darf man nicht mit ihnen.«

Und indem sie sie schilderte, nein, nicht schilderte, sondern 134 gestaltete, wie sie sie mit ihren klugen, scharfen Augen sah, ihre Schwächen erbarmungslos aufdeckend wie ein Karikaturist, rundete sie diese häßliche Welt zu einer feindseligen Einheit zusammen, von der sie abrückte, und die irgendwo in einer Ferne versank, die ihrer einsamen Höhe nichts mehr anhaben konnte. Sie beschrieb die hochnäsige Ärmlichkeit der Offiziersdamen und die zynische ›Was-kostet-die-Welt‹-Arroganz der Saturierten, die näselnden Leutnants, die sich die Töchter, die Weine und die Zigarren der von ihnen Bespotteten schmecken ließen, und die ästhetische Hysterie der Backfische, die alle Emanzipation vergaßen, sobald eine Uniform in der Nähe war. Und die gemeinsame Wut aller, wenn einer etwas konnte, schuf oder wirkte: »Was? Das soll ein Genie sein? Seinen Onkel habe ich persönlich gekannt.« Sie spielte kleine Szenen, zitierte Nadelstiche, kopierte die lange, magere Flora und ihre kleine, dicke, immer verliebte Kusine, die man im Gegensatz zu ihrer Kusine Flora Duschka die Fauna Duschka nannte, und schilderte ihre Rivalitäten, die der immer witzige Baron Miteis als den »Siebenjährigen Krieg oder den Krieg der bösen Sieben« bezeichnete, worauf der noch witzigere Paul Schulhoff, aus dem Handelsministerium, trocken bemerkte: »Dann schon eher der Dreißigjährige. Allerdings ohne Untertitel: Krieg der Dreißigjährigen stimmt nicht mehr.«

Man spürte ihr an, daß man diese Welt so genau kennen mußte, wie sie sie kannte, um sie so völlig losgeworden zu sein. Und es wirkte wie eine rein sachliche Freude an der Darstellung und daher ohne Bosheit und Schärfe, wenn sie unendlich liebenswürdig und drollig eine Szene aus diesem Kampfe darstellte und die lange Flora mit ihrer tiefen Stimme deklamieren ließ: »Der Leutnant ist mein«, und die kleine Dicke im höchsten Diskant antwortete: »Nein, mir gehört er zu.« »Mit mir hat er kokettiert.« »Mit mir gefußelt.« »Mit mir hat er Klavier gespielt.« »Aber falsch.« »Du bist falsch!« »Du bildest dir ein, weil du mehr Geld hast – –!« »Und du bildest dir auf deine Fratze 135 was ein.« »Hübscher als du bin ich auch.« Während der strittige Leutnant in den meisten Fällen, nicht in allen, keine Ahnung von diesem Wettkampf auf dem Berge Ida hatte.

Die beiden, Florentin und Sibyl, lachten, daß ihnen die Tränen über die Wangen liefen. Florentin konnte kein Auge von Blanche wenden. Sie war zu nett, in ihrem drolligen Eifer. Welches Leben war in diesem schmalen Gesichtchen, in dem kleinen, beweglichen Körper! Die Augen blitzten, die Stirne kräuselte, das Näschen schürzte sich, die Locken flogen, und die Lippen liefen hin und her, wie zwei flinke Wiesel. Sie sprühte Anmut, Geist, Leben, Bewegung. Florentin war fasziniert, übrigens sah sie auch Billy mit nicht weniger entzückten Augen an.

Auf einmal war sie, Frau Blanche, ganz ernsthaft: »Das ist Reichtum! Das ist die Atmosphäre des Reichtums! Ich sage euch, mir graut davor. Mir graut vor Reichtum. Mir graut vor Geld. Mir graut vor der Möglichkeit, daß Geld als lebendige Kraft, als treibender Motor in mein eigenes Leben treten könnte. Mir – graut davor!«

»Wie recht hast du!« fiel Florentin ein. »Wie ich dir es nachfühle! Wie ich das spüre! Ich kenne diese Häuser der Reichen. Wenn Reichtum von den schweren Gardinen und Vorhängen niedertrieft, sich über die Teppiche und Möbel leg., wie ein trüber, dunkler Schleim in die Seelen dringt, dick, schwer, drückend, die Luft vergiftend, die Seelen vergiftend, die Augen verklebend, und alles mit diesem einen brutalen Begriff: Geld füllend, der um sich schleicht und alles andere Leben auffrißt, und die Blicke werden brutal, die Herzen gemein, die Hände zucken und die Gedanken starren, wie Zyklopen mit dem einen Auge, hypnotisiert auf den einen grellen gelben Fleck, ich weiß nichts Traurigeres, ich weiß nichts Traurigeres.«

»Und nichts Schöneres,« sagte Blanche, und ihre Augen wurden ganz groß und leuchtend, »als die wirklich Reichen. Als die Menschen der inneren Fülle. Menschen, in deren Seele die 136 ganze Welt noch ein zweites Leben lebt. Noch einmal geboren wird und wird.«

Florentin sah sie, einen Augenblick lang, fast heimlich an. Wie schön sie wurde! Wie ein Schimmer lag die Begeisterung auf den feinen, leicht geröteten Zügen. Wie vergeistigt wirkte dieses Gesicht!

»Schaffende und Genießende, gleichviel: aber es geht etwas in ihnen vor. Immerfort. Sie sind nie leer, nie arm. Sie können sich verschenken, verschwenden, wegwerfen, denn sie sind ihrer Unerschöpflichkeit sicher. Sie sehen alles, haben Zeit für alles, denn sie sind nicht von kleinen Zwecken absorbiert. Sie haben keinen Raum in sich für Gemeines, denn sie sind von der ganzen Welt ausgefüllt.«

Aber was sie da schilderte, war ja sein Ziel; war er, wie er sich in seinen geheimsten Entwicklungswünschen sah.

»Was sie sehen, wird ihr Eigentum, und das ist mehr als Besitz. Sie staunen über alles, und alles ist ihnen neu und lieb. Eine Linie, ein Ton, eine Farbe kommt ihnen nahe wie Menschliches, ein Stein wird geliebtes Wunder, das Laufen einer Katze, der Flug eines Vogels, der Blick eines Hundes, das Fallen eines Blattes tiefstes, mitgefühltes Erlebnis.«

So war sie selbst – das fühlte Florentin – und so mußte er werden: nein, das durfte er sich sagen, so war auch er.

»Das Stimmen der Maße an einer Säule regt sie auf und rührt sie wie die Zärtlichkeit ihrer Geliebten, und die Schönheit eines Wortes ist ihnen bedeutend wie ein Schicksal, kann ihr Schicksal werden.«

Sie hielt inne. Solch einen Mann hätte diese wundervolle Frau lieben müssen! Liebte sie vielleicht. Im Innersten berührt hatte Florentin seinen Blick wieder erhoben und sah ihr ins erregungschöne Gesicht. Sie fing den Blick auf und fuhr fort:

»Gibt es Schöneres als einen Mann, in dem ein Gedanke geboren wird? Ein Begreifen, ein Verstehen, ein Erklären, aus 137 selbstloser, uneigennütziger Schau der Dinge heraus: und er wächst langsam, ruhig, sicher, wird Körper und Gestalt annehmen, Form gewinnen, sich von ihm loslösen, sein eigenes Leben haben und irgendwo ins Weite wirken, wohin, wozu, das weiß er selbst nicht.«

Wie sie ihm jetzt gefiel! Alles an ihr, das Auge, das Gesicht, die Hände, der vibrierende Körper! Bis zur Verwirrung fühlte er es. So sehr, daß er über der, die es sagte, fast das vergaß, was sie sagte, wenn es ihm auch wie eine Stimme aus seinem eigenen Inneren ans Ohr schlug, als sie fortfuhr:

»Gibt es etwas Heiligeres als die Stunde, in der ein Werk geboren wird? Nicht eine Tat, mit Zwecken und Absichten, nein, ein Werk, ein Wirken in unbekannte Fernen und Zeiten, eine zweite, neue, geschaffene Welt, die ihren selbstlosen Schöpfer vergißt? Ist nicht das Gefühl, daß es das gibt, daß es solche Stunden gibt, daß es solche Männer gibt, so berauschend schön, daß man alles Andere, Kleine, Niedrige, Gemeine um dessentwillen vergessen muß? Auch für die Frau die einzige Rettung vor dem Alltag?«

Florentin senkte das Auge, das, ohne auszusetzen, an ihren Lippen gehangen hatte: wie sie seine tiefste Sehnsucht erriet!

»Wer schaffen könnte! Wem sein Schicksal zu schaffen gestattete!« seufzte er, fast unhörbar. Aber Blanche verstand ihn.

»Schaffen, ja,« fuhr sie fort, »schaffen ist das Höchste. Was immer: aber in selbstgewählter Arbeit, im klaren, ruhigen, bewußten Erkennen seiner selbst. Nicht warten! Nicht auf den freundlichen Helfer warten, der einem die Aufgabe von außen zuträgt! Nicht auf die gütige Laune seines Schicksals warten! Und selbst, wenn man ein besonderes hat und weiß, wie gut es das Schicksal mit einem meint, auch dann nicht warten! Wundervoll muß es freilich sein, das Schicksal wie eine zärtliche Frau zu empfinden, die einen in die Arme nimmt, und sich von seinen Wogen über die Welt tragen zu lassen, hinter der Schönheit, hinter der Sehnsucht her.«

138 Und er saß da, sah sie mit brennenden Augen an, erlebte in einer Sekunde das Schicksal von zehn Jahren, das ihn, mit den weichen Armen einer Frau, über das Meer und die Stürme des Lebens wegtrug, hinter einer Sehnsucht her, die dieser Frau hier glich. Und es war ihm, als könne er nicht anders, und wenn ein neues Schicksal käme, würde es ihn wieder in seine Arme nehmen und es wären wieder die Arme einer Frau, und seine Züge die Züge einer Frau, und sie glichen dieser hier, die neben ihm saß und ihm sein Leben deutete.

Blanche aber fuhr fort: »Und auch das ist schön, sich seinem Schicksal hinzugeben, und des Geschickes Gaben und Stöße mit gleichem Dank empfangen. Aber es ist die Art des Jünglings. Der Mann zwingt das Schicksal. Der Mann wählt sein Schicksal. Und wenn es not tut, trotzt er dem Schicksal und macht sich sein Schicksal selbst. Und dann hilft ihm das Schicksal, wie eine Frau – ich meine eine wirkliche Frau – dem Manne hilft, sich sein Leben zu bauen.«

Florentin schwieg und sah sie an. Diese Frau war eine wirkliche Frau, und ihr war es zuzutrauen, daß sie einem Manne half, mit eigenen Händen sein Leben zu bauen.

Billy sah von einem zum anderen. Das Gespräch war mit eins so ernst geworden; dunkel fühlte sie irgendeine Beziehung: aber konnte das auf Florentin gehen, dessen Leben bisher doch so märchenhaft schön gewesen war; wenn es auch vielleicht im Grunde sehr traurig war? Aber das paßte doch zu ihm, und sie hätte sich's anders gar nicht denken können.

Sie fühlte die Verlegenheit der beiden anderen, und um ihnen darüber wegzuhelfen, sagte sie und suchte nach einem möglichst drolligen Ton dafür: »Glaubt ihr, daß sie bei Lederers Ähnliches reden?«

»Nein, Billy, das glaube ich nicht,« erwiderte Frau Blanche, »und doch glaube ich, sind wir heiterer. Weil uns eben alles mehr bedeutet als denen. Die Schönheit des Abends, die Ruhe 139 über den Bergen, die Helligkeit der Lampen und auch unser Gespräch. Ich kann mir nicht helfen, ich finde das alles sehr schön und freue mich darüber, und freue mich, daß ich mich darüber freuen kann. Zum Heiterseinkönnen gehört Ernstseinkönnen. Mir ist ein Gespräch, sind Worte nicht gleichgültig, und ich liebe die Menschen, denen ein Wort bedeutend wie ein Schicksal, denen es ihr Schicksal werden kann.«

»Mir ist ein Wort Schicksal geworden«, sagte Florentin leise. »Und heute spüre ich es stärker als je.«

»Und ich weiß, welches«, erwiderte Blanche.

Florentin sah auf.

»Das Wort: Freiheit«, sagte sie einfach.

War diese Frau eine Zauberin, daß sie sein geheimstes Denken erriet?

»Und es ist auch mir das Liebste«, sagte sie, und ihre Wangen glühten.

Florentin fand sie wunderschön, jetzt.

»Und das schönste Wort der Sprache«, sagte er.

»Es ist mehr, als bloß Wort«, sie.

Und er: »Mehr, als bloß Begriff. Es ist nicht wahr, wenn sie es eine Ideologie nennen.«

»Und es hat nichts mit Politik zu schaffen.«

»Und mit Partei. Und mit Liberalismus.«

»Es ist Erleben.«

»Tiefstes menschliches Erleben . . .«

»Und seelisches Bedürfnis . . .«

»Und Notwendigkeit . . .«

»Und genau so wirklich und real wie irgendeine menschliche Beziehung. Für mich genau so real wie Familie oder Ehe. Mehr.«

»Und genau so wirklich, wie Essen und Trinken, Atmen und Luft.«

140 »Und so oft ich es höre, ergreift es mich immer wieder im Innersten und wühlt mich auf, wie kein anderes Wort es vermag.«

»Ich könnte heulen, wenn ich es höre. Vor Freude, vor Begeisterung, vor Wut, vor Zorn, denn ich leide maßlos, unmenschlich unter jedem Zwang.«

»Und ich auch,« schrie sie auf, »und ich liebe die Freiheit wie du!«

»Und könnte sterben für sie, jeden Augenblick!«

»Nicht sterben!« rief Billy ängstlich dazwischen, die, dem Doppelgesang lauschend, erstaunt von einem auf den anderen geblickt hatte.

»Nicht sterben!« wiederholte Frau Blanche. »Leben sollst du für sie und in ihr!« Sprang auf, füllte blitzschnell die drei Sektgläser und rief: »Es lebe die Freiheit!«

Er sah die Glühende, Bebende, sah die Bewegung ihrer kleinen weißen Hand, sah in wachsender Verwirrung, wie wunderschön diese Hand war, und hätte sie küssen mögen. Und auch er sprang auf, ergriff sein Glas und rief: »Es lebe die Freiheit!« Sie sahen einander tief ins Auge, hoben die Gläser und stießen an. Auch Billy hob ihr Glas und stieß mutig mit auf die Freiheit an, und dann zerschellten sie die Gläser auf den steinernen Fliesen der Veranda.

»Ist das heute schön!« rief Sibyl, ganz begeistert. »Ach, was seid ihr beide für Menschen! Für wundervolle, warme, goldige Menschen! Das kann ich gar nicht so sagen: das müßte man tanzen!«

»Das sollst du auch, Billykind!« sagte Frau Blanche. »Ihr dürft jetzt in mein Zimmer und ich spiele euch auf, und ihr beide sollt tanzen!«

»Weißt du auch, was das bedeutet, Florentin?« rief Billy, ganz außer sich. »In Muttis Zimmer, ins Allerheiligste, und sie spielt selbst auf! Das ist die höchste Ehrung. Das gab's nur 141 an ganz seltenen Feiertagen. Florentin, da kannst du stolz darauf sein!«

Frau Blanche führte und Florentin folgte, von Sibyl gezogen. Es war ihm einen Moment lang, als er in den hellen feierlichen Frieden dieses Raumes trat, als beträte er wirklich ein Allerheiligstes. Er fühlte sich fast beklommen. Hier also lebte und webte diese seltsame, verehrte Frau, zwischen diesen schönen, köstlichen Dingen atmete ihre Einsamkeit, hier träumte sie, dort schlief sie, diese Luft, die er jetzt trank, war die ihre. Eine Blutwelle schlug, spürbar, an sein Herz, und er glaubte ihr näher zu sein, als je zuvor, fast körperlich nahe. Und er ging ganz leise, behutsam, fast auf den Fußspitzen, und traute sich kaum, näher zu treten.

Blanche saß am Flügel, schlug an. »Die Werber.« Sibyl stand vor ihm, sah ihn bittend an: »Kannst du?« »Natürlich.« Sie schlang die Arme um seinen Hals und sie begannen.

Sie tanzten auf dem kleinen Fleck in der Mitte des Zimmers. Mehr brauchten sie nicht. Immer auf demselben kleinen Fleck, in der schönen, ruhigen, bedächtigen, alten Art des Wiener Sechsschrittwalzers. Ganz langsam zuerst, fast schreitend, wiegend, bis sie der Rhythmus ergriff, sich in sie ergoß, bis in die Fingerspitzen, und sie nicht mehr anders konnten, als jeder kleinsten Bewegung des Tons mit jedem Teil ihres Körpers und ihrer Seele nachzugeben und sie zum Schlusse eins waren mit dem Wogen und Gleiten und Hüpfen und Fließen der Melodie.

Sibyl tanzte wunderbar. Mit der ganzen Hingegebenheit und Selbstvergessenheit der Jugend. So fest sie sich an ihn schmiegte, blieb sie leicht wie eine Flaumfeder und er spürte sie kaum im Arm. Elfenhaft schwebte das schlanke Ding, mit halbgeschlossenen Augen und vergaß sich und die Welt und spürte nichts als den Rausch des Rhythmus und der Bewegung. Und er mit ihr. Losgelöst, erdentrückt, verging ihm alles Denken und er wußte nichts mehr von sich, nichts mehr von seinem Leben, von keinem 142 Menschen etwas, auch von dem süßen jungen Ding in seinem Arm nichts, nichts, als den heiligen, himmlischen Rausch, der aus den Tönen in seinen Körper quoll und in seinem Blute sang.

So tanzten sie, immer auf demselben Fleckchen, Walzer um Walzer, und Billy war unermüdlich, selig und wunschlos glücklich. Auf einmal aber brach sie ab und sagte: »Jetzt mußt du aber mit meinem Mutti tanzen. Ich spiele euch, wenn ich es auch nicht ganz so schön kann, wie Mutti. Was kann Mutti nicht besser als alle anderen?«

Und sie gab nicht eher Ruhe, bis Frau Blanche ihr am Flügel Platz gemacht hatte. Sie begann langsam, getragen, feierlich die ersten Takte der »Rosen aus dem Süden«. Und die beiden, Blanche und Florentin, standen einander gegenüber. Fast verlegen, gesenkten Auges, wagten einander kaum anzufassen. »Sei nicht kindisch!« machte sich Florentin innerlich Mut und legte seinen Arm um ihre Taille. Die ersten Schritte machten sie fast ungeschickt. Er hielt sie ganz locker, fast von sich ab. Und auch sie senkte den Kopf, ängstlich. Und nun ergriff sie der Rhythmus. Aber sie hörten ihn nicht. Hörten die Melodie nicht, hörten die Musik nicht, den Walzer nicht. Hörten nur ihren Atem, nur den Rhythmus, der von einem zum anderen ging, und spürten plötzlich: Dies ist der einzige Mensch, mit dem ich wirklich tanzen kann. Dies ist derselbe Lebensrhythmus wie der meine. Und fühlten plötzlich, wie sie mit einem Anderen eins wurden, eine Einheit in Körper und Seele; bis dahin, bis zu diesem Moment ein Halbes, das seine Ergänzung gesucht hatte, und das sich nun auf einmal, in diesem Augenblick vollendete. Und hielten sich dabei immer noch vorsichtig an Armen und Händen, als scheuten sie, sich allzu nahe zu berühren. Und doch war ein Rausch in ihnen, so daß sie es gar nicht gemerkt hatten, wie Sibyl längst geendet hatte, und erst, als diese fröhlich in die Hände klatschte, erwachten sie und wußten nicht, wie ihnen war.

»Laßt mich jetzt wieder ans Klavier,« sagte Frau Blanche, 143 »und ihr könnt weiter tanzen!« Aber Billy wollte nicht mehr. »Nein, Mutti, jetzt nicht mehr tanzen! sondern: einen Herzenswunsch habe ich noch, Muttchen, liebes, goldenes, und den darfst du mir heute nicht abschlagen. Nicht wahr, nein, Mutti, du schlägst ihn mir nicht ab?« »Nein, Kind, nichts schlage ich dir heute ab. Was will mein Billykind?« »Singe, Mutti! Ein einziges Mal. Dein Lieblingslied. Du weißt doch: ›Wie eine trübe Wolke‹, das aus der ›Winterreise‹.« »Gerade das?« Frau Blanche besann sich einen Augenblick. »Also gut, Kind. Ich kann euch heute nichts abschlagen.« Und sie begann. Und blieb ruhig und stark.

Aber dann kam die Stelle:

»Ach, daß die Luft so ruhig!
Ach, daß die Welt so licht!
Als noch die Stürme tobten,
War ich so elend nicht.«

Und es überkam sie und war stärker als sie und uferlos, schrankenlos gab sie sich einer nie vorher gefühlten Leidenschaft, einem nie vorher gekannten Schmerze preis.

Als das Lied zu Ende war, liefen Sibyl die hellen Tränen über die Wangen. »Dieses Lied«, dachte sie, »habe ich doch schon von Mutter gehört. Oft schon: ich stand an der Tür, jedesmal, wenn sie es sang, und lauschte, ohne daß sie es wußte. Aber nie noch hat sie es so gesungen wie heute. Warum nur? Was war das heute? Warum hat dieses Lied heute so ganz anders geklungen als sonst?« Aber sie sagte es nicht.

Florentin starrte mit aufgerissenen Augen ins Nichts. Dieses Nichts war sein Leben. Fenster waren ihm plötzlich aufgerissen und hinter ihnen war das Nichts, war Leeres. Und darüber stand es in großen Lettern: dieses eine, immer wieder das eine, ein Echo, ein ewiger Kehrreim, und drückte jedes Gefühl aus, dessen er jetzt mächtig war: 144

»Als noch die Stürme tobten,
War ich so elend nicht.«

Sein Leben.

Frau Blanche nahm sich zusammen. Jetzt hatte sie sich völlig in der Gewalt. Sie brauchte sich nicht abzuwenden, ihr Auge war trocken, keine Träne benetzte ihre Wange, nichts zuckte in ihrem Gesicht, ihre Lippen saßen fest und ruhig aufeinander.

So blieben sie, nach dem Liede, alle drei ganz still.

Da wurde es auf einmal draußen laut. Otto Moser kam nach Hause. »Was? Ihr seid noch auf?« fragte er verwundert. »Ich habe euch längst in den Betten vermutet. Ihr habt euch also auch nicht gelangweilt. Das freut mich. Im Gegenteil. Da ging's ja hoch her, bin auch dabei. Übrigens, es war reizend bei Lederers. Schade, daß ihr nicht mit wart. Ihr wißt, ich bin gewiß kein Freund von derlei Gesellschaften und bleibe lieber in meinen vier Wänden, wo es immer am schönsten ist. Aber was wahr ist, muß ich sagen: es war reizend. Es sind reizende Leute. Glaubt mir, ihr könnt es bedauern, daß ihr zu Hause geblieben seid.« 145

 


 << zurück weiter >>