Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Elftes Kapitel. Angusuak

»Was hast du mir da von dem norwegischen Jungen erzählt?« fuhr Age Angusuak an.

»Er gefangen von Untervorsteher. Er tauschen Fuchsfell bei Amarsinioq und altem Angakoq Kunuk. Ja, ja, Nalanaq!«

Und dann erzählte Angusuak, was sich oben in der Höhle der zwei steinalten Grönländer begeben hatte. Der Untervorsteher und sein Assistent waren vor einer Stunde in die Kolonie hinuntergekommen, Erik nachschleifend, der biß und kratzte und die ganze Zeit rief, er habe nichts Unrechtes getan, ein altes Ehepaar habe ihn in seine Hütte gelockt und eine ganze Masse auf ihn eingeredet, wovon er kein Sterbenswörtchen verstanden habe. Es hatte jedoch alles nichts geholfen, der Junge war in den Arrest gesperrt worden, und da saß er nun.

»Jetzt sitzen wir schön in der Tinte!« murmelte Age.

»Wir müssen ihn befreien«, sagte Knut ernst und ballte die Fäuste, »und zwar so rasch als möglich, denn morgen in aller Frühe um fünf Uhr fahren wir los. Wo liegt denn das Gefängnis?«

»Gefängnis? Du hast wirklich gute Begriffe von Grönland! Also unser Justizpalast ist ein alter Holzschuppen! Und das ist ja eigentlich ganz gut, zum Durchbrennen nämlich. And so along boys

Damit zogen die Jungen den Fluß entlang, während sie flüsternd einen so recht listigen Schlachtplan zu entwerfen versuchten. Sie einigten sich dahin, Angusuak als Kundschafter vorauszuschicken; die anderen sollten sich inzwischen auf einer Steinhalde dicht hinter dem Arrestlokal der Kolonie verborgen halten.

Angusuak bat flehentlich, man möge ihm erlauben, zuerst noch zurückzulaufen, um seinen Hund loszumachen, der gebunden und geknebelt unten auf dem Schlachtfeld lag; aber das wollte Age um keinen Preis zugeben. So gingen sie also weiter und kamen zu einer Steinhalde. Angusuak schlich hinunter, um zu spionieren. Zehn Minuten später kehrte er zurück, mit katzenhaft leisen, schleichenden Tritten und berichtete, daß Erik noch immer eingesperrt im Arrest sah. Der Untervorsteher mit dem Assistenten hatten sich soeben zu der Kartenpartie beim Stationsarzt begeben. Aber vor dem Arrestlokal lagen zwei der schärfsten Hunde der Kolonie als Wächter.

»Rennst du sie?« fragte Age. Die Zähne klapperten ihm im Munde.

»Ja, ja, diese quingmio sehr kisartoq! Gefährlich! Sie ärger als Menschen, ja, ja. Itarsuaq kigulikak. Mit furchtbaren Zähnen!«

»Das Kann ich mir vorstellen,« sagte Age und schüttelte sich. Er spürte plötzlich, wie die Schmerzen nach den Hundebissen wieder stärker fühlbar wurden. »Was sollen wir also tun? wir sind verloren!«

Angusuak hockte sich nieder und runzelte die Stirne. Knut schlug vor, man solle einfach versuchen, die Hunde mit dem Lasso einzufangen, aber diesen Vorschlag wies Angusuak mit energischem Kopfschütteln zurück.

»Warten,« flüsterte er nur, »ich denken

Plötzlich richtete er sich mit einem Lächeln auf. Es war unverkennbar, daß er einen Ausweg gefunden hatte. Mit einer Handbewegung gab er den anderen Jungen zu verstehen, daß sie auf ihn warten sollten. Dann glitt er in den Nebel, lautlos wie ein Schatten.

Es verging beinahe eine Stunde, und die Jungen, nicht wenig aufgeregt, rieten flüsternd hin und her, was in aller Welt Angusuak vorhaben konnte. Knut meinte, vielleicht wolle er den Hunden Gift geben, Age aber vermutete, daß wahrscheinlich Verrat im Spiele sei, und das war allerdings ein schlimmer Gedanke. Womöglich war Angusuak schnurstracks zum Kolonievorsteher gelaufen, um zu petzen! »Aber dann prügeln wir ihn tot«, flüsterte Age mit zusammengebissenen Zähnen. Kaum hatte er diese furchtbare Drohung hervorgezischt, als Angusuak vor ihnen stand.

Age fuhr auf wie von der Tarantel gestochen und griff nach dem Messer.

Angusuak hatte seinen Hund mit, das Raubtier, das sie geknebelt und gebunden unten am Fuß geglaubt hatten. Es stand dicht neben seinem Herrn, mit phosphoreszierenden Augen, fletschte die Raubtierzähne und knurrte bösartig.

»Was willst du mit der – der – Hyäne?« stammelte Age und wich entsetzt einige Schritte zurück. Uffe rührte sich nicht vom Fleck, Knut auch nicht.

»Er gut zu brauchen, ja, ja«, sagte Angusuak mit seiner weichen melodischen Stimme und streichelte den Hund. »Tungujuluk und Amaroq große Feinde, du verstehn?«

»Nichts verstehe ich. Wer hat dir erlaubt –«

»Angusuak alles ordnen, Angusuak sehr schlau, ja, ja,« erwiderte der Eskimojunge stolz und geheimnisvoll. »Ihr hier warten, ja, ja. Wenn ich pfeifen – so – dann ihr lauft hinunter und holt norwegischen Nakagpiaraq – Jungen.«

Mehr sagte er nicht, lautlos huschte er auf seinen weichen Kamikken über die Steinhalde, auf das Arrestlokal zu.

Durch den Nebelschleier konnten die Jungen Angusuaks Bewegungen verfolgen. Sie sahen, wie er vor dem kleinen, rotgestrichenen Schuppen, in dem Erik gefangen saß, stehen blieb, sich zu dem Hunde hinunterbeugte und dann, wie es ihnen schien, den Strick löste. In der nächsten Sekunde sahen sie den Hund wie einen Pfeil dahinschießen, während Angusuak zu laufen begann und im Nebel verschwand.

Nun entstand ein furchtbares Getümmel. Angusuaks Hund, der der allerstärkste der Kolonie war, nach Ages Meinung der stärkste auf der ganzen Welt, hatte sich auf Amaroq, den einen der Wächter des Arrestlokals, gestürzt, von dem Schlupfwinkel der Knaben aus war es schwierig, alle Einzelheiten zu verfolgen; aber die Jungen merkten doch sofort, daß ein furchtbarer Kampf zwischen den drei Hunden entbrannt war, und daß dies in Angusuaks Plan gelegen haben mußte. Sie sahen die Tiere in einem wilden Knäuel durcheinander wirbeln, und aus weiter Ferne hörten sie Angusuaks eifrige Rufe nach seinem Hund.

Das Ganze spielte sich so blitzschnell ab, daß die Knaben noch nicht recht wußten, wie ihnen geschah, als auch schon alle drei Hunde im Nebel verschwunden waren, in derselben Richtung wie Angusuak. Trotz der tobenden Schlacht, oder vielleicht auch angesichts der drohenden Uebermacht, war Angusuaks Hund offenbar dem Rufe gefolgt, und die beiden anderen waren ihm nachgesetzt, denn grönländische Hunde lieben den Kampf eben so heiß wie Robbenfleisch und lassen sich nie eine Balgerei entgehen.

»Das war aber wirklich schlau von Angusuak,« sagte Knut voll Bewunderung für den einfachen, aber kühnen Plan des kleinen Eskimos, »so etwas wäre keinem von uns eingefallen!«

»Wir sind ja auch keine wilden,« meinte Age etwas mürrisch, denn es paßte ihm ganz und gar nicht, sich heute für Angusuaks Scharfsinn zu begeistern.

Plötzlich durchschnitt ein schriller, durchdringender Pfiff die nächtlichen Nebel. Alle drei Jungen fuhren in die Höhe. Das mußte Angusuaks Signal sein.

»Sollen wir es wagen?« flüsterte Age, vor Spannung zitternd.

»Selbstverständlich!« gab Knut zurück.

Sie liefen die Schutthalde hinunter, so daß die Steinchen nur so um sie flogen, wateten über den Bach, der sich am Arrestlokal vorbeischlängelte, und mit ein paar langen Sätzen erreichten sie die Türe. Von der anderen Seite des Hügels hörten sie das furchtbare, langgezogene Geheul der Hunde durch die Nacht zittern, wie die Jagdsignale einer jagenden Wolfsschar.

Die Türe war von außen mit drei soliden Bolzen verschlossen; aber es war für Knut das Werk eines Augenblicks, sie zurückzuschieben. Mit Age und Uffe auf den Fersen stürzte er hinein. Von einer Pritsche oder so etwas ähnlichem erhob sich eine Gestalt, und Knut hörte eine wohlbekannte Stimme sagen:

»Herrgott, Kinder, habt ihr aber lange gebraucht. Ist jetzt alles in Ordnung?«


 << zurück weiter >>