Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

X.

Während ich soeben bei der Niederschrift dieses Abschnittes des »Loches im Ozean« eine kurze Pause gemacht habe, weil Coy Cala in meine improvisierte Sommerlaube, mein Dichtergemach, eingetreten ist und mir das Fell eines frisch erlegten Pumas zeigt und geringschätzig meint, ich sei ein Narr, weil ich die Jagd versäumt habe, denke ich unwillkürlich an Ben Akibas wahres Wort:

Alles schon dagewesen!

Coy läßt mich wieder allein, und ich schaue auf die freundliche Bucht hinaus, wo am Strande Coys braune Rangen splitternackt im Wasser plantschen. – Ja – alles schon dagewesen, alles! Erinnerungen kommen ... Was tat doch mein lieber Kamerad Boche Boche auf dem »Torstensen« mit einem Kerl ähnlichen Kalibers wie Leon?

Ich rieche plötzlich den Gestank verbrannten Menschenfleisches ... – –

Und hier in der Grotte von Santa Ines spritzt der Blutfaden gegen das Gestein ...

Unaufhörlich ...

Turido hat die Augen geschlossen. Achim sitzt und raucht wieder ...

Turido lächelt ...

Etwas Unnennbares schleicht hier umher, etwas, das mehr als Grauen ist ...

Jeder Herzschlag des Mannes dort treibt ihm den Lebenssaft aus dem Körper. Der Mann wartet auf den Tod ... Und wir darauf, daß er den Mund öffne ...

Der Tod schleicht hier umher ...

Chubur ist erwacht, kriecht näher heran, starrt auf den Verblutenden, kriecht wieder zurück auf sein Graslager und sein Auge lodert ...!!

Ich fülle mir den Aluminiumbecher halb mit Tee, halb mit Kognak ... Die Flasche in meiner Hand zittert ...

Wenn Turido stirbt, werden wir vielleicht nie die Wahrheit erfahren und die große Frage, ob es Holger Jörnsens Gold ist, das diese Russen stehlen, wird stets offen bleiben.

Ich trinke ... trinke ...

Näsler raucht ...

Und die rote Fontäne spritzt gegen hartes Gestein, rote Krusten ziehen nach unten, versickern in eine Spalte.

Chubur sitzt aufrecht, starrt ... wartet.

Chubur, der Einäugige ...

Eine unerträgliche Spannung zerrt an meine Nerven.

Der Laternenschein macht Leons Gesicht zur leichenhaften grinsenden Fratze.

Ich halte es nicht mehr aus ... Meine Nerven streiken.

Her mit dem Sprit ... Her mit dem Mittel, das Menschen zu Vampiren macht und andere zu geistvollen Schwätzern ... Mir soll's nur die Nerven schmieren, daß sie wieder weich und gehorsam werden.

Achim stiert in den feinen Nebel des Teetopfes ... Seine Finger zerblätterten die Zigarre. Seine rechte Fußspitze ist in dauernder Bewegung.

Wir warten ...

Das entsetzlichste Warten, das wir je durchgemacht – ich gewiß! Ob Achim schon Ähnliches erlebte – – ich weiß es nicht. Was weiß ich überhaupt von ihm?! – Er heißt nicht Näsler ... Joachim heißt er ... Und Ostpreußen muß seine Heimat sein ... Verheiratet ist er mit Ellinor, geborene Mangrove aus New Orleans, beider Kind Allan, der da schläft – – schläft und rote braune Wangen hat, der den Onkel Joachim liebt ...

Das weiß ich von ihm ...

Und noch eins: daß er sich selbst Lump nennt und doch ein ganzer Kerl ist!

Er regt sich kaum. Seine Finger spielen nur, die Fußspitze wippt ...

Dann wendet er ganz langsam wie im Traum den Kopf zu seinem Kinde hin, schaut den Knaben an ...

Lange ...

Und holt tief, tief Atem, dreht sich mir zu, flüstert nur:

»Abelsen, – ich kann's nicht vollbringen, ich kann's nicht, des Kindes wegen, denn es ist letzten Endes kaltherziger Mord ... Ich kann's nicht!«

Meine Hand sucht die seine ...

Dann verbinden wir die spritzende Arterie, binden sie kunstgerecht ab, säubern die Wunde von neuem ...

Turido lächelt dazu ...

»Feiglinge!!«

Lacht schrill hinterdrein ...

Chubur kriecht wieder heran ...

»Ah – weil Europäer sein!!« keucht er und tastet nach einer der Pistolen ...

»Nein, sondern weil ich etwas Besseres weiß, Chubur!« sagt Joachim halb verlegen ...

Verlegen, weil er die eigene Schwäche fühlt, weil er doch keine Natur, die bis zum äußersten geht ... »Besseres, Chubur. Wir werden mit ihm hinausfahren zu den Klippen, mit ihm als Kugelfang ... Er wäre gestorben, und wir würden nichts erreicht haben. Vielleicht erreichen wir so etwas. – Abelsen, wenn Sie mit Coy das Boot herrichten wollten ...«

Ich finde Coy hinter einem Stein hocken, rauchen. Der Mond bescheint gerade die Seite des Walkadavers, an dem die Köpfe im stinkenden Fett hängen, Köpfe dreier, die nicht reden sollten. Coy hört zu, nickt.

»Gut sein Plan, gut sein ... Aber Steinplatten mit in Motorboot nehmen gegen Kugeln ... Und vor Seitenhöhle, wo Lager, vorher noch Steinwall ... Könnten kommen, die Schurken. Sind nur drei Verteidiger: ich, Chubur, Allan. Vorsicht immer gut ...«

Ich nehme das Fernrohr ...

Ringsum nichts Verdächtiges.

»Woher kamen Salven, Coy?«

»Von Riffen dort, Mistre Abelsen ...«

Er deutet auf den Buchtausgang ...

»Haben Mut jetzt, Mistre ... Ich sahen Schüsse genau aufblitzen ... Dort sehen noch Spitzen von Viereckriff ... Von dort kommen Kugeln, bestimmt ... Riff bald verschwunden. Ich immer beobachten. Aber nichts erkennen. Kein Boot von Riff wegrudern. Sehr seltsam das sein, Mistre Abelsen ...«

Ich blickte durch das Rohr.

Die Wogenkämme gehen bereits über die höchsten Stellen des Vierecks hinweg.

Und als wir dann das Motorboot zu Wasser bringen, stört uns keine Kugel, nichts. –

Achim trägt Leon Turido über den faulenden Tangberg bis in das Motorboot, in unser Panzerschifflein. Coy hat die Steinplatten sauber abgestützt, und Leon Turido sitzt vor dem gepanzerten Heck an die Bank gebunden.

Der Motor springt an. Ich am Steuer, Achim mit zwei Karabinern und meiner Sniders kniend. Das Boot flitzt vorwärts durch silbernen Mondenglanz des Wasserspiegels.

Wir kommen so endlich aus der vergifteten Luftzone des Wales heraus, und unsere Lungen saugen mit Gier den frischen Salzhauch des nahen Pazifik ... Unsere Brust weitet sich ... Müdigkeit, Abspannung?! Oh – nichts mehr davon! Ein unerhörtes Kraftgefühl flutet mir durch den Körper. Ich fühle mich Gott auf dieser Fahrt zu den Klippen. Ich fühle das durch keine Worte wiederzugebende Hochgefühl köstlichen freien Abenteuertums ... Vielleicht prasselt im nächsten Moment irgendwoher eine Salve auf uns herab. Vielleicht liegen wir im nächsten Moment mit einem Luftloch im Schädel auf den Bodenplanken ... dann sind wir gestorben wie sich's für uns geziemt.

Aber, nichts prasselt ...

Wellen rauschen, Wind säuselt in zerrissenen Klüften. Es ist die große Einsamkeit weltvergessener Gestade. Nichts gemahnt uns und dem dahinschießenden Boot an das, was hier irgendwo schlummert: Das Geheimnis des Goldes!

Leise Zweifel kommen mir. Schon einmal bin ich dem lächerlichen Worte Gold gleichsam auf den Leim gegangen. Der Kutter »Torstensen« und was ich auf ihm erlebte, hätte mich warnen sollen, warnt mich auch. Damals hatten Boche Boche und ich den alten Käpten Holger Jörnsen auch im Verdacht gehabt, Goldsucher spielen zu wollen. Und hier?! Konnte uns Leon Turido, der da vor uns zusammengesunken da saß, an ein Stück Ruder als Rückstütze gebunden, – konnte er uns nicht auch lediglich genarrt haben?! Ging's den Turidos wirklich um Gold?!

Unser Boot glitt über die Stelle hin, wo jetzt das Riffviereck tief unter den anrollenden Wogen lag.

Wir hielten auf die Klippen zu, die wie Mauern halb eingestürzter Paläste aus dem silbernen Gefunkel der ruhelosen Wassermassen sich hochreckten ... Steinpfeiler, Steinsäulen, düstere Wände ...

Mit halber Kraft tummelte das Boot sich zwischen den gefährlichen engen Kanälen dieses Granitwalles umher.

Bis Leon Turido den Kopf wandte und mir zurief:

»Wenn Sie unsere Jacht suchen – weiter links! Aber Sie werden nur ein versunkenes Wrack finden.«

Er hatte nicht gelogen. Inmitten eines Beckens, das wie von einem Steinzaun umgeben war, ragten lediglich noch die Masten, der Schornstein und das Heck aus dem Wasser hervor. Jetzt bei Flut. Bei Ebbe mochte noch ein Teil des Decks freiliegen. Aber trotzdem: dieses Wrack konnte unmöglich einen Menschen beherbergen.

Dennoch kreuzten wir noch volle zwei Stunden zwischen Klippen und Riffen ...

Fahrt ohne Ziel, Fahrt in den Tod vielleicht, Fahrt ohne Zweck ...

Wir kehrten um. Legten neben dem Wal wieder an. Coy kam und meldete, daß alles in Ordnung.

Drei Uhr morgens war's. Ich übernahm die Wache.

Und der Wind, der bisher genau von Westen geweht, drehte nach Süden. Ich merkte es zuerst daran, daß der Verwesungsgestank nachließ, daß die Brandung draußen schwächer wurde und der Himmel sich mit feinen Dunstschleiern überzog. Das Wetter würde umschlagen. Vielleicht hatten wir nach einer Stunde schon Regen, Schnee, Kälte. Im Magelhaens ist alles möglich.

Nächtliche einsame Wache ...

Vielleicht sind in all jenen Stunden, wenn ich für die Gefährten die Augen und Ohren, alle Sinne in steter Bereitschaft halte, wenn der Zauber der Einsamkeit und der Reiz der unberührten, in dunkle Schleier gehüllten Natur zu mir redeten in Versen, die nur mein Ohr empfand – köstlicher als die lieblichsten Gesänge begnadeter Dichter, – vielleicht ist damals, und es war ja ein häufiges, wechselndes Damals, in meinen nüchternen Ingenieurverstand das Samenkorn der Phantasie gefallen, das mich nun als blühendes Gewächs mit lockenden Zweigen in Bann hält. Für mich schreibe ich nur – nur für mich. Und ich könnte, wenn ich wollte, hier noch zahllose Einzelheiten einflechten, die in meiner Erinnerung greifbar deutlich erstehen, sobald ich mit geschlossenen Augen an die großen Umrisse des Selbsterlebten zurückdenke. Ich weiß zum Beispiel genau, daß damals nachts an der Turido-Bucht zwei Wildhunde geschickt wie die Gemsen die Steilhänge herabkamen und auf den Wal zuliefen, angelockt durch den Hauch der Verwesung. Sie kniffen wieder aus – vor den drei menschlichen Köpfen, und im Nu waren sie wieder verschwunden.

Das Fernrohr lag neben mir, und ich benutzte es fleißig. Ich sah, wie die Gezeiten der Bucht wiederkehrten, wie die Flutmarken hervortraten, wie die Ebbe allmählich die Riffe hervorzauberte und der Schwanz des Wales wieder trocken wurde.

Abermals hatte ich das Fernrohr am Auge. Jetzt lag auch das Riffviereck draußen frei ...

Sinnestäuschung?

Was war das soeben gewesen?

Ein Lichtschein ...?

Da – wieder ...

Die Augen tränten mir, so angestrengt schaute ich hin.

Lichtschein über dem Riffviereck, ganz schwach, als käme das Leuchten aus den Tiefen hervor.

Nichts mehr jetzt ...

War's wirklich nur Augenblendwerk gewesen?!

Ein Geräusch hinter mir: Achim!!

»Sie schlafen nicht?!«

Er gähnte herzhaft.

»Kann nicht, Abelsen, kann nicht!«

Merkwürdig sein Ton ...

Setzt sich neben mich, bläst in die glimmende Spitze seiner Zigarre.

»Abelsen ...«

»Ja – ich höre ...«

»Abelsen, ich ... ich möchte Sie etwas fragen.«

»Bitte ...« – Merkwürdig ist er. So ganz anders als sonst.

»Ehrliche Antwort, Abelsen ... Meinen Sie, daß Allans Mutter mit ihren Begleitern bei dem Anden-Wirbel umgekommen ist?«

Also doch – – also doch!! Meine Vermutung ist richtig gewesen: Er sorgt sich um Ellinor.

Und ich antworte – ehrlich:

»Wenn der Wirbelsturm die drei auf offener Steppe überrascht hat, dann ...«

» ... Danke ...! – – Abelsen, vielleicht ist es zweckdienlich, Ihnen nun den Schleier zu lüften. Sehen Sie, ich war vorhin eingeschlafen, träumte, daß ich ... ertrank ... Erwachte ... Und da dachte ich: Du kannst wirklich plötzlich sterben, dann wird der Mann, den du schätzen gelernt hast, das sind Sie, Olaf, – dann wird er sich ja fraglos meines Kindes annehmen. Aber mein Sohn soll einst die Wahrheit erfahren. – Hören Sie mir zu ... Nicht viele Worte, ganz kurz. Mein wahrer Name ist Joachim Graf zu ...burg, zweiter Sohn des Fürsten zu ...burg auf ..... in Ostpreußen. (Sollten diese Zeilen je gedruckt werden, so habe ich durch die Punkte, die die Namen nur andeuten, jede allzu krasse Indiskretion vermieden. Achims nähere Bekannte werden ja freilich sofort wissen, wer hier mit »zu ...burg« gemeint ist. Das dürfte jedoch meinen Freunden in keiner Weise Abbruch tun, denn so, wie ich ihn hier mit seinen guten Seiten, seinen Schwächen und Eigentümlichkeiten geschildert habe, so ist er: ein Mann! Und was seine »Lumperei« betrifft, da war er ebenfalls in einem ganz großen Irrtum befangen, was ich stets schon geahnt hatte.) – Ich war Offizier, Abelsen, natürlich, und natürlich Garde. Mein Geschlecht ist im Mannesstamm mit wenigen Ausnahmen nicht im friedlichen Bett gestorben. Die Gebeine meiner Vorfahren ruhen in der Erde, über die ganze Welt verstreut: in Frankreich, China, Ostafrika, Polen, Rußland. Wir waren Landsknechte. Das lag uns im Blute. Nur mir behagte der Soldatenberuf nicht. War mir zu öde, Olaf ... Vier Jahre Leutnant, dann wurde ich Weltreisender. Geld hatte ich genug, wenn auch nicht im Übermaß. 1912 lernte ich Ellinor Mangrove in Monte kennen. Liebe auf den ersten Blick. Ihre zehn Millionen Mitgift waren mir schnuppe. Wir heirateten, siedelten auf die Großfarm in Texas über. Ich wollte arbeiten. Die großzügigen Verhältnisse drüben gefielen mir. Unsere Ehe war ein betäubender Rausch, ewige Flitterwochen. Wir lebten für uns allein, unser Kind und wir selbst genügten uns. So kam der Sommer 1914 heran. Mit einem Male begann Ellinor nervös zu werden. Sie bestellte alle Zeitungen ab, sie vermied jede Reise. Wir lebten vollkommen als Einsiedler. Sie ... schloß sich mit raffiniertester Schlauheit von der Außenwelt ab, bestach unsere Leute, und ich – ahnte nichts von dem, was in Europa sich vorbereitete. Sie wußte genau, daß der Krieg mich aus ihren Armen gerissen hätte. Sie brachte es fertig, mich ein volles Jahr gleichsam einzusperren. Und ich – und das ist meine Schuld, Abelsen, ich blieb blinder, verliebter Gatte und Vater, ich merkte nichts! Schon daraus können Sie ersehen, wie schlau sie es angefangen hat, mich für sich zu ... retten, wie sie sich später entschuldigte. Dann kam eines Tages der Krach ... Ich ritt zu einem Vorwerk, unterwegs begegnete mir in der Steppe ein Nachbar, was man so Nachbar nennt, wo die Farmen acht Quadratmeilen messen. Er, Amerikaner, bereits verhetzt durch die Lügenpropaganda, wollte ohne Gruß vorüber. Ich stellte ihn. So erfuhr ich die Wahrheit. Nun wollte ich weg, in den Krieg, in die Heimat. Ellinor flehte, weinte. Ich war wie ein Rasender. Und ging nach New Orleans, wollte als Heizer hinüber. Doch Ellinors Geld vereitelte alles, Ellinor kämpfte gegen mich. All meine Versuche, den Atlantik zu überqueren, schlugen fehl. – Einzelheiten könnte ich Ihnen geben – ein Buch würden sie füllen. Ich haßte mein Weib, mein Kind. Jedenfalls: Amerika trat auf die Seite der Entente, und ich wurde interniert. Als der Krieg vorüber, schrieb ich den Meinen, weshalb ich nicht meine Pflicht habe tun können. Damals arbeitete ich in New York als Stauer. Jede Verbindung mit den Mangroves hatte ich abgebrochen. – Mein erster Brief nach daheim blieb ohne Antwort. Mein zweiter wurde durch ein paar Zeilen beantwortet: Ich sei aus dem Stammbaum der Meinen gestrichen, denn wer als Deutscher den Lüsten eines Weibes erlegen in jener Zeit, wo jeder an die Front gehörte, sei unseres Namens nicht mehr wert. – So etwa lautete meines Vaters Schreiben. Von da an blieb ich Joachim Näsler, ein Lump vor mir selbst! – Alles weitere wissen Sie, Olaf. Und werden nun auch verstehen, weshalb ich mich damals nachts auf der Robinsoninsel für vier Tage in die Einsamkeit verkroch. Ich hatte meinen Sohn wiedergesehen, erkannt, und ich glaubte ihn zu hassen. – Das ist meine Tragödie. Sie werden jetzt sagen, daß ich an krankhaftem Ehrgefühl leide, daß die Meinen mir bitter unrecht getan haben. Nein, Olaf, sagen Sie das nicht. Der fortgesetzte Sinnesrausch in den Armen einer Frau, die ich vergötterte, die mich vergötterte, hatte mein Hirn stumpf gemacht. Ich hätte merken müssen, daß sie mich einkerkerte, daß mir etwas Großes, Welterschütterndes verschwiegen werden sollte. Ich war ein entnervter Schwächling geworden – und deshalb Lump, – daran ist nichts zu ändern. Bitte – widersprechen Sie nicht. Und wenn Sie mich hier mit noch so tönenden Worten verteidigen wollten: ich bleibe das, was ich vor mir selbst bin! – Sollte ich sterben, bevor ich Allan der Mutter habe wiedergeben können, falls ... diese Frau noch lebt ...« – er kämpfte sichtlich mit tiefer Rührung –, »so werden Sie, Olaf, tun, worum ich Sie bitte. Allan soll die Wahrheit erfahren, Allan soll den Namen tragen, der ihm gebührt, er soll nicht ...«

Schwieg ...

Seine Blicke ruhten draußen auf den Klippenmauern, den Riffen, der jetzt schwachen Brandung. Unversehens war das Dämmern des neuen Tages über das Meer geglitten. Und im geheimnisvollen düsteren Zwielicht der frühen Stunde sahen wir beide auf dem Riffviereck drüben eine einsame Gestalt stehen – einen Mann mit weiß verbundener Stirn ...

Achim riß das Fernrohr an die Augen.

»Leon – entflohen ...!!«

Wie ein Blitz war er dann in der Grotte verschwunden ...

Kehrte zurück.

»Entflohen, Abelsen ...! Entflohen! Die Höhle muß noch einen Ausgang haben. Die Fesseln hat er zerrieben ... Die Freunde schlafen ...«

»Ins Boot ...!«

Und der Motor knallte, knatterte ...

Wie die Toren benahmen wir uns damals. Leon Turido, der da, – Bildsäule – mit verschränkten Armen auf dem Riff stand, das die Wogen nun wieder freigegeben hatten, raubte uns die richtige Überlegung.

Er schaute uns entgegen ... Ohne Lächeln. Sein fahles Gesicht leuchtete durch den Morgen ...

Wir wie Besessene getrieben von dem einen Wunsche, ihn wieder zu fangen ...

Duckten uns wohl hinter die noch vorhandene Panzerung ...

Bessesene, Narren ...

Näher rauschte das Boot ...

Näher ...

Turido blieb ... Sein Votenkopf war der Magnet ...

Achim nahm den Karabiner. Ich stoppte den Motor, griff zum Bootshaken.

»Wenn Sie zu fliehen suchen«, brüllte Achim, »gibt's eine Kugel ...«

Er schaute uns nur starr an.

Das Boot schrammte gegen das Riff ...

Ich warf die Kette über den Fels in das Wasser des steinumgrenzten Vierecks, hatte mich erhoben ...

Sah ...

Und meine Augen kamen nicht los von dem, was ich sah ... Aus dem kleinen Wasserbecken ragte ein rundes breites Loch hervor, oben mit zwei aufgeklappten Halbdeckeln aus dickem Eisen, mit Gummipolstern an den Rändern. Die Kette des Bootes war in dieses Rohr geglitten – in das Loch im Ozean ...

»Es ist alles aus, meine Herren«, sagte Turido dumpf. »Fürchten Sie nichts. Ich bin allein übrig geblieben ...«

»Die Rohrstücke!« rief Achim ...

»Ja – die Rohrstücke haben wir zusammengesetzt, Näsler, haben hier ein Loch im Ozean geschaffen, ein unterirdisches Haus, eine Goldmine unter Wasser ... – Fürchten Sie nichts! Ich bin ohne Waffen. Vater, Mutter, Schwestern, Gefährten – alles dahin ... Ertrunken ... Das Meer hat sich gerächt. Das Meer ließ es sich nicht gefallen, daß wir ihm diesen runden Schacht in den nassen Leib trieben, ihn leer pumpten und mit allen modernen technischen Hilfsmitteln die Goldader Kapitän Jörnsens ausbeuteten. Außerdem, meine Herren, – ich fühle es, daß es mit mir zu Ende geht. Mein Herz war nie in Ordnung, und der starke Blutverlust jetzt ... Da, fühlen Sie meinen Puls, Näsler ... Es ist aus mit mir.«

Achim und ich waren neben ihn auf den nassen Steinkranz getreten. –

Das Loch im Ozean ..!


 << zurück weiter >>