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IX.

Alarm in unserem Lager ...

Rasch werden die beiden Kranken in eine Nebenhöhle getragen, wo Allan auf sie achtgeben sollte. Wir drei, wahrhaftig kein Possenspiel, sondern blutigster Ernst, postierten uns in den Robbenfellen als harmlose dumme Viecher zwischen den Steinblöcken am Ausgang.

Coy lag am weitesten vorn und flüsterte uns seine Beobachtungen zu.

Das Boot hatte am Strande unterhalb der Brandruine des Hauses angelegt. Von dort konnte man, wie sich jetzt herausstellte, auf einem vorspringenden Felsgrat, der wie eine Galerie aus den Steilwänden sich vorbauschte, bis dicht an den Grotteneingang gelangen.

Einer der Leute, die übrigens sämtlich gleich gekleidet waren, blieb im Boot zurück, hatte sich eine Büchse über die Knie gelegt und musterte dauernd mit einem Glas die Randhöhen der Bucht: die Kerle waren also mißtrauisch, und auch die drei anderen näherten sich dem stinkenden Kadaver nur mit äußerster Vorsicht.

Jetzt standen sie auf dem Tanghaufen – keine zehn Schritt vor uns. Da die Möven und Raben nun bei nahender Nacht verschwunden waren, konnte ich deutlich einige Worte hören, die die drei sichtlich erregt austauschten – hören, aber nicht verstehen. Es war eine Sprache, die ich wohl kannte, aber nicht beherrschte: Russisch!!

Die Leute kehrten uns halb den Rücken zu ...

Und dies benutzte Coy zu einem urplötzlichen Angriff, ohne uns vorher von dieser seiner Absicht zu verständigen.

Coy hatte sich vorwärtsgeschoben, vorher aber den Unterteil der Fellmaske aufgeknotet und auch die Arme freigemacht. In der Rechten hielt er eine unserer Mauserpistolen – aber als Schlagwaffe ...

Bevor wir noch eingreifen konnten, schnellte er empor und schlug auch schon zu ...

Noch nie habe ich bei einem Menschen so blitzartige Bewegungen gesehen ... Blitzartig auch seine Hiebe und Stöße ...

Die drei lagen reglos im glitschigen Tang, ehe Achim und ich noch recht zur Besinnung kamen ...

Da hatte der Gegner schon die Besinnung verloren ...

Coy war mit drei Sprüngen wieder im Schutze des Grotteneingangs ...

Der Mann im Boot hatte gefeuert, aber nicht getroffen ...

Coy griff nach seinem Karabiner, kroch wieder vorwärts. Das Motorboot knatterte bereits davon. Am Steuer saß der vierte ...

Coy schoß, fehlte ...

Ich schoß, fehlte ...

Aber Achim war jetzt der Kaltschnäuzigste von uns ... Seine Kugel traf. Der Mann warf die Arme hoch und glitt vorn ins Boot. Dieses, jetzt sich selbst überlassen, beschrieb einen weiten Halbkreis und rannte gegen den Schwanz des toten Wales, prallte zurück, bohrte sich in den Seetangberg ein und lag mit rasendem Motor still.

Was ich hier soeben in vielen Zeilen geschildert habe, spielte sich im Verlauf von kaum vier Minuten ab.

Achim lief nun zum Boot hinab ... brüllte dabei:

»Leon Turido, er ist's!!«

Coy und ich banden die drei anderen und schleppten sie in die Höhle. Achim trug den jungen Turido herein, dessen Gesicht in tropfendem Blute schwamm. Die Kugel hatte ihm das halbe linke Ohr weggerissen und die Stirn stark gestreift.

Vier von der Bande hatten wir also. Und, was am wichtigsten, Leon Turido war darunter.

»Du könntest die Wache am Eingang übernehmen, mein lieber Coy«, wandte sich Näsler an den Araukaner, der mit düsteren Blicken die noch bewußtlosen Gefangenen musterte.

Coy schüttelte den Kopf.

»Ich haben anderes vor«, erwiderte er kurz. »Chico und Chubur werden reden ... Sind frisch ... Dann ich Gericht halten ... Sind meine Gefangenen ...«

Coy, der Schwätzer, war zum feierlich-würdigen Staatsanwalt geworden. Seine Rechte ruhte leicht, ohne jede Theatralik, auf dem Griff seines im Muschelgürtel steckenden langen Messers.

Achim und ich tauschten einen Blick. Wir sahen harte Auseinandersetzungen mit Coy voraus.

»Hm – vier Gefangene, mein Sohn?« erklärte Näsler wohl absichtlich stark ironisch. »Davon weiß ich nichts. Drei hast du niedergeschlagen, drei, Leon Turido gehört mir, schätze ich. Aber darüber reden wir später ... Gut, mag Allan die Wache übernehmen. Auf ihn ist Verlaß. Er hat so manches gelernt in diesen Tagen, unser Junge ...«

Und wenn er auch »unser Junge« sagte, so galt die warme Zärtlichkeit, mit der er dies Wort aussprach, doch seinem Jungen, seinem Sohne, für den er noch immer »Onkel Joachim« und die Hauptperson war.

Allan bezog seinen Posten, erhielt genaue Anweisungen und als Waffe eine Mauserpistole. Achim und Coy zogen das Motorboot vollends aufs Trockene und ketteten es an einer Felsnase fest. Ich verband Leons Stirnwunde. Die Gefangenen wurden dann in die Nebenhöhle gebracht, wo die Karbidlaterne die Krankenlager der beiden Araukaner beschien.

Sie saßen halb aufrecht, Graspolster im Rücken. Als sie die vier erkannten, lief ein unbeschreiblicher Ausdruck über ihre verfallenen Gesichter hin. Ich gab für das Leben der drei, die Coy gehörten, keinen lumpigen Pfennig. Und wie es mit Leon Turido werden würde, ob es uns gelingen würde, Coy von einer vorschnellen Justiz abzuhalten, erschien mir recht fraglich. Coys unheimliches Schweigen, – man konnte es geradezu als feierliche Mordgier bezeichnen, würde sich durch unsere Einmischung kaum besänftigen lassen. Wenn ich ehrlich sein soll: Die noch so frische Erinnerung an die gräßlichen Szenen am Walkadaver würden mir kaum die nötige Energie geben, ernsthaft einzugreifen.

Coy setzte sich neben Chubur, der ebenso wie Chico vorhin von Allan abermals gefüttert worden war. Die Gefangenen lagen nebeneinander am Fußende der Graslager der Kranken.

»Chubur«, begann Coy, »du nun erzählen, was auf Mörderjacht erleben ... Nicht viel Worte. Weshalb Schufte euch in Walbauch stecken?«

Chuburs eine Auge starrte Leon Turido wie hypnotisiert an.

»Fuhren mit uns hier nach Bucht, verbrannten Haus, wollten wissen von uns, ob Mister Abelsen kennen Goldader ...«

Achim und ich, die wir nebeneinander an einem Felsblock lehnten, hielten den Atem an ...

Goldader!

Also das!!

Chubur sprach weiter ...

»Ich merkten, Coy, daß Turidos fürchteten, Mister Abelsen hierher kommen ... Ich schweigen und hoffen, auch Chico so ... Der da« – er zeigte auf Leon – »uns Pulver schütten auf nackte Brust und abbrennen ... Wir schwiegen immer, lächeln verächtlich ... Der da nahmen Lunten, wickeln uns um Leib und anstecken ... Lunten brennen, fressen Haut weg ... Wir schweigen immer, lachen ... Dann vor drei Tagen uns bringen von Jacht zu toten Wal ... Binden uns fest in stinkenden Bauch ... Möven kommen. Möven und Hunger und Durst und Gestank. Er fragen jeden Morgen, ob wollen reden. Das sein alles, Coy, sein genug. Mir geben Messer, Coy ... Müssen sterben ...«

Ich fühlte kalte Schweißperlen auf der Stirn ...

Coy dann:

»Nachher sterben ... Nicht Messer, Chubur. Messer zu wenig. – Wo sein Jacht, wo stecken andere Turidos?«

»Nichts wissen. Meist Augen verbunden, Coy. Ich denken, Jacht draußen in den Klippen. Nur denken ...«

Da mischte sich Achim ein.

»Bekamst du mal die Frauen zu Gesicht, Chubur?«

»Nein ... Waren nur immer der da bei uns und der da ...« Er zeigte auf den ältesten der drei anderen Gefangenen.

»Sind die schlimmsten, Mister Näsler, die beiden ... Waren vielleicht im ganzen zwölf Männer, keine Spanier, Lüge das, auch Turidos nicht Spanier ...«

»Russen sind's«, meinte Achim sehr bestimmt. »Die Gesichtsbildung sagt genug. Als ich auf dem ›Starost‹ war, ließ ich mich täuschen. Die Namen Tatjana und Olga hätten mich schon stutzig machen müssen.«

»Sein gleich, ob Russen ob anderes«, sprach Coy und beobachtete seine drei Opfer, von denen zwei bereits die Augen offen hatten. »Mister Näsler«, fügte er ebenso kalt hinzu, »Coy sein gerecht ... Ihnen der da, uns die drei, denn Coy sie fangen. Sie machen mit Leon Turido, was wollen, Mister Näsler. Ich mit drei, was gerecht sein. Da – sind wach die drei ...«

Die Leute hatten etwas die Köpfe gehoben. Die trüben Blicke wurden lebendiger, irrten umher, und langsam trat ein Ausdruck wilder Angst in diese ruhelosen, schuldvollen Augen.

»Mich hören!« sagte Coy sehr laut zu ihnen. »Ihr sein Weiße, Europäer ... Ihr euch ausdenken für meine Freunde, braune Araukaner, viele Qualen ... Kein Araukaner so etwas tun, niemals ... Sein friedliche Fischer und Jäger wir. Ihr Weiße sein Ungeheuer ...«

Ich schämte mich ... Tatsächlich, ich schämte mich damals, weil auch ich ein Weißer war.

»Araukaner friedlich ... Chico und Chubur auch nichts tun ...« Seine Stimme wurde so schrill, daß meine Nerven vibrierten. »Ihr drei werden fühlen, wie sein in Walfischbauch ... Gleich fühlen ... Schon dunkel draußen ... Du zuerst!« Und ein Haßblick traf den Ältesten mit den verwitterten Zügen.

Dieser war's, der sich nun mit einem Ruck aufrecht setzte. Ich schätzte sein Alter auf fünfzig. Er trug das ergraute Haar ganz kurz geschnitten, und die slawische Stirnbildung und Backenpartie traten bei ihm außerordentlich stark hervor.

Coy beachtete er nicht weiter. Aus seinen Augen war die Angst geschwunden. Der Blick, der Achim und mich suchte, war unendlich geringschätzig und hohnvoll.

»Geben Sie uns sofort frei!« – Ein Befehl einer herrischen Stimme ... »Sofort! Wenn Ihnen an Ihrem Leben etwas liegt! Und dann – verschwinden Sie von hier auf Nimmerwiedersehen! Sie scheinen uns zu unterschätzen. Das Blättchen wird sich wenden!«

Näsler, unentwegt mit dem Monokel im Auge, erwiderte mit einer übertriebenen Verbeugung:

»Ich habe nicht die Ehre, Sie zu kennen, Sir ... Lege freilich auch keinen Wert auf Ihren Namen. Weiß nur, daß Sie mit mir und meinem Abelsen nichts zu schaffen haben. Ihre Drohungen sind Gerede. Wenden Sie sich an Coy. Wir greifen nicht ein. Sie haben sich nicht als Tier, sondern als Mensch benommen. Tiere hätten die beiden Araukaner kaum so gefoltert wie Sie es taten.«

Der Mann wurde durch Achims verächtlichen Ton doch beunruhigt.

»Sir«, rief er abermals in flüssigem, nur hart akzentuiertem Englisch, »Sie werden als Europäer uns nicht..«

Achim hatte eine wegwerfende Handbewegung gemacht.

»Sie – – Europäer – – leider!! – Was Ihnen geschehen wird, ist gerecht. Einen Mörder köpft man, einen Verbrecher wie Sie läßt man am eigenen Leibe erfahren, was ein Walfischbauch bedeutet.«

Coy hatte sich erhoben.

»Still sein ...!« meinte er mit derselben unheimlichen Entschlossenheit wie bisher. Auch seine abgeklärte Würde behielt er bei. Es ist überhaupt so äußerst kennzeichnend für die Naturvölker, auch für die mit Halbzivilisation, daß sie bei bestimmten Anlässen ihre spielerische Leichtlebigkeit vollkommen ablegen und die streng-abgezirkelte Würde altrömischer Senatoren oder moderner Volksvertreter annehmen, die zum ersten Male mit der gewichtigen Aktentasche im Arm den Saal betreten, in dem der große Parteischacher um die Geschicke eines Volkes stattfindet. Man sollte als Europäer dieses Gebahren der Naturkinder bei Religionsfesten, bei Beratungen und so weiter nicht von oben herab belächeln. Diese primitiven farbigen Menschen haben nie das Bewußtsein oder die Absicht, eine bestimmte Rolle zu spielen und unterscheiden sich auch dadurch wohltuend von den Kulturgentlemen. So war auch Coy jetzt als Richter und Rächer lediglich vollständig von dem seelisch ausgefüllt, was ihn selbstverständliche Pflicht dünkte. Auch ohne unser Beisein hätte er sich genau so benommen.

Wortlos trat er jetzt auf den Mann zu, den ihm Chubur als die nächstgrößte Bestie neben Leon Turido bezeichnet hatte.

Wortlos hob er ihn wie eine Feder empor, legte den Gefesselten wie ein Bündel über den Nacken und wollte so mit ihm davonschreiten. Da begann der Mensch zu brüllen. Ein erbärmliches Angstgeheul hallte in der Grotte in mehrfachem Echo wider. Coy warf ihn brutal auf den Felsboden zurück, stellte aus einem blutigen Lappen eines bereits benutzten Verbandes für Chuburs leere Augenhöhle einen Knebel her und zwang den Mann mit dem Messer, den Mund zu öffnen.

Nicht anders erging es nachher den beiden, die nun gleichfalls den »Walbauch kennen lernten«, wie Coy gesagt hatte. Genau wie Chico und Chubur steckten die drei dann sorgfältig an die Rippen des Kadavers festgebunden bis zum Kinn in dem gelbgrünen stinkenden Gallert. Schreien konnten sie nicht. Und Achim und ich rührten keine Hand, ihr Geschick irgendwie zu beeinflussen. Wir waren Coy gefolgt, standen mit Allan am Grotteneingang hinter Steinen und beobachteten Coy bei seiner Henkersarbeit. Ich müßte lügen, wenn ich behaupten wollte, daß ich damals oder heute nach Monaten das geringste Mitleid mit den dreien empfunden hätte. Coy als Richter war gerecht.

Der Mond, die Sterne blinkten am blaßblauen klaren Sternenhimmel. Aus der Bauchseite des faulenden Kadavers ragten drei schweigende Köpfe hervor. Vom Feinde war nichts zu spüren. Allan hatte mit dem Fernrohr dauernd die Riffe draußen im Auge behalten und nichts Verdächtiges bemerkt. Ein Überfall auf uns war nur vom Buchteingang her oder, wenn die Gegner den Weg über die Steppe bis zu den Farmruinen nicht scheuten, durch die Höhlen möglich. Letzteren Weg wollten wir nachher sofort verrammeln. Es gab da eine ganz enge Stelle, die sich unschwer durch Steine, Felsbrocken und eine einfache Alarmvorrichtung in Gestalt eines Lederriemens, der einen gespannten Karabiner zum Abfeuern brachte, völlig zuverlässig verschließen ließ, eine Arbeit, die dann auch von Achim und Coy in Angriff genommen wurde, während ich bei Allan und den Verwundeten blieb.

Mitternacht war's geworden, als dann auch Leon Turido erwachte. Wir hatten soeben zur Nacht gegessen, und Coy war als Posten draußen. Der Blutverlust dieses Elenden mußte doch recht stark gewesen sein. Seine Augen waren tief eingefallen, und der halbirre Blick, den er unter dem weißen Stirnverband hervor auf Joachim Näsler warf, verriet die tiefe Erschöpfung einer langen Ohnmacht. Achim rückte ihm das Graspolster zurecht, so daß der Kopf höher zu liegen kam, reichte ihm dann auch einen Becher Brühe und nachher einen kleinen Schluck Kognak.

In Leons Augen blieb der Ausdruck schuldbewußter Angst. Der Mensch hatte im ganzen recht sympathische Züge, nur die Kinn- und Mundpartie verrieten dem Kenner eine zügellose unbeherrschte Seele, in der alle Triebe bis zum äußersten sich austobten, ohne jeden mildernden Einfluß moralischen Verantwortungsgefühls.

Ich beobachtete ihn still von meinem Platze aus. Eine wohlige Müdigkeit löste meine Glieder nach diesem Tage unerhörter Sensationen, und mein Hirn arbeitete mit jener klaren Bedächtigkeit, die gleichfalls eine Folge, höchster körperlicher Entspannung nach schwersten Anstrengungen ist. Ich war in dieser Stunde wie selten bisher empfänglich für die intimen Reize dieser nächtlichen Szene, und wieder ging mir flüchtig der Gedanke durch den Kopf, daß des Schicksals mächtige Hand – oder die Hand einer Gottheit, die droben über den Sternen weise waltete, vielleicht doch mit mir, dem entsprungenen Zuchthäusler, kein willkürliches Spiel triebe, sondern mich für irgend etwas bestimmt haben könnte – für eine besondere Mission, deren Kern noch im dunklen Schoße zukünftigen Erlebens verborgen lag. Wozu wohl sonst die Fülle von lebensstarken, brutalwirklichen Geschehnissen, in deren Mitte ich seit Monaten stand? Wozu wohl, – wo doch andere Menschen ihren Daseinspfad stets mit sauberen Händen und sauberen Sohlen dahinwandern und nichts ahnen von dem, was die Wege abseits vom Alltag an seltsamen, grausigen Vorfällen bieten! Andere Menschen?! Nein, die meisten gehen ja die glatte Asphaltstraße des Lebens ... Und bleiben allzeit dumpf vegetierende Geschöpfe mit dickem Blut, hohlen Köpfen und aufgeblasenem Froschtum, bis – – der Tod sie wie stinkende Wanzen zertritt.

Intime Reize ...

Allan, der brave kleine Kerl, war eingenickt, lehnte an einem schrägen Felsstück, mit auf die Brust gesunkenem Kinderhaupt und den tief gebräunten Wangen.

Oh – die Sonne im Magelhaens scheint selten, aber wenn sie scheint, färbt sie in Stunden zarteste Haut mit der edlen Patina der Natur. Sonne braucht nicht zu brennen, um zu bräunen. Das hatte ich in Labrador bei den Eskimos erlebt, wo bei sechs Grad Kälte mir Brandblasen die Backen zierten. Hochtouristen können ebenfalls ein Lied davon singen.

Und die granitne Umgebung hier – hart wie wir selbst ...

Spottend in ihrer Grauschwärze dem Lichtkegel des Karbids. Tiefe Schatten überall, merkwürdig geformte Felsen, kleine Spalten, aus denen vielleicht im nächsten Augenblick der graugrüne, schnauzbärtige Hundekopf einer Fischotter hervorlugte, denn diese Fischräuber gab's hier im Anfange der Höhle in Menge.

Näsler saß auf einem Stein, die Zigarre zwischen den Fingern seiner tadellos gepflegten Aristokratenhand. Wenn er den Kopf bewegte, leuchtete sein blankes Monokel jedesmal wie das Riesenauge eines Zyklopen auf.

Vor ihm auf einer Steinplatte der Spirituskocher, der dampfende Teetopf. Um diesen Stein herum griffbereit unsere Waffen, jetzt ein ganzes Arsenal, denn auch die Karabiner und Pistolen der vier Gefangenen waren hinzugekommen.

Und jenseits der bleiche Mensch, den Achim für die Triebfeder alles Schlechten hielt.

Achim blickte in die leckenden hellen Flammenzungen des Spiritus. Dann fragte er Leon, indem er ihn durchdringend ansah: »Was tun Sie hier?«

Ich merkte genau, daß Turido über diese Frage erstaunt war. Aber er war ein guter Komödiant ...

»Das sollten Sie doch wissen, Näsler ...!« erwiderte er leise und matt.

»Vielleicht ... Vielleicht wissen wir es ... Denn Chubur, der dort neben Chico im Schatten den Schlaf der Genesung schläft, hat bereits erzählt, weshalb Sie Scheusal diese Scheußlichkeiten an den beiden verübten. Es gehört nicht eben viel Geist dazu, um aus Chuburs Angaben herauszufühlen, daß Sie und Ihre elende Sippe hier tatsächlich Gold ernten – fraglos in größtem Maßstabe. Nicht wahr, Abelsen?«

Ich nickte nur.

»Ja Gold ernten ... Und des elenden Edelmetalls wegen flog der ›Starost‹ in die Luft ... Des Goldes wegen verlor Chubur ein Auge und wandelte Chico am Rande des Todes dahin. Sie leben, die beiden ... – Wie fanden Sie diese Goldader hier? Aber bitte die Wahrheit, Turido. Vergessen Sie nicht, daß es hier auf tausende von Kilometern keine Richter gibt, daß ich Richter sein werde wie Coy Cala, der prächtige Araukaner, es war. Ihre drei Freunde stecken bereits im Bauche des Kadavers bis zum Kinn, und wenn es hell wird, werden die Vogelschwärme kommen ... Sie verstehen, Turido. Sie sind ja jeden Morgen bei Ihren Opfern gewesen, um die Schnabelhiebe zu zählen. Vergessen Sie das nicht. Lügen Sie nicht. Wie fanden Sie die Goldader oder wie erfuhren Sie von deren Existenz, was sollten die zehn Riesenröhren – und so weiter. Lassen Sie sich nicht jedes Wort herauskorkenziehern, Turido. Also bitte ...«

Leon Turido verzog höhnisch die Mundwinkel.

»Also draußen im Kadaver stecken die drei, Näsler ... Sehr gut ... Sie haben's verdient, ohne Frage ... Nur ...«

Ein schrilles Auflachen ...

Draußen das ferne Geknatter von Schüssen, von zwei förmlichen Salven ...

Wir fuhren empor, hatten schon die Waffen in der Hand ...

Da – noch eine Salve ...

Und abermals lachte Leon mit schrillem Hohn.

»Ja, Näsler, – das war sehr dumm von Ihnen ... Mir war's eine Beruhigung, daß die drei den Walgestank riechen mußten. Ich rechnete mit diesen Salven meiner Leute ... Die drei werden nichts mehr verraten können, und ich bestimmt nicht ... Tote reden nicht ... Es war unglaublich dumm von Ihnen ...«

Achim stürzte davon ...

Als er nach fünf Minuten wiederkehrte, trat er wortlos an Leons Lager und begann die Bandage der Stirnwunde abzuwickeln – bis dorthin, wo das geronnene Blut die Binde fest verklebt hatte.

»Wollen Sie reden, Leon Turido?«

»Nein!«

Da riß Joachim den Rest des Verbandes von Turidos Stirn, und die Arterie begann wieder Fontäne zu spielen. Ein dünner Blutstrahl spritzte schräg empor und troff in blanken Streifen am schwarzen Granit herab.

»Es stimmt – die drei sind tot«, sagte Achim. »Aber ebenso bestimmt werde ich Sie verbluten lassen ... Lange wird's nicht dauern, bis Ihre Adern leer sind ...«

Turido lag fahlen Antlitzes da ...

Dennoch lächelte er hohnvoll ...

Weiß Gott, ein Feigling war's nicht ...


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