Arthur Kahane
Willkommen und Abschied
Arthur Kahane

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4.

Es wird wohl nicht gerade das erste Frühlicht gewesen sein, das neugierig in die offenen Fenster des Landhauses hineinguckte, um die säumigen Schläfer aus den Federn zu ziehen.

Aber der Herr, der so breit und rosig dalag, ein friedliches Bild behaglichsten Schlafgenusses, dachte noch gar nicht daran, sich von einer vorwitzigen Morgensonne wecken zu lassen. Er schlief viel zu gut und viel zu fest, schnarchte wohl auch ein weniges, und alles an ihm atmete Zufriedenheit und Freude. Zufriedenheit mit der Welt, Zufriedenheit mit dem Leben, Zufriedenheit mit sich selbst und Freude auf ein gutes Frühstück.

Die junge Frau lehnte das anmutige Köpfchen auf den aufgestützten Arm, den die herabfallenden Spitzenärmel des Hemdes frei ließen, und blinzelte aus halbgeschlossenen Augen, die der Schlaf geflohen hatte, angenehm müde in den jungen Tag. Ein Lächeln umspielte den Mund und sie war nicht böse über die schlaflose Nacht, denn mehr als die wirre Flucht der Träume liebte sie dieses allmähliche Regewerden ihres halbwachen Bewußtseins und ließ es gerne an lieben Bildern weiterbauen. Und gab es liebere als junge Irrtümer, die ihre Locken schütteln und hinter einem Nichts, hinter Phantomen her die Welt durchjagen? Wie sie das verstand! Wie liebte sie das! Wie gut mußte das sein, den holden Irrtum, wie eine Mutter den Sohn, am wilden Haar fassen und zurechtführen zu können, auf den rechten Weg, zu sich selbst zurecht, zu dem verlorenen und gesuchten Ich zurück, 76 zu dem doch alle Flucht und Jagd der lange Umweg war! Und noch besser mußte es sein, mit dem jungen Irrtum selbst wieder ganz jung zu werden, mit zu irren, mit zu jagen. Denn noch war etwas von dieser Jugend in ihr, sie hatte es mit einemmale gespürt, das von ihrem Leben, von ihrer Klugheit und Bewußtheit noch nicht zugeschüttet war. Oder war es nur Verständnis für die Jugend? Und sie selbst nicht mehr jung genug, mit dem Irrtum zu spielen, ebenso wie der Irrtum – ach! – nicht jung genug war, bloß ihr Sohn zu sein? Sie seufzte und – lächelte.

Und ein ganz junges Mädchen schlief fest und tief seinen jungen Schlaf, der zum erstenmal nicht mehr ein Kinderschlaf war. Die Kissen waren feucht von Tränen, und es hatte sich in den Schlaf geweint. Zum ersten Male hatte es in das Leben hineingeschaut und begriff nicht, wie es so wild und böse sein konnte und dabei doch so unheimlich schön; und zum erstenmal hatte es geglaubt, den Tod zu spüren. Und ein grenzenloses Mitleid überkam es und eine unbändige Lust, zu helfen und zu retten; dieses Mannes Leben wie einen jungen Vogel in der kleinen Mädchenhand zu halten, es an seiner Mädchenbrust zu bergen und seinen Herzschlag zu spüren, bis es warm würde wie die Tränen an ihrer Wange. Und war so eingeschlafen.

Florentin aber hatte es im Bette nicht geduldet. Er war aufgesprungen und ruhelos die langen Stunden bis zum hellen Tag im Zimmer auf und ab gegangen. Er schämte sich wie noch nie in seinem Leben. Zum erstenmal hatte er von sich geredet, hatte andere in das ängstlich gehütete Innere seines Wesens hineinsehen lassen, hatte alle Hüllen seiner Seele fallen lassen. Nun stand er nackt und bloß da. Und doch hatte er nicht anders können. Plötzlich war es über ihn gekommen, diesen beiden Frauen, gerade diesen, nur diesen, sein Leben hinzuwerfen, sich selbst zu schenken, restlos, ohne Vorbehalt. Ein grenzenloses Vertrauen war über ihn gekommen und der Drang, es zu zeigen; und wie ein 77 Kind, das zur Mutter zurückgefunden hat, empfand er bei ihnen Heimat und Geborgenheit.

Nun schämte er sich dessen und lief an den See hinunter, um wieder einmal einsam zu sein, wie er es bisher immer gewesen war. Aber er konnte es nicht mehr. 78

 


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