Arthur Kahane
Willkommen und Abschied
Arthur Kahane

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9.

Die nächsten Tage behielten noch etwas Festliches. Es schien eine gemeinschaftliche Übereinkunft, daß sie gewissermaßen dem Brautpaar gehören sollten, und alle übten die Rücksicht, die beiden möglichst viel allein zu lassen. Otto Moser gab es den willkommenen Anlaß, alte, liebgewordene Junggesellengewohnheiten wieder aufzunehmen und mit seinen zahllosen Bekannten im Café und im Restaurant beisammen zu sein, wo er sich immer sehr wohlfühlte, wenn er auch abends jedesmal wieder beteuerte: zu Hause sei es ja doch am schönsten. Frau Blanche war viel allein, beschäftigte sich angelegentlich mit Wirtschaftsdingen, war wohl etwas stiller als sonst, trug aber gegen alle ihr gleichmäßig freundliches Wesen zur Schau. Bei den gemeinsamen Mahlzeiten, die von einer fröhlichen Herzlichkeit belebt waren, schmiedete man Zukunftspläne, einigte sich darauf, die Hochzeit im Frühherbst, möglichst bald nach der Ankunft in der Stadt zu feiern, und zwar, wie es dem Wunsche aller, auch Otto Mosers, zu entsprechen schien, sehr still und einfach, und von Fremden ungestört, bestimmte die Gegend der zukünftigen Wohnung, richtete sie ein und legte im Prinzip die Grundlinien der künftigen Lebensführung fest. Florentin hätte gern etwas Näheres über die Art der Arbeit, die sein Bruder ihm zudachte, erfahren, aber dieser war nicht zu bewegen, über Andeutungen allgemeiner Natur hinauszugehen, und beschwichtigte ihn, wenn er dringlicher wurde und Details verlangte, immer wieder mit den Worten: »Das laß meine Sorge bleiben! Ich sage dir 124 nur, du wirst zufrieden sein. Und kümmere dich jetzt um nichts als um deine Billy!«

Florentin gab sich zunächst damit zufrieden. Wenn sich auch manchmal ein Drang nach Arbeit und Tätigkeit in ihm zu regen begann, so bot dieser neue Zustand eines bürgerlichen Verhältnisses, in den er zum erstenmal seit einer Reihe von Jahren getreten war, ihm so viel Ungewohntes und, wie er sich selbst gestand, auch unerwartet Reizvolles, daß er innerlich vollauf damit beschäftigt war, sich hineinzufinden. Diese reine Luft friedlichen Behagens, die stille Anmut einer vornehm weiblichen Atmosphäre, das gute Gefühl des Geborgen und Gehegtseins, das Frauenhafte, ja Mütterliche, das ihn von allen Seiten mit vielen unauffälligen Zeichen unhörbar leiser, bettender Sorgfalt und Rücksicht umgab, wie er es seit seinen Knabenjahren nicht mehr gekannt hatte, das alles war ihm so neu und zugleich so wohltuend, daß er sich dem Gefühl wunschlos hingab und das leise Nagen irgendwelcher Skrupel und Zukunftsgedanken gerne überhörte. Das Neue umfing ihn wie ein Altvertrautes, Langvergessenes, Wiedergefundenes. Dasselbe Gefühl strömte ihm, mit jedem neuen Tage wachsend, aus diesem Boden zu, den seine Knabenschuhe getreten hatten, aus diesen Wäldern und Wegen, die ihn wie einen lieben Freund grüßten. Erinnerungen stiegen auf, hüllten ihn ein, deckten sein Leben zu, und bald war ihm, als wäre er nie fort gewesen, oder nur eine kurze Zeit, die Spanne eines kurzen, schnell vergessenen Traumes. Und das junge Ding an seiner Seite verwuchs ihm mit der Natur seiner Heimat, wie wenn er überraschend erblüht eine kleine Schwester wiedergefunden hätte, mit der er einstmals vor Jahren auf diesem kleinen Winkel Erde gewandelt war.

So strichen die beiden, allein gelassen, tagelang durch die Wälder, über die Berge, an den Ufern der Seen. Die beiden Hunde liefen, meistens, hinterdrein. Die ließen es sich nicht nehmen, Boz in alter, unscheinbarer, unaufdringlicher Treue an den 125 früheren Herrn, wie wenn die Zwischenjahre nicht gewesen wären, und die Hex, damenhaft spröde erst gegen Florentin, aber dann deutlich, ernsthaft und eifersüchtig an ihn attachiert, in unverkennbarer Rivalität mit Boz, der das friedlich, wie alles, mit äußerster Gelassenheit hinnahm. Sibyl aber blühte auf. Mit Florentin allein verlor sie jede Scheu, und das sonst so stille Mädchen wurde hell und fröhlich wie junges Laub. Seine Nähe verwandelte sie förmlich, sie fühlte sich ganz frei und entfesselt. Mit ihrer Mutter, deren Gegenwart sie auch nie drückte, deren tiefes Verständnis für jede ihrer Regungen sie dankbar spürte, war es ähnlich, aber doch anders. Florentin war so einfach wie sie selbst. Mit ihm konnte sie spielen, wie ein Kind mit dem anderen. Spielgefährten hatte sie ja nie gehabt, alle, auch die Mädchen, waren ihr immer so roh erschienen; und gekünstelt, besonders die Mädchen. Hier war einer, der keine Verstellung kannte und kein Falsch und keine Hintergedanken, und dem sie alles sagen konnte, ohne daß er sie auslachte oder kindisch fand; er war geradeso kindisch wie sie selbst, obwohl er so furchtbar viel erlebt hatte. Er konnte über dieselben Dinge lachen wie sie; und sie glaubte, auch über dieselben Dinge weinen wie sie, obwohl er ein Mann und soviel älter war als sie. Sie sprachen über die einfachsten und selbstverständlichsten Dinge. Und sprachen ganz einfach und selbstverständlich darüber. Über Blumen und Bäume und Tiere, und über die Berge und Wege. Und manchmal sprachen sie auch über nichts und es war auch schön. Dann mußte sie immer denken: woran denkt er jetzt; ob er an die vielen wilden Sachen denkt, die er erlebt hat? Und das war gerade das Schöne, daß er so viel erlebt hat und doch so einfach war. Und dann tat er ihr auf einmal wieder leid, und sie hätte gerne immerzu für ihn was zu sorgen gehabt oder etwas Schweres zu tun. Und sie mußte an das eine denken, an das sie sich nicht zu denken traute, daß dieser Mann, dessen Braut sie jetzt war, hatte sterben wollen. Und wie schön es war, daß 126 er jetzt wieder so fröhlich war. Aber dann war auch das sehr schön, jetzt nach Hause zu kommen, und Mutter ist schon da und wartet, und sie, Sibyl, wird mit den beiden Menschen zusammensitzen, die sie so furchtbar gern hat. Das sagt sie ihm, und sie sieht es ihm an, auch er freut sich darauf, mit Mutter zusammenzusitzen.

Und dann ist es bald Abend, und sie kommen heim und richtig! Mutter sitzt schon da und wartet, daß die beiden nach Hause kommen. 127

 


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