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VII.

Coys blanke Alkoholaugen verrieten weder über den Schacht noch über diese Höhle das geringste Erstaunen. Er war ein primitiver Mensch, der jederzeit mit allerlei Überraschungen rechnete. Das brachte sein Leben als Küstenfischer und Jäger mit sich. Nachdem er nun Allan, an dem er offenbar mit größter, aber versteckter Zärtlichkeit hing, wieder der Obhut Näslers überlassen hatte, richtete er den Lichtstrahl der Laterne auf die kleine Tür, die ich wieder in das einfache Schnappschloß gedrückt hatte. Der in diesen Höhlenwinkel eingemauerte Türrahmen bestand aus alten eichenen Schiffsplanken, die Tür selbst aus dunklem zerkratzten Mahagoniholz – fraglos von einem Dampfer oder dergleichen.

Dann stellte Coy die Laterne auf einen Felsvorsprung, sog die Luft hörbar durch die Nase ein und meinte: »Höhle bis Küste gehen ... Das kennen. Viele Höhlen hier ... Seeluft riechen.«

Nun, das erschien mir denn doch ein wenig zu viel für eine menschliche Nase ...

»Hm – was riechst du denn?« fragte ich merklich ironisch.

Coy zeigte sein überlegendstes Gesicht. »Ich riechen faulende Seetangmassen draußen vor Höhleneingang ... Stinken sehr ... Ich riechen auch faulenden Kadaver von Walfisch, Mister Abelsen. Coy gute Nase. Bestimmt so sein. Ich das kennen ...«

»Amen!!« meinte Joachim. »Schrei' nicht so, mein lieber Coy, denn erstens ist Allan zum Glück fest eingeschlafen, und dann duftet dein Odem ebenso unangenehm wie die anderen Herrlichkeiten, von denen du soeben gesprochen hast. – Ob der Herr Matti Roco, der ›große Windung‹, schon vorübergezogen ist?«

»Noch warten etwas ... Erst reden über Schacht und kleine Tür ... Wie denken Mistre Abelsen davon?«

»Denken, mein alter Coy?! Der Schacht ist neu. Ich habe hier soeben ein Stück Mörtel zerbröckelt: Lehm, Vogeldünger und feiner Muschelkies! Ich schätze, die Familie Turido hat diesen Schacht angelegt.«

»Stimmt!« meinte Joachim. »Jenau dasselbe schätze ich ... Als Notausgang vielleicht ... Wozu sonst?? Die Dielen oben in der Stube hatten keine Falltür, waren aber im Nu zu zerstören, wie Abelsen bewiesen hat. Notausgang – bleiben wir dabei, bis wir etwas Passenderes ausgeknobelt haben.« – Der schnoddrige Ton kam nicht von Herzen. Man merkte es. In seinen Augen war das Dämmern trüber Gedanken. Ob sie Frau Ellinor galten, die sich Ellinor Mangrove nannte und doch Ellinor Näsler oder Ellinor ??? heißen mußte ...?!

Coy beschaute seine blutrünstigen Hände und riß ein loses Stück Haut ab. Wir alle sahen aus, als ob wir mit Stahlbesen gebürstet waren. Allan war am besten weggekommen.

»Turidos haben Haus und Jacht und Boote«, sagte Coy nachdenklich. »Was brauchen Höhle und Notausgang, he?! Ich das nicht verstehen.«

»Ich auch nicht, mein lieber Säufer Coy«, nickte Joachim achselzuckend. »Kommt Zeit, kommt Rat ... – Aber nun dürfte der Anden-Tornado wohl ausjetobt haben. Ich jedenfalls steije eine Etage höher, um mal zu sehen, was aus unserer Villa jeworden is.«

Auch diesmal gelang ihm der Ton eines Mannes, der sein Sach' auf nichts gestellt, gründlich vorbei. Immer mehr befestigte sich in mir die Überzeugung, daß Näsler tatsächlich für die Frau, die er zu hassen und zu verachten vorgab, die ernstesten Befürchtungen hegte.

Allan wurde leise und sanft auf Coys Lederjacke gelegt. Der Araukaner gab sie freiwillig her.

»Mir sehr heiß«, meinte er gutmütig grinsend. Diese Hitze nach den drei Bechern Wurmmittel war weiter kein Wunder.

Wir drei Männer kletterten nach oben. Joachim verlangte den Vortritt, stieg auf Coys Schultern und zog dann diesen und mich in die Stube empor. – Stube? Haus? – Ach nein, von beiden war so gut wie nichts mehr übrig. Die Stube vier Mauerreste, angefüllt mit Baumkronen – ein wüstes Chaos von Ästen, Zweigen, Steinen, Brettern, Balkenstücken. Coys Laterne beleuchtete dieses Feld der Verwüstung. Ich traute meinen Augen nicht: drei dicke Buchenstämme waren in unseren Salon hineingeweht worden! Und aus diesem undurchdringlichen Gewirr von Baumteilen erscholl klägliches Blöken, während über uns, wo auch nicht mehr die Spur von Dach vorhanden, so recht friedlich und freundlich Vater Mond und seine Flimmerschäfchen glänzten. Der Wirbelsturm war endgültig vorbei, das Firmament klar, die Luft kühl und rein.

Coy zog wortlos sein langes Messer und bahnte sich durch kraftvolle Hiebe einen Weg zu den armen Tieren, die wir zerquetscht, halbtot vorzufinden fürchteten. Ein Irrtum. Sie lebten. Und kaum hatten wir ihnen eine Gasse freigemacht, als sie auch schon, ehe wir's noch hindern konnten, Reißaus nahmen – hinaus ins Freie ...

Von dem Walde, der die ehemaligen Farmgebäude umgeben hatte, war fast nichts mehr übrig, und draußen in der Steppe konnten wir die Bahn, die der Riesenkegel genommen, genau verfolgen. Dieser Weg war schätzungsweise dreitausend Meter breit, war eine Tenne ohne jeden losen Stein, ohne jeden Grashalm, ohne Strauch und Baum. Alles hatte die Gewalt des Anden-Wirbels wegrasiert. Bäume waren nicht umgeknickt, sondern mit dem größten Teil des Wurzelstocks herausgedreht. Wo die Wurzeln zu fest verankert, hatte der Drehsturm die Stämme richtig losgekurbelt, so daß die Stümpfe und die zerfaserten Enden deutlich zeigten, nach welcher Seite hin der Luftwirbel gewirkt hatte.

Joachim hatte sein Fernrohr mit sich und tat so, als ob er nach den ausgekniffenen Guanacos Ausschau hielt. Tat so ...!! Ich wußte es besser, und ich fügte zu dem, was mir an ihm bisher widerspruchsvoll und rätselhaft gewesen, ein Neues hinzu: Sklave eines Weibes – noch immer Sklave trotz der häßlichen brutalen Szene hinter dem Rankenvorhang!

Coy hatte uns wieder verlassen und war wieder in die Reste der Villa zurückgekehrt, um unsere Waffen und unser sonstiges Hab und Gut zusammenzusuchen. Wir waren bereits darüber einig, daß wir durch die Höhle den Marsch zur Küste fortsetzen wollten.

Ich war mit Näsler allein.

»Gestatten Sie eine Frage ...« begann ich etwas zögernd. »Sind sie Ihrer Gattin wegen in Sorge?«

Aber damit kam ich schlecht an bei ihm.

»Lieber Abelsen, wenn Sie nochmals den Ausdruck Gattin gebrauchen, kündige ich Ihnen allen Ernstes die Freundschaft! Sie scheinen immer noch nicht daran zu glauben, daß dieses Weib aus mir einen Lumpen gemacht hat! Es ist so! Leider! – Und nun wollen wir Coy helfen ...«

»Einen Augenblick noch. – Und Tatjana Turido?«

»Freundschaft auf meiner Seite, bei ihr Schwärmerei eines halben Kindes. – Weshalb fragen Sie, Abelsen?«

»Weil wir dem Ziele nahe sind und weil ich klar sehen möchte, ob Sie ohne jede Rücksicht Coy und mir helfen werden. Sie verstehen mich. Die Turidos sind Verbrecher. Sie haben Chubur und Chico vielleicht ermordet. Wenn ich mich nun auch keineswegs als Richter aufspielen will, so werde ich doch auf jeden Fall den Verbleib der beiden Araukaner, die mir mehr wert sind als hundert sogenannte Gentlemen im Frack, sowie das geheimnisvolle Tun und Treiben dieser Giftmischer klären.«

Joachim hatte sein Fernrohr unter den linken Arm geklemmt, putzte umständlich mit seinem fragwürdig sauberen Taschentuch sein Monokel und blinzelte mich mit zurückgebogenem Kopf unverschämt-hochmütig an. »Wofür halten Sie mich eigentlich – he?!« Er näselte, schnarrte ... »Genieren Sie sich nich – raus mit der Sprache, Herr Abelsen!«

»Das ist keine Antwort auf meine Frage«, meinte ich gereizt, denn zuweilen konnte er selbst den Kaltschnäuzigsten in Harnisch bringen.

»Eine andere Antwort?? – Mann, wir treiben uns nun zwölf Tage miteinander in dieser jottverlassenen Jejend umher, haben einen janzen Hut voll miteinander erlebt –, und da denken Sie, daß ich eines halbwüchsigen, wenn auch lieben Mädels wegen Überläufer werden könnte! Mann, ich bin ja genauso sehr wie Sie darauf versessen, den Turidos in den zujedeckten Topf zu kieken! Zum Kuckuck –, jerade ich, ich, der Letzte vom ›Starost‹! Vergessen Sie das nicht!«

Er klemmte das Monokel ein. Meine Hand, die ich ihm warm entgegengestreckt hatte, übersah er. Er war verletzt, drehte sich um und schritt der Hausruine zu, in der immer wieder der Lichtkegel von Coys Laterne aufblitzte.

»Joachim!!«

Da blieb er doch stehen ...

»Entschuldigen Sie, Joachim ...«

Er stand vor mir ... In seinen braunen, mageren Zügen arbeitete es seltsam.

»Olaf, der da oben, der Mond –, der war so manche Nacht im Internierten-Lager von Rock-Springs mein einziger Trost, mein Beichtvater ... Vielleicht beichte ich auch Ihnen einmal ... – Jetzt ...« – und er lächelte bitter, »jetzt wollen wir dieser Gefühlseselei schleunigst ein Ende machen. Das paßt nicht hinein in diese harte Umgebung ... Wir stehen hier auf einem Wege, der bei Gott kein alltäglicher! Der Wirbelsturm hat ihn glatt gefegt ... Und ich fege hinweg, was noch ... weich in mir –, auch das da ...!!« Und er machte eine unbestimmte Handbewegung in die Ferne, über die Steppe. Diese Geste galt Frau Ellinor. –

Dann halfen wir Coy. Es war nötig. Denn Coy hatte unsere Abwesenheit zu einer überreichlichen neuen Wurmkur benutzt. Ein Skandal war's, wie betrunken er war! Und dabei frech, fidel, sicher auf den Beinen, nur die Hände wollten nicht recht mit.

Joachim fauchte ihn denn auch ganz gehörig an. Coy grinste ...

»Auch saufen, Mistre ... Dann nicht merken, daß Coy besoffen ...«

Wir lachten – mußten lachen ...

So packten wir die Rucksäcke, verteilten die Lasten, schafften alles nach unten, wo unser Kind noch immer den glückseligen Schlaf der Jugend schlief.

Die Arbeit hatte den braven Coy doch wieder ein wenig ernüchtert. Und abermals zeigte er sich nun als der umsichtige, an alles denkende Sohn der Wildnis. Er schleppte Holzscheite zusammen, Grasbündel, schuftete für drei, nur um uns wieder zu versöhnen.

Draußen graute der Morgen, als wir der Oberwelt für drei Stunden Lebewohl sagten. Allan wurde geweckt. Der Marsch begann. Coy zwanzig Schritt voraus, wir mit qualmenden Buchenfackeln hinterdrein. Ein Weg durch Schlünde der Erde, ein unbequemer, aber klar gekennzeichneter Weg: überall an Stellen, wo Nebenhöhlen abzweigten, waren Kalkstriche, Kalkpfeile an die Granitwände gemalt. – Dieses weitverzweigte System von Grotten bot im übrigen kaum etwas Neues – uns allen nicht. Ich kannte Höhlen in allen Teilen der Welt, hatte auf Madagaskar die berüchtigten Gasgrotten von Kaukier besucht. Joachim kannte die Karsthöhlen, Allan die Nevada-Grotten und Coy – nun, Coy war hier ja zu Hause!

Drei Stunden Marsch ohne jeden Zwischenfall. Einmal kurze Rast, Frühstück. Und am Ende dieser drei Stunden immer stärker werdend der Gestank faulender Tangmassen und übler Verwesungsdunst. Wie richtig doch Coys Nase diese Düfte vorausgesagt hatte!

Dann Tagesschimmer ... Eine breite, zackige Öffnung ... Im Sonnenschein flimmerndes Wasser ... Vögel, Möwen, stolze Albatrosse ... Und Robben ... Robben an den Gestaden der Bucht – in Scharen ...

Bild des Friedens ...

Desto ekler der Gestank der faulenden, braunen Pflanzenberge und des toten Wales, auf dem Hunderte von Möven saßen und fraßen. –

Wir hielten uns zunächst vorsichtig im Dunkel des Höhlenganges, der lediglich durch die Tanghügel vom Wasser getrennt war.

»Ausgeschlossen, daß dies die Bucht der Turidos ist!« meinte Achim ärgerlich. »Mein lieber Coy, dein Freund Chubur hat dir miserabel Bescheid gesagt ... Würden hier wohl die Robben so ruhig sich sonnen und ihre Liebesspiele treiben, wenn hier Menschen dauernd hausen??«

Coy hob den Arm.

Vor uns, sechshundert Meter entfernt, lagen die Vorgebirge, die den breiten Buchtausgang umsäumten. Klippenreihen nach dem offenen Meere hin, das in nimmermüder gewaltiger Brandung Klippen und Felsen umsäumte und mit weißen sprühenden Kränzen schmückte.

In der Klippenreihe eine Lücke, gut achtzig Meter ... Und durch diese Öffnung rollten die Wogen ungehindert in die Bucht hinein, bis ihnen kahle niedere Inselchen Halt geboten. Dort aber, wo die anrollenden Wasserberge des Pazifik das Klippentor passierten, dort, wo die grüne wogende Flut nie zur Ruhe kam, wo die leuchtenden Kämme tiefen Tälern wichen – Tälern, die in der nächsten Sekunde zu gleißenden Bergen anschwollen –, dort an der Grenze des Ozeans sahen wir drei, der Richtung Coys Arm folgend, rasch ein Weib in flatternden hellen Kleidern aufrecht versinken ...

Aufrecht ... stehend ... versinken ...

Nichts mehr ...

Leer die Stelle ...

Nur die wogenden Wasser noch ...

»Tatjana!« rief Joachim gepreßt. »Bei Gott – – Tatjana Turido!«

Wir anderen achteten kaum darauf. Mit angehaltenem Atem stierten wir auf die Stelle in der Mitte des Klippentores ...

Nichts mehr ...

Coy sagte kühl:

»Stand auf kleinem Kahn, sackte weg, der Kahn ... Werden Leiche finden, Mistre Näsler. Sein dies bestimmt richtige Bucht ... Coy das kennen. Wenn Chubur sagen, Bucht rund und sehr hohe Ufer und Vorgebirge am Ausgang steil und spitz mit Zacken oben, und wenn dort draußen all dies sein, dann stimmen ... Ist Bucht, bestimmt ...

»Ich glaube es jetzt selbst, mein lieber Coy«, erklärte Näsler traurig. »Arme Tatjana! Sie hat uns ja den Beweis gebracht, daß die Turidos hier in der Nähe, und für uns bedeutet dies Vorsicht und nochmals Vorsicht.«

Ich für meine Person hielt es schon für überaus leichtsinnig, daß wir hier so nahe dem Höhlenausgang uns aufgepflanzt hatten. Es brauchte nur einer der Bande Turidos hierher kommen, und unsere Anwesenheit war verraten und die Folgen davon gar nicht abzusehen.

»Kehrt!« befahl ich ...

Wir lagerten dann fünfzig Meter zurück hinter der Biegung, so daß wir den Eingang stets bequem im Auge behalten und doch jeden Eindringling unbemerkt abfangen konnten. Coy, der wieder total nüchtern, spielte Koch. Der kleine Spirituskocher aus Gerald Mangroves reichhaltiger Zeltausrüstung verhalf uns zu Tee und einer Brühe aus Guanacofleisch. Achim behauptete, die Bouillon schmecke nach Ziegenbock. Aber das war übertrieben. Schön schmeckte sie nicht. Die Ursache des Beigeschmacks fand sich erst auf dem Grunde des Tiegels: ein ... Zigarrenstummel!! – Nie werde ich Allans Gesicht vergessen, als er, dem die Bouillon wundervoll gemundet hatte, beim Füllen des dritten Bechers das gänzlich verquollene kleine schwarze Nudelchen herausfischte! Und – wie hat unser Junge gelacht!! Besonders über Onkel Joachims Grimassen und Coys geistreiche Bemerkung: »Also da sein mir Stummel hineingefallen – da!!«

Armer Coy!! Achim schnauzte ihn an – und wie!! Schwein war noch das harmloseste Wort, das Coy an den Kopf bekam. Und da Näsler es verteufelt ehrlich mit seiner Empörung meinte, erklärte Coy nachher demütig und wehmütig, daß er freiwillig die erste Wache übernehmen wolle.

So streckten wir drei uns denn im Halbdunkel auf den Decken und Fellen aus. Müde genug waren wir. Ich schlief ein, ohne bis zehn zählen zu brauchen. Jede Sorge um unsere Sicherheit war überflüssig. Coy als Wächter war unbedingt zuverlässig, zumal ich die Spritflasche unter meinem Kopfpolster hatte. Eins nur störte hier: der Gestank der angeschwemmten faulenden Seepflanzen und der noch ärgere des toten, halb aufgefressenen Walfisches, dazu der Lärm der draußen in Walspeck schwelgenden Möven, denen sich jetzt noch ganze Rabenschwärme zugesellt hatten. Und wie randalierte die geflügelte Bande!! Der in den Höhleneingang hineinstoßende Wind trug uns den Lärm und den Duft aufs kräftigste zu. Die erste Müdigkeit freilich war zu groß, als daß diese äußeren Eindrücke mich hätten wecken können. Dann aber berührte jemand leise meine Nasenspitze, und eine Hand legte sich leicht auf meinen Mund, eine Stimme raunte mir ins Ohr:

»Leise!!«

Ich war sofort munter ...

Coy kniete neben mir ...

»Mistre, mitkommen ... Coy Robben fertig. Müssen kommen ...– – Da – – hören!!«

Ich hörte ...

Und mir gerann das Blut zu Eis ...

Ein Schrei mischte sich in das Lärmen der Vögel ... Ein Schrei, wie ihn nur ein Mensch ausstößt, der nahe am Verscheiden ist, der Unglaubliches erleidet ...

Ich hatte einmal einen vom Auto überfahrenen schönen großen Schäferhund in der Kungsgatan in Stockholm heulen hören – immer kläglicher, immer leiser ... Und die letzten Töne, die er ausstieß, hatten wie eine Anklage gegen alle die geklungen, die gefühllos um ihn herumstanden – Neugierige. Es war ja nur ein Tier ... Und sein Herr, ein dicker Kerl mit dem widerlichen Gehabe eines Neureichen (von der Sorte gibt's auch in Schweden nach dem Kriege übergenug!) meinte wütend: »So ein dämliches Vieh! Dreimal prämiiert war es, tausend Kronen hat es gekostet – – rennt in das Auto rein!« Und da hatte ich, damals noch ein Narr, der sich in alles einmischte, was ihn im Grunde nichts anging, dieses Vieh von Mensch am Kragen genommen und durchgeschüttelt ... Und hatte nachher nur Scherereien deshalb gehabt: Körperverletzung, Beleidigung ...! – Trotzdem: jenes Sterbegewinsel des prächtigen Hundes mit den treuen, hilflosen, qualvollen Augen hat mich gelehrt, die Tiere noch mehr zu lieben, als ich es schon von jeher getan ... – Menschen?! Du lieber Gott! Wenn zum Beispiel Chubur und Chico nur »Menschen« gewesen wären, ich hätte ihretwegen wahrhaftig nicht auf mich genommen, was mir noch bevorstand. Aber die beiden waren Männer ... Und wenn's nur armselige verhungerte Köter, ausgesetzt von ihren Besitzern, der Steuerersparnis halber, gewesen wären: ich hätte den Weg gewagt, der ein Weg in die Hölle war ...

Wieder der klägliche, ersterbende Schrei von draußen ...

»Schnell!« mahnte Coy ... »Ich allein nicht retten können ... Ich waren schon als Robbe bei Walfisch ... – Kommen – sein Chubur ... Kommen ... leise!«

Ich schlich hinter ihm drein ...

Chubur?! Hatte ich richtig verstanden?

» ... Nicht fragen, Mistre ... Da liegen Robbenfell ... Ausziehen ...!«

Coy war splitternackt. Um die Schultern hing ihm an zwei Riemen ebenfalls ein Robbenfell, dem er sehr geschickt eine Art Kopf aus Robbenhaut angesetzt, ebenso anstelle der Seitenflossen zwei beutelähnliche Gebilde, in die man die Ellbogen stecken konnte. – Die Eskimos von Labrador nennen diese Jagdanzüge, in denen sie sich wie Robben kriechend fortbewegen, nur die Ellbogen und Knie benutzend, sehr poetisch Wan-Maschi-Skula: Fell des Jägerglücks!

Coy war kein Eskimo, aber seine Wan-Maschi-Skula waren entschieden besser als die auf Labrador.

Ich warf die Kleider ab. Er half mir in die Tierverkleidung, schnürte die Riemen zu, schob mir mein Messer in die rechte und meine Pistole in die linke Flossentasche.

Bis zum Ausgang gingen wir halb aufrecht ... Dann spielte ich Robbe ...

Und das immer leisere klägliche Schreien des armen Chubur trieb zur Eile.


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