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VIII.

Sollte diese meine kunstlose Niederschrift meiner Abenteuer, sollten diese schriftstellerischen Versuche eines Nichtschriftstellers, die keinerlei Anspruch auf »inneren Gehalt« erheben, jemals Leser finden – sollte also die Geschichte des Loches im Ozean, auf den Titel bin ich äußerst stolz, obwohl Coy dazu den Schädel geschlackert hat, jemals von anderen als Coy, Chico, Chubur und noch ein paar Araukanern gelesen oder beim Vorlesen »verdaut« werden, so werden diese anderen, falls sie nicht gerade eine der Walfangstationen im äußersten Norden Skandinaviens kennen, kaum eine ungefähre Vorstellung aus meinem Geschreibsel darüber gewinnen, was Coy und ich an diesem Vormittag auszuhalten hatten.

Ich erwähne die Walfangstationen absichtlich.

Man riecht sie schon, wenn der Wind dem nahenden Schiff entgegenweht, von weitem, auf Meilen. Von den erlegten Walen, man benutzt heute nur noch das Harpunengeschütz mit Sprengladung, wird ja nur die dicke Speckschicht abgeschält, um zu Tran ausgeschmolzen zu werden. Die Überreste, also eigentlich der ganze »magere« Riesenfisch, wird dem Spiel der Wellen überlassen, treibt oft in der Nähe der Station an Land, verwest, stinkt ...

Von diesem Gestank und dem ekelhaften Anblick eines solchen Kadavers von sieben bis fünfzehn Meter Länge, den die Seevögel dauernd in Arbeit haben, könnte nur der sich ein zutreffendes Bild machen, der es mit eigenen Augen gesehen und mit eigener Nase gerochen hat. Jedenfalls ist jener Vormittag in meinen Erinnerungen der scheußlichste Punkt. Nur ein Punkt, nur ein Intermezzo. Und doch möchte ich's nicht missen. Es gehört eben mit zu dem großen Kapitel »Mann sein«, das heißt, sich durch nichts unterkriegen lassen, selbst wenn sich der Magen umkrempelt und man nachher stundenlang Schnaps säuft, nur um die empörten inneren Organe zu beruhigen. –

Robbe spielen ...

Ich machte es genau wie Coy, der vor mir herkroch. Also nur die Ellenbogen als Stütze und Fortbewegungsmittel und die Knie nur ganz wenig als Nachhilfe. – Die Fellkapuze, die den Robbenkopf darstellte, hatte natürlich Augenlöcher. So konnte ich dann, nachdem wir den faulenden Tangberg erreicht hatten, auch die Teile der Bucht überblicken, die mir bisher von der Höhle aus nicht sichtbar gewesen. Von einem Gebäude nirgends eine Spur, ebensowenig von einer Jacht oder auch nur einem Boote. Die Buchtufer zeigten mir nur tierische Bewohner. Doch halt, dort rechts nach Norden zu lag auf einer breiten Terrasse, die einigen Baumwuchs und ein paar Sträucher aufwies, ein Haufen Steine und verkohlte Balken. Ja – die Reste eines Hauses! Es stimmte. Das war aber auch alles. Im übrigen hatte ich auch gar keine Zeit, mich um andere Dinge zu kümmern, denn die wimmernden Rufe Chuburs, von dem ich bisher nichts sah, waren eine Ablenkung, die mich vollkommen in Atem hielten.

Der Tangberg war weich wie Butter und ebenso glitschig. Meine Ellenbogen sanken tief ein. Ich kam nur langsam vorwärts. Besonders bergan – eine ungeheure Quälerei. Und dann noch der pestilenzialische Gestank!!

Nachdem die Höhe des stinkenden Hügels überwunden war, sah ich den Kopf des Wales vor mir. Das tote, verwesende Meeressäugetier lag mit dem Schwanze im Wasser. Der Leib auf dem Tanghaufen, etwas zur Seite geneigt, so daß der Bauch zum Teil zu sehen war. Es war ein Walfisch von etwa vierzehn Meter Länge, daß er harpuniert worden, dann krepiert und hier angetrieben, bewies das Riesenloch auf dem Rücken, aus dem bereits gebleichte Knochenteile herausragten.

Und sonst??

Der Kadaver war wie eine Gallertmasse. Die Haut bereits verwest ... Gelbgrüner Speck trat überall hervor. Aus dem Bauch hingen Eingeweide, Lunge und Leber hervor, nur noch Fetzen, denn gerade auf diese Leckerbissen hatten die Möven und die großen Feuerlandraben es abgesehen.

Gestank??

Nein, es gibt keinen Ausdruck, diese Düfte zu kennzeichnen, die dem Kadaver entströmten und die ich einatmen mußte.

Und dann, während mir das Wasser schon im Munde zusammenlief und der Magen zu revolutionieren begann, – dann das Entsetzliche, – dann das Entsetzliche, Unfaßbare, unnennbar Grauenhafte: Aus dem Bauchgallert, wo die Rippen schon freilagen, ragten zwei menschliche Köpfe hervor, triefend von Tran, halb bedeckt mit Hautfetzen, Stücken von Eingeweiden ... Schwarze Haare, braune Gesichter ... graubraun: Chubur und Chico, festgebunden an den Rippen, hineingestoßen in die Bauchhöhle, daß eben nur die Köpfe hervorschauten.

Chico regte sich nicht mehr. Sein Kopf hing tief im verwesenden grüngelben Speck. Chubur bewegte den Kopf zuweilen, stöhnte, schrie ... wimmerte ...

Ich fühlte, wie ich erbleichte, wie meine Glieder eisig vor Entsetzen wurden. So gräßlich war dieser Anblick, daß mir einen Moment die Sinne zu schwinden drohten. Alles drehte sich um mich her im Kreise ... Aber ich biß die Zähne knirschend aufeinander, biß mir absichtlich in die Zunge, damit der Schmerz die Nerven meisterte.

Acht Meter vor mir dieses Bild. Coy rutschte schon den Tangberg neben dem Kadaver hinab. Die gefräßigen Vogelscharen kümmerten sich nicht um uns. Genau so wenig Scheu zeigten sie vor den beiden Köpfen, ein Beweis, daß Chubur und Chico schon längere Zeit in dieser unbeschreiblichen Lage sich befanden.

Ungezählte Kulturmenschen gibt's, die das Tier in lächerlicher Anmaßung oder aus »sittlichen« Gründen hinter dem Homo sapiens, hinter – (angeblich) – das weiseste Geschöpf Gottes rangieren. Nun, kein Tier wäre fähig, seinesgleichen derart zu foltern, wie es hier Mensch mit Mensch getan! Kein Tier tötet aus reiner Mordgier, aus angeborener Grausamkeit. Hunger ist die Triebfeder. Niemals dürfte man sagen, ein Tier mordet. Es tötet oft im Übermaß, säuft nur das Blut der Opfer, frißt nur Innenteile wie zum Beispiel Leopard und Panther, wenn sie reichlich Beute finden. Quälen, foltern, peinigen, – nein, – nur ein Geschöpf tut's außer dem Ebenbild Gottes, dem Menschen: die Hauskatze! Nur die! Sie ist grausam. Ist sie's geworden durch den Umgang mit dem Menschen? Ich möchte dieser Frage nicht nähertreten.

Und hier hatten menschliche Bestien zwei Wehrlose hinabgestaucht in verfaulte Eingeweide, hatten nur die Köpfe freigelassen, – auch aus teuflischer Berechnung: damit die Vögel die Mordarbeit aufs fürchterlichste vollenden.

Und – sie waren an der Arbeit gewesen, die weißen und grünschwarzen geflügelten Scharen. Chuburs linkes Auge fehlte, – nein, hing heraus ... Chuburs Ohren waren blutige fettige Fetzen ...

Von Chico ganz zu schweigen, dessen Schädel wie skalpiert aussah: Schnabelhiebe!!

Choy war jetzt unterhalb des Kopfes Chuburs. Ich rutschte neben ihn. Da wir damit rechnen mußten, beobachtet zu werden, konnten wir uns nicht ohne weiteres aufrichten. Chubur losschneiden und ihn in die Höhle bringen.

Coy rief mir durch die Mundspalte der Kapuze hastig zu:

»Messer! Bauch zerschneiden ... Ich da hinein ...«

Ich zog den rechten Arm aus dem Flossenbeutel, schob ihn durch die verschnürte Naht. Nun merkten die Vögel doch, daß wir keine echten Robben waren. Sie flatterten hoch, lärmten noch toller. Und das konnte uns verraten. Steckten die Turidos nebst Anhang irgendwo in den Uferwänden, so genügten zwei Kugeln, und wir waren erledigt. Trotzdem – hier gab's kein Zögern ... Ich nahm das Messer, schnitt, säbelte, kratzte ...

Der faulende Speck floß mir den Arm lang, über den Körper ... Speckstücke gerieten mir in die Kapuzenlöcher. Ich wurde seekrank ... Mein Frühstück ging über Bord ... Wenn wir nur Sprit mitgenommen hätten!! Zwei Becher Kognak und alles wäre leichter zu ertragen gewesen!

Europäer, der du vielleicht mal diese Zeilen überfliegst, – ahnst du, daß wir Männer waren, als wir in den Walfischbauch ein Loch säbelten und mitten in Gestank und Verwesung für einen Mitmenschen uns mühten – dazu noch fürchten mußten, jäh einen Schuß durch den eigenen Kadaver zu erhalten!! Kannst du dir die Szene ausmalen, fetter Spießer, wie wir, über uns die kreisenden Schwärme, vor uns faulende Eingeweide, vor uns einen winselnden, stöhnenden Menschenkopf, wie die Verrückten drauf los schnitten!! Nein, du kannst dir das nie richtig vorstellen! Du wirst vielleicht mit deiner gepflegten – Hand diese Seite umblättern und denken: »Ekelhaft!« Oho – ekelhaft!! Und die Drahtverhaue an der Westfront mit Starkstrom geladen, mit Leichen gespickt: So las ich's in den Kriegsberichten! Oho – – nicht auch ekelhaft?? Und doch Menschenwerk! –

Genug davon ...

Coy zwängte sich in das Loch hinein, mein prächtiger Freund Coy, der hundert Frackgentlemen aufwiegt – ach was, tausend, zehntausend!!

Coy verschwand in Dreck und Gallert und Fett ...

Und ich wartete, spuckte ...

Mir war zumute wie damals, als ich zum ersten Male schwer seekrank geworden ... Eisiger Schweiß auf dem Leibe ... Kein Atemzug reiner Luft ... Nur Gestank ...

Dann wackelte Chuburs Kopf hin und her, wurde zurückgezogen. In dem Loche erschienen Füße. Ich packte zu, zerrte Chubur ans Tageslicht ... Er war nackt. Und wo die Stricke gesessen hatten, da waren blutige Furchen an Armen, Beinen, Brust und Nacken ...

Menschen hatten das getan – – Menschen!!

Coy kam zum Vorschein. Wir nahmen den winselnden Chubur in die Mitte, bedeckten ihn mit Seetang, zogen ihn den Berg hinan ...

Zuweilen schrie er gellend auf.

Aber – so retteten wir ihn, trugen ihn zum Lager, weckten Achim und Allan, ließen uns nicht Zeit zu langen Erklärungen. Achim sollte den Ärmsten säubern, verbinden ... einen Sterbenden.

»Kognak!« sagte Coy ...

Und ich entkorkte eine Flasche ...

Coy dachte nicht an seine Würmer, nur an Chubur.

Der trank, schluckte, hustete ... Und das an den Sehnen heraushängende Auge pendelte grauenvoll hin und her.

Dann tranken wir.

Soffen ... Soffen ...

Coy nahm eine Zigarre, biß ein Stück ab – als Prim. Ein guter Gedanke. Ich machte es ihm nach. Dann spielten wir wieder Robben. Vielleicht lebte der skalpierte Chico noch ... vielleicht.

Wir krochen dorthin, wo das Grauen war. Und das Säbeln, Schneiden, Reißen begann von neuem.

Aber jetzt hatten wir Sprit im Blute, jetzt wurde ich nicht seekrank ...

Es ging fix mit Chico ...

Auch ihn schleiften wir unter einer Seetanghülle in die Grotte hinein.

Einen Toten??

Der Puls war nicht mehr zu fühlen ...

Allan, lieber kleiner Kerl, – wie tapfer warst du damals ...!

Wie hat er geholfen, hat mit Coy als Robbe Seewasser geholt, hat den Gang achtmal gemacht, während Achim und ich Ärzte spielten.

Nun, Mister Gerald Mangrove hatte auch eine Reiseapotheke mit sich geführt. Vorsichtiger Herr. Mörder. Lag nun drüben gen Osten unter Geröll ganz nach Verdienst, und seine Medikamente brachten Chico ins Leben zurück, seine Sublimatpillen säuberten vereiterte Wunden, sein Chinin schluckte Chubur.

Drei Stunden hatten wir mit den halbtoten Kameraden zu tun. Dann hatten wir getan, was wir tun konnten. Ob wir die schwach flackernden Lebensflämmchen würden erhalten können, – wir zweifelten daran.

Coy saß und kochte Guanacobrühe – diesmal ohne Zigarrenstummel, für unsere Patienten. Achim fütterte Chubur mit zerkautem Zwieback, Chico war noch immer bewußtlos ...

Und wir drei Männer?

Wir redeten wenig ...

Aber auch ohne Worte wußten wir, daß von diesen Turido-Bestien nur die Frauen am Leben bleiben würden.

Coys düstere Miene sagte genug, und Achim hatte nur gemeint: »Wartet, Satansbrut!!«

Wieder holten Coy und Allan Wasser – zum Waschen. Meldeten, daß in der Bucht alles wie bisher: keine Menschenseele!

Coy und ich, fettriefend, stinkend, standen nackt da, und Achim und Allan seiften uns ab. Es war feinste französische Seife des Mister Mangrove, von Roger und Gallett in Paris. Monsieur Gallett ahnt wohl kaum, daß sein parfümiertes Fabrikat faulenden Gallert von muskelstrotzenden Gliedern entfernte.

Mit Seetang schrubberten sie uns ab, und wie!! Ich war nachher krebsrot und duftete wie die Pompadour, wie französisches Dirnengewächs von Klasse.

Coys Suppe war fertig.

Chubur schluckte. Mit seinem einen Auge dankte er uns. Reden konnte er nicht. Und nach dem Becher Brühe bekam er Sprit. Dann schlief er, schnarchte bald ... Pferdenatur!!

Mit Chico stand's schlimmer. Der machte uns die größten Sorgen. Sein erdfarbenes Gesicht, die eingefallenen Backen, die spitze Nase und der herabhängende Kiefer: mehr Leiche als lebend!

Er mußte schlucken. Und als auch er dann den Becher Brühe im Leibe hatte, da tat er mit einem Male einen tiefen Atemzug ...

Coy lachte gutmütig ...

»Wird durchkommen ... Das kennen ... Chico nur Sehnen und Knochen ... Nicht so leicht krepieren.«

Wieder behielt er recht.

Sie krepierten nicht, die beiden, abends verlangte Chubur schon fast von selbst einen Zwieback, und Chico schlief wie ein Murmeltier.

Abend war es geworden. Der Tag war dahingeflogen wie ein Nichts. Ein sonniger Tag, ein milder Abend hier am Rande des Stillen Ozeans.

Und draußen in der Bucht?!

Allan hatte als Robbe Wache gehalten auf dem Tangberg, hatte keine Menschenseele zu Gesicht bekommen.

Wir vier waren nun überzeugt, daß die Turidos auf und davon waren und daß nur Tatjana hier zurückgeblieben und den Tod gefunden. Trotzdem wollten wir vorläufig noch in der Höhle bleiben und abwarten, vorsichtig sein ...

Wir hatten das Nachtmahl hinter uns. Achim verband Chuburs leere Augenhöhle von neuem, und ich nahm das Fernrohr und kroch in einem neu gefertigten Robbenanzug als Robbe nach dem Tanghügel.

Wundervoller Sonnenuntergang. Rot die Randhöhen, rotviolett der Himmel. Die Brandung da vorn ein köstliches Farbenspiel.

Ich war allein, und ich dünkte mich Gott. Ich hatte ein Tagwerk hinter mir, das Männerarbeit gewesen. Ich fühlte mich stark, gesund, durchglüht von dem Wunsche, die Spur dieser Bestien wiederzufinden. Dort vor mir lag der Wal, Denkmal menschlicher Bestialität. Wartet, Halunken!!

Auch der Schwanz des Wales lag nun frei. Es war Ebbezeit. Der Wasserstand der Bucht war um zwei Meter gesunken. Ich sah's an den Flutmarken.

Aus Seetang hatte ich mir eine Deckung geschaffen, konnte nun das Fernrohr benutzen, beäugte die Buchtgestade ganz genau. Wenn wir auch vorhin so ziemlich einig darüber gewesen waren, daß die Turidos die Bucht verlassen hätten, so behauptete eine hartnäckige Stimme, die aus meinem Unterbewußtsein kam, doch das Gegenteil. Und wie ich so dalag, gehüllt in das Robbenfell, die Kapuze über dem Kopf und nur den rechten Arm frei, wie ich jede Kluft, jede Spalte, jeden Vorsprung, jeden Baum und Busch der Steilwände musterte, was ja eine ebenso ergebnislose wie langweilige Beschäftigung war, glitt mein Denken so unversehens rückwärts in die junge, lebensvolle, bunte Vergangenheit.

Als ich die Freunde vom Kutter »Torstensen« verlassen hatte, als ich mich Coy, Chico und Chubur anschloß, war es meine Absicht gewesen, nach Kapitän Holger Jörnsens Goldlager zu suchen, lediglich aus Fachinteresse. Ich wußte, daß man auf Feuerland verschiedentlich Gold entdeckt und daß ein Strom von Goldgräbern sich um das Jahr 1895 in die Einöden der großen Insel ergossen hatte. Sie alle waren bitter enttäuscht worden, und heute spricht niemand mehr von diesen Flüssen und Bächen, die wohl alle Gold mit sich führen, aber in so geringen Mengen, daß die Ausbeutung mit wenigen Ausnahmen nicht lohnte. Jörnsens Goldfunde dagegen hier auf Santa Ines mußten anderer Art gewesen sein. Er hatte einmal angedeutet, daß er im Urgestein eine richtige Goldader entdeckt habe, die frei zutage träte und die er trotzdem nicht abgebaut habe. Er verachtete das Gold wie ich. Nach dieser Goldader zu suchen, wie ich es beabsichtigt, wäre ein zeitraubendes Vergnügen geworden. Nun – der Kulturmensch, der mitten in der sogenannten Zivilisation lebt, kann sich wohl leicht etwas vornehmen und es auch durchführen. Ihn lenkt so leicht nichts ab. Er findet keine unerwarteten Hindernisse, ihm begegnet kein Joachim Näsler mit Monokel und Schiffskochmütze, der ihm von einem Dampfer »Starost« und von einer Höllenmaschine und zehn Rohrstücken berichtet. Jörnsens Gold war für mich erledigt. Nur der Alltagsweg verläuft schnurgerade. Wege abseits vom Alltag sind Labyrinthe des Zufalls.

So lag ich denn nun hier, ließ Goldader Goldader sein und suchte die, deren Bestialität bestraft werden mußte.

Mein Fernrohr schwenkte herum, dorthin wo das Loch in den Klippen war, wo die See in die Bucht rollte und wo jetzt bei niedrigem Wasser zahllose heimtückische Riffe noch zum Vorschein gekommen waren. Ich wußte ungefähr, wo Tatjanas lecker, für uns unsichtbar gebliebener Kahn versunken war. Ich sah dort jetzt vier Riffe, die ein Viereck bildeten, stumpfe dicke schwarze Felsen, emporragend aus der Tiefe, bei Flut verschwunden – also nach ein paar Stunden wieder bedeckt von den schäumenden Wogen ...

Vier Riffe ... Vier von unzähligen anderen.

Kleinigkeiten sind's, die den Anstoß zu lawinenartigem Anwachsen bisher nie geahnten Geschehens geben. Beispiel: Mein eigenes Leben! Wenn ich damals vor mehr denn einem Jahre nicht spät abends noch das Bedürfnis empfunden hätte, meinen von statistischen Berechnungen überhitzten Kopf in frischer Luft abzukühlen, wäre ich nie hinter den gemeinen Treubruch jenes Weibes gekommen, deren Liebhaber ich mit der Faust allzu kräftig niederschlug. Ein abendlicher Spaziergang also hat mich aus der geordneten Bahn geworfen, brachte mich ins Zuchthaus, aber – brachte mir auch die wahre Freiheit! – Eine Kleinigkeit. Zufall könnte man's nennen ... Zufällig hatte ich gerade zur rechten Zeit das Fernrohr den Außenklippen zugewandt, hatte die vier Riffe beäugt ...

Zufall, daß ich jetzt über den dunklen, noch nassen Steingebilden, an denen die Wogen gierig hochleckten, den Kopf eines Mannes mit einer dunklen Mütze bemerkte. Das Gesicht war zwischen Zacken der Riffe verborgen. Nur die Augen erkannte ich, nur Sekunden benutzte ich noch das Fernrohr, drückte es rasch in die Algen und Tangmassen hinein und verbarg auch meine bloße Hand, denn das Gesicht des Mannes hatte genau die Richtung nach mir hin.

Mein Erstaunen über das Auftauchen dieses Kopfes war trotz allem nicht allzu groß. Ich hatte in Wahrheit, das fühlte ich nun, nie an den Abzug des Gegners gedacht oder geglaubt, hatte nur den Freunden aus Bequemlichkeit recht gegeben, weil alle Mutmaßungen ja doch müßiges Gerede gewesen wären.

Sie waren noch da, die Turidos. Und dort draußen, in den zum Teil haushohen Klippen steckten sie irgendwo. Dort konnten sie auch sehr gut ihre Jacht verborgen haben. Sie brauchten nur die Masten und den Schornstein umzulegen, dann ließ sich dort fraglos ein mittelgroßes Fahrzeug verbergen.

Sie waren da!!

Und alles, was dieser Tag mir beschert, wurde nun gekrönt durch diese Feststellung. Wir brauchten diese entmenschten Bestien nicht zu suchen. Wir würden sie sehr bald in größerer Zahl auftauchen sehen, denn ohne Zweifel mußte der Mann drüben, der jetzt mehr den Kopf hob und ein Fernglas benutzte (das sah ich auch mit bloßem Auge), das Verschwinden der beiden Köpfe am Walkadaver wahrnehmen.

Ich lag regungslos, beobachtete.

Daß der Mann mich für eine faulenzende Robbe halten würde, war gewiß. In dieser Beziehung hegte ich nicht die geringsten Befürchtungen.

Was würde er tun? Wie war er nach dem Riffviereck gelangt, wie würde er es verlassen?

Er schaute vorläufig noch immer nach dem toten Wal hinüber.

Dann erhob er sich zu seiner vollen Größe, blickte wieder durch das Glas.

Er trug einen blauen Seemannsanzug mit goldenen Knöpfen an der Jacke, dazu weißen Kragen und offenbar kleine schwarze Schleife. Er war schlank, mittelgroß und bartlos. Einzelheiten seines Gesichts blieben mir verborgen. Die Entfernung war zu groß.

Er stand mit vorgestrecktem rechten Fuß, den Oberkörper vorgebeugt.

Die fehlenden Köpfe Chicos und Chuburs schienen ihn zu beunruhigen.

Er drehte sich mit einem Male um und bückte sich etwas in das Riffviereck hinab ...

In diesem Felsenkasten, der mit Wasser gefüllt sein mußte, hatte, wie sich nun zeigte, noch ein zweiter Mann auf einem trockenen Vorsprung gehockt. Dieser zweite tauchte auf, stellte sich neben den andern und nahm ihm das Glas ab, beäugte den Wal, und ... beide bückten sich darauf hastig zusammen und verschwanden hinter der Riffwand. Ein paar Minuten später erschien hinter dem Riffviereck hervor ein kleines, scheinbar leeres Boot und glitt wie von einem unsichtbaren Motor getrieben der nächsten großen Klippe zu, wo es mit kurzer Wendung hinter den grauschwarzen, turmähnlichen Felskoloß schwenkte und von meinem Platze aus nicht mehr beobachtet werden konnte.

Ich wartete noch ... Zum Glück ... Wieder ein paar Minuten, und dasselbe Boot schoß jetzt mit vier Leuten besetzt in rascher Fahrt in die Bucht hinein ...

Vier Männer, bewaffnet ...

Das Boot ein Motorboot ...

Und ich, die faulenzende Robbe, kroch träge in die Höhle zurück, jede Bewegung schlau berechnend, damit nicht etwa meine Maske durchschaut würde.


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