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V.

Links an unserem Lager kam ich vorüber. Hügel überstieg ich, verlor den glimmenden Punkt aus den Augen, aber die Wegmarken halfen.

Eine flache, buschwerkreiche Kuppe war's, in deren Nähe ich – ich glaube zum ersten Male in meinem Leben – auf allen Vieren dem kaum mehr fünfhundert Meter entfernten Ziele zustrebte. Meine blasenreichen Handflächen schmerzten durch den Druck auf scharfkantigem Geröll. Hartes breites Gras ritzte mir die Haut. Doch da vorn schimmerte durch die Sträucher ein Pünktchen wie eine glimmende Zigarre, und das war der kräftige Magnet, der mich vorwärtstrieb.

Gut gewählt war dieser Lagerplatz der Fremden. Die Büsche standen dicht, und die Kuppe hatte dazu noch einen breiten Kranz von Felsstücken. Wahrscheinlich war das Feuer nur von jener Stelle so deutlich zu sehen gewesen, wo ich es bemerkt hatte.

Jetzt den Hügel hinab ... Langsam, bedächtig, immer wieder halt machend, immer wieder. Die mondhelle Umgebung beäugte ich mißtrauisch. Ich hatte keine Lust, mir eine Ladung Blei in den Kadaver schießen zu lassen oder als Ziel für einen Pfeil eines Alacaluf zu dienen. Diese Feuerlandwilden von der Westseite sind nur zum Teil halb zivilisiert. Chilenische Untertanen zwar ... Aber selbst Chile vermag nicht anzugeben, wie groß ihre Zahl ist. Manche schätzen die Alacaluf auf tausend Köpfe, andere nur auf die Hälfte. Volkszählung ist im Magelhaens nicht gut möglich, und die kleinen Horden der echten Wilden befinden sich dazu noch auf ständiger Wanderschaft, je nachdem die Robben und Lachsschwärme ihren Standort wechseln.

Meine Sniders hatte ich entsichert. Neun Schuß – und nur abdrücken ... Das beruhigt ruhige Nerven noch mehr. Und, wenn auch nicht Jäger: vorbeischießen gab's nicht!

Nun hinein in die Büsche, zwischen Felsen hindurch.

Ein kahler Platz vor mir ... Ein nur noch glimmendes Feuer. Daneben drei Gestalten ... Keine vier Meter entfernt.

Wahrhaftig: Europäer – zwei Männer, ein Weib ...

Sie lagen und schliefen auf Graspolstern, unter den Köpfen gerollte Decken. Ihre Waffe griffbereit neben sich. Im Hintergrunde Gepäck, pralle Rucksäcke aus braunem Segelleinen.

Die Männer sportmäßig gekleidet, bartlose Gesichter, jung, dunkelhaarig, die Frau, vom Monde klar beschienen, mit reichem aschblondem Haar, ein frisches, feines Gesicht ...

Aschblond ... Tatjana Turido! Sofort dachte ich an Tatjana, sofort ...

Also die Turidos waren hinter uns her?! Nicht Leute von dem Kinderräuberschiff, nicht Alacalufs! Turidos!

Nun, die drei sollten uns nicht mehr lange lästig fallen! Ob Joachim diese Tatjana liebte, – das sprach hier nicht mit. Die Turidos hatten gemordet, und daß die Jüngste der Familie scheinbar anders geartet, blieb sich gleich. Ihre Anwesenheit hier zeugte gegen sie. Wenn sie und ihre Begleiter nichts Arges gegen uns im Schilde führten, hätten sie offen zu uns kommen können.

Meine Gedankenkette wurde jäh gesprengt. Eine Hand hatte meinen Schenkel berührt.

Natürlich Coy ...

Und daher wandte ich ganz gemütlich den Kopf ...

Nicht Coy ...

Joachim Näsler ...!! Er winkte, zerrte an meinen Füßen. Ich kroch rückwärts. Als ich aus den Sträuchern heraus war, richtete ich mich auf.

Joachim war sehr bleich. Die Blässe seines Gesichts erschreckte mich. Zudem hatten seine fahlen Züge einen Ausdruck, der mir nicht gefiel.

»Kommen Sie, Abelsen!« Er flüsterte nur, aber es war dennoch Kommandoton.

Nun, hier in der Nähe der Gegner konnten wir nicht gut besprechen, was zu besprechen war. Joachim schritt voran. In einer Felsmulde zweihundert Meter zurück standen wir uns dann gegenüber. Nicht als Kameraden, spürte ich, bevor er noch zu reden begann.

»Herr Abelsen, was beabsichtigen Sie?« fragte er keuchend, und seine Rechte fingerte am Pistolenfutteral herum ...

Merkwürdige Frage, noch merkwürdiger der Ton ...

»Was die Umstände erfordern, Herr Näsler.«

Mit einem Male war das »Herr« zwischen uns wieder aufgelebt.

»Und das wäre?«

»Die Drei gefangenzunehmen. Was sonst? Sie wissen doch recht gut, daß es ein Teil der Turidos ist, und meine Meinung über diese Leute kennen Sie! Sollen wir diesen Verfolgern, diesen Spionen etwa Gelegenheit geben, uns zu guter Stunde niederzuknallen?!«

Er blickte mich scharf an ...

Abelsen, und wenn ich nun an Ihre Freundschaft appellierte ... Wenn ich bitten würde, sofort aufzubrechen und jede Spur hinter uns zu verwischen, was doch Coy ein leichtes sein würde!« Er hatte mir die Hand auf die Schulter gelegt. Diese Hand zitterte. »Abelsen, glauben Sie mir, – für mich hängt unendlich viel davon ab, daß wir diese drei unbehelligt lassen – glauben Sie mir!«

Jetzt bat er ... Und in seiner vibrierenden Stimme war etwas, das mir nahe ging.

»Abelsen, es gibt Dinge, über die ich nicht sprechen mag«, fuhr er noch eindringlicher fort, und das Blut schoß ihm plötzlich in die Wangen. »Abelsen, Sie sind ein anständiger Mensch ... Man hatte Sie zu unrecht eingesperrt. Ich bin ein Lump – vor mir selbst ... Was ich getan, war nichts, das die Strafgesetze irgendeines Landes ahnden würden. Aber das paragraphenreichste Gesetz tragen wir selbst in uns. Wir sind die schärfsten Richter über uns, wenn wir eben Männer sind. Und das sind wir. Das war ich stets. Und mein eigenes Gesetz, mein eigenes Gericht hat mich verurteilt, Abelsen. Deshalb wurde ich wie Sie: Abenteurer im guten Sinne, Kulturflüchtling, – deshalb verkroch ich mich hinter den Namen Näsler ...«

Pause ...

Seine Hand glitt an meinem Arm entlang, umklammerte die meine ...

»Abelsen, das Bitten fällt mir verflucht schwer. Ich durfte von Jugend an befehlen ... Ein Wink – und man sprang ... Verflucht schwer, dennoch tue ich's ... Lassen Sie uns aufbrechen, Abelsen, lassen Sie uns jede Begegnung mit den dreien vermeiden ... Wir werden sie abschütteln. Und sie werden uns nicht mehr finden ... Seien Sie barmherzig, Abelsen!«

Und ich forschte nun in seinen Zügen ...

»Näsler – die Wahrheit!! Ist es Tatjana Turido?« – Die Frage war berechtigt. Wie konnte das Mädchen und deren Begleiter mit Joachims sogenannter »Schuld« etwas zu schaffen haben?! Joachim hatte doch diese Leute erst auf dem »Starost« vor wenigen Wochen kennengelernt. Und daß er mich in dieser Beziehung nicht belogen hatte, war mir gewiß.

Er hatte den Kopf gesenkt.

Schwieg ... Seine Hand gab die meine frei. Dann sagte er schweren Tones: »Ich darf Ihnen nicht antworten ... Glauben Sie, was Sie wollen. Unsere Wege trennen sich, sobald Sie Miene machen, die drei dort zu überfallen. Und Allan nehme ich mit mir. Er wird mir folgen. Ich bin ihm mehr als Sie und Coy ...«

»Näsler, das wäre ...«

» ... Pflicht, Abelsen, – nur Pflicht! – Sie können das alles nicht verstehen ... Glaube ich gern ... Und – glauben Sie, was Ihnen beliebt ... Leben Sie wohl ... Allan und mich werden Sie nicht wiedersehen. Und die drei dort können Sie foltern, und Sie werden ebensowenig den Mund aufmachen ...«

Ein Schatten fiel über uns hinweg ...

Steinchen rieselten. Coy stand vor uns.

Grinsend, erhaben, triumphierend ...

»Dumme Kerle dort am Feuer«, sagte er mit unendlicher Verachtung. »Schlafen ohne Wache. Werden Büchsen holen ... Dann: ›Hände hoch!‹ Dann wir sie haben, die drei ... Coy holen Waffen von Dummköpfe – gleich ... Alles schnell gehen ... Wie mit Guanacoweibchen und Lämmer ... Coy das kennen ...«

Näsler blickte den Arauganer finster an ...

»Ja, mein Sohn, – – das kennen! Alles kennst du!! Nur keine Rücksichtnahme auf das, was andere als Gewissenslast mit sich herumschleppen, – keine Rücksicht wie Abelsen ... – Lebt wohl.« Und urplötzlich verfiel er wieder in den anderen Ton ... »Allan und ick verzichten auf fernere Kameradschaft!! Alles Dreck, Redensarten ... Kameradschaft!!«

Er drehte sich kurz um und wollte davon.

»Bleiben Sie, Näsler!«

Er wandte nur halb den Kopf.

»Coy«, befahl ich energisch, »wir werden sofort weitermarschieren ... Die drei dort gehen uns nichts an ... Sind Sie zufrieden, Näsler?«

Er war mit einem Satz vor mir ...

»Abelsen, Sie werden's nicht bereuen – bei Gott, Sie werden's nicht bereuen!!«

Er preßte meine Hand ...

Coy stand mit einem übermäßig dummen Gesicht dabei, schlackerte mit dem Kopf ...

»Mistre, Mistre, – das sein Dummheit! Das da sein Turido-Leute ... Und ...«

» ... und du wirst dafür sorgen, daß sie uns nicht mehr finden, Coy ... Du wirst unsere Fährten unsichtbar machen ... Du kannst es. Gehen wir ...«

Nicht ein Wort mehr sprachen wir bis zu unserem Zelte unter den Buchen im Schmalen Tale.

Und vor dem Zelte, festgebunden mit Riemen, die Beine kurz gefesselt, zwei rotbraune langhaarige Guanacos, daneben zwei Lämmer ... Muttertiere mit ihren Jungen.

Coy war stolz. »Da sind sie ...! Coy kennen das ... Wenn Lämmer haben, Muttertiere folgen, Mistre Abelsen, nur müssen sein Riemen am Fuß, daß nur können gehen ...«

Allan schlief. Aber die Guanacos und die Lämmer machten ihn rasch munter, als Coy ihm zurief, was er vor dem Zelte finden würde.

So brachen wir denn um drei Uhr morgens mit unseren Lasttieren auf. Zuerst wollten die Guanacos, die zur Lama-Familie gehören und auch deren Eigentümlichkeiten besitzen, nicht viel von den Traglasten wissen, versuchten auszukeilen, bissen, spuckten und wurden erst willig, als Coy und ich je eines der Lämmer am Strick hinter uns herzogen. Die Tierchen blökten kläglich, und der Mutterinstinkt der beiden Guanacos und die Stockhiebe, von Joachim und Allan ohne Rohheit ausgeteilt, taten das übrige. Nach einer halben Stunde gings schon recht flott voran. Unsere kleine Karawane vermied alle grasreichen Stellen, und als wir dann noch in einem Bergbach eine Strecke abwärts in ein kahles Tal gestiegen waren, schwor Coy tausend Eide, daß nicht einmal ein Schweißhund uns finden würde. Er behielt recht. Wir merkten nichts von den Verfolgern.

Vier Tage folgten, die ich hier übergehen kann. Dann zwang uns ein Sturm, der uns auf einer Hochebene dicht an der Westküste überraschte, zu unerwünschtem Aufenthalt. Eine flache Höhle nahm uns und die Tiere auf. Es regnete, schneite, hagelte und dennoch kehrte Coy nach drei Stunden mit einem erlegten Guanaco zurück. Es war das vierte, das wir inzwischen geschossen hatten. Die ersten drei kamen auf Joachims Konto. Das war noch mitten im Hochgebirge gewesen. Hochgebirge – denn Santa Ines ist im Grunde nur ein abgetrennter Teil der Kordilleren.

Unsere Lasttiere und die Lämmer waren jetzt völlig zahm. Wir behandelten sie gut, und kein Tier verschließt sich gegen die Freundlichkeit seines Erbfeindes Mensch. Allan hatte unsere vierbeinigen Gefährten längst getauft. Die Lämmer hießen Strupp und Rupp, und die alten Mary und Fanny. Coy hatte eines der Lämmer schon am dritten Tage schlachten wollen. Aber da war Allan zur Wildkatze geworden. Coy hatte gelacht, und die Tierchen blieben leben, leben wohl heute noch als freie Guanacos auf den Plateaus von Santa Ines.

Vier Tage flotten Marsches, und jetzt zwei Tage Ruhe. Coy gerbte die Guanacofelle. Und am Feuer saßen wir und langweilten uns. Draußen war die Hölle los ...

Joachim und Allan spielten Rätselraten. Joachim erfand Knittelverse mit wunderbaren Pointen, und unser Junge lachte fröhlich, wenn er früher als ich die Lösung fand. Mammi und Ponny und Hunde waren vergessen ...

Im Hintergrund lagen die Tiere auf Grasstreu, kauten, rülpsten, stanken ... Das Feuer qualmte, und die vor dem Eingang gespannten Felle knallten im Winddruck.

Aber auch das war Leben, Erleben.

Dann sprang der Wind um, und die Sonne kam und Licht und Wärme. Mittags ging's weiter.

Eine Hochebene endlos, grasreich, voller Waldflecken, trennte uns noch von der Küste. Daß Freund Coy die Richtung tadellos eingehalten hatte, daß es seinem Ortssinn vollauf genügt hatte, was Chubur über die Lage jener Bucht der Familie Turido und über die verlassene Schaffarm ihm angegeben hatte, das merkten wir nachmittags gegen fünf Uhr, nachdem wir an einer Unmenge von Tierschädeln und Skeletteilen vorübergekommen waren. In einem dichten Buchenwalde entdeckten wir neben einem kleinen Bache auf einer idyllischen Lichtung die Ruinen von Gebäuden – alles bereits von Unkraut überwuchert, besonders von jener besonderen Dornenart, die hier im Magelhaens-Archipel eine immergrüne Form angenommen hat.

Hier lagerten wir auch, denn Coy schätzte die Entfernung bis zur Ostbucht drüben auf knapp drei Meilen, und diesen Rest des Weges mußten wir, um nicht vorzeitig unsere Anwesenheit zu verraten, bei Nacht zurücklegen.

Das ehemalige Wohnhaus des Farmverwalters, ein plumper Steinkasten, war noch am besten erhalten. Coy und ich säuberten die Vorderstube, während Joachim und Allan, die jetzt Unzertrennlichen, draußen für die Tiere sorgten. Es war für mich ein merkwürdiges Gefühl, seit Monaten wieder einmal ein richtiges Hausdach über dem Kopfe zu haben. Ich besinne mich genau, daß ich nachher, als wir uns zur Ruhe niedergelegt hatten und nur Joachim, der die erste Wache hatte, draußen im Mondschein hin und herging und sein Schatten dabei in regelmäßigen Pausen über die scheibenlosen Fenster glitt, der Schlaf mich lange Zeit floh, weil ich eben nur noch an ein Nachtlager im Freien oder an eine leicht schwankende Schiffskoje gewöhnt war. Außerdem störte mich auch Coys rasselndes Atmen und die ewige Unruhe hin und her huschender Ratten unter den halbverfaulten Dielen. Die Feuerland-Ratten sind leider noch üblere Viecher als die europäischen, da sie zu einer Spielart der Moschusratten gehören und sehr intensiv riechen. So auch die Stube trotz der leeren Fensteröffnungen. Nein, damals wollte der Schlaf sich durchaus nicht einstellen, und als ich schließlich einschlummerte, war es nur jener Halbschlummer, der niemals erquickt und der unsere Sinne für alle äußeren Eindrücke fast ebenso empfindlich bleiben läßt wie im wachen Zustande.

Ich hatte so kaum eine halbe Stunde da gelegen, als eines dieser langschwänzigen graugrünen Biester dicht neben mir an unserem letzten Paket Zwieback (aus dem Zelte Gerald Mangroves stammend) zu knabbern begann. Ein Fausthieb, ein Quieken – und die Ratte flog gegen die Wand. Das Mondlicht fiel auf das zuckende Tier, dem ich das Rückgrat gebrochen hatte. Um es nicht unnötig leiden zu lassen, nahm ich mein Messer und schlug der Ratte mit der großen Klinge das Genick durch. Der Schlag war allzu kräftig, das verfaulte Fußbodenstück brach durch, die Ratte fiel nach unten und mein Messer glitt mir aus den Fingern ... – Kleine Ursachen, große Wirkungen ... Ich mußte das Messer wiederhaben, beugte mich zur Seite und fühlte mit der Hand in das Loch hinein. Aber selbst mein Arm war nicht lang genug, den Grund dieser Öffnung zu berühren. – Wir hatten von einer Unterkellerung dieser Stube bisher nichts gemerkt. Wie kam es also, daß sich hier eine solche Vertiefung befand?! Ich rieb ein Zündholz an, leuchtete hinab. Wirklich, ein ausgemauertes, viereckiges tiefes Loch, ein Schacht. Was mir sofort auffiel, waren die hellen Streifen des Mörtels zwischen den Steinen. Nicht etwa Ziegel, nein, Feldsteine ... Felsstücke. Der Mörtel war frisch.

Die Sache begann mich zu interessieren. Unwillkürlich dachte ich an die Turidos, die hier diese Farm ruiniert hatten – auf gemeinste Weise, durch Gift. Gift, gegen Menschen oder Tiere benutzt, ganz gleich, gilt mir als elendeste Feigheit. Auf den Plantagen in Sumatra hatte man seinerzeit die Affenherden durch vergiftete kleine Brötchen, die stark gesüßt waren, von den Pflanzungen vertreiben wollen. Eines Morgens hatten wir fünfzig tote Affen gefunden. Abends verließ ich das sonst so gastliche Haus. Ich hatte aus meiner Empörung kein Hehl gemacht, und – man hatte mich ausgelacht.

Ich denke, jeder hätte wohl beim Anblick des frischen Mörtels – es war ein Gemisch von Muschelkies, Lehm und Vogeldünger, wie wir nachher feststellten – die Turidos und ihren Anhang für die Hersteller dieses Schachtes gehalten, denn andere Leute lebten hier nicht in der Nähe.

Mein Zündholz erlosch, und ich nahm ein zweites.

Jetzt machte ich eine neue Wahrnehmung, die noch eigenartiger war. Der Schacht mochte zwei Meter im Quadrat messen und drei Meter tief sein. In der einen Wandung war eine kleine dunkel gestrichene Tür zu erkennen.

Das zweite Zündholz erlosch. Ich überlegte. Hier oben im Fußboden war bestimmt keine Falltür vorhanden. Sie hätte Coys Augen nie entgehen können, den meinen auch nicht. Wozu also der Schacht?! Wozu die kleine Tür unten?!

Ich mußte Näsler erzählen, was ich entdeckt hatte. Leise schlich ich aus der Stube ins Freie. Wir hatten die ebenfalls schon halb verfaulten Türen weit offen gelassen. Ich trat in den Mondschein der Waldlichtung hinaus. Die Nacht war klar, aber kühl ...

Ich schaute mich nach Joachim um. Rechts weideten unsere Guanacos, nur leicht angeseilt, die Lämmer frei. Und diese kamen mir sofort entgegengesprungen. Unseren Stückzuckervorrat hatten wir fast ganz an die Tierchen verfüttert, und ich war dabei neben Allan der Hauptspender gewesen. Die Lämmer schoben mir ihre kalten Mäulchen suchend in die Hand. Ich kraute ihnen den Kopf, faßte in die Tasche ... Es waren ausgerechnet die beiden letzten Stückchen Zucker. Joachim war nirgends zu sehen. Das überraschte mich. Ich schritt nach Osten zu, wo die Grassteppe nur durch eine dünne Baumreihe von der Lichtung getrennt war. Um Mitternacht hatte ich Näsler ablösen sollen. Jetzt war es elf. Und er?! Wo steckte er?! Coy hatte doch so eindringlich zur Vorsicht gemahnt.

Ich war im Baumschatten. Mein Fuß versank in nassem, totem Laub. All diese Bauminseln und Wälder am Magelhaens haben die Eigentümlichkeit einer sehr dicken Schicht faulenden Laubes. Ich ging wie auf einem Gummistoff, und so überraschte ich denn an einer einzeln stehenden Buche, an der Coy ein heute geschossenes und ausgeweidetes Guanaco aufgehängt hatte, drei diebische Wildhunde, eine Spezialität dieser südlichsten Region, ähnlich den nordamerikanischen Coyoten, nur größer und dunkler gefärbt. Die Tiere hatten die Vorderläufe und den Hals des Guanacos bereits vertilgt, ein Beweis, daß Freund Joachim sehr schlecht aufgepaßt hatte.

Ich trat auf die Steppe hinaus.

Steppe im Mondenschein, glitzernder Tau an hohen Halmen, leichter Nebeldunst in langen Streifen – dahinschwebend wie Gespenster, ewig die Form wechselnd ... Erlkönig fiel mir ein. Dieses Gedicht hatte stets den größten Eindruck auf mich als Kind gemacht, wenn meine deutsche Mutter es mir vortrug. Obwohl sie eine heitere, lebensfrohe Berlinerin war, besaß sie doch einen starken Hang zum Mystischen, Übersinnlichen.

Kein Joachim ...

Zum Teufel – wo war er?!

Und mit einem Male ward mir's bewußt, daß ich leichtsinnigerweise ohne jede Waffe die Hausruine verlassen hatte. Wenn nun etwa Näsler von denen, die wir auf sehr energische Art nach dem Verbleib von Chico und Chubur fragen wollten, etwa hinterrücks niedergeschlagen und weggeschleppt worden war?!

Konnte mir nicht jeden Moment dasselbe zustoßen? Wußte ich, ob wir nicht bereits eingekreist waren?

Mißtrauisch schaute ich zu den Baumschatten zurück ... Mein Leichtsinn konnte die übelsten Folgen haben.

Andererseits – wenn Feinde in der Nähe, dann würden die drei Wildhunde nicht so kühn bis hierher vorgedrungen sein und die bequeme Nachtmahlzeit begonnen haben.

Ich eilte rasch durch den Waldstreifen, machte aber einen Bogen, wollte dieselbe Richtung vermeiden, kam so an die rechte Ecke des gänzlich eingestürzten Wohnhauses der Schafhüter der einstigen Farm, – – und hörte Stimmen.

Von der Mauerecke hingen Dornenranken in dicken Bündeln herab, hatten einen natürlichen stachligen Vorhang gebildet, der in der Tat wie ein grün und gelb gesprenkelter Teppich aussah, da die Blätter und die Blüten scharf gegeneinander kontrastierten. Hinter diesem Vorhang erklangen die gedämpften Stimmen ...

Nein – nur eine jetzt. Die Joachim Näslers. Und ich merkte an dem Tonfall, daß er sich in außerordentlicher Erregung befand. Jedes Wort konnte ich verstehen. Näslers Stimme war in allen Tonlagen klar und deutlich, ein geschultes Organ – trotz des leisen Schnarrens, trotz des nachlässig-blasierten Leutnantsjargons von ehedem. Was ich hörte, war so unbegreiflich, daß ich schon nach den ersten Sätzen Joachims ohne Rücksicht auf die Dornen und meine Finger die Ranken auseinanderbog ...

Drüben lag vor Joachim ein Weib in aschblondem reichem Haar auf den Knien, hatte die Hände in seine Ärmel eingekrallt, hielt ihn fest – ihn, der den Oberkörper weit zurückgebogen hatte, als ob von der Frau ein Pesthauch ausginge ...

Es war dieselbe Frau, die ich damals schlafend am Lagerfeuer gesehen hatte. Nicht Tatjana Turido. Das wußte ich längst, obwohl Joachim die Frau nie mehr erwähnt hatte nach jener Szene, als er mit Allan uns hatte verlassen wollen.

Wer war es?


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